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1918 - 1933
Sicherung des Staatsgebietes
Die erste Aufgabe der neuen Machthaber
nach dem Regierungswechsel bestand in der Sicherung des Staatsgebietes, in
innerer wie äußerer Hinsicht. Mit revolutionären Experimenten war
niemandem gedient. Demgemäß wurden alle Behörden Preußens am 12./13.
November 1918 und fernerhin angewiesen, ihre Arbeit »im dringenden
Interesse des Vaterlandes unter Anspannung aller Kräfte
weiterzuführen«, wenngleich unter Aufsicht der sogenannten Arbeiter- und
Soldaten-Räte, die Verwaltung und Bevölkerung terrorisierten.
Das republikanische Preußen des
Kabinetts Hirsch sah sich in den Ostprovinzen territorialen Problemen
gegenüber. Auf dem Gebiet der äußeren Sicherung der preußischen
Grenzen, die nach Osten hin zugleich Reichsgrenzen waren, ergaben sich die
dringlichsten Fragen. Sie waren besonders in Polen seit längerem
erkennbar; aber die neue Landesregierung versäumte das Wichtigste, was in
dieser Lage zu tun war: den sofortigen Schutz der Ostgrenzen und
gefährdeter Provinzteile. Es hätte sogleich scharfer und deutlicher
Anweisungen an das V. Armeekorps in Posen und an das II. Armeekorps in
Stettin bedurft. Als begrenzt handlungsfähig erwiesen sich jedoch nur das
Preußische Kriegsministerium und die Oberste Heeresleitung (Kassel-Wilhelmshöhe);
beide Stäbe waren jedoch mit der Rückführung der Armeen von der
Westfront und der Überwindung der revolutionären Exzesse beschäftigt. Es
hätte sogleich scharfer und deutlicher Anweisungen an das V. Armeekorps in
Posen und an das II. Armeekorps in Stettin bedurft. Als begrenzt
handlungsfähig erwiesen sich jedoch nur das Preußische Kriegsministerium
und die Oberste Heeresleitung (Kassel-Wilhelmshöhe);
beide Stäbe waren jedoch mit der Rückführung der Armeen von der
Westfront und der Überwindung der revolutionären Exzesse beschäftigt.
Ignazy Paderewski
Führer des Posener Aufstands |
Als verhältnismäßig spät, am 31.
Dezember 1918, ein seit dem Frühherbst vorbereiteter Aufstand der
polnischen Bevölkerungsteile in der Provinz Posen zustande kam, war das
preußische Militär zersplittert, durch eine unentschlossene
Befehlsgebung gelähmt und allenthalben behindert durch das Rätesystem,
dem sich bereits zahlreiche preußische Staatsangehörige polnischer
Nationalität festgesetzt hatten. Daß die »Festung« Posen besonders
gefährdet sein würde, war unschwer vorauszusehen. |
Das Stellvertretende
Generalkommando des V. Armeekorps in Posen (General d. Inf. von Bock und Polach sowie der ängstliche Stabschef Generalleutnant von
Schimmelpfennig), der Oberpräsident von Eisenhart-Rothe und der
Regierungspräsident Kirschstein erwiesen sich in ihrer bürokratischen
Hilflosigkeit als würdige Nachfolger der Festungskommandanten und
Behörden vom Herbst 1806. Sie und der von Berlin nach Posen ausgesandte
neopreußische Unterstaatssekretär Helmut von Gerlach ließen sich
täuschen und erkannten nicht die getarnten Vorbereitungen für den weder
durch Waffenstillstandsbestimmungen noch durch andere Rechtsnormen
gedeckten Aufstand auf preußischem Staatsgebiet.
Versagen der Heeresführung
Die Heeresleitung in Kassel hatte
ebenfalls aus dem 9./10. November 1918 nichts gelernt und behandelte
Posen-Westpreußen routinemäßig-ungeschickt. Den Posener Majorssohn
Hindenburg trifft eine erhebliche Mitschuld an dem Umfang des preußischen
Gebietsverlustes im Osten. Wenn der preußische Kriegsminister
Generalleutnant Scheüch rascher auf diesem Sektor gearbeitet hätte,
wäre die Entwicklung anders verlaufen. Anfang Dezember hätte bereits die
Befehlsgliederung für den Ostraum herausgehen können. Lediglich zur
Bildung des »Heimatschutzes-Ost« wurde vom Kriegsministerium (15.
