Preussen
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1797 - 1861LethargiePreußen hatte die ruhige Zeit zwischen 1795 und 1805 für seine innere Entwicklung nur unzureichend genutzt; zwar war der seit 1797 regierende Friedrich Wilhelm III. ein Mann guter Vorsätze und guten Willens, er war bereit, für sich als Monarchen aus der Französischen Revolution gewisse positive Schlüsse zu ziehen, war aber keineswegs in der Lage, seine vage schwankenden Erkenntnisse konsequent in die Tat umzusetzen. In der Armee sah es ähnlich aus: Hier arbeitete seit 1801 der preußische General Gerhard Johann David von Scharnhorst unter dem Motto »Jeder Bürger ist der geborene Verteidiger des Staates« an Neuerungen in Strategie, Taktik und Offiziersausbildung, konnte aber gegen die verkrustete Generalshierarchie nicht viel bewegen. Trotz überragender Leistungen im Geistesleben - die Klassik stand auf ihrem Höhepunkt, die Romantik am Anfang - blieb Preußen als Staat einer rückwärtsgewandten Lethargie verhaftet, hatte an der Staatsspitze höchstens Mittelmäßigkeit zu bieten und geriet so in den Sturm des Jahres 1806. Preußens NiederlageOhne daß man das in Berlin zunächst realisierte, war nun auch das Schicksal Preußens besiegelt: Nahezu ohne Partner, es bestand nur mit Rußland ein Defensivbündnis, in Deutschland durch seine egoistische Politik unbeliebt und durch die Gründung des Rheinbundes auch politisch isoliert, ergingen sich viele naive preußische Militärs trotzdem in einer völlig unbegründeten Selbstüberschätzung. Voll trügerischer Siegeszuversicht erklärte Preußen, de jure wegen Verletzung seines ansbachischen Territoriums durch französische Truppen, Napoleon gegen Ende September 1806 den Krieg; in diesem sollte seine Generalität, welche die Situation nie überblickte, einige ganz neue und fatale Erfahrungen machen: Bereits am 8. Oktober 1806 begann der französische Vormarsch aus den oberfränkischen Bereitstellungsräumen in Richtung Berlin. In wenigen raschen Bewegungen und Operationen gelang es Napoleon, die preußischen Corps zu überflügeln bzw. voneinander zu isolieren; am 14. Oktober wurde in einer doppelten Aktion Preußens Armee bei Jena von Napoleon persönlich und bei Auerstedt von Marschall Davout vollkommen geschlagen. Am Abend dieses Tages verfügte Preußen über keine organisierten Streitkräfte mehr — für einen Staat, der in und mit seiner Armee lebte, eine existenzbedrohende Situation!
Andererseits gab die nun fehlende Einfuhr von »Kolonialwaren« und industriellen Fertigprodukten aus England der französischen und der nun auch in Deutschland entstehenden Industrie einen kräftigen Impuls. Im Spätherbst 1806 war Rußland zur Stelle und kam gegenüber dem geschlagenen Preußen seinen Bündnisverpflichtungen nach. Am 7./8. Februar 1807 prallte Napoleon mit dem russischen Heer, das wirkungsvoll von einem preußischen Kontingent unter Scharnhorst unterstützt wurde, bei Preußisch-Eylau zusammen. Nach einem der schlimmsten Gemetzel der ganzen napoleonischen Kriege trennte man sich unentschieden. In einem weiteren Treffen bei Friedland (14. Juni 1807) wetzte Napoleon die Scharte wieder aus, indem er die Russen vernichtend schlug. Anlaß für Zar Alexander I. eilends in Friedensverhandlungen einzutreten.
Mehr ließ sich Napoleon trotz der kniefälligen Bitten der preußischen Königin Luise nicht abringen: Preußen sah sich auf seine Kernprovinzen Brandenburg, Ostpreußen, Pommern und Schlesien reduziert, alle rechtselbischen Gebiete gingen verloren.
Reformen in PreußenDie Katastrophe Preußens von 1806/07 war militärisch und politisch total, aber im Kern doch nicht vollkommen. Der Zusammenbruch des nachfriderizianischen Staates schuf nämlich freiere Bahn für Männer, die schon lange wußten, daß es in den alten Geleisen nicht mehr weiterging, was nun freilich gar nicht hieß, daß die vielen eingefleischten Reaktionäre in Landadel und Armee ihre Ansichten geändert hätten; aber diese Leute mußten im Moment still sein, da ihnen das Gesetz des Handelns entglitten war und sie nichts Konstruktives anzubieten hatten. An der Spitze der Reformer, die jetzt für eine kurze Spanne ans Ruder kamen, stehen die überragenden Gestalten des Reichsfreiherrn Karl vom und zum Stein, seit 1780 Jurist im höheren Verwaltungsdienst Preußens, und des Generals Gerhard Johann David Scharnhorsts, wie Stein ein »deutscher Ausländer« und, was damals eine Ausnahme war, als Bürgerlicher von Jugend an zum Militärdienst erzogen; um ihn scharte sich eine Anzahl jüngerer Offiziere: August Graf Neidhardt von Gneisenau, Carl von Clausewitz, Hermann von Boyen. Stein wurde zum Motor der politisch-gesellschaftlichen, Scharnhorst der militärischen Reformbewegung. Beide wollten nicht nur den Apparat effizienter, kostengünstiger machen, vielmehr zielten sie auf eine Änderung des Bewußtseins in der Bevölkerung: Aus Untertanen sollten patriotische Bürger, aus dem in dumpfem Kadavergehorsam gehaltenen und geprügelten Berufssoldaten ein leistungs- und opferbereiter, von innen heraus motivierter »Bürger in Waffen« werden, der für mehr als seinen kärglichen Sold seine Haut zu Markte trug!
