Schlesien

 
Schlesien als Teil der Habsburgermonarchie (1526—1740)

Das Bild der politischen Landschaft Schlesiens war zu Beginn der Habsburgerzeit trotz des Aufkommens neuer Territorialeinheiten, der Standesherrschaften, einfacher als im 14. oder 15. Jh. Einige Piastenlinien waren inzwischen ausgestorben oder hatten ihre Länder verkauft. 1526 regierten nur noch drei piastische Fürstenlinien: 
1. die Brieger Linie, die auch Liegnitz geerbt hatte und seit 1523 ebenso das aus Gebieten der Fürstentümer Glogau und Oels Ende des 15. Jh. entstandene Fürstentum Wohlau besaß.
2. die Oppelner Linie, die am Ende des 15. Jh. bzw. 1521 die einst Oppelner Länder Cosel-Beuthen und Ratibor — wenn auch verkleinert — wiedererlangen konnte, und 
3. die Teschener Linie, auch sie auf stark eingeschränktem Gebiet, nämlich ohne Auschwitz-Zator. Zum alten Bestand kann auch das den Bischöfen von Breslau gehörige Fürstentum Neisse-Grottkau (Bistumsland) gerechnet werden. Zu Erbfürstentümern, d. h. dem König von Böhmen unmittelbar unterstellten Territorien, waren inzwischen geworden: Breslau (1335), Schweidnitz-Jauer (1392), Glogau (1490/1508) und Troppau (1511). An auswärtigen Häusern haften neben den Podiebrads (in Münsterberg und Oels) drei reichsfürstliche Familien in Schlesien Besitz: die Wettiner das Fürstentum Sagan, die Brandenburger Hohenzollern das Fürstentum Crossen und neuerdings ein fränkischer Hohenzoller, Markgraf Georg von Ansbach, das 1377 von Troppau abgezweigte Fürstentum Jägerndorf (seit 1523). Georg hatte seit demselben Jahr auch die zum Fürstentum Ratibor gehörige Herrschaft Oderberg inne und war seit 1526 Anwärter auf die Herrschaft Beuthen in Oberschlesien.

Der Übergang Schlesiens an das Haus Habsburg brachte Vorteile wie auch Nachteile. Der größere Staatsverband ließ mehr Schutz erwarten, und das deutsche Herrscherhaus bedeutete für das Deutschtum eine stärkere Stütze. 

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Die Habsburger befanden sich aber im Abwehrkampf gegen die Türken und brauchten dafür viel Geld, und außerdem mußten sie — gerade um ihre Forderungen durchsetzen zu können — mehr Einfluß im Lande anstreben. Der Weg zu diesen Zielen führte über die Eindämmung der Fürsten- und Ständemacht und über die Vermehrung des Kronbesitzes. So standen bis gegen Ende des Jahrhunderts Finanz- und Verfassungsfragen im Vordergrund der Beziehungen zwischen den schlesischen Ständen und der Krone. 

Schon im Huldigungsjahr 1527 verlangte der König von Schlesien eine als Türkenhilfe gedachte Abgabe in Höhe von 100 000 Gulden. Die Verteilung der Lasten wurde auf Grund einer eigenen Vermögensschätzung (Indiktion) seitens der Steuerpflichtigen vorgenommen. Was zunächst eine einmalige, freiwillige Abgabe war, wurde 1552 in eine jährlich abzuführende Steuer umgewandelt, wobei der auf der Grundlage einer neuerlichen Indiktion errechnete Steuersatz mehrmals erhöht wurde. Schon vorher wurde als weitere ständige Abgabe eine Biersteuer eingeführt (1546). 1570 mußte der Fürstentag eine ausgesprochene Türkensteuer von 70.000 Gulden jährlich bewilligen. Für die Eintreibung dieser Steuern war das Generalsteueramt, eine ständische Einrichtung neben dem Oberamt, zuständig. Zur Steigerung der Einnahmen pochte Ferdinand I. auf das ihm zustehende Münz-, Berg- und Zollregal. 1549 wurde ein Viehzoll, 1557 trotz Widerstrebens der schlesischen Fürsten und Stände ein Grenzzoll eingeführt; zunächst bildeten alle habsburgischen Lande eine Zolleinheit, ab 1600 waren die böhmischen Länder, ab 1623 sogar Schlesien allein ein Zollgebiet, wodurch die Zolleinnahmen erhöht, der Handel jedoch erschwert wurde. Für die Verwaltung der königlichen Einnahmen aus allen böhmischen Ländern richtete Ferdinand in Prag eine Kammer ein; 1558 wurde eine eigene, der Wiener Hofkammer direkt unterstellte Schlesische Kammer geschaffen, die an sich nur für das Kronvermögen, die Einkünfte aus den Regalien und der Biersteuer zuständig war; bevor jedoch das Oberamt während des 30jährigen Krieges eine rein königliche Einrichtung wurde, übte sie auch die Funktion einer königlichen Aufsichtsbehörde aus. Im Bereich des Gerichtswesens wurde 1548 in Prag eine Appellationskammer begründet, die zunächst als Ersatz für den zu unterbindenden Rechtszug der Stadtgerichte nach Magdeburg gedacht war, dann aber versuchte, sich auch die Fürsten- und Ständegerichte unterzuordnen.

Ferdinand I. war bestrebt, in Schlesien keine mächtigen Fürsten emporkommen zu lassen und seinen unmittelbaren Besitz zu vermehren. Dies zeigt seine Haltung gegenüber Georg von Ansbach-Jägerndorf und Friedrich II. von Liegnitz-Brieg-Wohlau. Georg von Ansbach war ein Neffe König Wladislaus von Böhmen und Schwiegersohn des Johann Corvinus (später auch Karls I. von Münsterberg-Oels aus dem Hause Podiebrad). Er hatte 1512 einen Erbvertrag geschlossen, nach dem er die Herzöge von Oppeln und Ratibor beerben sollte, falls beide kinderlos stürben. Der Vertrag wurde 1521 (nach dem Tode des Ratiborer Herzogs) erneuert; Johann von Oppeln übergab Georg 1523 die Herrschaft Oderberg und verlieh ihm den Titel eines Herzogs von Ratibor — im selben Jahr kaufte dieser das Fürstentum Jägerndorf —‚ König Ludwig II. verschrieb ihm 1526 die Herrschaft Beuthen für die Zeit nach dem Tode Johanns auf zwei Leibeserben; im selben Jahr verkündete Georg bereits zusammen mit Herzog Johann in Beuthen eine neue Bergordnung. Ferdinand erkannte jedoch die Erbverträge nicht an und verlangte von Johann, daß er ihn selbst als Erben einsetze. Georg sollte nach der königlichen Entscheidung von 1531 die Fürstentümer Oppeln und Ratibor als Pfand bekommen, Beuthen und Oderberg ebenso, diese auf zwei bzw. drei Leibeserben. Oppeln-Ratibor wurde dem Nachfolger Georgs, Georg Friedrich, 1551 abgenommen; Beuthen und Oderberg durfte er (ebenso wie Jägerndorf) ungestört bis zu seinem Tode 1603 behalten. Da Georg Friedrich kinderlos war, wurde die kurbrandenburgische Linie der Hohenzollern erbberechtigt. König Ferdinand I. verweigerte aber die notwendige Zustimmung dazu. Kurfürst Joachim Friedrich und sein Sohn Markgraf Johann Georg nahmen trotzdem die Erbschaft in Besitz; der Streit dauerte an — auch nach der gerichtlichen Entscheidung von 1617, daß der Hohenzoller Beuthen und Oderberg zurückgeben müsse —‚ bis Johann Georg 1621 als Befehlshaber der dem »Winterkönig» ergebenen schlesischen Truppen aller seiner Besitzungen verlustig ging. — Auch im Falle Friedrichs II. von Liegnitz ging es um Erbverträge der Hohenzollern. Friedrich II. und Kurfürst Joachim II. von Brandenburg vereinbarten 1537 eine Doppelheirat zwischen dem Kurprinzen Johann Georg und Friedrichs Tochter Sophie einerseits und Friedrichs Sohn Georg und Joachims II. Tochter Barbara anderseits (1545 vollzogen) und zugleich eine Erbverbrüderung des Inhalts, daß beim Aussterben der Piasten in Liegnitz-Brieg-Wohlau ihre Länder an die Brandenburger kommen, im umgekehrten Falle die Piasten die schlesischen (Crossen mit Sommerfeld und Bobersberg) und lausitzischen Besitzungen (Cottbus und Peitz) der Brandenburger erben sollten. 

Da alle diese Gebiete böhmische Lehen waren, bedurfte die Vereinbarung der Zustimmung des Königs. Ferdinand hielt sich zunächst zurück. 1546 erklärte er aber die Erbverbrüderung für nichtig; Friedrich II. habe nicht das Recht, über seine Länder zu verfügen. Die aus den beiden Komplexen abgeleiteten Ansprüche der Hohenzollern auf Teile von Schlesien sollten Friedrich dem Großen 1740 den Anlaß zum Einmarsch in Schlesien bieten. Zu dem Bestreben Ferdinands I., den Kronbesitz in Schlesien zu vermehren, gehört auch der Rückkauf des Fürstentums Sagan von den Wettinern im Jahre 1549. Dauernde Geldnot zwang den Herrscher jedoch zugleich zur Verpfändung oder Veräußerung von Besitz. 