November) und durch Hindenburg (24. November) aufgerufen. Es fehlte den
preußischen Generälen in dieser Lage die Einsicht in die
Unzulänglichkeiten der Posener Kommando- und Personal-Verhältnisse. Als
die Kommando-Verhältnisse schließlich und zu spät neu geordnet wurden
(7./ 12. Januar 1919), befanden sich große Teile von Posen und der
südliche Teil von Westpreußen in den Händen Aufständischer
(»Großpolnischer Aufstand«). Die ersten drei Dezemberwochen waren
verschlafen worden.
Vom preußischen Ministerpräsidenten
Paul Hirsch konnte auf diesem Gebiet nichts erwartet werden. Er war, bei
einem Besuch in Posen am 15. Dezember, gewarnt worden und hat gleichwohl
nichts unternehmen wollen. »Ruhe« war für ihn die erste
Bürgerpflicht. Er galt als befähigter Kommunalpolitiker, der nun
in dieser kritischen Lage auf den Stuhl Friedrichs des Großen gerutscht
war; »den Erfordernissen der Aufgaben, genügte er in keiner Weise; er
war unentschlossen und leicht zu beeinflussen und neigte zur Resignation.
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Paul Hirsch
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Wie 1848 fand die
Preußen-Regierung nicht zu dem Entschluß, wenigstens den
sicherheitspolitischen Teil der Regierungsgeschäfte von Berlin nach
Potsdam oder an einen anderen geschützten Ort zu verlegen. So nahm das
Schicksal in Posen-Westpreußen seinen Lauf. Entscheidend für den
weiteren Prozeß blieb aber der unleugbare Tatbestand, daß alle
wirklichen deutschen Abwehrversuche scheiterten, weil es dem
Armee-Oberkommando überhaupt an einer politischen Direktive fehlte. Die
Staatsregierung, hier dem Reich gegenüber primär verantwortlich,
verfügte über kein Zukunftsprogramm für die Provinz Posen und wagte
keine entscheidenden Schritte. Mit dem Versailler Vertrag (28. Juni 1919)
gingen auch jene Gebiete Westpreußens und Posens ohne Abstimmung an Polen
über, die von Grenzschutztruppen gesichert waren. Die deutschen Truppen
mußten am 10. Januar 1920, dem Tag des Inkrafttretens des Versailler
Vertrages, die Restgebiete räumen.
In Ostpreußen, das nicht minder
gefährdet war, ist dagegen die Lage, vorrangig im Auftrag der
Reichsregierung, im wesentlichen durch den Reichs- und Staatskommissar
August Winnig (MSPD: Mehrheitssozialdemokrat) in Verbindung mit dem
Armee-Oberkommando Nord (Bartenstein/Königsberg) stabilisiert worden. Als
Winnig in Königsberg eintraf (25. Januar 1919), betrat er als
Einzelperson eine verwahrloste, unter dem »Terror der Matrosen«
leidende Königskrönungsstadt.
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Seekt
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Er leitete vom Oberpräsidium aus die
Sicherungsmaßnahmen für Ost- und Westpreußen. Die Situation erinnerte
an die ersten Wochen von 1807. Keine Nahrung, keine Waffen, hilflose
Behörden und eine unruhige, verzweifelte Bevölkerung, die die
Russeneinfälle von 1914 noch frisch im Gedächtnis hatte. Die Generäle
von Quast, Hans von Seeckt und Ludwig von Estorff sowie Winnig bereiteten
den Schlag, für den nur achthundert Mann (unter anderen Freikorps Gerth)
bereitstanden, sorgfältig vor, da in der Provinzialhauptstadt
tausendfünfhundert Matrosen und andere Widerstand leisteten, umgeben von
vierundsiebzigtausend heimgekehrten, tatenlos herumlungernden Soldaten
sowie sechzehntausend Erwerbslosen. Nur Eugen Ernst, seit dem 5. Januar
als neuer Berliner Polizeipräsident mitverantwortlich, und Otto Braun
scheinen das Drama in Königsberg mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt
zu haben. Am 3. März 1919 wurde die Anarchie der Matrosen-Räte, die
Kurierverbindungen zur Roten Armee in Kurland unterhielten, in Königsberg
beseitigt der Anfang von relativer Ruhe und Ordnung in der nun mehr und
mehr auf sich gestellten und ständig gefährdeten Provinz. Denn an
Preußens Ostgrenze herrschten wieder Zustände wie vor 1772.
Bevor Winnig abtreten mußte, hat er
noch 1919 den Innenminister Heine veranlaßt, in Preußen Einwohnerwehren
einzurichten (bis 1921). Außerden wurde aus Resttruppen in Ostpreußen
eine starke Sicherheitspolizei aufgebaut (einundzwanzigtausend Mann), die
Landesschutzaufgaben erfüllte. Die regulären Truppen des
Grenzschutzkommandos Ost (Kolberg-Königsberg) unterstanden bereits der
Aufsicht des Reichswehrministers.
