Schlesien |
Vom polnischen Teilfürstentum zum böhmischen Kronland (1138—1419)Wladislaus II. (1138—46) wurde Stammvater einer selbständigen Linie der Piastendynastie, der schlesischen Piasten, die sich ihrerseits in mehrere Zweige aufspalteten. Der letzte von ihnen starb im Mannesstamm 1675 aus, viel später als die übrigen Piasten (im Königreich Polen 1370, in Masowien 1526). Die Anfänge der schlesischen Piasten schienen allerdings nicht auf eine so lange Zukunft hinzuweisen. Wladislaus II. sah sich bald mit der Gegnerschaft seiner vier Halbbrüder konfrontiert, die mit dem Erzbischof von Gnesen und dem Adel verbündet waren. Der durch den Herzog verursachte Sturz des Palatins 1145 führte ein Jahr später zu dessen eigener Vertreibung aus dem Lande. Wladislaus suchte beim Halbbruder seiner Gemahlin (Agnes von Österreich), dem deutschen König Konrad III., Zuflucht. Zwar unternahm 1146 Konrad III. und 1157 sein Nachfolger Kaiser Friedrich I. Barbarossa einen Kriegszug gegen Polen. Im Vordergrund ihrer Unternehmungen stand aber die Wiederherstellung der Lehnsabhängigkeit Polens vom Römischen Reich, und da der nachgerückte Senior von Polen, Boleslaus IV. »Kraushaar«, diese anerkannte, erreichte er eine vorläufige Einigung mit den deutschen Herrschern, zumal da er Verhandlungen über die Wiedereinsetzung des im thüringischen Altenburg im Exil lebenden Wladislaus versprach, allerdings ohne zu solchen zu erscheinen.
Die Brüder regierten Schlesien bis zum Tode des Seniors Boleslaus IV. (1173), der ihnen Schwierigkeiten bereitete und dadurch Kaiser Friedrich zu erneutem Eingreifen zwang (1172), anscheinend gemeinsam. Bei der danach vorgenommenen Landesteilung fiel mit den Gebieten Breslau, Liegnitz und Oppeln der größte und bedeutendste Anteil an den ältesten der Brüder, Boleslaus I., den Langen (Boleslaw Wysoki, 1168—1201). Verglichen damit nahm sich der Anteil des mittleren Sohnes des Wladislaus, Mieszko (1168—1211), der nur die Gebiete Ratibor und Teschen umfaßte, äußerst bescheiden aus. Dies wohl veranlaßte den neuen Senior, Herzog Kasimir II., den Gerechten (1177—94), Mieszko vom Krakauer Land! Sewerien und die Gebiete Beuthen, Nikolai und Auschwitz abzutreten (um 1178). Das Gleichgewicht zum Herrschaftsgebiet Boleslaus war damit jedoch keineswegs hergestellt, und so war Mieszko von Ratibor auf weiteren Landerwerb bedacht. Die Gelegenheit hierzu bot sich nach dem Tode seines Bruders Boleslaus I. von Breslau. Als Jaroslaus, seit 1198 Bischof von Breslau, im März 1201 und sein Vater Boleslaus I. wenige Monate später (Dez. 1201) gestorben waren, besetzte Mieszko das Oppelner Land. Boleslaus Sohn und Erbe, Heinrich, sah sich gezwungen, nicht nur auf Oppeln zu verzichten, sondern auch darin einzuwilligen, daß zwischen den von Boleslaus I. von Breslau und Mieszko I. von Ratibor ausgehenden Fürstenhäusern kein Erbrecht bestehen sollte (25. 11. 1202). Diese Bestimmung wurde maßgebend für die Sonderentwicklung des später mit dem Namen »Oberschlesien« belegten Landes. Seine Fürsten — auch die Besitzer von Teilgebieten — nannten sich fortan »Herzöge von Oppeln« und verwendeten bis ins 14. Jh. hinein den Namen »Schlesien« überhaupt nicht. Die in Mittel- und Niederschlesien regierenden Piasten hingegen führten den Titel »Herzöge von Schlesien« auch dann noch, als das Land bereits in Teilherzogtümer mit eigenen Namen zerfallen war. Das Jahr 1202 ist für die Geschichte Schlesiens noch aus einem anderen Grunde bedeutsam: damals wurde in Polen mit dem