Kaiser Ferdinand   

Sagan war 1551—58 in der Hand des von Oppeln-Ratibor verdrängten Georg Friedrich von Ansbach, Oppeln-Ratibor erhielt Königin Isabella von Ungarn (1551—51) als Entschädigung; anschließend wurde der Domänenbesitz des Doppelfürstentums in Einzelherrschaften aufgeteilt und veräußert. Die Finanzforderungen der Habsburger führten bemerkenswerterweise zu keinen ernsten Zusammenstößen zwischen Ständen und Krone. Das Land befand sich im 16. Jh. in einem wirtschaftlichen Aufschwung und konnte die Belastungen erfragen.

Um die Mitte des 16. Jh. begann das Eindringen der Neusiedlung in die höheren Regionen. Im Vordergrund stand hier nicht das Bauerndorf mit großen Stellen, sondern die kleine Ansiedlung mit Gärtnern und Häuslern, die sich von frühindustrieller Tätigkeit ernährten, von der Eisenverhüttung, der Glasmacherei und der Leinenweberei. Die Glashütten wurden von Menschen aus dem Erzgebirge vor allem in das Iser- und Riesengebirge, in das Waldenburger und Glatzer Bergland eingeführt; das zur Feuerung und zur Pottaschegewinnung nötige Holz war hier in Fülle vorhanden. Die Leinenweberei fand im Gebirge das notwendige klare Wasser, die sonnigen freien Hänge zum Bleichen des Leinens und wiederum die Pottasche. Das im Mittelalter vornehmlich in der Stadt ausgeübte Gewerbe der Leinenweberei wurde seit der Mitte des 16. Jh. intensiv auf dem Lande betrieben. Die Produktion war — von oberdeutschen Kaufleuten angeregt — für den Export bestimmt und erfolgte zunächst vielfach im Auftrag städtischer Weberzünfte. Dann aber nahm der Adel — sich über das alte Gewerbemonopol der Städte hinwegsetzend —die Leinenherstellung in die Hand, indem er auf seinen Gütern die von ihm abhängigen Bauern für sich weben ließ. Die Städte konnten diese »Freiweberei» nicht verhindern; es blieb ihnen meist nur der Handel mit Garn und Leinen übrig. Zentren desselben waren um 1600 Reichenbach und Jauer.

Schlesien war eines der reichsten habsburgischen Länder. Die Krone wußte dies durchaus zu schätzen und unterstützte nach Möglichkeit die Wirtschaft des Landes. Dies gilt vor allem für die Zeit Ferdinands I., der zur Förderung des Handels u. a. einen Kanal von der Oder zur Spree beginnen ließ; daß der Wasserweg von der Oder zur Elbe noch nicht in diesem Jahrhundert zustande kam, lag an Brandenburg.


  Maximilian II.

Wie im Finanzbereich kam es auch in Verfassungsfragen immer noch zu einer Einigung zwischen Krone und Ständen; für letztere war entscheidend, daß sie das Recht der Steuerbewilligung auch nach den Ansätzen einer staatlichen Zentralverwaltung in der Hand behielten. Gefährliche Konflikte brachen erst auf, als die Krone das schon seit Beginn der habsburgischen Herrschaft in Schlesien anstehende, aber unter Ferdinand I. und Maximilian II. (1564—76) behutsam behandelte Problem der reformatorischen Bewegung im Sinne einer strengen Gegenreformation anpackte. Die lutherische Lehre hatte bereits vor dem Übergang Schlesiens an Habsburg im Lande Aufnahme gefunden. Die führenden Verfechter der Reformation waren Friedrich II. von Liegnitz und Georg von Ansbach-Jägerndorf; letzterer förderte die Einführung der Lehre Luthers nicht nur in Jägerndorf und Beuthen, sondern nach 1532 auch in den an ihn verpfändeten Fürstentümern OppeIn und Ratibor.

Selbst in den Erbfürstentümern war die Stellung der Stände so gefestigt, daß sie die Einführung der Reformation wagen konnten. Die Stadt Breslau schloß sich nicht nur selbst der neuen Lehre an, sondern nützte das Amt der Landeshauptmannschaft aus, um auch im Fürstentum Breslau reformatorisch zu wirken. Beim Tode Kaiser Ferdinands I. (1564) waren von den Fürsten und Standesherren Schlesiens nur der Bischof von Breslau und die Herren von Leslau, Pleß und Trachenberg katholisch.

Die evangelische Konfession war in Schlesien unter Ferdinand I. und Maximilian II. kaum Verfolgungen ausgesetzt, sie genoß zeitweise sogar ein gewisses Wohlwollen des Herrschers. Auch die damaligen Inhaber des Breslauer Bischofsstuhles waren meist maßvolle Vertreter. Es gab nur Erlasse gegen Schwenckfelder, Wiedertäufer und ungeweihte Geistliche. Dies änderte sich mit dem Regierungsantritt Kaiser Rudolfs II. (1576), der durch verschiedene Maßnahmen das in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung evangelisch eingestellte Schlesien allmählich wieder dem Katholizismus zuführen wollte; er wurde in seiner Spätzeit tatkräftig unterstützt vom strenggläubigen Erzherzog Karl als Bischof von Breslau! (1608—24).

Um einen Ausweg aus der Glaubensbedrückung zu suchen, blieb jedoch den schlesischen Ständen keine Wahl. Sie schlossen mit den böhmischen Ständen ein Verteidigungsbündnis ab und verweigerten dem Kaiser 1609 die Steuern. Nachdem die Böhmen bei Rudolf II. den bekannten, die Gleichberechtigung der Konfessionen garantierenden Majestätsbrief durchgesetzt hatten (9. 7. 1609), gelang es den Schlesiern, ihm ein ebensolches, teilweise sogar noch etwas weitergehendes Dokument abzuringen (20. 8. 1609): die Bekenntnisse sollten völlig gleichberechtigt sein, die freie Religionsübung jedem einzelnen offenstehen, die Gründung evangelischer Kirchen und Schulen auch in den Erbfürstentümern und im Bistumsland gestattet sein, das Oberamt an einen evangelischen schlesischen Fürsten übertragen werden (seit 1536 vom Bischof von Breslau besetzt). Als Rudolf sich von den ihm abgetrotzten Zugeständnissen zurückziehen wollte, gingen die böhmischen Stände auf die Seite seines Bruders Matthias, der ihm schon Österreich, Mähren und Ungarn abgenommen hatte, über. Die Schlesier schlossen sich diesem Beispiel an, huldigten aber Matthias erst (9. 10. 1611), nachdem er nicht nur den Inhalt des Majestätsbriefes bestätigt, sondern noch weitere Forderungen zugestanden hatte: Einrichtung einer selbständigen deutschen Kanzlei für Schlesien und die Lausitzen in Prag, Besetzung der Appellationskamrner in Prag unter Beteiligung von Schlesiern. Der Kaiser konnte diese Demütigung nicht vergessen. Die konfessionellen Gewichte verlagerten sich zudem in Schlesien zu seinen Gunsten.

Das katholische Lager wurde durch die Konversion Herzog Adam Wenzels von Teschen (1610), die Verleihung des Fürstentums Troppau an den Konvertiten Karl von Liechtenstein (1614) und den Eifer des Standesherrn von (Groß) Wartenberg Burggraf zu Dohna gestärkt, während die protestantische Seite zugleich durch den Übertritt Johann Georgs von Jägerndorf und der Herzöge von Liegnitz-Brieg-Wohlau zum Kalvinismus geschwächt wurde, da die Kalvinisten nicht in die Freiheiten des Majestätsbriefes einbezogen waren. Aber die Garantien von 1611 wurden mit wachsender Spannung zwischen den beiden Lagern ohnehin nicht mehr voll eingehalten.


Liegnitz                        

In die dem Prager Fenstersturz folgenden Entwicklungen wurden die Schlesier hineingezogen. Um die Religionsfreiheit zu bewahren, sahen sie sich gezwungen, sich den Böhmen anzuschließen, und die Gesandten der schlesischen Stände stimmten nach dem Tode Kaiser Matthias‘ (1619) mit den böhmischen Ständen für die Wahl des Führers der protestantischen Union, Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, zum König von Böhmen; Friedrich nahm am 23. 2. 1620 in Breslau die Huldigung der schlesischen Stände entgegen. Nach der Niederlage am Weißen Berge (8. 11. 1620) kam der »Winterkönig« wieder in Schlesiens Hauptstadt; der Versuch, neue Kräfte zu sammeln, mißlang, und so riet er den Schlesiern, Kontakt zu den Sachsen aufzunehmen, die als Verbündete des Kaisers die Lausitzen besetzt hatten und zu Verhandlungen bevollmächtigt waren. Im »Dresdner Akkord« vom 28. 2. 1621 wurden die Schlesier weitgehend geschont: die Stände sollten zwar eine Buße von 300.000 Gulden zahlen und Ferdinand II. als Oberherrn anerkennen; im übrigen wurden aber die Wiederherstellung des Zustandes von 1618 versprochen und die Privilegien des Landes garantiert. Diese Milde entsprach zwar nicht den Wünschen des Kaisers; aber da er noch mit politischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, stimmte er dem Akkord zu.