Reichswehrparade Unter den Linden
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Der letzte preußische Kriegsminister,
Walther Reinhardt, der kurz vor der Annahme des Versailler Vertrages noch
mit anderen Generälen die Gründung eines aus den preußischen
Ostprovinzen bestehenden freien Preußen erwogen hatte, wurde am 1.
Oktober 1919 von Ebert zum ersten Chef der Heeresleitung der neuen
Reichswehr ernannt, mit Seeckt als Stellvertreter (Chef des Truppenamtes).
Damit endete die preußische Militärgeschichte im Reichsverbande. Die
Lage in Ostpreußen und in den übrigen östlichen Grenzgebieten wurde
fortan vom Reichswehrministerium und vom preußischen Innenministerium
gesteuert.
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Verschärfend wirkte es sich aus, daß
von Norden her, aus Kurland-Lettland und dem neuen Litauen, der Einmarsch
der dort operierenden Roten Armee zu drohen schien. Weißgardisten,
polnische Legionäre und deutsche Resttruppen (von der Goltz) schlugen
sich dort mit Roten Reiterarmeen. Das Memelgebiet (vor allem Kreise Memel
und Heydekrug), 1919 auf Betreiben großlitauischer Agitatoren einer
alliierten Sonderverwaltung unterstellt, geriet ins Abseits; Anfang 1923
annektierte Litauen dann das Memelland.
Volksabstimmung
Im Süden der Provinz war der
Regierungsbezirk Allenstein, der größere Teile des alten
Ermlandes umschloß, per Friedensvertrag groteskerweise zum
Abstimmungsgebiet erklärt worden. Eine interalliierte Kommission
(Franzosen, Engländer, Italiener und Japaner) übernahm die Regierung in
Allenstein; auf deutscher Seite war Freiherr von Gayl, der spätere
Reichsinnenminister, mit geschickter Hand tätig. Alle preußischen
Provinzen halfen. Im Mai 1919 ließ Otto Braun, damals noch
Landwirtschaftsminister, in Goldap überraschend verlauten, daß die
Staatsregierung erwäge, die Gebiete von Allenstein und Oletzko ohne
Abstimmung abzutreten, als Tauschmaterial für andere Gebiete. Der
Hintergrund dieses Vorganges ist ungeklärt. Trotz einiger
Wankelmütigkeiten bei den Sozialisten entschied sich die ohnehin ganz
überwiegend deutsche Bevölkerung des Allensteiner Gebietes in aller
Eindeutigkeit mit 97,8 Prozent der Stimmen für das Reich und Preußen
(11.Juli 1920). Lediglich das ohne Abstimmung an Polen zwangsweise
abgetretene Soldauer Gebiet (mit 75 Prozent pro-deutschen Wählern) blieb
Spannungsgebiet. Hier waren im Juli/August 1920, gleichsam als Racheakt
für die Abstimmungsniederlage, sechstausendeinhundert Menschen zum Teil
ausgeplündert und dann verjagt worden — die erste größere
Massenaustreibung zwischen den Kriegen. Zwei Drittel der Flüchtlinge
kehrten einige Zeit später zurück, nachdem die Reichsregierung in
Warschau interveniert hatte.
In Schlesien war es im August
1919 in den Kreisen Pleß und Rybnik (Süd-Oberschlesien) zu einem
Aufstand gekommen; Freikorps unterdrückten ihn. Bei der Abstimmung in
Oberschlesien (20. März 1921) votierten 59,6 Prozent für Deutschland,
40,4 Prozent für Polen. Eine polnische Insurgentenarmee (Korfanty)
besetzte Teile des Landes, von Frankreich unterstützt. Der Vormarsch der
Polen wurde vom »Selbstschutz Oberschlesien« am St. Annaberg in
erbitterten Kämpfen aufgehalten (21. Mai 1921). Erst im Oktober einigte
sich dann die Pariser Botschafter-Konferenz der Entente über die
Aufteilung des Abstimmungsgebietes, in dem sich nach den
Bevölkerungszahlen viele Polnischsprachige für Deutschland ausgesprochen
haben müssen. Im Juli 1922 konnte die preußische Verwaltung im
Restgebiet ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.