Tode Mieszkos des Alten die Senioratsverfassung endgültig aufgehoben. Damit waren die beiden schlesischen Herzogtümer zu staatsrechtlich unabhängigen Herrschaften geworden, wenn auch durch die verwandtschaftlichen Bande zwischen den Herrscherfamilien und durch die gemeinsame Vergangenheit in zwei Jahrhunderten das Zusammengehörigkeitsbewußtsein aller polnischen Länder noch weiterlebte. Aber der langjährige Aufenthalt der Söhne Wladislaus II. in Deutschland, die vornehmlich nach Deutschland und Böhmen geknüpften Heiratsverbindungen der Fürsten und in deren Gefolge der Zuzug von Adligen und Geistlichen, schließlich die von Westen und Süden an die Grenzen Schlesiens herangeführte deutsche Ostsiedlung mit modernen Wirtschafts-, Sozial- und verfassungsformen bewirkten, daß sich das Land freiwillig der deutschen Kultur und auch den deutschen Siedlern öffnete. Dies schloß nicht aus, daß die Herren Schlesiens sich auch weiterhin in die Angelegenheiten Polens einmischten.
Die überragende und bleibende geschichtliche Leistung Heinrichs I., der bedeutendsten Herrscherpersönlichkeit des schlesischen Mittelalters, liegt jedoch in der entscheidenden Anregung und Förderung der Einwanderung deutscher Siedler, die einen Wandel der inneren Verhältnisse des Landes einleiteten. Zu den ersten Vermittlern westlicher Kulturformen gehörten Romanen, und zwar Wallonen; es sei auf die auf dem Zobtenberg angesetzten Augustiner-Chorherren aus Arrouaise in Flandern (zwischen 1121 und 1188), auf die wallonischen Weber in Breslau (Mitte 12. Jh.?) und Ohlau und auf wallonische Bauern in der Nähe von Breslau, Ohlau und Namslau hingewiesen. In den großen Handelszentren werden sich früh neben romanischen und deutschen auch jüdische Kaufleute niedergelassen haben; in Liegnitz lehnte sich das Judenviertel direkt an die Burg an. Im Gefolge des aus dem thüringischen Exil heimkehrenden Herzogs Boleslaus I. (1163) werden gewiß manche Deutsche nach Schlesien gekommen sein, vielleicht auch schon Mönche aus dem Zisterzienserkloster Pforta, die 1175 einen Stiftungsbrief für das Kloster Leubus an der Oder erhielten. Darin wurde ihnen zugestanden, auf ihren Gütern Deutsche anzusiedeln. Sie haben zumindest seit der Wende zum 13. Jh. von dieser Erlaubnis Gebrauch gemacht. Im ersten Jahrzehnt des 18. Jh. setzte aber auch schon die von Herzog Heinrich I. eingeleitete systematische Ansiedlung von Deutschen ein, die in der Mehrzahl wahrscheinlich aus Mitteldeutschland einwanderten. Die wichtigste Aufgabe, die sich Heinrich I. gestellt hatte, war die Aussetzung neuer bäuerlicher Siedlungen, die zugleich eine Sicherung der Grenzen gewähren sollten. Zunächst ergriff die Gründungswelle den Bereich des Grenzverhaus, der Preseka, dann drang sie nach außen in die Grenzwälder vor. Auf diese Weise entstand in der Regierungszeit Heinrichs I. (1201—38) und seines Sohnes Heinrich II. (1238—41) am Westrand des Landes im Bober-Queis-Gebiet und räumlich anschließend im Südwesten am Gebirgsrand auf Rodungsboden ein breiter Streifen großer deutscher Bauerndörfer, die den Kern für den deutschen Neustamm der Schlesier abgaben. Deutsche Dörfer entstanden auch in Waldinseln innerhalb des slawischen Siedlungsgebietes, so etwa im Dreieck Breslau—Liegnitz—Frankenstein. Die deutsche Besiedlung erfolgte meist auf herzoglichem Boden. Aber der Herzog schenkte für diesen Zweck auch ausgedehnte Ländereien — vor allem in Grenznähe — an geistliche Einrichtungen, die sich um die Kolonisation sehr verdient machten.