Es ergaben sich jedoch bald Gelegenheiten, die Verhältnisse in Schlesien im Sinne des katholischen Lagers zu verändern. Als erster leitete Fürstbischof Erzherzog Karl die Rekatholisierung der ihm unterstehenden Gebiete ein. Nach dem Tode Karls (1624) übernahm der Thronfolger Erzherzog Ferdinand (der spätere Kaiser Ferdinand III.) Glatz und Oppeln-Ratibor, 1626 auch Schweidnitz-Jauer und setzte die Gegenreformation fort. Jesuiten und andere Orden begannen die Rekatholisiernng. Jägerndorf fiel nach der Enteignung des Brandenburgers Johann Georg an den neuen, katholischen Herrn von Troppau, Karl von Liechtenstein, während Beuthen die in Oberungarn begüterte evangelische Familie Henckel v. Donnersmarck übertragen bekam, der der Kaiser finanziell verpflichtet war.


 Dragoner

Eine neue Phase der gegenreformatorischen Maßnahmen begann mit dem Kriegszug des evangelischen Grafen Ernst von Mansfeld durch Schlesien nach Ungarn. Dies gab dem Kaiser den Anlaß, im Gegenstoß ein kaiserliches Heer nach Schlesien zu schicken und Maßnahmen zur Durchsetzung der kaiserlichen Macht zu ergreifen. Das Oberamt verlor 1629 seinen ständischen Charakter und wurde rein kaiserliche Behörde. Wallenstein wurde 1628 mit dem Fürstentum Sagan, 1632 auch mit Glogau belehnt. Die gefürchteten »Liechtensteiner Dragoner» zwangen die Bürger in den Städten der Erbfürstentümer zur Rückkehr zur katholischen Kirche oder zur Auswanderung. Evangelische Grundherren wurden der Anhängerschaft mit dem »Winterkönig» bezichtigt und verloren ihre Besitzungen; sie wurden durch kaisertreue Geschlechter ersetzt. Es begann die Einwanderung adliger Familien aus allen Ländern der österreichischen Monarchie; sie setzte sich bis zum Ende der Habsburgerzeit fort. 1632 drangen Truppen der nunmehr gegen den Kaiser verbündeten evangelischen Mächte Schweden, Brandenburg und Sachsen nach Niederschlesien ein, dessen evangelische Stände sich auf eine »Konjunktion» mit den genannten Mächten einließen (1633).

Sie verschlechterten aber damit nur ihre Situation; denn Sachsen, das am ehesten den Schlesiern Schutz hätte gewähren können, schloß 1635 mit dem Kaiser den Prager Frieden (in dem es u. a. die 1620 als Pfand übernommenen Lausitzen zu Lehen bekam). Die Schlesier mußten sich dem Kaiser unterwerfen; nur die Piasten in Liegnitz, Brieg und Wohlau und die Podiebrads in Oels konnten die Religionsfreiheit für ihre Länder bewahren, die Stadt Breslau verlor die Landeshauptmannschaft des Fürstentums, konnte aber im übrigen seine wichtige Stellung verteidigen. Der Nachfolger Ferdinands II., Ferdinand III. (1637—57), fuhr fort, die Macht der kaiserlichen Verwaltung in Schlesien zu vermehren und die Befugnisse der Stände einzuengen.

Den ruhigen Jahren nach dem Prager Frieden folgten ab 1639 bis 1648 wieder Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen auf schlesischem Boden. Schwedische wie kaiserliche Truppen bedrückten das Land durch Zerstörung, Einquartierung, Sonderbesteuerung, Behinderung des Handels; verhalf schwedische Besatzung zur Wiedereinführung des evangelischen Gottesdienstes, so brachte ein militärischer Wechsel bald wieder die Ausmerzung reformatorischer Regungen. Brände und Seuchen taten ein übriges, um in erster Linie den Wohlstand der Städte zu vernichten. Massenweise flüchteten die Bürger in die evangelischen oder zumindest den Protestanten gegenüber toleranten Nachbarländer: die Lausitzen, Brandenburg und Polen, oder zumindest aufs Land, um den widrigen Verhältnissen in den Städten zu entkommen.

Der Westfälische Friede beendete zwar die Kriegshandlungen, er garantierte den evangelischen Fürstentümern, d. h. Liegnitz, Brieg, Wohlau und Oels, sowie der Stadt Breslau Religionsfreiheit und gewährte den Evangelischen der niederschlesischen Erbfürstentümer drei Gotteshäuser — »Friedenskirchen» — vor den Toren von Glogau, Jauer und Schweidnitz. Im übrigen setzte die systematische Unterdrückung der evangelischen Konfession jetzt erst recht ein. Die evangelischen Kirchen wurden geschlossen oder den wenigen übriggebliebenen Katholiken übergeben, die Pfarrer vertrieben. Zu städtischen Ämtern wurden vielfach nur noch Katholiken zugelassen. Eine neue Fluchtwelle in die Nachbarländer setzte ein; sie vermehrte dort die Zahl der (auch aus Böhmen stammenden) Exulanten. Für die im Lande verbliebenen evangelischen Gläubigen wurden im Grenzgebiet der Nachbarländer bestehende evangelische Kirchen zu »Zufluchtskirchen» erweitert oder eigens neue Gotteshäuser, »Grenzkirchen«, erbaut; von weit her pilgerten die Menschen allwöchentlich in großer Zahl über die Grenzen in diese Kirchen zum Gottesdienst. Die »Kirchenreduktion« wurde in den Erbfürstentümern 1653/54, im Fürstentum Sagan 1668 durchgeführt. 

Als der letzte Piast 1675 verstorben war und seine Länder als erledigte Lehen an die Krone gefallen waren, respektierte der Kaiser zunächst die im Westfälischen Frieden garantierte Religionsfreiheit für die Fürstentümer Liegnitz, Brieg und Wohlau, wenn auch die katholische Propaganda einsetzte. In den letzten Jahren des Jahrhunderts wurde jedoch auch hier die evangelische Konfession unterdrückt, die evangelischen Kirchen wurden geschlossen. Auch in das Fürstentum Oels und nach Breslau drang die Gegenreformation ein; in der Hauptstadt Schlesiens wurde 1702 eine Jesuiten-Hochschule, die Leopoldina, begründet.


Universität Leopoldina        

Die härtesten Maßnahmen mußten allerdings bald rückgängig gemacht werden; denn einmal neigte Kaiser Joseph I. (1705—11) zu einer gemäßigteren Konfessionspolitik, zum anderen und vor allem machte sich der schwedische König Karl XII., als er während des Nordischen Krieges nach seinem Siegeszug durch Polen bei Leipzig Sachsen—Polen gegenüber seine Forderungen durchsetzte, zugleich zum Sprecher der evangelischen Schlesier und zwang als Bürge des Westfälischen Friedensvertrages den Kaiser in der «Altranstädter Konvention« vom 1. 9. 1707 zur Wiederherstellung der Religionsfreiheit in den im Friedensvertrag genannten Gebieten Schlesiens.

Im politischen Bereich spielte der Protestantismus gar keine Rolle mehr, auch wenn es noch einen evangelischen Fürsten gab: den Herzog von Oels. Überhaupt war der Fürstenstand stark dezimiert, und seine Rechte waren auf die Stufe von Mediatherren hinabgedrückt. In Oels war das Haus Podiebrad im Mannesstamm mit Herzog Karl Friedrich 1. 1647 ausgestorben; zwar erreichte dessen Schwiegersohn, Herzog Sylvius Nimrod von Württemberg-Weiltingen, die kaiserliche Belehnung mit Oels, aber nur zu eingeschränktem herzoglichen Recht. Dasselbe gilt für die drei katholischen Adelsfamilien, die die Kaiser in freigewordenen Fürstentümern eingesetzt hatten: die Fürsten von Liechtenstein in Troppau (1614) und Jägerndorf (1623), die Fürsten Lobkowitz in Sagan (1646) und die Fürsten Auersperg in Münsterberg (1654). Die Teschener Linie der Piasten war im Mannesstamm mit Herzog Friedrich Wilhelm 1625 ausgestorben; dessen Schwester Elisabeth Lukretia durfte das Fürstentum bis zu ihrem Lebensende (1653) behalten, dann fiel es an die Krone. Die letzten Piasten starben 1675 mit dem jugendlichen Herzog Georg Wilhelm von Liegnitz, Brieg und Wohlau aus. Friedrich Wilhelm von Brandenburg (der »Große Kurfürst«) beanspruchte auf Grund der Erbverbrüderung von 1537 dessen Länder; aber die Habsburger hatten bereits 1546 die Ungültigkeit dieser Vereinbarung festgestellt. Kaiser Leopold I. trat zwar dem Brandenburger als Entschädigung die Exklave Schwiebus des Fürstentums Glogau ab (1686); gleichzeitig versprach jedoch Kurprinz Friedrich (III.),  das Gebiet zurückzugeben, sobald er die Regierung übernommen haben würde.

Die politische Gliederung Schlesiens war um 1700 recht einfach. Etwa zwei Drittel der Fläche bedeckten die unmittelbar der Krone gehörenden Erbfürstentümer. Das letzte Drittel bestand aus den Mediatfürstentümern Neisse-Grottkau (Bistumsland), Münsterberg, Oels, Sagan und Troppau-Jägerndorf, den Freien Standesherrschaften Carolath, Trachenberg, Militsch, (Groß) Wartenherg, Beuthen und Pleß sowie einigen kleinen Minderstandesherrschaften.