Großberlin
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In einer erneuten Abstimmung
über die Zukunft Deutsch-Oberschlesiens haben sich dann über neunzig
Prozent für die neu eingerichtete preußische Provinz Oberschlesien
(Oppeln), die Minderheit für ein reichsfreies Gebiet ausgesprochen. Teile
der oberschlesischen SPD und vor allem des Zentrums votierten gegen
Preußen; lediglich die Deutschnationalen nahmen eine eindeutige Position
zu Gunsten des Gesamtstaates Preußen ein.
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Preußen und das Reich
Die Beziehung zum Reich zu einer
wesentlichen Schicksalsfrage des republikanischen Preußens geworden. Im
Zickzack-Kurs der Preußenregierungen wird der Druck ablesbar, dem der
Staat ausgesetzt war. Weder konnte die Politik der »Bastion Preußen«
für weite Bevölkerungsteile überzeugend durchgehalten werden, noch war
es möglich, sich auf die Dauer allein als »Rückhalt des Reiches« zu
etablieren. Die reichshauptstädtische Politik bietet hierfür die Belege.
Der Zickzack-Kurs Otto Brauns, bravourös bis zum Scheitern, ist jedoch
nicht immer und überall durch Außenfaktoren erzwungen worden. Unter der
vorgegebenen Verfassungskonstruktion, an der die Mittel- und Kleinstaaten
mit dem Blick auf das quantitative Übergewicht Preußens festzuhalten
wünschten, wäre der »Ausbau« Preußens ohne weitere Rücksicht auf das
Reich insgesamt die erfolgversprechendere Strategie gewesen.
Verwaltung
Nur kurze Zeit bestand in Preußen nach
dem Regierungswechsel die Neigung, auf eine eigene Verfassung überhaupt
zu verzichten und eine Art von Reichsland-Status in der Reichsverfassung
zu verankern. Die Führer der das Reich stützenden Weimarer Parteien
besannen sich bald auf die sicherheitspolitische Bedeutung Preußens. Auch
deshalb blieb es der größte Staat im Reich. Bereits am 20. März 1919
wurde ein Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt erlassen
(provisorische Verfassung). Die neue Verfassung (30. November 1920,
mit Änderungen vom 7. April 1921 und 27. Oktober 1924) sah einen Landtag vor, der aus vierhundertfünfzig Abgeordneten (je ein Abgeordneter auf
vierzigtausend Stimmen) bestehen sollte. Daneben war ein Staatsrat, eine
Provinzenvertretung, analog zum Reichsrat, eingerichtet worden. Seine
neunundsiebzig Mitglieder wurden von den Provinziallandtagen und
Kommunallandtagen der (ständischen) Provinzialverbände etc. gewählt (je
ein Abgeordneter auf fünfhunderttausend Einwohner, mindestens drei aus
jeder Provinz). Die Zustimmung des Staatsrats war erforderlich, wenn der
Landtag über höhere Ausgaben beschließen sollte, als sie von der
Staatsregierung genehmigt worden waren. Außerdem besaß er ein
Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung, das durch den Landtag nur mit
zwei Dritteln seiner Stimmen aufgehoben werden konnte, es sei denn, ein
Volksentscheid läge vor. An diesen Hauptlinien zeigt sich, daß der
Staatsrat - dessen Präsident bis zum Ende der Republik der Kölner
Oberbürgermeister Konrad Adenauer gewesen ist - der Regierung
Schwierigkeiten bereiten konnte.
Otto Braun
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Zum Schaden Preußens ist das
persönliche und politische Verhältnis zwischen Adenauer und Braun, in
denen föderalistisches und zentralistisches Prinzip, rheinländische und
ostpreußische Mentalitäten aufeinanderstießen, nicht von
überparteilichen Einverständnissen, vielmehr von trivialer
parteipolitischer Rivalität geprägt gewesen, insbesondere nachdem
Adenauer Ende 1923 mit seinen Rheinstaatsplänen wesentlich auch an
Otto Braun gescheitert war.
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Konrad Adenauer
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Adenauer hatte in der Besetzungssituation von
Teilen des Rheinlandes und Westfalens durch französische
Sequester-Truppen (11. Januar 1923 und später) die Möglichkeit für eine
langsame Herauslösung mindestens der Rheinprovinz aus dem preußischen
Staatsverband erkannt; am 25. Oktober votierte er in Hagen gegenüber
Berliner Spitzenpolitikern für ein eigenes rheinisches »Rechtsgebilde«,
von Preußen getrennt, möglicherweise sogar vom Reich abgelöst.