Der Mongoleneinfall von 1241 brachte dem schlesischen Lande zwar Verluste bei; sie waren jedoch auf die schmale Durchzugsschneise der Mongolen — etwa im Zuge der Hohen Straße von Krakau über Oppeln—Breslau bis in die Liegnitzer Gegend und dann nach Südosten zur Mährischen Pforte — beschränkt und wurden im Rahmen der unverzüglich weitergeführten Kolonisation ausgeglichen. Die Zeit nach 1241 brachte eine starke Ausweitung der deutschen Siedlung, durchgeführt vor allem mit Menschen aus den älteren deutschen Orten Schlesiens. In Niederschlesien links der Oder rückte die Kolonisation vom Gebirgsrand ins Gebirge selbst hinauf, gefördert besonders von den Herzögen Bernhard von Löwenberg (1278—86) und Bolko I. von Jauer-Löwenberg-Schweidnitz (1278 bis 1801) sowie den Breslauer Bischöfen Thomas I. (1282—68) und Thomas II. (1270—92). Am Ende des 13. Jh. war fast ganz Schlesien von der deutschen oder deutschrechtlichen Siedlung erfaßt; nur wenige Gebiete, vor allem in östlichen Randzonen, waren von ihr unberührt geblieben. Durch die deutsche Siedlung hatte sich das Siedlungsbild Schlesiens nicht nur hinsichtlich der Siedlungsdichte, sondern auch der Siedlungsformen vollkommen geändert. Die deutschen Dörfer waren große, planmäßige Anlagen. Im Gebirge und in seinem Vorland sowie in anderen Waldgebieten fand das sog. Waldhufendorf Verbreitung: ein beiderseits eines Talweges angeordnetes Reihendorf mit etwa 100 m Straßenanteil pro Gehöft und einer unmittelbar hinter dem Hof bergauf anschließenden Feldflur von ca. 2500 m Länge, das Maß einer fränkischen Hufe ergebend. In der Ebene traten das Straßen- und Straßenangerdorf auf, bei denen die Gehöfte dicht nebeneinander zu beiden Seiten einer Straße oder eines länglichen Angers angeordnet waren und die Felder sich auf mehrere »Gewanne« verteilten, die nach der Stellenzahl des Dorfes in schmale Streifen aufgegliedert waren.