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Der Dreißigjährige Krieg fügte der Bevölkerung Schlesiens durch Kriegshandlungen, Pest und Auswanderung schwere Verluste zu. Die durch die Kriegsfurie bedingte Flucht war meist vorübergehend; die Auswanderung aus Glaubensgründen stellte dagegen einen endgültigen Verlust dar. Viele Fachleute, besonders Tuchmacher und Bergleute, kehrten damals Schlesien den Rücken zu — zum Schaden der Wirtschaft. Besonders betroffen waren die Städte; manche von ihnen haben die Einwohnerzahl der Vorkriegszeit erst im 19. Jh. oder überhaupt nicht wieder erreicht.

Insgesamt gesehen, hatte die schlesische Wirtschaft in den 1670er Jahren das Schlimmste überstanden, Wichtigster Motor der Wirtschaft waren Leinenproduktion und Leinenhandel. Das Leinen ging — durch Nachahmung französischer Sorten seit den 1690er Jahren konkurrenzfähiger geworden — über die Niederlande, Portugal und Spanien bis nach Amerika. Zentren des Handels im Lande waren nunmehr Landeshut, Schmiedeberg, Greiffenberg und vor allem Hirschberg, das sich auf den Schleierhandel spezialisiert hatte. Hauptumschlagplatz des Westhandels mit schlesischem Leinen war Hamburg, über das in umgekehrter Richtung Schlesien außereuropäische Waren bezog, z. T. solche, die es früher über den Levantehandel erhalten hatte, wie Gewürze und Südfrüchte. Diesem Nordwesthandel stand seit der Fertigstellung des Oder-Spree-Kanals (Friedrich-Wilhelm-Kanal, 1668) auch der Wasserweg zur Verfügung. War auch der Handel der Politik des Staates unterworfen, so mußte doch die Regierung immer wieder die Interessen der schlesischen Kaufleute berücksichtigen, weil diese ihr beträchtliche Einnahmen garantierten. Ausdruck staatlicher Förderung war die Einrichtung des Kommerzkollegs in Breslau 1716.

Die Jesuiten und die anderen gegenreformatorisch tätigen Orden einerseits und der Adel anderseits wurden die Träger einer regen Bautätigkeit, die dazu beitrug, Schlesien zu einer reichen Landschaft der Barockkunst zu machen. Die neu oder wieder eingeführten Orden wollten durch prachtvolle Kirchen, Klöster, Kolleg- und Seminargebäude den Sieg der alten Kirche zum Ausdruck bringen. Auch ältere kirchliche Institutionen ersetzten — diesem Beispiel folgend — ihre altersschwachen Bauten durch großzügige neue, und alte Kirchen erhielten zumindest eine neue Innenausstattung, vielfach Ersatz für die in der Reformationszeit verlorene.

Schlesien nahm an dem wirtschaftlichen, geistigen und künstlerischen Aufschwung der österreichischen Länder nach Beendigung der Türkenkriege teil. Mit dem Einfall Preußens nach Schlesien 1740 brach diese positive Entwicklungslinie zunächst einmal ab.

Die preußische Provinz Schlesien (1741-1918)

Der erst ein halbes Jahr regierende junge König Friedrich II. von Preußen sah in dem Tod Kaiser Karls VI. am 20. 10. 1740 eine günstige Gelegenheit, um sein Staatsgebiet nach Südosten auf Schlesien auszudehnen; denn Bayern und Sachsen hatten die Pragmatische Sanktion von 1724, welche die weibliche Thronfolge nach Karls VI. Tod vorsah, nicht anerkannt, woraus sich eine schwache und bedrohte Position von Karls Tochter und Nachfolgerin Maria Theresia ergab. Tatsächlich entstand aus dieser Kontroverse im Juli 1741 der Österreichische Erbfolgekrieg. 


  Friedrich II.

Damals waren aber die Preußen längst nach Schlesien eingedrungen. Friedrich II. ging bei seiner Forderung auf Abtretung von Schlesien von den alten Ansprüchen der Hohenzollern auf Teile dieses Landes aus, auf die Besitzungen des im Zusammenhang mit dem Böhmischen Aufstand 1621 enteigneten Markgrafen Johann Georg (Jägerndorf, Oderberg, Beuthen) und die Fürstentümer Liegnitz, Brieg und Wohlau, die 1537 Gegenstand der Erbverbrüderung zwischen den Brandenburgern und den Piasten gewesen waren. Zwar hatte der Große Kurfürst 1686 gegen Abtretung des Kreises Schwiebus an Brandenburg auf alle schlesischen Besitztitel verzichtet; aber auf Grund eines vom habsburgfreundlichen Kurprinzen zur gleichen Zeit ausgestellten geheimen Reverses war Schwiebus schon 1694 wieder an Schlesien gekommen.

Das am 16.12.1740 in Schlesien eindringende preußische Heer konnte angesichts der geringen anwesenden österreichischen Truppen bis Mitte März 1741 fast ganz Schlesien besetzen; das nach Oberschlesien vorgerückte österreichische Heer unter dem Grafen Neipperg wurde am 10. 4. 1741 bei Mollwitz geschlagen. Da inzwischen auch Bayern, Frankreich und Sachsen den Krieg gegen Österreich begonnen hatten und Wien bedroht war, verzichtete Friedrich II. in einem von England vermittelten Geheimabkommen mit Österreich (Klein Schnellendorf, 9. 10. 1741) auf weitere militärische Aktionen und erreichte dafür von Österreich, daß ihm Schlesien bis zur Glatzer Neiße und rechts der Oder nördlich der Brinitze eingeräumt, darüber hinaus die Einrichtung von Winterquartieren in Oberschlesien bis zu einer bestimmten Linie nördlich der Gebirgspässe gestattet wurde. Nach erneutem Eingreifen Preußens in den Krieg trat Maria Theresia Friedrich II. im Breslauer Präliminarfrieden vom 11. 6. 1742 fast ganz Schlesien (sie behielt nur Teile des Bistumslandes und des Fürstentums Troppau-Jägerndorf sowie das Fürstentum Teschen) sowie die Grafschaft Glatz und die mährische Exklave Katscher ab; die Bestimmungen wurden im Berliner Friedensvertrag vom 28. 7. 1742 bestätigt.

Der Österreichische Erbfolgekrieg ging inzwischen weiter; Karl Albrecht von Bayern, der Gegenspieler Maria Theresias, war im Januar 1742 zum Kaiser Karl VII. gewählt worden. Als die Lage sich zugunsten der Habsburgerin änderte, griff Preußen aus Furcht vor Verlust seiner Neuerwerbung wieder in die Auseinandersetzungen ein und eröffnete damit den 2. Schlesischen Krieg (1744). Friedrich II. errang aber zunächst keine Erfolge, die Österreicher drangen im Gegenzug nach Oberschlesien und in die Grafschaft Glatz ein; aber die Siege bei Hohenfriedberg (4. 6. 1745) und Kesselsdorf in Sachsen (15. 12. 1745) verhalfen den Preußen schließlich doch zu dem den Besitz von Schlesien bestätigenden Frieden von Dresden vom 25. 12. 1745. Ein dritter Krieg um Schlesien, der Siebenjährige Krieg, brach nach elf Jahren Friedenszeit 1756 aus. In Schlesien, das schwerer als zuvor unter der Kriegsfurie litt, operierten Preußen auf der einen Seite, Österreicher, Sachsen und Russen auf der anderen Seite. Das Kriegsglück wechselte mehrmals; dem Sieg bei Prag (6. 5. 1757) folgten für die Preußen Niederlagen bei Kolin in Böhmen (18. 6. 1757) und Breslau (24. 11. 1757), dann wieder der große Sieg bei Leuthen (5. 12. 1757). Die 1758 von den Österreichern wieder besetzten Teile Schlesiens wurden gegen Ende des Jahres weitgehend erneut preußisch. 1759 wurde das Land nach der Schlacht bei Kunersdorf in der Neumark (12. 8. 1759) im Norden von Russen und Osterreichern heimgesucht, 1760 durchzogen nach der Kapitulation der Preußen bei Landeshut (23.6.1760) Österreicher das Land, im Norden wiederum Russen, bis Friedrich II. die Feinde bei Liegnitz schlug (15. 8. 1760) und aus Schlesien hinausdrängte. Auch 1761 hatte sich der König in Schlesien gegen Österreicher und Russen zu verteidigen (Lager von Bunzelwitz, 20. 8.—25. 9. 1761). Der Herrscherwechsel in Rußland im Januar 1762 führte dann Preußen aus seiner trotz mancher Erfolge schwierigen Situation heraus.

Der neue Zar, Peter III., trat auf die Seite Friedrichs II., und wenn sich das Bündnis auch nicht auswirken konnte, weil Peter bereits am 9. 7. gestürzt wurde, so verhalf schon allein die Anwesenheit der Russen bei Burkersdorf den Preußen zum Siege (21. 7. 1762); sie schlugen auch einen österreichischen Entsatzversuch für Schweidnitz bei Reichenbach ab (16. 8. 1762) und nahmen schließlich die Festung Schweidnitz ein (9. 10. 1762). Die allgemeine Kriegsmüdigkeit führte dann die Gegner an den Verhandlungstisch: am 15. 2. 1763 wurde im sächsischen Schloß Hubertusburg der Friede geschlossen; er bestätigte erneut den 1742 und 1745 vereinbarten Gebietsstand. Der größte Teil Schlesiens war damit endgültig preußisch geworden und konnte in den preußischen Staat integriert werden. 