Gebietsabtretungen
Infolge des Versailler Vertrages kam der
größte Teil von Westpreußen an Polen. Die östlich von der Weichsel
liegenden Restgebiete wurden als besonderer Regierungsbezirk Westpreußen
zur Provinz Ostpreußen gelegt (21. Juli 1922). Die westlichen Teile
wurden vorerst zusammen mit Restgebieten der Provinz Posen in der
»Grenzmark Posen-Westpreußen« zusammengefaßt. Sitz der Behörden wurde
Schneidemühl. Schlesien ist im Hinblick auf die Abstimmungen in die
Provinzen Nieder- und Oberschlesien zerlegt worden (14. Oktober 1919).
Berlins Herauslösung aus der Provinz Brandenburg kam zum Abschluß (27.
April 1920); die durch großzügige Eingemeindungen 1920 erweiterte
Reichshauptstadt bildete fortan ein selbständiges provinzähnliches
Verwaltungsgebiet. Der Kreis Pyrmont wurde der Provinz Hannover
angegliedert (1. April 1922), während etwas später der Rest von Waldeck
der Provinz Hessen-Nassau angegliedert wurde (1. April 1919); dies war der
letzte größere Gebietszuwachs, den Preußen in der Geschichte der
Erweiterung seines Staatsgebietes erreichte. Die territorialen Verluste
Preußens 1919/20 beliefen sich auf 56058 Quadratkilometer. Der Bestand am
1. November 1918 betrug 348 780 Quadratkilometer. Demnach hat Preußen
rund 16 Prozent seiner Fläche abgeben müssen.
In der Hauptsache handelte
es sich um das Memelgebiet, das Gebiet des späteren Freistaates Danzig,
die überwiegenden Teile von Posen und Westpreußen sowie kleinere Teile
von Pommern und Ostpreußen (an Polen), das oberschlesische Hultschiner
Ländchen (an die Tschechoslowakei), Nordschleswig mit den Inseln Alsen
und Röm/Romö (an Dänemark) und Eupen und Malmedy (an Belgien).
Außerdem wurde von der Rheinprovinz ein Teil des Saargebietes abgetrennt
und nach 1935 nicht wieder eingegliedert.
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Neue Gliederung
Das republikanische Preußen bestand aus
zwölf Provinzen, der kommunalen Gebietskörperschaft Berlin und dem
Regierungsbezirk Sigmaringen (»Hohenzollernsche Lande«), der dem
Oberpräsidenten der Rheinprovinz unterstand. Die Bevölkerungszunahme
betrug zwischen 1925 und 1939 fast 10 Prozent, obwohl durch die
politischen und rassischen Verfolgungen seit 1933 ein irregulärer
Bevölkerungsverlust entstanden ist. Die mittleren und östlichen
Provinzen, mit Ausnahme Berlins, erbrachten bis 1945 einen höheren
Bevölkerungsüberschuß, der überwiegend den übrigen Provinzen,
insbesondere den Industrie-Landschaften, zugute gekommen ist. Die
Provinzen waren in vierunddreißig Regierungsbezirke unterteilt, nämlich
in Ostpreußen Königsberg, Gumbinnen, Allenstein,
Westpreußen-Marienwerder; in Brandenburg Potsdam und Frankfurt/O.; in
Pommern Stettin, Köslin und Stralsund; in der Grenzmark Schneidemühl; in
Niederschlesien Breslau und Liegnitz; in Oberschlesien Oppeln; in der
Provinz Sachsen Magdeburg, Merseburg und Erfurt; in Schleswig-Holstein
Schleswig; in Hannover Hildesheim, Hannover, Lüneburg, Stade, Osnabrück
und Aurich; in Westfalen Münster, Minden und Arnsberg; in Hessen-Nassau
Kassel und Wiesbaden; in der Rheinprovinz Koblenz, Düsseldorf, Köln,
Trier und Aachen. Diese Regierungsbezirke waren 1928 in 119 Stadtkreise
und 416 Landkreise untergliedert.
Ein Oberpräsident stand jeweils an der
Spitze der Provinzialverwaltung. Er wurde vom Staatsministerium ernannt
und unterstand dem Innenminister. Ihm war zugeordnet der Provinzialrat. Er
setzte sieh aus dem Oberpräsidenten, einem vom Innenminister ernannten
Beamten und fünf vom Provinzialausschuß auf sechs Jahre gewählten
Personen zusammen. Die provinziale Selbstverwaltung: (»Stände« -
»Landschaften«), wie sie in der Bismarckzeit eingeführt worden war,
bestand jeweils in einem auf vier Jahre gewählten Provinziallandtag (als
Beschlußorgan), daneben, als eigentlichem ausführenden Arbeitsgremium, in
dem Provinzialausschuß, mit dem auf Lebenszeit gewählten Landeshauptmann
oder Landesdirektor an der Spitze.