Die deutsche und deutschrechtliche Siedlung hatte wirtschaftliche, soziale, rechtliche, verwaltungsmäßige und kirchenorganisatorische Folgen. Die Siedler wurden zu dem ihnen geläufigen deutschen Recht angesetzt und ausdrücklich vom polnischen Recht eximiert. Das bedeutete für sie eine wesentliche Besserstellung gegenüber den nach polnischem Recht wirtschaftenden Bauern. Sie brauchten dem Landesherren (nach einer Anzahl von Freijahren) nur Zinsen in Form von Geld und Getreide abzuliefern, nicht aber die nach polnischem Recht üblichen verschiedenen Abgaben und Dienste zu leisten. Die Zehntleistung an die Kirche erfolgte — nach anfänglichem harten Widerstand seitens der Bischöfe — in der Regel durch Zahlung einer Viertelmark pro Hufe. Die neu eingeführte Dreifelderwirtschaft erbrachte größere Erträge als die frühere Feldgraswirtschaft. Die nahen Städte waren sichere Abnehmer der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und lieferten die benötigten handwerklichen Produkte, Bier und andere Waren, für deren Herstellung und Vertrieb sie das Monopol besaßen. Da die meisten deutschen Dörfer ihre eigene Kirche errichteten, brachte die deutsche Siedlung eine ungeheure Verdichtung des Pfarrnetzes; als Folge dessen wurde das Bistum in die Archidiakonate Breslau, Oppeln, Glogau (1227/ 28) und Liegnitz (1262) aufgeteilt. Die Städte, durch das deutsche Stadtrecht (Magdeburger, von diesem abgeleitet im schlesischen Raum das Löwenberger, Neumarkter, Neisser Recht) mit besonderen Selbstverwaltungsorganen ausgestattet, entwickelten durch Gewerbe, Bergbau und Handel vielfach beachtliche Wirtschaftskräfte, die ihnen die Handhabe gaben, von den häufig finanzschwachen Landesherren eine Erweiterung ihrer Wirtschafts- und Rechtsprivilegien zu erkaufen. Die politische Entwicklung Schlesiens entsprach keineswegs den geschilderten Fortschritten des Landes im Bereich der Wirtschaft, des Rechts und des sozialen Lebens. Heinrichs I. Sohn Heinrich II., der Fromme, konnte das Erbe des Vaters im ganzen noch zusammenhalten, wenn auch manche außerschlesische Besitzungen verlorengingen. Ihm war aber nur eine kurze Regierungszeit beschieden: Auf ihrem Vorstoß nach dem Westen fielen im Jahre 1241 Mongolen von Krakau her nach Schlesien ein und durchzogen das Land, Schrecken verbreitend, bis in die Gegend von Liegnitz. Dort, bei Wahlstatt, stellte sich Heinrich II. mit seinem Kriegsvolk, ferner Johanniter- und Deutschordensrittern sowie groß- und kleinpolnischen Hilfstruppen tapfer dem Feinde: Heinrichs Heer wurde geschlagen, der Herzog verlor sein Leben. Auch die Zerstörungen, die die Mongolen verursacht hatten, werden nicht so katastrophal wie früher angenommen gewesen sein.
1248/51 erfolgte dann eine Erbsonderung: Boleslaus II. begründete das Herzogtum Liegnitz, Konrad I. das Herzogtum Glogau, Heinrich III. behielt — mit Wladislaus, dem späteren Erzbischof von Salzburg, als Mitregenten — Breslau. Schon die nächste Generation teilte die Territorien weiter auf: von Liegnitz spalteten sich die Anteile Löwenberg und Jauer, von Glogau Sagan und Steinau ab, und in der dritten Generation sonderten sich Brieg (von Breslau), Schweidnitz und Münsterberg (von Löwenberg-Jauer) sowie Oels (von Glogau) aus. Gleichzeitig veränderten sich die Grenzen zwischen den einzelnen Territorialkomplexen. — Auch das von Mieszko I. von Ratibor begründete Fürstenhaus, das sich nunmehr nach seiner neuen Residenz Oppeln nannte, blieb von Erbteilungen nicht verschont; nur setzten sie dort eine Generation später ein. Die vier Söhne Wladislaus I. von Oppeln - eines Enkels Mieszkos I. - teilten das Land 1281 in die Teilherzogtümer Oppeln, Cosel-Beuthen, Ratibor und Teschen auf. Auch hier ging die Aufteilung schon in der nächsten Generation weiter: Oppeln zerfiel in die Anteile