Stein wie Scharnhorst hatten die guten und wertvollen Seiten der Französischen Revolution erkannt und versuchten ohne missionierenden, weltfremd-verstiegenen Idealismus für ihr Land das Beste herauszudestillieren. König Friedrich Wilhelm III. (1797—1840), mitnichten ein Intellektueller, noch weniger aber ein Mann der Tat, stand den geistigen Motiven der Reformer instinktiv ablehnend gegenüber, berief diese aber dennoch in leitende Positionen, da sogar ihm bewußt war, daß etwas zu geschehen hatte. Die Ernennung Steins zum Ersten Minister datierte vom 30. September 1807. Am 9. Oktober 1807 trat ein Dekret in Kraft, welches die Erbuntertänigkeit der Bauern aufhob, sie zu Besitzern auf eigenem Grund und Boden machte sowie die freie Verkäuflichkeit des Grundbesitzes herstellte. Der Bauer mußte von nun an seinen Grundherrn nicht mehr um Heiratserlaubnis bitten und eventuell für deren gnädige Gewährung noch zahlen oder seine Arbeitskraft unentgeltlich dem Gutsbesitzer zur Verfügung stellen; er konnte seine Hofstelle auch an einen Bürgerlichen verkaufen und anderswo sein Glück versuchen. Das bedeutete Selbstverantwortlichkeit und Freiheit, auch mit dem Risiko, ohne Gängelband und Netz zu scheitern.
Am 19. November 1808 trat die neue Städteordnung in Kraft, welche den Städten die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten und ihren Bürgern das vom Vermögen abhängende Kommunalwahlrecht bescherte. Beide Reformen hatten den gleichen Grundgedanken: Persönliche Freiheit, Selbstverwaltung und Vermögensbildung sollten den Bürger an den Staat binden, der ihm diese Rechte garantierte und schützte. Nicht erzwungener Minimalgehorsam, sondern aus Überzeugung gespeiste Loyalität und Vaterlandsliebe waren die Erziehungsziele! Mit seiner Städteordnung wurde Stein zum Vater der modernen kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, die bis heute im Gegensatz z. B. zu Frankreich ein lebenswichtiger Bestandteil der politischen Ordnung geblieben ist. Diese Maßnahmen wurden begleitet von einer großangelegten Verwaltungsreform. Noch 1807 hatte die offizielle preußische Staatsbezeichnung »Alle seiner königlichen Majestät Provinzen und Lande« gelautet, was nichts anderes bedeutete, als daß genau wie in den süddeutschen Staaten trotz allem Absolutismus große Unterschiede bei der Verwaltung und Behandlung der einzelnen Territorien bestanden. Damit räumte der gelernte Verwaltungsjurist nun auf; an die Stelle vieler konkurrierender Behörden trat das schon bekannte »klassische« Kabinett mit den fünf Fachressorts Äußeres, Inneres, Finanzen, Justiz und Krieg, denen ihrerseits einheitlich organisierte Bezirksregierungen unterstanden, in denen alle mittleren und unteren Verwaltungszweige von der Polizei bis zur Schule zusammenliefen. Diese Reform zielte in erster Linie auf Effizienz und Sparsamkeit, und so gab es auch eine große Pensionierungswelle, welche die sowieso nicht allzu große Zahl der Freunde des Ministers keineswegs vergrößerte. Seine großen Lebensmotive »Selbstverwaltung« und »Bürgerbeteiligung« konnte er bei der Verwaltungsreform freilich nicht durchsetzen. AdelsoppositionEs ist verständlich, daß dieser alles umstülpende Minister z. T. auf schärfste Opposition seitens des Adels, insbesondere bei Graf Finckenstein und von der Marwitz stieß: Man nannte ihn dort oft geradezu einen »Landesverderber«, einen Initiator ausländischer, für Preußen völlig ungeeigneter Modelle und einen Handlanger bürgerlicher Bodenspekulanten. So war es für diese Kreise ein ausgesprochener Freudentag, als der König den Reichsfreiherrn auf ultimatives Drängen Frankreichs hin am 24. November 1808 entließ; ein Brief Steins, der seine konspirative antifranzösische Tätigkeit belegte, war den französischen Abwehrbehörden in die Hände gefallen.
Steins Reformwerk in Preußen war damit nicht tot, doch hatte es viel von seinem Schwung eingebüßt; der Nachfolger im Amt, Karl August Reichsfreiherr von Hardenberg, und auch Schamhorst arbeiteten zwar weiter, doch war Hardenberg in erster Linie Diplomat, und die Fortsetzung der Reformen war für ihn mehr Mittel zum Zweck, Preußens Machtstellung wiederherzustellen und Napoleon zu verjagen. Bürgerbewußtsein, Patriotismus, Selbstverwaltung betrachtete er als Schlagworte unter dem Gesichtspunkt einer momentanen Opportunität, persönlich schätzte er diese Maximen wohl nicht besonders. Immerhin kam es in den Jahren 1810/12 auch zu einer Reihe wichtiger Wirtschaftsreformen: Abschaffung des Zunftzwanges, Einführung der Gewerbefreiheit, mehr gleichmäßig greifende Steuern, wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Juden. Es ging um die Kombination von Rechtsgleichheit und marktwirtschaftlicher Konkurrenz, die jetzt allerdings auch die zwar befreiten, aber kapitalschwachen, ebenso den Unbilden des Marktes ungeschützt ausgesetzten Bauern traf. Dies und der starke Anstieg der Geburten führte Preußen direkt in eine Pauperismuskrise, die erst nach 1850 durch die fortschreitende Industrialisierung und den damit verbundenen Bedarf an Arbeitskräften aufgefangen werden konnte. Bürger in UniformAnders Scharnhorst: Obwohl er von ganz ähnlichen Denkmodellen wie Stein ausging, konnte er sich doch bis zu seinem Tode 1813 der Wertschätzung seines Monarchen erfreuen. Nach Jena wurde ihm die Leitung einer Militärkommission übertragen mit dem Auftrag, die Grundlagen einer neuen preußischen Armee zu erarbeiten; dabei zielte Scharnhorst von vornherein darauf ab, die strenge Trennung zwischen Staatsvolk und Heer, wie sie für den friderizianischen Staat so charakteristisch gewesen war, aufzuheben und der militärischen Macht Ziele zu stecken, die über das rein Professionelle hinausreichten - kurz, es ging um einen »Bürger in Uniform«, der sich als Mitinhaber des staatlichen Gewaltmonopols innerhalb der allgemeinen Wehrpflicht mit seinem Staat identifizierte! Scharnhorst und seinen Helfern war auch klar, daß ein so verhältnismäßig armes Land wie Preußen seine Stellung als Großmacht mit einer immer teurer werdenden Berufsarmee nie und nimmer werde behaupten können. Die aus solchen Überlegungen resultierende allgemeine Wehrpflicht, in ihrer modernen Ausprägung ein Kind der Französischen Revolution, war den preußischen Konservativen natürlich suspekt.