Winterfeldt-Menkin |
Die provinziale Selbstverwaltung hat
auch im 20. Jahrhundert in allen preußischen Provinzen vorzügliche
Leistungen aufzuweisen (Verkehrswesen, Elektrifizierung, Sozialfürsorge,
Denkmalspflege, Inventarisationen der Baudenkmäler und anderes mehr) -
Stellvertretend für die hervorragenden Landesdirektoren dieser Zeit sei
Joachim von Winterfeldt/Menkin genannt, der vom 1911 bis 1930 das Amt des
Landesdirektors für die Provinz Brandenburg wahrgenommen hat. An der Spitze der oben genannten
Regierungsbezirke stand ein ebenfalls von der Staatsregierung bestimmter
Regierungspräsident. Dieser hatte einen beschlußfassenden Bezirksausschuß an der
Seite, der sich - ähnlich wie der Provinzialrat - aus dem
Regierungspräsidenten selbst, zwei vom Staatsministerium auf Lebenszeit
ernannten Personen sowie vier vom Provinzialausschuß auf sechs Jahre
Gewählten zusammensetzte.
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Dem Regierungspräsidenten unterstand ein
Behördenapparat, der in der Regel weit stärker ausgebaut war als bei den aufsichtführenden Oberpräsidenten. Schließlich sind, auf der unteren
Ebene der Staatsverwaltung, in den Landkreisen die vom Staatsministerium
ernannten Landräte zu erwähnen, die »vor Ort« Preußen im Guten wie im
Bösen zu repräsentieren hatten. Neben den Landräten standen
Kreisausschüsse, bestehend aus dem Landrat und sechs vom Kreistag
gewählten Eingesessenen; der Kreistag, auf vier Jahre gewählt, reichte
als parlamentarisches Organ der Kreisselbstverwaltung seine Beschlüsse an
den Kreisausschuß weiter. Die Ausführung oblag im Landratsamt dem
Landrat, seinem Stellvertreter und vor allem dem Kreissekretär.
Außerhalb der Landkreise standen sonst lediglich die kreisfreien Städte
(ab fünfundzwanzigtausend Einwohner), von mittelbaren Staatsbeamten
geleitet. Organe waren der von der Stadtverordnetenversammlung oder
vergleichbaren Vertretungskörperschaften auf unterschiedliche Zeit
gewählte Oberbürgermeister oder Bürgermeister, der Stadtausschuß
(Bürgermeister und vier vom Magistrat gewählte besoldete Stadträte)
sowie die Stadtverordnetenversammlung, vor 1918 auf ein Zensus-Wahlrecht
gegründet, danach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht angeglichen.
Die Gutsbezirke wurden 1927 abgeschafft.
Auf die sozialdemokratischen Landagitatoren hatten sie immer wie
feudalautokratische Reservate gewirkt; die Bezeichnung verleitete zu
Fehlinterpretationen. Tatsächlich waren sie ein Ergebnis der Regulierung
der bäuerlichen Rechtsverhältnisse in der Reformzeit. Abgetrennte
Gemeindeteile, nach innen auf geschlossenem Hofbesitz beruhend, nach
außen mit allen Rechten und Pflichten der Gemeinde behaftet, waren der
Aufsicht der Behörden unterworfen worden; ein Teil war erst nach 1815
durch einen Staatshoheitsakt entstanden (Forsten, Domänen und anderes).
Im präfigurierten Blickwinkel von Otto Braun und seinen Mitarbeitern war
die Abschaffung ein Stück Klassenkampf gegen die »feudaljunkerliche
Reaktion« mit ihren patriarchalischen Strukturen; in Wirklichkeit hat es
sich um eine wegen des Straßenlastenausgleichs zwar überfällige, aber
doppelbödige Aktion mit starken politischen Reiz-Momenten gehandelt.
Wirtschaft und Bevölkerung
Die wirtschaftlichen Interessen des
Staates waren weitgehend im Ministerium für Handel und Gewerbe
zusammengefaßt. Es ist nach dem Innenministerium das zweitstärkste
Staatsministerium gewesen und hat binnen- wie außenwirtschaftlich
erheblich über die preußischen Grenzen und Staatskompetenzen hinaus
wirken können.