Oppeln, Falkenberg und Groß Strehlitz, Cosel-Beuthen in Cosel, Beuthen und Tost, Teschen in Teschen und Auschwitz. — Damit war noch keineswegs das Endstadium der Teilungen erreicht; allerdings kam es gelegentlich auch zu erneuten Zusammenlegungen. Die Teilungen waren häufig das Ergebnis heftiger, auch kriegerischer Auseinandersetzungen, an denen neben den unmittelbaren Kontrahenten auch Parteigänger beider Seiten - schlesische wie nichtschlesische - beteiligt waren. Die von außen nach Schlesien einwirkenden Kräfte kamen sowohl aus Polen, zu dem Schlesien noch in lockerer Beziehung stand, als auch aus Böhmen. Ihnen entsprach aber zugleich die Einflußnahme schlesischer Fürsten auf Vorgänge in den Nachbarländern. Vor allem das politisch ebenso zerrissene Polen bot hierzu zahlreiche Anlässe; Teile Groß- und Kleinpolens waren auch in dieser Epoche zeitweise im Besitz schlesischer Fürsten. Aber in zunehmendem Maße liefen die politischen Fäden ebenso nach Prag. Die Regierung Herzog Heinrichs IV. von Breslau (1270—90) wirft ein Schlaglicht auf das Eingebundensein Schlesiens in das Spannungsfeld zwischen Böhmen und Polen. Nach dem Tode seines Vaters Heinrich III. (1266) übernahm dessen Bruder und Mitregent Wladislaus die Regierung in Breslau, da Heinrich IV. erst 8—9 Jahre alt war. Er wurde am Prager Hof erzogen, und 1270 wurde König Ottokar II. von Böhmen sein Vormund. Nach Ottokars Tod erhielt Heinrich nicht - wie erwartet - die Statthalterschaft in Böhmen für den minderjährigen Wenzel (II.), er wurde aber von Rudolf von Habsburg, der ihn auch zum Reichsfürsten machte, mit dem böhmischen Gebiet von Glatz entschädigt.
Schon 1289 hatte Kasimir II. von Cosel-Beuthen die Lehnshoheit Böhmens angenommen, andere Oppelner Fürsten waren 1292 seinem Beispiel gefolgt. Aber erst 1327 unterstellten sich die schlesischen Teilherzogtümer - damals 17 an der Zahl - endgültig unter die seit 1311 im Besitz der Luxemburger befindlichen Krone Böhmens. Die Herzöge der Oppelner Länder und von Breslau (1327), von Liegnitz, Brieg, OeIs, Sagan und Steinau (1329) reichten ihr Land freiwillig Johann von Böhmen zu Lehen auf; unter Druck erreichte der König die Huldigung von Glogau 1331 und von Münsterberg 1336. 1342 einigte sich auch der Bischof von Breslau mit dem böhmischen Herrscher und huldigte ihm für das Bistumsland, das aus der bischöflichen Kastellanei Ottmachau (vor 1155) hervorgegangene Territorium, für das die Bischöfe nach langem Streit 1290 die beschränkte, 1333 die volle Landeshoheit erworben hatten und das sie in jenen Jahren durch den Ankauf von Grottkau zu dem Fürstentum Neisse-Grottkau erweiterten, das ihnen den Titel »Fürstbischof« einbrachte. Nur der mächtige Herzog Bolko II. von Schweidnitz-Jauer, der sich auch außerhalb seiner Herzogtümer einen beachtlichen Besitz aufgebaut hatte, erkannte den böhmischen König nicht als Lehnsherrn an; mit seinem Tode 1368 kam aber sein Land doch unter böhmische Hoheit, da seine Nichte und Erbin Anna Karl IV. von Böhmen geheiratet hatte. Inzwischen hatte König Kasimir III., der Große, von Polen 1335 im Vertrag von Trentschin auf die unter böhmische Lehnshoheit oder unmittelbare Landesherrschaft gestellten schlesischen Gebiete verzichtet. Vergebens versuchte er später, von der Vereinbarung zurückzutreten. Sein Nachfolger, König Ludwig der Große, bestätigte 1372 noch einmal den Verzicht auf alle schlesischen Herzogtümer. Damit waren die letzten politischen Bindungen Schlesiens an Polen gerissen. Bestehen blieb - da der Erzbischof von Gnesen Widerstand leistete und auch die Kurie die ihr aus den polnischen Bistümern zufließenden »Peterspfennig«-Einnahmen nicht geschmälert sehen wollte - die Zugehörigkeit des Bistums Breslau zur polnischen Kirchenprovinz Gnesen, die erst auf Betreiben Preußens 1821 aufgehoben wurde.