Friedrich in Bunzelwitz

Preußen hatte schon vor Beendigung des 1. Schlesischen Krieges mit der Einrichtung einer eigenen Verwaltung für Schlesien begonnen, die dem modernen absolutistischen Staat entsprach und dem Lande manch unbequeme, vielfach aber auch notwendige und längst fällige Änderung brachte. An der Spitze von Preußisch-Schlesien stand der Provinzialminister (1742—53 Ludwig Wilhelm v. Münchow, 1753—55, Joachim Ewald v. Massow, 1755—69 Ernst Wilhelm v. Schlabrendorff, 1770—1806/07 Carl Georg Heinrich v. Hoym), der direkt dem König unterstand — Schlesien erhielt eine Sonderstellung. Unter ihm arbeiteten zwei Kriegs- und Domänenkammern in Breslau und Glogau, die für die Finanz- und Wirtschaftsverwaltung zuständig waren und die Oberbehörde für die 48 in Anlehnung an die alten Weichbilder gebildeten Kreise darstellten. Die Finanzverwaltung der Städte wurde in zehn den Kriegs- und Domänenkammern unterstellten steuerrätlichen Departements zusammengefaßt; von allen in die Stadt gebrachten oder in der Stadt erzeugten Waren, ferner von Gärten, Wiesen, Äckern und Vieh mußte die Akzise gezahlt werden. Bei kleinen, wirtschaftsschwachen Städten lohnte sich die Erhebung der Akzise nicht; diese »unakzisbaren Städte« zahlten wie die Dörfer die »Kontribution« und unterstanden wie diese den Landräten. Durch diese Maßnahme sanken 31 der 160 Städte Preußisch-Schlesiens zu Marktflecken ab; nur einige wenige von ihnen erlangten im 19. Jh. auf Grund neuer wirtschaftlicher Impulse wieder Stadtrecht.

Das Gerichtswesen wurde als einziger Bereich der Verwaltung dem zuständigen preußischen Ressortminister untergeordnet, damals Justizminister Samuel v. Cocceji. Als Berufungsinstanzen für die Gerichte der unteren Ebene wurden »Oberamtsregierungen« in Breslau, Glogau und 1744 auch in Oppeln (seit 1756 in Brieg) eingerichtet. Die unteren Gerichtsinstanzen bildeten die alten Gerichte der Fürstentümer, Standesherrschaften, Landstände und Magistrate. Auch behielten die Grundherren die Polizei- und Kirchenhoheit. Im übrigen wurden alle ständischen Einrichtungen abgeschafft; selbst über das von den Ständen sorgsam gehütete Steuerbewilligungsrecht setzte sich Friedrich der Große hinweg. Neben der Regelung der Steuereinnahmen war die militärische Sicherung Schlesiens ein Hauptanliegen des preußischen Königs. Im Lande sollte eine Garnison von etwa 35.000 Mann unterhalten werden; das war mindestens das Zehnfache des Militärs der österreichischen Zeit. 


      Festung Schweidnitz

Zur Beschaffung von Rekruten wurde das preußische Kantonsystem in Schlesien eingeführt; jeder Aushebungsbezirk (»Kanton«) mußte eine Anzahl von Rekruten stellen; für Breslau und die wegen der Leinenweberei für den Staat wichtigen Gebirgskreise (Bunzlau, Löwenberg, Hirschberg, Jauer, Landeshut-Bolkenhain, Schweidnitz) gab es eine günstigere Sonderregelung. Da die wenigen Kasernen für die vielen Soldaten nicht ausreichten, mußten die Bürger der Städte Quartiere zur Verfügung stellen. Die Festungslinie zu Böhmen—Mähren hin wurde verstärkt: Schweidnitz wurde ausgebaut, Neisse und Glatz erhielten neue Forts, Cosel wurde erst jetzt in eine richtige Festung umgewandelt, und am Paß von Silberberg wurde eine neue errichtet.

Schlesien hatte unter den preußisch-österreichischen Kriegen schwer gelitten. Friedrich der Große förderte den Wiederaufbau der Städte, teilweise sogar durch Geldgeschenke aus der Privatschatulle, vor allem aber durch Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft, wie Verbot der Wollausfuhr nach Sachsen und Österreich und Erhöhung der Durchgangszölle. Dies war um so notwendiger, als die schlesische Wirtschaft sehr unter der Teilungsgrenze zu leiden hatte. Die Armee war in der ersten Zeit ein wichtiger Auftraggeber; die Tuchproduktion stieg an, die Waffen- und Munitionsherstellung setzte ein.

Eine besondere Förderung erfuhren der Bergbau und das Hüttenwesen. 1769 wurde mit der »revidierten Bergordnung« ein einheitliches Bergrecht für Schlesien eingeführt (nur die Standesherren von Pleß und Beuthen behielten Sonderrechte), die die Freiheit der Bergleute von der Gutsuntertänigkeit feststellte und den Bergbau einem staatlichen Oberbergamt unterstellte, das seinen Sitz zunächst in Reichenstein, seit 1779 in Breslau hatte. Schwerpunkt des Bergbaus und auch des Hüttenwesens waren vorerst die niederschlesischen Gebirgsgegenden (das Waldenburg-Neuroder Revier mit Nachbargebieten); er verlagerte sich aber in zunehmendem Maße nach Oberschlesien.

Die Anfänge der modernen Industrieentwicklung in Oberschlesien reichen in die habsburgische Zeit zurück. Die Initiative ging von Gutsherren aus, die auf ihren Besitzungen an den Flüssen der Waldgebiete (Malapane, Klodnitz, Birawka) mit Hilfe weniger deutscher Fachleute, im übrigen mit der ihnen untertänigen einheimischen Bevölkerung Hochöfen und Frischfeuer anlegten und betrieben. Diese Entwicklung wurde in preußischer Zeit verstärkt fortgesetzt. Ein entscheidender Wandel und Aufschwung begann mit dem Abbau und der Verwendung der Steinkohle, was in Oberschlesien um 1750 einsetzt, später als im Waldenburg-Neuroder Revier, aber um so folgenreicher. Der Anstoß ging vom Staat aus, vertreten durch den preußischen Minister für Berg- und Hüttenwesen Friedrich Anton v. Heynitz (seit 1777) und dessen Neffen Friedrich Wilhelm v. Reden als Leiter des Oberbergamtes (seit 1779). 

1780 wurde für Oberschlesien die Bergdeputation (später Bergamt) Tarnowitz eingerichtet, 1784 ebendort die Friedrichs-(Kohlen-)Grube, 1786 nordwestlich davon die Friedrichshütte gegründet, 1788 in der Friedrichsgrube eine englische Dampfmaschine zur Wasserhaltung aufgestellt, 1789 in der Hütte von Malapane das Eisenschmelzen mit Koks erreicht. Zwei staatliche Steinkohlenbergwerke bei Zabrze und Ghorzow — die Keimzellen der späteren Städte Hindenburg und Königshütte — lieferten die Kohle für zwei benachbarte staatliche Hütten, die Gleiwitzer Hütte mit dem ersten Kokshochofen Deutschlands (1796) und die Königshütte (1802). 


Stahlhammer                      

Diese Maßnahmen des Staates markieren den Beginn der Industrieverlagerung nach Südosten in das Kohlenrevier und die Begründung der oberschlesischen Schwerindustrie. Der Staat legte auch den Grundstein für die oberschlesische Zinkindustrie. So positiv die Rolle des Adels bei der Industrieentwicklung war, so negativ wirkte sich die Unterdrückung der bäuerlichen Bevölkerung durch die Großgrundbesitzer aus, die besonders in Oberschlesien für die Bewirtschaftung der riesigen Latifundien viele Menschen brauchten und nach Bedarf einsetzten, auch in ihren Industriebetrieben. Daraus ergaben sich gefährliche soziale Spannungen, die sich in Bauernunruhen entluden (1793, 1811), wie auch in den Gebirgskreisen unsoziales Verhalten der Garnhändler zu Weberunruhen führten (1793). Der preußische König benötigte aber den Adel als Reservoir für das Offizierskorps und das höhere Beamtentum und unterstützte ihn daher. Das Problem der Verflechtung des österreichischen Adels mit Schlesien löste sich im Laufe der Zeit von selbst durch Güterverkauf. Um dem verschuldeten Adel zu helfen, seinen Grundbesitz zu halten, gründete Friedrich der Große 1770 die »Schlesische Landschaft», eine Krediteinrichtung des Adels.

In konfessioneller Hinsicht brachte die Herrschaft des religiös indifferenten Königs den Evangelischen die Aufhebung der Glaubensbeschränkungen, der katholischen Kirche einige staatliche Einflußnahmen, die aber die freie Religionsausübung nicht berührte. Noch während des 1. Schlesischen Krieges erbaten und erhielten viele evangelische Gemeinden von Friedrich II. die Genehmigung zur Errichtung eines eigenen Gotteshauses und zur Anstellung eines Predigers; bis 1752 waren 164 provisorische evangelische »Bethäuser« oder »Bethauskirchen« erbaut. Gegenüber der katholischen Kirche wollte der König seine kirchliche Souveränität durchsetzen und griff damit in Autonomierechte der Kirche und in deren direkte Verbindungen zur Kurie und zu kirchlichen Einrichtungen in den habsburgischen Ländern — besonders im Bereich der Orden — ein. Dabei kam es zu manchen scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem König und dem Bischof von Breslau.