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AEG-Kabelwerk
Berlin-Oberschöneweide
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Die preußische Staats-Industrie
verfügte über Bergwerke und Salinen, deren Betrieb zum Teil bis in das
Mittelalter zurückreichte (so Bernsteinwerke in Palmnicken/Samland;
Kalkbergwerke Rüdersdorf/Mark; Erzgruben im Harz). Die Verwaltung dieser
und anderer Werke oblag bis 1923 der 3. Abteilung für das Berg-, Hütten-
und Salinenwesen im Ministerium. Danach übernahm die am 13. Dezember 1923
gegründete »Preußische Bergwerks- und Hütten AG« (»Preußag«) die
»Verwaltung und Ausbeutung« der Staatsbetriebe, mit einer nominalen
Kapitalausstattung von hundert Millionen Reichsmark (1928); die Aktien
blieben im Besitz des preußischen Staates. Sie sind nach 1945 per
Rechtsnachfolge auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Zwischen
1923 und 1945 war der Konzern beteiligt an den Kali-, Stein- und
Braunkohlesyndikaten der späteren Weimarer Zeit; er betrieb Blei- und
Erzbergwerke sowie Blei- und Silberhütten am Nordwestharz (Goslar —
Oker), Kaliwerke in Staßfurt und Bleicherode (Provinz Sachsen), Salmen in
Artern, Bad Dürrenberg und Schönebeck/Elbe (Provinz Sachsen), dazu die
Bernsteingewinnung (1938: 397.362 Kilogramm), ferner
Wasserversorgungsanlagen und Erdölgewinnung im norddeutschen Raum. Die
Ausgliederung der Verwaltung der Staatsbetriebe aus dem Ministerium, das
1921 bis 1925 unter der Leitung von Wilhelm Siering (SPD) stand, hat sich
als eine weitsichtige und erfolgsträchtige Maßnahme erwiesen.
1927 hat der Staat in einer bedeutsamen
Entscheidung eine Einheitsgesellschaft geschaffen: »Preußische
Elektrizitäts-Aktiengesellschaft« (Preußenelektra, Grundkapital:
achtzig Millionen Reichsmark). Allein von 1927 bis 1929 stieg die
Strommengenerzeugung des zweiten Staats-Konzerns von zweihundertvierundachtzig
auf vierhundertvierundzwanzig Megawatt. Die Gesellschaft schuf in diesen
letzten »guten« Jahren Preußens ausgezeichnete Werksiedlungen und
Wohlfahrtseinrichtungen. »Preußag« und »Preußenelektra« wurden 1929
in einer Holding-Gesellschaft, zusammengefaßt, der » Vereinigten
Elektrizitäts- und Bergwerks-AG (»Veba«), von der aus die Finanzpolitik
der staatswirtschaftlichen Unternehmungen gesteuert worden ist.
Landwirtschaft und Agrarpolitik
In der Landwirtschaft und
Forstwirtschaft waren um 1925 rund neunundzwanzigeinhalb Prozent der
Erwerbstätigen Preußens beschäftigt (Industrie und Handwerk: 40,9
Prozent; Handel und Verkehr: 17,1 Prozent). In der Grenzmark (60,9
Prozent), in Ostpreußen (55,6 Prozent) und in Pommern erwies sich der
Anteil der in der Landwirtschaft Arbeitenden bekanntermaßen als besonders
hoch, während er in der Rheinprovinz und in Westfalen nur bei etwa
neunzehn Prozent lag. Dementsprechend scharf waren die agrarpolitischen
Grundsatzdiskussionen in den Ost- und Mittelprovinzen ausgeprägt. Eine
Art von Agrarreform, wie sie Braun als Landwirtschaftsminister vorschnell
1919/20 durchzusetzen versuchte, scheiterte im wesentlichen an der
unzulänglichen Gesetzgebung des Reiches.
Hinter den Ergebnissen der
Landwirtschaftspolitik Brauns, zu der naturgemäß andere
destabilisierende Faktoren traten, stand nicht zuletzt als Agens die
»Junkerfrage«, gleichsam der empfindlichste klassenkämpferische Nerv
der alten Sozialdemokratie. Die volkswirtschaftliche Gesamtbedeutung der
gesamten Landwirtschaft in den preußischen Ost- und Mittelprovinzen ist
trotz aller Schwierigkeiten und Strukturbereinigungen außerordentlich
hoch geblieben. Seit 1919 wurden immer noch etwa zweiundsiebzig Prozent
des Kartoffelbedarfs und sechzig Prozent des Getreidebedarfs im Reich vom
ostdeutschen Großgrundbesitz gedeckt. Dazu kamen ein entwickeltes
Genossenschaftswesen und Einrichtungen der Beratung und Kreditversorgung.