Hohe militärische Führer wie der spätere Marschall Gebhard Leberecht von Blücher, selbst beileibe kein Intellektueller, aber mit Gespür für die Erfordernisse der Zeit begabt, begrüßten diesen Durchbruch, der die Möglichkeit eröffnete, die breite Masse der Bevölkerung zum Kampf gegen Frankreich heranzuziehen, und, wie Blücher meinte, eine »Nationalarmee« zu begründen, welche als moderne Massenarmee den Massenheeren Napoleons die Stirn bieten konnte und sollte. Diese »stehende Nationalarmee« war von Scharnhorst als die »Schule der Nation« gedacht, die jeder männliche Bürger einmal durchlaufen haben sollte (im 19. Jahrhundert wurde dies in Preußen verwirklicht, freilich nicht im Scharnhorstschen Geist!). Die Reaktion Napoleons, der zu diesem Zeitpunkt eine erneute Erhebung Österreichs und unabsehbare kriegerische Verwicklungen in Spanien befürchten mußte, zeigte, wie sehr die Reformer auf dem rechten Weg waren: Noch im November wurde Preußen eine Heeresverminderung auf 42000 Mann aufgezwungen und jegliche Reservenbildung verboten. Scharnhorst, Gneisenau und Blücher wurden vom französischen Geheimdienst immer schärfer observiert, und 1809 mußte Gneisenau, 1810 Scharnhorst seine offizielle Tätigkeit in und für Preußens Armee beenden; mit geheimer Deckung Friedrich Wilhelms III. blieben sie aber weiter tätig, wobei Gneisenau die etwas zwielichtige Rolle eines preußischen Agenten an den Höfen von London, Stockholm und Petersburg spielen mußte. Konvention von TauroggenGelegenheit zur Erhebung gegen Napoleon bot sich, nachdem die »Große Armee« im Juni 1812 den Njemen überschritten, bei Smolensk und Borodino russische Armeen vernichtend geschlagen hatte und Moskau schon bald erreichte. Ohne Quartier im niedergebrannten winterlichen Moskau, ohne Nachschub, blieb den Franzosen nur der überstürzte Rückzug, verfolgt von den beweglichen russischen Einheiten. Als die traurigen Reste der »Grande Armee« als halbverhungerte Schemen mit Kosaken auf den Fersen in Polen und Preußen auftauchten, gärte es im preußischen Heer nun allenthalben - Blücher saß in Breslau und bombardierte seinen Monarchen mit Briefen, in denen er in oft recht unbotmäßigem Ton zum Losschlagen aufforderte. Jedoch erfolgte der erste Schritt zu einer neuen Koalition gegen Frankreich im Baltikum; dort stand das preußische Hilfskontingent unter General Ludwig von Yorck, einem im Grunde jeder Reform abgeneigten Offizier alter, reaktionärer Schule, russischen Kontingenten unter General Diebitsch, bis 1801 in preußischen Diensten, gegenüber.
Auf der einen Seite drängten Offizierskorps, Armee und Volk in seltener, geradezu einmaliger Einmütigkeit, für Preußen Yorcks Schritt nachzuvollziehen — ein schwieriges Unterfangen, denn noch immer standen über 80000 Mann französischer Truppen im Land, und Napoleon war zwar schwer angeschlagen, aber noch lange nicht geschlagen. Auf der anderen Seite bot zwar Rußland sofort und unverhohlen ein Bündnis gegen Frankreich an, Metternich in Wien jedoch lavierte undurchsichtig und raffiniert mit dem Ziel, das Gewicht Österreichs erst dann in die Waagschale zu werfen, wenn der dafür zu erzielende politische Preis am höchsten war. Friedrich Wilhelm III. blieb so nichts anderes übrig, als sich weiter im politischen Seiltanz zu üben, Yorcks Vorgehen zwar zu mißbilligen, jedoch nichts Entscheidendes zu unternehmen. Am 13. Januar 1813 erklärte Yorck in einem Brief an seinen Monarchen, daß er nun entschlossen sei, im nationalen Interesse an Rußlands Seite zu kämpfen; er wisse wohl, daß der König innerlich mit ihm übereinstimme, dies aber nicht zeigen könne. Nun begann auch der König vorsichtig die russische Karte zu spielen; am 12. Februar 1813 billigte er schriftlich, aber noch geheim Yorcks Handlungsweise. BefreiungskriegeAm 26. Februar 1813, nach einer wochenlangen »Bearbeitung« durch Blücher und durch Scharnhorst, unterschrieb Preußen mit Rußland ein umfassendes Bündnis gegen Frankreich: beide Partner verpflichteten sich, 230 000 Mann ins Feld zu führen. Am 28. Februar erhielt, wieder auf Scharnhorsts Drängen, Blücher den Oberbefehl über Preußens Armee, und der alte Husar brachte, obwohl bereits 70 Jahre alt, sofort Schwung in die Sache. Besonders schwierig war es, die zu Tausenden herbeiströmenden Freiwilligen auszurüsten, auszubilden und in kampffähige Formationen zu verwandeln. Trotz englischer Subsidien herrschte katastrophale Finanznot, und die aufbrechende Opferbereitschaft weiter Kreise war wirklich nötig; so wurden allein in Schlesien binnen kurzem über 120000 goldene Eheringe gegen eiserne mit der Aufschrift »Gold gab ich für Eisen« eingetauscht. Das Heer, welches hier zusammenkam, war ein Volksheer, in dem Studenten, Professoren, Handwerker, Bauernsöhne und Kaufleute neben Ungelernten dienten. In Blücher besaß das Heer einen Führer von hinreißendem Schwung, der nicht wie Clausewitz ein intellektueller Offizier war, auch kein akribischer Generalstäbler in der Detailarbeit, der wohl aber einen untrüglichen Blick für das Gelände und einen natürlichen Jägerinstinkt für sich ergebende taktische und strategische Situationen besaß. Ein wenig »preußischer« Offizierstyp also, den Freuden des Lebens wie Glücksspiel, Alkohol und Frauen zugetan. Der März 1813 brachte für Preußen viele wichtige Ereignisse: am 10. März stiftete der König den neuen Orden vom »Eisernen Kreuz«, den jeder, nicht nur wie bisher Adelige und Offiziere, erringen konnte; am 15. März erklärte Preußen Frankreich formell den Krieg und am 17. März erging vom König die wichtige Proklamation »An mein Volk«, in der ein absoluter Monarch zum ersten Mal um die Zuneigung und Opferbereitschaft seiner Untertanen warb.