Wie sehr Friedrich der Große die Arbeit der katholischen Kirche im Bildungsbereich schätzte, zeigt sein Verhalten gegenüber den Jesuiten: als der Papst den Jesuitenorden 1773 aufgelöst hatte, machte der Staat die Patres zu Mitgliedern des »Königlichen Schul-Instituts« und ließ ihre Gymnasien, ebenso die Leopoldina in Breslau bestehen. Der Verbesserung des Schulwesens diente die Einrichtung eines katholischen Lehrerseminars in Breslau 1767; evangelische Lehrer wurden seit 1765 im Bunzlauer Waisenhaus und seit 1768 auch in Breslau ausgebildet.

Mit dem preußischen Beamtenapparat und dem preußischen Militär drangen strengere, nüchternere Lebensformen nach Schlesien ein, an die sich die Bevölkerung nur zögernd gewöhnte. In der Kunst kam der Wandel in der Ablösung des heiteren österreichischen Barock durch den ernsteren preußischen Klassizismus zum Ausdruck, der hier vor allem durch den Schlesier Carl Gotthard Langhans, den Erbauer des Brandenburger Tores in Berlin, und seine Schule geprägt wurde..

Nach einer Friedenszeit von viereinhalb Jahrzehnten (die Feindseligkeiten in Oberschlesien 1778 während des Bayerischen Erbfolgekrieges waren unbedeutend) wurde Schlesien ab November 1806 von Verbündeten Napoleons — bayerischen und württembergischen Truppen unter dem Befehl von Napoleons Bruder Jerôme — mit Krieg überzogen; nur die Festungen Glatz, Silberberg und Cosel hielten bis zum Tilsiter Frieden (9. 7. 1807) dem Ansturm stand. Der Friedensvertrag beließ Schlesien bei Preußen, was schon wegen der oberschlesischen Rüstungsindustrie wichtig war; eine längere militärische Besetzung erzwang Frankreich nur für die Festung Glogau


Napoleon       

Die Ereignisse der nächsten Jahre in Schlesien erlangten nicht nur für dieses Land, sondern teilweise auch für ganz Preußen und Deutschland Bedeutung. Durch die Einführung der Stein-Hardenbergschen Reformen 1807—12 (Bauernbefreiung, städtische Selbstverwaltung, Heeresreglement, Gewerbefreiheit, rechtliche Gleichstellung der Juden) wurde die soziale und wirtschaftliche Lage verbessert, zugleich Schlesien an das übrige Preußen angeglichen. Die große Verwaltungsreform sollte erst nach 1815 erfolgen. Aber die bisherigen Kammern wurden schon jetzt in Regierungen, die Oberamtsregierungen in Oberlandesgerichte umgewandelt; dabei wurde die Glogauer Regierung angesichts der anhaltenden fremden Besetzung von Glogau provisorisch in Liegnitz aufgebaut (1809), das Provisorium wurde aber zum Schaden Glogaus zur Dauereinrichtung.

Zur Angleichung an gesamtpreußische Verhältnisse gehörte auch die Säkularisation des beträchtlichen katholischen Kirchengutes in Schlesien (1810), eine Maßnahme, die in anderen Teilen Deutschlands und auch Preußens bereits vorher durchgeführt worden war und die dem Staat in der damaligen Finanznot helfen sollte. Ein Teil der Güter wurde zur Ausstattung der durch Ausbau der theologisch-philosophischen Hochschule »Leopoldina« und Vereinigung mit der Universität Frankfurt/Oder gegründeten Breslauer Friedrich-Wilhelms-Universität (1811) — der ersten Universität Preußens mit katholischer und evangelischer theologischer Fakultät —verwendet; manche Kirchenbesitzungen schenkte der König später verdienten Heerführern der Befreiungskriege und Staatsmännern (Blücher: Krieblowitz und Schawoine, Yorck v. Wartenburg: Klein Öls, Wilhelm v. Humboldt: Ottmachau). 1812 wurde Preußen zum Durchmarschgebiet für die nach Rußland eindringenden Heere Frankreichs und seiner Verbündeten. Mittel- und Oberschlesien waren davon ausgenommen und konnten daher als Vorbereitungsraum für die Erhebung gegen Napoleon dienen. Die königliche Familie siedelte am 22. 1. 1813 nach Breslau über; dort vereinbarte Preußen am 27. 2. 1813 ein Bündnis mit Rußland (endgültige Unterzeichnung des Vertrages am 28. 2. im russischen Hauptquartier zu Kalisch) dort traf König Friedrich Wilhelm III. am 15. 3. mit Zar Alexander I. zusammen und verkündete zwei Tage später den berühmten Aufruf »An mein Volk«. Der nach dem endgültigen Bruch mit Napoleon begonnene Frühjahrsfeldzug verlief ungünstig; die Franzosen drängten die verbündeten Preußen und Russen bis jenseits Neumarkt zurück. Aber der Waffenstillstand von Pläswitz (4. 6. 1813) sollte den entscheidenden Umschwung ermöglichen. 

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In fieberhaften Verhandlungen im preußisch-russischen Hauptquartier zu Reichenbach wurden Subsidienverträge mit England abgeschlossen und die Osterreicher als Bündnispartner gewonnen; in Trachenberg beschlossen Preußen, Russen und Schweden einen Feldzugsplan gegen Napoleon. Der Sieg Blüchers an der Katzbach (26. 8.) kurz nach Ablauf des Waffenstillstandes (10. 8.) bildete den Auftakt zur Befreiung ganz Deutschlands von der französischen Vorherrschaft. Das Erlebnis der Befreiungsbewegung stärkte die Verbundenheit der Schlesier mit dem preußischen Staat.

Nach Beendigung des Krieges erfolgte eine umfassende Neugliederung des preußischen Staates und eine Reform der Behördenorganisation. Die Provinz Schlesien wurde durch den Anschluß des 1815 preußisch gewordenen Teiles der Oberlausitz (1815/25) — eines Gebietes, das durch seine Geschichte und innere Struktur manche Gemeinsamkeiten mit Schlesien besaß — trotz der gleichzeitigen Abtretung des Kreises Schwiebus an Brandenburg vergrößert; sie umfaßte nunmehr 40300 qkm. Die Provinz Schlesien wurde zunächst (1815/16) in die vier Regierungsbezirke Breslau, Liegnitz, Oppeln und Reichenbach aufgeteilt. Der Bezirk Reichenbach wurde schon 1820 aus Sparsamkeitsgründen wieder aufgelöst. Der vor allem aus Rücksicht auf die besonderen sozialen, wirtschaftlichen, konfessionellen und sprachlichen Probleme Oberschlesiens eingerichtete Regierungsbezirk Oppeln hingegen war von Bestand. Ihm wurden außer den oberschlesischen Gebieten auch die bislang niederschlesischen Kreise Neisse und Grottkau (also das Bistumsland) sowie 1820 der Kreis Kreuzburg zugewiesen. Diese Gliederung Schlesiens blieb — abgesehen von manchen Veränderungen auf der Kreisebene — bis zum Ende des 1. Weltkrieges bestehen.

Hinsichtlich der Organisation der katholischen Kirche trug die päpstliche Bulle »De salute animarum« von 1821 auf Verlangen Preußens den politischen Grenzen weitgehend Rechnung. Das Bistum Breslau wurde aus der (allerdings seit langem nicht mehr praktizierten) Abhängigkeit von der Kirchenprovinz Gnesen herausgelöst und direkt der Kurie unterstellt. Seine Nordostgrenze fiel fortan mit der Provinz- bzw. Staatsgrenze gegenüber Posen, Kongreßpolen und dem österreichischen Galizien zusammen. Im Nordwesten wurden die Katholiken der preußischen Oberlausitz sowie eines Teiles der Provinz Brandenburg Breslau unterstellt.

Die Wirtschaft Schlesiens befand sich in den ersten Jahrzehnten nach 1815 in einem ungünstigen Zustand. Die Leinenindustrie konnte sich angesichts der preußischen Freihandelspolitik kaum gegen die durch Einsatz von Maschinen billiger arbeitende englische Konkurrenz wehren, und die dann um 1820 auch in Schlesien einsetzende mechanisierte Textilherstellung in Fabriken brachte viele Hausweber um ihr Brot, was zu sozialen Unruhen führte (vgl. Gerhart Hauptmann, »Die Weber»). In den Eisenhütten machten sich der Ausfall der kriegsbedingten Heeresaufträge und auch die Konkurrenz ausländischen Roheisens bemerkbar. Allein die Zinkindustrie blühte auf; sie erhöhte auch den Kohlenbedarf, der nach Aufhebung der Mutungsbeschränkungen 1821 durch viele neue private Bergwerksgründungen gesichert wurde.

Einer langsamen allgemeinen Aufwärtsentwicklung waren jedoch durch die schlechten Transportbedingungen Grenzen gesetzt. Trotzdem hatte das oberschlesische Industrierevier bis zur Mitte des 19. Jh. einen Vorsprung gegenüber dem rheinisch-westfälischen, das dann die Führung übernahm. Aber auch die schlesischen Industriegebiete erlebten seit den 1840er Jahren eine gewaltige Expansion. Den Anstoß hierzu gab der Eisenbahnbau. 