Der wichtigste Partner Breslaus im Norden war Thorn, seit dem 15. Jh. Danzig. Entsprechend dem Wunsche der Luxemburger suchte Breslau nach Süden hin über Wien hinaus direkten Kontakt zu Venedig und erreichte ihn trotz Erschwerungen seitens der Österreicher gegen Ende des 14. Jh. Schlesien vermittelte nicht nur fremde Waren, sondern hatte auch eigene Produkte anzubieten; vor allem blühte allenthalben in den Städten die Tuchmacherei, und das Bier von Schweidnitz war ebenfalls geschätzt. König Johann nannte sich 1344 »supremus dux Slezianorum« und umschloß mit diesem Begriff sowohl Niederschlesien als auch Oberschlesien. Schon 1327 hatte sich Bolko II. von Oppeln als Herzog von Schlesien bezeichnet; dies taten im Landfrieden von 1349—51 und fortan immer häufiger auch die anderen Fürsten der Oppelner Länder — vielleicht auf Grund des Schlesien einigenden Bandes der böhmischen Lehnsherrschaft. Karl IV. inkorporierte 1348 die schlesischen Fürstentümer förmlich der Krone Böhmens und bestätigte dies als Kaiser 1355. Die Hoheitsrechte der schlesischen Fürsten blieben allerdings unangetastet; in den Erbfürstentümern vertraten Landeshauptleute den König. Die Zeit der Hussitenkriege und des Ringens um die Krone Böhmens (1419—1526)Die Verbrennung des Johannes Hus in Konstanz im Jahre 1415 löste in Böhmen religiöse und nationale Agitationen aus, die der nachgiebige König Wenzel IV. von Böhmen duldete. Als Wenzel 1419 starb, verweigerten die Tschechen seinem Bruder Sigismund die Anerkennung als neuem König von Böhmen, weil er als Deutscher König Hus trotz erteilten Geleitbriefes hatte hinrichten lassen. Sigismund berief daraufhin 1420 einen Reichstag nach Breslau ein — es war der erste östlich der Elbe abgehaltene Reichstag —und beschloß Maßnahmen gegen die aufständischen Tschechen. Achtzehn schlesische Fürsten huldigten dem König und versprachen Hilfe gegen die Feinde Sigismunds. 1421 fiel ein schlesisches Heer in Böhmen ein. Die Hussiten brachten jedoch den Anhängern des Königs Niederlagen bei und boten die Krone Böhmens zunächst dem polnischen König Wladislaus II. und dann — als dieser ablehnte — Witold von Litauen an. Dieser war grundsätzlich bereit, das Angebot anzunehmen, und schickte seinen Neffen Sigmund Korybut nach Prag. Unter dem Eindruck der ersten Einfälle der Hussiten (seit 1425) kam es 1427 zur Strehlener Einung, einer gegen die Hussiten gerichteten gesamtschlesischen militärischen und politischen Organisation. Aber Schweidnitz blieb abseits, und mehrere oberschlesische Fürsten einigten sich mit den Tschechen auf eine neutrale Haltung. Ab 1427 fielen die Hussiten öfter in Schlesien ein und brannten zahlreiche Städte und Klöster nieder; am verlustreichsten war das Jahr 1428.