Nach langem Manövrieren wurde Napoleon von der Überzahl der Alliierten bei Leipzig zum Entscheidungskampf, zur »Völkerschlacht« gestellt. Napoleon verfügte über 160000 Mann gegenüber 255 000 der Koalition, hatte aber den Vorteil des einheitlichen Kommandos und der inneren Linie. Der Kampf dauerte vom 16. bis 19. Oktober 1813, forderte hohe Opfer und endete mit einem vollständigen Sieg des Koalitionsheeres, in dem das preußische Kontingent unter Blücher die Hauptlast getragen hatte. Napoleon zog sich mit seiner geschlagenen Armee über den Rhein zurück, Ende Oktober löste sich der Rheinbund auf, und seit November 1813 stand kein französischer Soldat mehr auf dem rechten Rheinufer. Als Napoleon weitere Friedensangebote ablehnte, überschritt Blücher in der Nacht vom 31. Dezember 1813 zum 1. Januar 1814 den Rhein. Am 31. März 1814 zogen die Verbündeten in Paris ein, Napoleon ging nach Elba ins Exil. Der Weg zur nötigen Neuordnung Deutschlands und Europas war frei. Viele, die freiwillig gegen den französischen »Tyrannen« gekämpft hatten, knüpften an diese Neuordnung ganz bestimmte, freiheitliche Erwartungen, doch erfüllten sich ihre Träume größtenteils nicht. Wiener Kongreß und WaterlooAm 2. November 1814 begann der Wiener Kongreß die reguläre Arbeit. Unter den Delegierten nahmen Karl Robert Graf von Nesselrode für Rußland, der später von Wellington abgelöste Robert Stewart Viscount Castlereagh für England, Karl August Reichsfreiherr von Hardenberg und Wilhelm von Humboldt für Preußen die führende Stellung ein. Freiherr vom Stein, der große preußische Reformer, weilte als Privatmann in Wien. Der Zar wünschte ganz Polen seinem Reich einzugliedern; Preußen sollte mit der Einverleibung von Sachsen, dessen König am Bündnis mit dem Korsen bis zuletzt festgehalten hatte, entschädigt werden. Metternich sah in dem Plan Zar Alexanders I. eine Gefahr für Galizien und wollte ebenso wie Talleyrand eine Erstarkung Preußens verhindern. Die Gegensätze verschärften sich derart, daß Österreich, Frankreich und England um die Jahreswende 18 14/15 ein Geheimbündnis gegen Rußland und Preußen schlossen. Schon drohte neuer Krieg, doch fand man mit der Halbierung Sachsens und der Schaffung »Kongreßpolens« unter russischer Herrschaft eine Kompromißlösung. Angesichts dieser Spannungen und der Unbeliebtheit des nun den französischen Thron einnehmenden Bourbonen Ludwig XVIII. wagte Napoleon Bonaparte den kühnen Schritt seiner Rückkehr von Elba, das ihm nach seiner Niederlage als Fürstentum zugewiesen worden war, nach Frankreich. Rasch raffte sich der Kongreß sich zu Taten auf. Am 13. März, wenige Tage nach dem Eintreffen der Nachricht von seiner Landung bei Cannes, wurde Napoleon geächtet.
Kaiser Franz I., Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. befanden sich bereits auf dem Weg nach Westen und zogen, nach der Niederlage Napoleons bei Waterloo (Belle Alliance), am 10. Juli zum zweiten Mal in Paris ein. Der Wiener Kongreß stellte das europäische Gleichgewicht der fünf Großmächte Frankreich, England, Rußland, Österreich und Preußen (»Pentarchie«) wieder her. Wie Polen geteilt blieb, so kam auch die vielfach erhoffte staatliche Einigung Deutschlands nicht zustande. Preußen wurde für kleine Gebietsabtretungen an Baiern und Hannover sowie seinen erwähnten Verzicht auf die Einverleibung von ganz Sachsen reich entschädigt. Aus der erneuten Teilung Polens erhielt es die Provinz Posen und Westpreußen mit Danzig und Thorn, ferner kam es in den Besitz von Schwedisch-Pommern (Vorpommern). Am bedeutendsten aber war der Territorialgewinn am Rhein (Kur-Trier, Kur-Köln, Aachen, Jülich und Berg, Westfalen). Patent wegen Besitznahme des Großherzogtums Nieder-Rhein Preußen wurde der »Staat mit den langen Grenzen«, doch wirkte das Unfertige der äußeren Gestalt als mächtiger Antrieb, in Deutschland »hineinzuwachsen«, die Zersplitterung in heterogene Gebiete durch politische, wirtschaftliche und schließlich militärische Anstrengungen zu überwinden. Der Gewinn der gegenüber Altpreußen ökonomisch und sozial fortgeschrittenen Rheinlande mit ihren Rohstoffen (Kohle, Eisen) und ihren frühindustriellen Unternehmungen (Ruhrgebiet) machte die Modernisierung Preußens trotz konservativen Widerständen zur Notwendigkeit. Deutscher BundDie Differenzen zwischen Preußen und Österreich wurden durch die Konstituierung eines »Dritten Deutschland« der Mittelstaaten vorderhand gemildert. Die Aufgabe des »Deutschen Komitees«, für das nach wie vor bunte Mosaik der deutschen Landkarte eine Bundesverfassung zu erarbeiten, war nicht leicht zu bewältigen. Dem Komitee gehörten zunächst nur Vertreter von Österreich, Preußen, Baiern, Hannover und Württemberg an; dann erweiterte man es auf 33 Mitglieder, so daß auch die Interessen der Kleinstaaten entsprechend gewahrt wurden. Die Verfassung des Deutschen Bundes wurde durch die am 8. Juni 1815 unterzeichnete Bundesakte begründet.