Als erste schlesische Eisenbahnlinie wurde bezeichnenderweise die von Breslau ins oberschlesische Industriegebiet in Angriff genommen; sie wurde 1842 bis Brieg, 1843 bis Oppeln, 1846 bis Myslowitz in Betrieb genommen. Inzwischen waren auch die Strecke von Breslau in Richtung Waldenburger Bergland — das zweite Industriegebiet Schlesiens — bis Freiburg (1843, Verlängerung bis Waldenburg 1853) und die Linie Breslau—Liegnitz—Sorau-Berlin (1846) fertiggestellt, die Anschlüsse nach Leipzig (1847) und zur österreichischen Kaiser-Ferdinand-Nordbahn Wien—Oderberg von 1847 folgten (1847/48).


Oppeln                              

Das beachtlich schnell wachsende Eisenbahnnetz brachte vielerorts an den Bahnlinien Industriebetriebe hervor. Breslau, das nach der Jahrhundertmitte die Einbußen als Handelsplatz durch Industrialisierung auszugleichen verstand, das Waldenburger Bergland, ganz besonders aber das oberschlesische Industrierevier, das seinen zweiten Platz unter den deutschen Industrielandschaften festigte. Wichtigste Grundlage desselben blieb die Steinkohle, die noch an Bedeutung gewann; waren früher die Hütten die hauptsächlichsten Abnehmer der Kohle, so benötigte man sie nun auch zum Betrieb der Eisenbahnen, und mit der Möglichkeit der Beförderung von Schwergut mit der Eisenbahn kam die Verwendung der Kohle als Hausbrandmittel auf. Wurden in Preußisch-Oberschlesien 1806 erst 42.000 t Steinkohle gefördert, so waren es 1850 schon 975.000 t, 1870 5.850.000 t und 1913 sogar 43.000.000 t. Die Eisenproduktion stieg ebenfalls an, allerdings nicht so sprunghaft, und sie mußte sich teilweise auch fremder Erze bedienen.

Die oberschlesische Industrie blieb ständig im Ausbau, neue Technologien wurden eingeführt, Betriebe wechselten die Besitzer und wurden zu Unternehmenskomplexen zusammengefaßt. Die Oder wurde 1891—1917 reguliert, in Cosel entstand bis 1895 ein großer Umschlaghafen. Industriebesitzer waren nur noch in wenigen Fällen die Grundherren der Gegend — wie etwa die Grafen Henckel v. Donnersmarck, die Grafen Ballestrem oder die Fürsten von Pleß. Die Bevölkerungsexplosion war in Oberschlesien gewaltig. 1819 hatte der Regierungsbezirk Oppeln 561 173 Einwohner, 1871 waren es 1 309 563, 1885 1 497 595, 1910 bereits 2 207 981.

Die Universität Breslau wurde in der Zeit der Restauration in Deutschland in den 1820er und 1830er Jahren stark beargwöhnt, in den 1840er Jahren entwickelte sich Breslau (neben Königsberg und der Rheinprovinz) zu einem Mittelpunkt des politischen Liberalismus in Preußen; August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Breslau, wurde 1842 wegen seiner »Unpolitischen Lieder« entlassen, sein Schüler Gustav Freytag, Privatdozent an derselben Universität, hielt zu ihm. 


  Gerhard Hauptmann

Die Unzufriedenheit der Schlesier mit dem Absolutismus in Preußen kam in der Revolution von 1848/ 49 deutlich zum Ausdruck. Gleichzeitig mit der demokratischen Erhebung fanden in Teilen Schlesiens Bauernaufstände statt. Nach der Verkündung der vom König aufgezwungenen Verfassung (5. 12. 1848) wuchsen die Spannungen zwischen den nachgiebigeren Kreisen und den strengen Demokraten; das Eintreten der letzteren für die von der Frankfurter Nationalversammlung verabschiedete Reichsverfassung führte zum Breslauer Maiaufstand (6./7. 5. 1849). Die demokratischen Bestrebungen wurden aber wie überall in Preußen unterdrückt.

 

 
Schlesien nach dem Ende des 1. Weltkrieges

Im 1. Weltkrieg war die von russischen Truppen den Grenzen Schlesiens drohende Gefahr nach einigen Monaten gebannt; die Front schob sich nach Osten vor, das kaiserliche Große Hauptquartier richtete sich für zwei Jahre in Pleß ein (Frühjahr 1915 bis Frühjahr 1917). Um so gefährdeter war Schlesien am Ende des Weltkrieges. Nach dem Großpolnischen Aufstand vom Dezember 1918 näherten sich polnische Einheiten der nordschlesischen Grenze, und manche tschechische Kreise erhoben Anspruch auf Teile Schlesiens wie Glatz und Leobschütz. Am bedrohlichsten war jedoch die Lage Oberschlesiens.

Das während des 1. Weltkrieges in Paris gegründete »Polnische Nationallcomitee» erstrebte einen neuen polnischen Staat, dessen Grenzen sich nicht nur an denjenigen Polens vor den Teilungen, sondern auch an der Verbreitung polnischer Bevölkerung und an wirtschaftlichen Interessen des neuen Polen orientieren sollten. Aus den letzten beiden Gesichtspunkten heraus wurden auch Teile Schlesiens in die Pläne der Polen einbezogen. Die polnischen Vertreter auf der Pariser Friedenskonferenz erreichten, daß der Versailler Vertrag vom 28. 6. 1919 die Abtretung von Teilen der niederschlesischen Kreise Guhrau, Militsch, Groß Wartenberg und Namslau, insgesamt 512 qkm, an Polen bestimmte;

Die Forderung der Polen, auch fast ganz Oberschlesien zugesprochen zu bekommen, wurde von Frankreich und den USA gutgeheißen; angesichts scharfer Proteste seitens der deutschen Regierung und Öffentlichkeit und des Widerstandes Englands einigte man sich auf eine Volksabstimmung im größten Teil von Oberschlesien (ohne die Kreise Falkenberg, Grottkau, Neisse und den westlichen Teil des Kreises Neustadt) und in einem Teil des niederschlesischen Kreises Namslau unter Aufsicht der westlichen Alliierten. 

Noch vor der Besetzung des Abstimmungsgebietes durch französische, italienische und englische Truppen kam es unter außerschlesischer Einflußnahme zum ersten polnischen Aufstand (Aug. 1919), der sich über die Kreise Pleß und Rybnik ausbreitete; deutsche Truppen unterdrückten ihn. Die Unzufriedenheit vieler darüber, daß die Sonderprobleme Oberschlesiens im gesamtschlesischen Rahmen nicht genügend berücksichtigt würden, trat jetzt zutage; der »Bund der Oberschlesier» verlangte sogar eine Neutralisierung Oberschlesiens. Im Gegenzug entstand eine »Freie Vereinigung zum Schutze Oberschlesiens» (später »Vereinigte Verbände heimattreuer Oberschlesier«). Der preußische Staat beschloß am 14. 10. 1919, um die Oberschlesier zu beschwichtigen, die Einrichtung einer selbständigen Provinz Oberschlesien mit Katholiken und Zweisprachigen in führenden Positionen.


Abtretungen nach 1918               

Am 11. 2. 1920 übernimmt die »Interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission« unter dem französischen General Le Rond in Oppeln die Verwaltung des Abstimmungsgebietes. Im August dieses Jahres kommt es im Industrierevier zum zweiten polnischen Aufstand; er wird mit dem Zugeständnis einer deutsch-polnischen Abstimmungspolizei beendet. Zur Abstimmung am 20. 3. 1921 kommen etwa 180 000 auswärts wohnende Oberschlesier in die Heimat, was wohl vor allem der deutschen Seite zugute kommt. 707 393 Stimmen (davon 5348 im Kr. Namslau) = 59,60% werden für Deutschland, 479 365 Stimmen (davon 133 im Kr. Namslau) = 40,40% für Polen abgegeben. Da 1910 in ganz Oberschlesien nur 40% Deutsch, dagegen 53% Polnisch als Muttersprache angegeben haben, müssen sich viele Polnischsprachige für den Verbleib bei Deutschland ausgesprochen haben. Angesichts dieses Abstimmungsergebnisses wird auf alliierter Seite eine Teilung des Abstimmungsgebietes beschlossen. Da die Interalliierte Kommission sich nicht auf eine Teilungsgrenze einigen kann, wird der Völkerbund angerufen. In der Zwischenzeit beginnt eine polnische Insurgentenarmee am 3. 5. 1921 den dritten Aufstand und besetzt etwa den vom Führer der Polen in Oberschlesien, Wojciech Korfanty, geforderten Teil des Landes. Da die französischen Truppen (im Gegensatz zu den italienischen) den Vormarsch der Polen nicht aufhalten, stellt sich diesen der deutsche »Selbstschutz Oberschlesien« entgegen und schlägt sie am 21. 5. 1921 am St. Annaberg, viele Ortschaften werden von den Deutschen eingenommen. Auf Grund der »Empfehlung» einer Völkerbundskommission beschließt die Botschafterkonferenz — die ständige Kommission der Pariser Botschafter der Entente — am 20. 10. 1921 die Abtretung eines Gebietes von 3213 qkm und 985 076 Bewohnern (1919) an Polen (»Ostoberschlesien«). Knapp 66% der Bevölkerung dieses Gebietes waren nach der Volkszählung von 1910 polnischsprachig, nur 30% deutschsprachig; bei der Volksabstimmung haben aber nur 55,8% für Polen votiert (im deutsch gebliebenen Teil des Abstimmungsgebiets 28,8%). Um die negativen Folgen der Teilung zu mildern und den Schutz der Minderheiten auf beiden Seiten zu sichern, sollen Deutschland und Polen eine entsprechende, unter Leitung des Völkerbundes zu erarbeitende Vereinbarung abschließen. Diese aus 606 Artikeln bestehende »Genfer Konvention« vom 15. 5. 1922 soll 15 Jahre gelten. Die Überwachung ihrer Durchführung und Einhaltung wird einer deutsch-polnischen »Gemischten Kommission« mit dem ehemaligen Schweizer Bundespräsidenten Dr. Felix Calonder als Präsidenten und einem Schiedsgericht unter dem Vorsitz des belgischen Juristen Prof. Dr. Georges Kaeckenbeeck übertragen.