Sigismunds Nachfolger als König von Böhmen und Ungarn sowie als Deutscher König wurde dessen Schwiegersohn Albrecht V. von Österreich (als Deutscher König Albrecht II.). Eine Gruppe utraquistischer Tschechen bot jedoch die böhmische Krone dem polnischen König Wladislaus III. an. Auf dessen Vorschlag wurde allerdings Wladislaus‘ jüngerer Bruder Kasimir zum Gegenkönig gewählt. In Prag konnte sich zwar Albrecht durchsetzen; im östlichen Schlesien mußten aber die Herzöge von Auschwitz, Ratibor, Oppeln und Brieg unter militärischem Druck den Jagiellonen Kasimir als König von Böhmen und damit als ihren Lehnsherrn anerkennen. Durch den baldigen Tod Albrechts (1439) änderte sich die Lage erneut: Um die Nachfolge in Ungarn stritten nun Albrechts Witwe Elisabeth für ihren nachgeborenen Sohn Ladislaus und der polnische König Wladislaus III. Polen beanspruchte auch Schlesien und überzog das Land mit Krieg. Die Mehrzahl der schlesischen Fürsten hielt zu Elisabeth; diese war aber nicht in der Lage, dem Land zu helfen. Nach dem Tode Wladislaus III. von Polen in der Schlacht gegen die Türken bei Warna (1444) entspannte sich das Verhältnis Polen—Böhmen; Kasimir IV. von Polen — der einstige böhmische Gegenkönig — zeigte kein Interesse an Böhmen. In Böhmen selbst riß 1448 der Hauptmann von Ostböhmen Georg von Podiebrad die Macht an sich; er erhielt 1452 die Stellung eines Landesverwesers, Böhmen wurde zum Wahlkönigreich erklärt und Ladislaus Posthumus 1453 zum König von Böhmen gewählt. Die Schlesier bekannten sich zum jungen König; allerdings regte sich Widerstand gegen den eigentlichen Machthaber Georg von Podiebrad. Dieser ließ sich nach dem frühen Tode König Ladislaus‘ (1458) von den böhmischen Ständen selbst zum König wählen und belehnte seine Söhne mit den schlesischen Herzogtümern Münsterberg und Troppau (sowie mit Glatz, das auf diese Weise in engere Beziehungen zu Schlesien kam). Tschechischer Einfluß machte sich in Schlesien auch durch die Einsetzung tschechischer Adliger als Landeshauptleute der Erbfürstentümer und in andere Positionen geltend; Tschechisch wurde in weiten Teilen Schlesiens Amtssprache. Die innere Entwicklung Schlesiens während des 15. Jh. war von der von außen hereingetragenen Unsicherheit bestimmt. Die Zersplitternng des Landes und die Machtkämpfe unter rivalisierenden Gliedern der einzelnen Fürstenfamilien hielten auch in der Zeit äußerer Bedrohung an, im Gegenteil: die Einmischung Auswärtiger bot mehr Möglichkeiten zu Parteienbildung. Randgebiete gingen damals Schlesien für immer verloren, manche Territorien kamen in die Hand nichtschlesischer Fürstenhäuser. Im Westen verkaufte Herzog Hans II. das Fürstentum Sagan 1472 an Herzog Albrecht den Beherzten von Sachsen, Schwiegersohn Georgs von Podiebrad; bis 1549 blieb Sagan wettinisch, ohne aus dem schlesischen Territorialverband auszuscheren. Dies geschah hingegen praktisch — da es sich seit etwa Mitte des 16. Jh. nicht mehr an der gesamtschlesischen Steueraufbringung beteiligte — mit dem Fürstentum Crossen, das auf Grund einer Erbschaft seit 1482 dem Kurfürsten von Brandenburg gehörte, bis 1537 nur als Pfand. Das Fürstentum Glogau erhielt 1488 ein unehelicher Sohn des Matthias Corvinns, Johann Corvinus, und nach dem Tode des Matthias nacheinander zwei Brüder des böhmischen Königs, die Jagiellonen Johann Albrecht und Sigismund, die jeweils nach Besteigung des polnischen Königsthrons (1492 bzw. 1506) Glogau wieder an Wladislaus von Böhmen zurückgeben mußten (1496 bzw. 1508). Johann Corvinus konnte dafür vom Tode seines Vaters bis 1501 das Fürstentum Troppau behaupten, das dann ebenfalls an Sigismund von Polen fiel (bis 1511). Der zweite Sohn Georgs von Podiebrad, Heinrich I. von Münsterberg, erwarb nach dem Aussterben der Oelser Piasten (1492) auch noch das Fürstentum Oels (1495).