Vielfach als Hindernis für die Einheit Deutschlands und Hort konservativer Politik angefeindet, bestand der »Deutsche Bund«, unterbrochen von der Zäsur der Revolution (1848/50), bis 1866. Heilige AllianzZunächst glaubten Fürsten und Adel, mit Napoleon auch die Revolution, ihre Errungenschaften und Hoffnungen gründlich und für immer besiegt zu haben. Im September 1815 schlossen sich zu Paris die Monarchen des katholischen Österreich, des protestantischen Preußen und des orthodoxen Rußland zur »Heiligen Allianz« zusammen, als Hort der Reaktion. Preußen wie Österreich standen jedem fortschrittlichen Verfassungsdenken völlig fern. Friedrich Wilhelm III. hatte diese zwar ausdrücklich schon 1813 vor dem »Wiener Kongreß« in der notvollen Zeit der »Befreiungskriege« versprochen, aber immer wieder hinausgeschoben. Schuld daran war auch hier wieder die von Metternich beschworene Gefahr, die enge Verflechtung von Monarchie, konservativem Militär, Beamtenadel und den adeligen Großgrundherren könnte zum Nachteil der Krone reißen. Österreich mußte andererseits daran interessiert sein, Preußen im absolutistischen Lager zu halten: Mit Recht befürchtete es, Preußen würde durch einen Wechsel zu den Verfassungsstaaten schnell auch zum Kristallisationspunkt der deutschen Einigungsbewegung werden und das mühsam ausgependelte Gleichgewicht zu seinen Gunsten verändern. So hielt sich schließlich auf der Grundlage dieser Überlegungen in beiden Staaten ein streng absolutistisches System. Durch gemeinsam abgestimmte Aktionen der Polizei und durch strenge Zensurbestimmungen deckten sie alles politisch gegensätzliche Leben zu. Preußen hatte so, ganz im Kielwasser Österreichs segelnd, eine unwiederbringliche Chance vertan, denn im Gegensatz zu Österreich hätte es seine Staatseinheit fördern, die konfessionellen Konflikte zwischen der katholischen und lutherischen Bevölkerung mildern und den Führungsanspruch auf ganz einfache Weise untermauern können. Selbst der alte Haudegen Blücher grollte: »Warum muß Bayern und andere Regenten uns zuvorkommen; man fühlt es ja, daß eine Konstitution gegeben werden muß.« Jeder fühlte es, nur der König nicht. Er vertiefte durch sein ängstliches Zaudern nur den Gegensatz zwischen dem freiheitlich-fortschrittlichen Süden und dem reaktionären Preußen. Noch sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm IV., fühlte sich als König von Gottes Gnaden und lehnte deshalb jedes »Verfassungspapier« zwischen sich und »seinem« Volke ab. Dieselbe starre Haltung und Unfähigkeit, sich in berechtigte Anliegen Andersdenkender hineinversetzen zu können, führte zur Verhaftung der Erzbischöfe von Köln und Posen und zum ersten »Kulturkampf« in Preußens sonst so toleranter Geschichte weit vor Bismarck zum sogenannten »Kölner Kirchenstreit«. Seit Preußen auf dem »Wiener Kongreß« sein Gebiet bis an den Rhein vorgeschoben hatte, hatte es mit dieser territorialen Erweiterung den konfessionellen Gegensatz zwischen dem katholischen Westen und dem lutherischen Osten (vom katholischen Schlesien und Posen abgesehen) geerbt. Eine königliche Kabinettsordre von 1825 riß diese Gegensätze schlagartig auf, als der Staat in die bisherige Kirchenpraxis hineinreden wollte. Als König Friedrich Wilhelm III. die im altpreußischen Gebiet seit 1803 geltende Norm, daß Kinder aus einer Mischehe der Religion des Vaters folgen müßten, ohne Einfühlungsvermögen auch für das katholische Rheinland und Westfalen verfügte, geriet er in Gegensatz zur katholischen Kirche, die bei Mischehen die Sicherstellung der katholischen Kindererziehung verlangte. Staatliche Verfügung stand gegen kirchliches Recht. Der Erzbischof von Köln wurde auf der Festung Minden interniert. Ein ähnliches Schicksal ereilte in gleicher Angelegenheit seinen Amtsbruder Martin von Dunin, den Erzbischof von Posen und Gnesen. ZollvereinEin feineres Gespür für die Erfordernisse der Zeit und größere Flexibilität als im unnötigen Kirchenkampf zeigte Preußen auf dem Gebiet der Wirtschaft. Als Staat war es in seiner Rechtspflege, in der Verwaltung, mit einem funktionsfähigen Beamtenapparat, einem disziplinierten Heer und einem gegliederten, erfolgreichen Schulwesen den übrigen Staaten, auch Österreich, überlegen. Daraus konnte Preußen mit Recht einen Führungsanspruch in Deutschland ableiten. Nur, die Durchsetzung dieses Anspruches, das hatten preußische Staatsmänner wie der Finanzminister Friedrich von Motz erkannt, konnte nicht in direkter Auseinandersetzung mit Österreich erfolgen. Der politischen Einheit der Nation mußte die unverfänglichere wirtschaftliche vorausgehen. Es bleibt das Verdienst Preußens, den Weg zu einem einheitlichen deutschen Wirtschafts- und Handelsgebiet weder über eine unzulängliche Bundesverfassung noch über den inkompetenten Bundestag, sondern geradezu gegen ihn in geduldigen und geschickten Verhandlungen mit den Einzelstaaten gesucht und unbeirrt verfolgt zu haben. Die Grundlagen wirtschaftlichen Aufstiegs hatte es schon längst durch die »Bauernbefreiung« und Einführung der Gewerbefreiheit, durch systematischen Aufbau von Manufakturen und Fabriken gelegt. Das Ruhrgebiet, Teile des mitteldeutschen und das schlesische Kohlenrevier und die landwirtschaftlich intensiver genutzten Gebiete des Ostens waren zusammen mit der Aufgeschlossenheit Preußens für industriellen Fortschritt Garanten eines kontinuierlichen Wirtschaftsaufschwunges.