      Wahlen 5.3.1933

Die mit Inkrafttreten der Genfer Konvention am 15. 6. 1922 vollzogene Teilung Oberschlesiens zerschnitt das dicht besiedelte Industrierevier aufs empfindlichste und schuf trotz der Bestimmungen der Konvention schwierige wirtschaftliche und soziale Probleme. Der wertvollste Teil des Industriegebietes fiel an Polen: 53 der 67 Steinkohlengruben, etwa 9/10 der Kohlenvorräte, 11 von 16 Zink- und Bleierzgruben, der größte Teil der Bleierzvorkommen, alle Blei- und Zinkhütten und damit auch die Schwefelsäurefabriken, alle Eisenerzgruben, fünf von acht Eisenhüttenwerken (mit 22 von 37 Hochöfen, 2/3 der Roheisenproduktion). Am 9. 7. 1922 übernimmt die deutsche Verwaltung wieder den Deutschland belassenen Teil des Abstimmungsgebietes. In einer Abstimmung vom 3. 9. 1922 sprechen sich über 90% der Oberschlesier für ein Verbleiben Oberschlesiens bei Preußen aus; nur eine Minderheit verlangt ein eigenes Land Oberschlesien innerhalb des Deutschen Reiches.

Oppeln wird endgültig Hauptstadt der preußischen Provinz Oberschlesien im Umfang des Rest-Regierungsbezirks Oppeln. Durch die Teilung Oberschlesiens dehnte sich das Industriegebiet westwärts aus; Gleiwitz, das früher den Westrand desselben gebildet hatte, kam nun ins Zentrum des deutschen Reviers. Die Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre fügte Schlesien — und hier insbesondere den Industriegebieten um Waldenburg und Neurode sowie in Oberschlesien — ebenso überdurchschnittlich großen Schaden zu wie den übrigen Ostprovinzen Preußens. 

Die politischen Tendenzen in Schlesien in der Zeit der Weimarer Republik sind an den Ergebnissen der Reichstagswahlen ablesbar. Die schlesischen Wahlkreise wiesen beachtliche Unterschiede auf. Im katholischen Oberschlesien führte weiterhin das Zentrum mit zunächst etwa 40% der Stimmen, gegen Ende der Weimarer Zeit mit etwa 35%, während in Niederschlesien die SPD mit 24 bis 38% die stärkste Partei bildete. Eine Rolle spielte noch die Deutschnationale Volkspartei; sie gewann bis 1928 in Oberschlesien zwischen 14 und 22%, in Niederschlesien sogar zwischen 18 und 30% der Stimmen. Die Unterschiede zwischen Oberschlesien und Niederschlesien zeigen sich auch beim Aufstieg der Nationalsozialisten: 1930 erlangten sie im Wahlkreis Breslau 24,2%, im Wahlkreis Liegnitz 20,8%, in Oberschlesien jedoch nur 9,5% der Stimmen, und für 1932 lauten die Vergleichszahlen: 48,5% —48% — 29,3%.

Nachdem die die Handlungsfreiheit der Vertragspartner etwas einschränkende Genfer Konvention 1937 aufgehoben war, wurden die preußischen Provinzen Niederschlesien und Oberschlesien zum 1. 4. 1938 wieder vereinigt, zum 1. 10. 1938 erhielt Schlesien einen Teil der aufgelösten Grenzmark Posen-Westpreußen und zum 15. 4. 1939 das der Tschechoslowakei wieder abgenommene Hultschiner Ländchen zugewiesen. In der Gesamtprovinz, die damals 37035 qkm umfaßte, lebten im Mai 1939 4 868 764 Menschen.

Nach dem Polenfeldzug wurde die Provinz Schlesien durch den Anschluß der Wojewodschaft Schlesien und angrenzender altpolnischer Gebiete um 10586 qkm mit einer Bevölkerung von (1941) 2674 668 Personen vergrößert. 1941 wurde in Groß-Rosen ein Konzentrationslager eingerichtet und zu dem Oberschlesien angegliederten Gebiet gehörte auch Auschwitz, die Stätte des berüchtigten nationalsozialistischen Konzentrationslagers.

Ostdeutschland galt in der Kriegszeit, als weite Teile des Reiches Luftangriffen ausgesetzt waren, als »Luftschutzkeller» Deutschlands, weil es lange Zeit außerhalb des Aktionsradius der englischen und amerikanischen Luftflotten lag. Viele Bombengeschädigte ließen sich daher in Schlesien nieder, manche wichtige Industriewerke verlegten Produktionsstätten dorthin, wodurch Schlesiens Bedeutung für die Kriegswirtschaft noch anstieg, Behörden wichen nach Schlesien aus, wertvolle Kunstbestände wurden dahin ausgelagert.

Um so härter war der Schlag, der das Land am Ende des Krieges traf. Nach Beginn der großen Offensive vom Baranow-Brückenkopf aus (12. 1. 1945) stießen die übermächtigen sowjetrussischen Streitkräfte rasch westwärts vor. Am 19. 1. erreichten sie im Raum Guttentag—Kreuzburg die schlesische Grenze, ihre Panzerspitzen bildeten nur wenige Tage später Brückenköpfe am linken Oderufer bei Steinau und Brieg. Ende Januar hatten die Sowjetrussen fast das ganze rechtsodrige Schlesien besetzt, das oberschlesische Industrierevier war ihnen nach einem Umfassungsmanöver beinahe unzerstört in die Hände gefallen. Die Oderfestungen Glogau und Breslau wurden am 12. bzw. 16. 2. eingeschlossen; jene hielt sich bis zum 1. 4., diese sogar bis zum 6. 5. Schon am 25. 2. aber hatten Stoßkeile der sowjetrussischen Armeen die Lausitzer Neiße erreicht. Die Front verlief am 8. 5. 1945 von der Neiße nördlich Görlitz etwa über Lauban, Löwenberg, Striegau, Strehlen, Neisse, Jägerudorf, Troppau, Hultschin nach Teschen.

Mit Beginn des sowjetrussischen Vormarsches setzte eine Fluchtbewegung der schlesischen Bevölkerung westwärts in die Lausitzen und nach Sachsen, nach dem Südwesten in die Gebirgsgegenden und über das Gebirge hinweg nach Mähren und Böhmen ein. Sie hatte in den einzelnen Teilen Schlesiens eine unterschiedliche Intensität, weil sie vielfach von den Behörden zu spät gestattet wurde, so daß bei raschem Vordringen des Feindes eine Flucht für viele nicht mehr möglich war, aber auch, weil manche Bevölkerungsteile gar nicht ihre Heimat verlassen wollten; das gilt etwa für die Mehrzahl der der polnischen Sprache mächtigen Oberschlesier.


      Flüchtlingstreck

Eine Westverschiebung des polnischen Staates hatte bereits die polnische Exilregierung während des Krieges gefordert, allerdings nicht in dem Umfang, wie sie die Sowjetunion auf der Konferenz von Jalta (4.—11. 2. 1945) verlangte, um Polen für die Ostgebiete zu entschädigen, die sie 1939 besetzt hatte und nicht wieder herausgeben wollte. Als die Alliierten im Juli 1945 in Potsdam zusammentraten, hatte die Sowjetunion bereits im Vorgriff die deutschen Ostgebiete der Provisorischen Regierung Polens übergeben. Im März 1945 war das rechtsodrige Westoberschlesien in polnische Verwaltung übergegangen, im April/Mai mit der Verschiebung der Front das linksodrige Gebiet gefolgt. 

Auch einen polnischen »Bevollmächtigten des Bezirks Niederschlesien» gab es schon Anfang April; er richtete seinen Verwaltungsapparat zunächst in Trebnitz (Ende April), dann in Liegnitz (Ende Mai) und schließlich in Breslau (Sept. 1945) ein. Die Potsdamer Vereinbarungen der Alliierten (Juli/August 1945) billigten zwar die Einsetzung der polnischen Verwaltung, behielten jedoch eine endgültige Regelung der Grenzfragen einem zukünftigen Friedensvertrag vor. Die Grenze wurde durch den mit der Deutschen Wiedervereinigung 1990 abgeschlossenen 2 + 4 Vertrag und dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenzen vom 14. November 1990 endgültig.