Durch Wanderung von Bauern von schlechteren Böden auf freigewordene bessere und vom Lande in die stärker unter Bevölkerungsverlusten leidenden Städte entstanden Wüstungen. Die Eisenhämmersiedlung auf der Grundlage von Raseneisenerz in sumpfigen Niederungen setzte bereits in der Mitte des 14. Jh. ein und ging auch über die bäuerliche Wüstungsperiode hinweg bis ins 16. Jh., gelegentlich sogar bis ins 17. Jh. weiter. Die Eisenhämmer breiteten sich links der Oder im Bereich der Niederschlesisch-Lausitzer Heide aus, im rechtsodrigen Schlesien in den feuchten oberschlesischen Waldgebieten, vor allem an den Oberläufen der Flüsse, ferner in Niederschlesien im mittleren Bartschgebiet. Der bergmännische Erzabbau erlebte nach der Krise des 14. Jh. seit den 1470er Jahren auch in Schlesien einen neuen Aufschwung, zunächst durch Belebung des Bergbaus in alten Bergorten der mittleren und östlichen Sudeten sowie im Beuthener Revier, dann im 16. Jh. durch die Gründung neuer Bergbaustädte in diesen Gebieten und auch in den Westsudeten. Als positiv sind die im 15. Jh. erfolgten Ansätze einer schlesischen Gesamtstaatsverfassung zu beurteilen. König Sigismund hatte 1422 einen Landeshauptmann für ganz Schlesien eingesetzt; das war aber eine vorübergehende Einrichtung. Erst Matthias Corvinus schuf ständige gesamtschlesische Institutionen, die ihn auch überdauerten. Der König hatte stets seine Bevollmächtigten in Schlesien, für kurze Zeit »Oberlandeshauptleute«, sonst waren es »Anwälte», teilweise getrennt für Niederschlesien und Oberschlesien (diese Begriffe tauchen in der Mitte des 15. Jh. auf). Die »Fürstentage«, die seit dem Ende des 14. Jh. auf freiwilliger Basis hin und wieder stattgefunden hatten, mußten nunmehr regelmäßig abgehalten werden, mindestens einmal jährlich; auch sie fanden teils in gesamtschlesischem Rahmen, teils für Niederschlesien und Oberschlesien getrennt statt, und zwar unter Beteiligung von Vertretern der Erbfürstentümer. Die Fürstentage beschäftigten sich mit Fragen der Steuererhebung — Steuerforderungen seitens des Oberherrn waren ein Novum! —‚ der Mannschaftsstellung, des Landfriedens und des Münzwesens. Matthias Corvinus verschaffte dem Lande durch seine straffe Organisation mehr Sicherheit, vor allem die innerschlesischen Streitigkeiten wurden stark eingedämmt. Ein Jahr vor seinem Tode beschloß König Wladislaus auf dem Wiener Kongreß von 1515 mit Kaiser Maximilian I. eine Doppelheirat zwischen den beiden Herrscherhäusern, welche die Weichen für die Schaffung des habsburgischen Großreiches im Südosten stellte: Wladislaus Kinder Anna und Ludwig sollten Maximilians Enkel Ferdinand und Maria heiraten. Schon elf Jahre später konnten die Habsburger die Früchte dieses Ehevertrages ernten: nach dem Tode des nur 20jährigen Ludwig II. von Böhmen und Ungarn in der Schlacht bei Mohacs 1526 erbte Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser Ferdinand I., die böhmische und ungarische Krone; Schlesien wurde damit habsburgisch.
|