Am 22. März 1833 vereinigten sich schließlich der »Preußische Zollverband« und der »Süddeutsche Zollverein« und besaßen nunmehr zolllose Handelswege von den Alpen bis zur Nord- und Ostsee. Den Vorteilen konnten sich die angrenzenden Länder nicht mehr verschließen: Am 1. Januar 1834 trat der »Deutsche Zollverein« in Kraft. Dem politischen Vielerlei des deutschen Staatenbundes stand die weitgehende wirtschaftliche Einheit eines »Zoll-Bundesstaates« mit 23 Millionen Einwohnern unter Führung Preußens gegenüber. Österreich hatte sich seit langem darum bemüht, seine Position in der deutschen Politik zu verbessern, indem es eine Union mit dem »Deutschen Zollverein« anstrebte; diese scheiterte jedoch am zähen Widerstand Preußens. Es gelang Berlin, das Königreich Hannover und einige kleinere Staaten in Norddeutschland von 1854 an zum Eintritt in den Zollverein zu bewegen, so daß auch auf diesem Felde die Grenzen des Wiener Einflusses sichtbar wurden. Österreich mußte sich damit begnügen, 1853 einen Handelsvertrag mit Preußen einzugehen, dem sich die übrigen Mitglieder des Zollvereins anschlossen. Die Position der Donaumonarchie als europäische Großmacht begann allmählich brüchig zu werden. ArmutskriseTrotz dieser wirtschaftlichen Erfolge, die nur den großen Firmen zugute kam, für das Verlagssystem bei den Webern vielfach zur Verschuldung. Tuche und Stoffe sanken im Preis, die Löhne fielen. Nicht einmal mehr die Mitarbeit der Frau und der Kinder sicherte das Existenzminimum. Nackte Lebensangst und Hungersnot trieben 1844 die schlesischen Weber zum Aufstand. An ihrem erbärmlichen Schicksal änderte sich ebensowenig wie an dem der mittel- und westdeutschen Weber oder vielen anderen entwurzelten Handwerkern. Doch die sozialen Probleme dieser »Armenmasse« von Lohnarbeitern und kleinen Handwerkern im Gefolge des technischen Fortschritts konnte der Staat nicht mehr übersehen.
Periodisch auftretende Krisen verschärften die beklagenswerte Situation der Verelendenden noch zusätzlich. Insbesondere in den Jahren vor 1848 verschlimmerten Mißernten, steigende Lebenshaltungskosten, sinkende Arbeitslöhne dramatisch die soziale Lage der unteren Schichten. Scheinbar apathisch ertrugen sie ihr Schicksal. Enttäuschung machte sich breit, als die Hoffnungen aller Gemäßigten auf einen liberalen Friedrich Wilhelm IV. von Preußen als Vorkämpfer ihrer Anliegen zerstoben. Wie ermutigend waren seine anfänglichen Schritte zu einem liberalen Regiment, die Amnestie der »Demagogen«, die auf sein Betreiben zustande gekommene Aussetzung der »Zentraluntersuchungskommission« des »Deutschen Bundes«, wie deutsch hatte er sich bei der feierlichen Grundsteinlegung zur Vollendung des Kölner Domes 1842 gegeben. Doch spätestens 1847 stieß er mit seiner totalen Absage an eine konstitutionelle Monarchie auf dem »Vereinigten Landtag« die monarchisch gesinnten Liberalen vor den Kopf und bestärkte die Republikaner in ihrem Glauben, nur eine Revolution könne jetzt helfen. Revolution von 1848Die Zensur hatte aber weitergearbeitet, ausländische Zeitungen waren konfisziert worden, bis sich dann am Abend des 13. März 1848 die Unruhen plötzlich steigerten. Die Regierung hatte damit gerechnet und setzte sofort rücksichtslos Truppen ein, um die Demonstranten von vornherein einzuschüchtern. Doch damit erreichte man nur das Gegenteil. Schon die zeitgenössischen Beobachter waren sich einig, daß gerade die dauernde Bedrohung durch die Soldaten die Spannungen nur noch steigerte und Liberale wie Radikale zusammenschweißte. Trotzdem vollzog sich die Entwicklung hier langsamer als in Wien, und die Ereignisse wiederholten sich gleichsam in Zeitlupe.
Er selbst wollte sich an die Spitze einer konstitutionellen Bewegung in Deutschland stellen und damit den Einfluß Österreichs endgültig ausschalten. Aber es war zu spät. Als der König am Mittag des 18. vom Balkon des Schlosses aus der versammelten Menge auf dem Schloßplatz die Aufhebung der Zensur und die Einberufung des Landtags verkünden wollte, forderten die Demonstranten lautstark den Abzug des Militärs. Friedrich Wilhelm befahl, »dem Skandal ein Ende zu machen« und den Platz durch Kavallerie und Infanterie zu säubern. In dieser äußerst gespannten Situation fielen plötzlich zwei Schüsse, und schlagartig brandete die allgemeine Empörung auf. Man hat später versucht, den Ausbruch der Revolution auf radikale oder ausländische Wühlarbeit zurückzuführen, doch war es in erster Linie der aufgestaute Haß gegen die bedrohende Präsenz des Militärs, der die Berliner auf die innerhalb kürzester Zeit entstandenen rund tausend Barrikaden trieb. Dabei kam es zu harten Kämpfen. Aber sein Beschwichtigungsversuch blieb ohne Erfolg. Als ihn dann mehrere Deputationen bestürmten, gab der immer unsicherer gewordene Monarch schließlich den Befehl zum Abzug der Truppen, lediglich Schloß und Zeughaus sollten gesichert werden. Aber der angeblich über die »Feigheit« des Königs erbitterte General v. Prittwitz ließ auch diese beiden Orte räumen. Daß es zu keinen größeren Ausschreitungen kam, spricht für die Besonnenheit und Ruhe der Berliner. Für wenige Stunden nur richtete sich die ganze Erregung gegen den König. Am Mittag des 19. wurden die Leichen der in den Kämpfen gefallenen Revolutionäre (»Märzgefallene«) in den Schloßhof gebracht, und die begleitende Menge erzwang durch lautes Rufen das Erscheinen Friedrich Wilhelms auf einem Balkon, wo er sich vor den Toten verneigte. Es blieb bei diesem gutgemeinten Akt, und der Volkszorn richtete sich nun gegen Prinz Wilhelm, den Bruder des Königs, in dem man zu Recht den Scharfmacher unter der Hofkamarilla vermutete. Sein Palais wurde besetzt, er selbst mußte nach England ins Exil gehen. Noch am gleichen Tage genehmigte der König die Bewaffnung der Bürgergarde und entließ die verhaßten vormärzlichen Minister. Ein Übergangskabinett regierte nur zehn Tage, um dann dem liberalen Ministerium des Ludolf Camphausen Platz zu machen. Am 21. März unternahm Friedrich Wilhelm IV., geschmückt mit den schwarzrotgoldenen Farben, einen Umritt durch die Stadt. Die moderne Geschichtsschreibung spricht von einem »Versuch, sich an die Spitze der Revolution zu stellen«, da er am Abend dieses Tages in einer neuerlichen Proklamation verkündete: »Preußen geht fortan in Deutschland auf«. Einen Tag danach wurden die 190 in den Kämpfen umgekommenen Zivilisten, darunter fünf Frauen und zwei Kinder, unter der Anteilnahme ganz Berlins feierlich zu Grabe geleitet. Die Beisetzung der zwanzig gefallenen Soldaten erfolgte in aller Stille.
In einem Brief an den Freiherrn von Bunsen wurde er wesentlich deutlicher, sprach von »einem Reif aus Dreck und Letten gebacken«, dem »der Ludergeruch der Revolution« anhafte, und schloß mit den Worten: »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten.« Latente Unruhe und politische Unsicherheit charakterisierten auch den Sommer 1848 in Preußen. Am 25. Mai war hier die aus freien Wahlen hervorgegangene Nationalversammlung erstmals im Berliner Schloß zusammengetreten. Ein "Parlament der zweiten Garnitur", so urteilten schon die Zeitgenossen; denn die fähigsten politischen Köpfe hatte man nach Frankfurt geschickt. Zwar dominierte auch hier das intellektuelle Bürgertum, aber wenigstens ein Viertel der 402 Abgeordneten waren Bauern und Handwerker. Ihren Höhepunkt erlebte die Berliner Volksbewegung Mitte Juni, als radikale Arbeiter und Studenten in der Nacht des 15. auf der Suche nach Waffen ins Zeughaus eindrangen und dort plündernd schweren Schaden anrichteten. Die Bürgerwehr erwies sich in dieser Nacht unfähig, für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Ein gefährliches Omen für den bevorstehenden reaktionären Wandel war die Berufung General Wrangels, des Siegers gegen die Dänen, als Oberbefehlshaber in den Marken sowie die Zusammenziehung von 50000 Mann in der Umgebung von Berlin. Oktroyierte VerfassungFriedrich Wilhelm IV. hatte sich von Berlin nach Potsdam zurückgezogen, wo er weitgehend unter den Einfluß der Hofkamarilla geriet, die eine Regierung neben der Regierung zu bilden suchte, stets mit dem Ziel, die Macht des Adels und der Armee im alten Umfang wiederherzustellen. Die Beratungen über den Verfassungsentwurf führten Mitte Oktober zu ersten Kontroversen zwischen König und Nationalversammlung, als diese nämlich bei der Titulatur des Königs den Fortfall der Formel »von Gottes Gnaden« forderte. Da berief Friedrich Wilhelm IV. den Grafen von Brandenburg, einen illegitimen Hohenzollernsproß, zum Ministerpräsidenten. Seine Ernennung war eine bewußte Kampfansage an das Parlament, das seinerseits sogleich die Abberufung des neuen Mannes forderte. Der König ließ die Abgesandten einfach stehen, so sicher war er bereits wieder in seiner reaktionären Haltung. Wenige Tage später erschien der neue Ministerpräsident vor der Nationalversammlung, erklärte, daß man ihre Sicherheit nicht mehr gewährleisten könne, sie müsse sich daher bis Ende November vertagen und werde dann von Berlin nach Brandenburg verlegt. Die nur auf den passiven Widerstand beschränkte Haltung der Nationalversammlung erleichterte dem König einen entscheidenden Schlag. Am 5. Dezember löste er die Nationalversammlung auf und verkündete von sich aus eine Verfassung, die, wie es schien, einen durchaus liberalen Charakter hatte und sich ausdrücklich auf die Grundrechte der Paulskirche berief. Die Pferdefüße waren allerdings unverkennbar. So gestattete sie der Regierung, außerhalb der Tagungszeit des Parlaments Notverordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen. Obwohl in Preußen die Monarchie ihre Machtposition seit 1849 wieder erheblich zu festigen vermochte, kam es doch nicht zu einer uneingeschränkten Restauration der vorrevolutionären Verhältnisse. So blieb — auch nach der revidierten Verfassung von 1850 — der Landtag als parlamentarische Vertretung der Bürger bestehen, wenn auch mit stark geschmälerten Rechten; die entscheidenden Kompetenzen (vor allem bei der Regierungsbildung und im Heerwesen) lagen beim König. Bereits 1849 war das »Dreiklassenwahlrecht« eingeführt worden, das eine schwerwiegende Verzerrung des Gewichts der einzelnen Wählerstimmen zur Folge hatte (Bevorzugung der hohe Steuern zahlenden gegenüber den ärmeren Wählern.) Durch königliche Verordnung wurde schließlich 1854 die Erste Kammer des Parlaments in das »Herrenhaus« umgewandelt, in dem der Adel eindeutig dominierte. Charakteristisch für die Methoden der Innenpolitik dieser Jahre waren Pressezensur, die Beseitigung der Geschworenengerichte und eine Einschränkung der Selbstverwaltung in Städten und Provinzen. In den Jahren unmittelbar nach der Revolution übte zunächst eine ständisch-feudal gesinnte Gruppe beträchtlichen Einfluß aus, die ein starkes Königtum mit der Wahrung adliger Privilegien zu verbinden suchte. Diese Richtung, deren Wortführer die Brüder Gerlach waren, nahm über eine »Kamarilla« am Hofe eine starke Position ein.
Einen gewissen Rückhalt fand diese Gruppe am Bruder des Königs Friedrich Wilhelm IV. (1840—1861), dem Prinzen Wilhelm, der damals als Generalgouverneur der Rheinlande und Westfalens in Koblenz residierte. Seine außenpolitischen Vorstellungen wurden nicht zuletzt vom Mißtrauen gegen die österreichische Absicht bestimmt, Preußen innerhalb der deutschen Politik lediglich den zweiten Rang zuzubilligen; dagegen beanspruchte Wilhelm für seinen Staat — jedenfalls in Norddeutschland — die führende Rolle, so daß nationalliberal Gesinnte vom Prinzen eine Förderung der deutschen Einigung erhofften. Unionspolitik PreußensEine Art Nachspiel für das Bestreben der Paulskirche, einen deutschen Einheitsstaat herbeizuführen, stellt die Unionspolitik, die König Friedrich Wilhelm IV. dar. Deren »Architekt« war Außenminister Freiherr von Radowitz, der der Nationalversammlung in Frankfurt als Vertreter der Konservativen angehört hatte. Das von ihm entwickelte Konzept sah vor, ein »Deutsches Reich« — den engeren Bund — zu gründen, dessen Staatsoberhaupt der preußische König werden sollte. Die Verfassungsordnung orientierte sich an dem Entwurf der Paulskirche, verwischte aber weitgehend deren liberale Züge. Um den Zusammenhalt mit Österreich zu wahren, wurde diesem —quasi als Konzession für die Anerkennung der preußischen Hegemonie im Reich — die Mitgliedschaft in der »Deutschen Union« — dem weiteren Bund — angeboten, der unauflösbar sein sollte. Trotz einiger Anfangserfolge, am 26. Mai 1849 schloß Radowitz mit Sachsen und Hannover einen Förderationsvertrag ab, dem sich 28 kleinere deutsche Staaten anschlossen, nicht aber Bayern und Württemberg, scheiterte schließlich das Projekt. Im März 1850 trat zwar in Erfurt ein »Unionsparlament« zusammen, um eine deutsche Verfassung zu beraten. Der österreichische Ministerpräsident Fürst Schwarzenberg rief daraufhin den Bundestag zusammen, der aber von 22 Mitgliedern der neuen Union boykottiert wurde. Als in Hessen ein Verfassungskonflikt ausbrach, bereitete der Deutsche Bund sich darauf vor, dem Kurfürsten mit einer bewaffneten Intervention beizuspringen, worauf Preußen mit der Mobilmachung reagierte. Nunmehr schaltete sich auch Rußland in den Konflikt ein und unterstützte das österreichische Ultimatum auf Beendigung der Mobilmachung und Auflösung der Union. Die Politik Rußlands, das zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa ausübte, konnte im nationalen Konzept von Radowitz nichts anderes sehen als eine verkappte Begünstigung revolutionärer Absichten. Gerade hochkonservative Kreise in Preußen opponierten gegen den Kurs von Radowitz, um die traditionelle Freundschaft mit Rußland zu wahren und einen Bruch mit dem Kaiserstaat Österreich zu vermeiden. Ein Krieg Preußens gegen beide Mächte erschien aussichtslos. Der Außenminister unterlag seinen innenpolitischen Gegnern und trat am 2. 11. 1850 zurück., obwohl der Prinz von Preußen, Wilhelm, durchaus zu einem Krieg bereit war. Letztendlich setzten sich aber der Graf Brandenburg und der Kriegsminister Stockhausen durch, die darauf hinwiesen, daß Preußen nicht in der Lage sei, einen Zwei-Frontenkrieg durchzustehen. Am 30.11 1850 schlossen von Schwarzenberg und der neue preußische Außenminister Manteuffel die »Olmützer Punktationen« ab. Dies bedeutete eine kaum verhüllte Kapitulation der Berliner Politik. In diesem auf Druck Rußlands zustande gekommenen Vertrag zwischen Preußen und Österreich mußte der Unionsplan begraben werden; statt dessen wurde der »Deutsche Bund« in der vom »Wiener Kongreß« festgelegten Form wiedererrichtet; Österreich war nicht bereit, dessen Leitung mit Preußen zu teilen. RegentschaftEnde Oktober 1857 übernahm Prinz Wilhelm für seinen schwerkranken Bruder die Stellvertretung bzw. die Regentschaft in Preußen. Die Verachtung, die er für die Kamarilla Friedrich Wilhelms IV. empfand, sowie seine Kontakte zur »Wochenblattpartei« ließen den »Kartätschenprinz« von 1848/49 zur Hoffnung der preußischen Liberalen werden. Wilhelms Äußerungen beim Regierungsantritt verstärkten diese Erwartungen noch. Er verlangte, daß die Regierung den »Forderungen der Deutschen« Rechnung tragen müsse, und erklärte: »In Deutschland muß Preußen moralische Eroberungen machen durch eine weise Gesetzgebung bei sich, durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie der Zollverband es ist. Die Welt muß wissen, daß Preußen überall das Recht zu schützen bereit ist!«
Es gab zunächst tatsächlich einige verheißungsvolle Ansätze zu inneren Reformen, die aber bald von dem sich abzeichnenden Konflikt um die Heeresreform überlagert wurden. Die Auflösung der staatlichen Polizeidirektionen in einigen Städten, eine Verbesserung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie die Aufhebung der Grundsteuerfreiheit der Rittergüter waren Veränderungen im Sinne des Liberalismus. Der Entwurf einer neuen Kreisordnung und einer veränderten Polizeiverwaltung auf dem Lande hingegen, wodurch die Obrigkeitsrechte der Gutsherren eingeschränkt worden wären, blieb unerledigt. Die erste außenpolitische Bewährungsprobe für die Regierung der neuen Ära brachte der italienische »Einigungs-Krieg« von 1859, in dem Piemont-Sardinien und Frankreich als Verbündete in Oberitalien gegen die Habsburgermonarchie auftraten. Für Preußen stellte sich die Frage, wie es sich in diesem Konflikt verhalten sollte. Wilhelm strebte in der deutschen Politik nach dem ersten Rang und hatte die »Schmach von Olmütz« nicht vergessen. Auf der anderen Seite hielt der Regent das österreichische Beistandsverlangen im Rahmen des »Deutschen Bundes« für durchaus berechtigt und übersah die Bedrohung nicht, die von der Forderung Napoleons III. nach »natürlichen Grenzen« ausging. Ähnlich wie wenige Jahre vorher im Krimkrieg schwankte die preußische Politik; schließlich war sie zur Hilfe für Österreich bereit, jedoch unter der Voraussetzung, daß Kaiser Franz Joseph die Gleichstellung am Bundestag gewährte und Preußen den Oberbefehl über die Bundeskontingente am Rhein überließ, was Berlins Prestige gestärkt hätte. Der Chef des Generalstabes, Moltke, forderte ein Eingreifen gegen Frankreich, um keine neue französische Hegemonie aufkommen zu lassen. Damit befand er sich im Einklang mit dem größten Teil der öffentlichen Meinung, der davon überzeugt war, das linke Rheinufer werde in der Po-Ebene verteidigt, und daher gegen Frankreich Partei nahm.
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