Nachdem die Bauern und Gutsbesitzer 1945/46 getötet oder verjagt, die
Wirtschaftseinheiten zerschlagen und die Organisationen beseitigt worden
sind, besteht in den ehemaligen preußischen Ostprovinzen eine
Unterversorgung mit Nahrungsmitteln, so daß sich das westliche Europa und
Nordamerika zur Alimentation aufgerufen sehen. Die Landwirtsfamilien, die
vor 1945 in den Ostprovinzen gewirtschaftet haben, tragen heute zum Teil
mit ihren neu errichteten Betrieben in der Bundesrepublik dazu bei, den
Mangel in den ehemaligen preußischen Kornkammern zu mildern.
Hohenzollern
Die Abdankung von König und Kronprinz
mit der Folge der Vakanz des Thrones traf die Bevölkerung unvorbereitet.
Es war, als hätte man mit der Liquidierung der Krone dem provinzial
aufgegliederten Einheitsstaat Preußen den Nerv gezogen, ein Band
zerschnitten, welches das Ganze immer noch zusammengehalten hatte. Ein
Teil der Bevölkerung, besonders in den ländlichen und kleinstädtischen
Orten, mit tieferen Bindungen an das Königshaus, mußte sich ausgesetzt
fühlen - in die Kälte des Parteienstaates, mit Straßenkämpfen und
verwahrlosenden Rechts- und Ehrbegriffen. In Potsdam und Berlin war dies
deutlich zu beobachten, und zwar in allen sozialen Schichten. Die
Potsdamer und Berliner Hofgesellschaft hat sich endgültig erst während
des zweiten Weltkrieges aufgelöst.
Kronprinz Wilhelm
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Kaiser und der Kronprinz (Rückkehr im
August 1923) lebten zwar im holländischen Exil, aber das Haus
Hohenzollern blieb in Potsdam weiterhin gegenwärtig; die Stadt (nicht die
Arbeiter-Vorstadt Nowawes-Babelsberg) blieb die offen-heimliche Hauptstadt
nicht nur des Königshauses, sondern auch Treffpunkt monarchistischer,
militärischer und nationalistischer Gruppen und Verbände, mit
zunehmender Stärke seit der Wahl Hindenburgs im April1925.Die
»Revolution« 1918/19 war in Potsdam rasch kanalisiert worden. Die
ehemalige Kaiserin Auguste Viktoria blieb mit Familie und Hofstaat im
Neuen Palais so gut wie unbehelligt und verließ erst am 27. November die
Stadt, als längst wieder eine Ruhe an der Oberfläche eingekehrt war.
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Die
Anwesenheit des Ex-Kaisers im Neuen Palais, in Rheinsberg oder auf einem
der schlesischen Schlösser hätte sich durchaus ermöglichen und sichern
lassen, wenn Kaiserhaus, Generalstab und die politischen Spitzen in Berlin
die Nerven behalten und aus dem Märzaufstand von 1848 etwas gelernt
hätten. Hof und Hof-Einrichtungen wurden in
stark verringertem Umfang aufrechterhalten. Kronprinzessin Cecilie vertrat
mit Geschick von Cecilienhof aus das Haus. Die Familien der Söhne
Wilhelms II. wohnten weiter im Umkreis der Residenz. Der Tod Auguste
Viktorias (Doorn 11. April 1921) und die fast triumphale Heimfahrt der
toten Kaiserin, die sich im Volk wohl stärkerer Sympathien als der Kaiser
erfreut hatte, durch das Reich nach Sanssouci bewegten große Teile der
Potsdamer Bevölkerung in einem Maße, wie es heute kaum vorstellbar ist.
Die Beisetzung im Antikentempel wurde wie eine unerwartete
Dank-Demonstration an das gescheiterte Herrscherhaus empfunden.
Zwischen neuem Staat und alter Dynastie
mußten nach dem Umsturz zahlreiche Rechtsfragen geklärt werden. Die
vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Haus und Staat zogen
sich bis 1926 hin. Der mit viel Lärm verbundene Volksentscheid über die
Expropriation der ehemaligen Fürstenhäuser scheiterte (Juni 1926). Eine
klare Scheidung von Haus- und Staatsbesitz war nicht möglich. Doch hat
das Königshaus auch auf Gebäude und Grundstücke verzichtet, deren
»private« Wurzel nicht umstritten war. Das Haus behielt, gleichsam als
Abschlußzahlung für eine vierhundertjährige Regierungsarbeit, neben
zahlreichen landwirtschaftlichen Betrieben mit rund
zweihundertfünfzigtausend Morgen land- und forstwirtschaftlicher
Nutzfläche östlich von Elbe und Saale und Grundstücken
vornehmlich in Berlin und Potsdam vor allem die Burg Hohenzollern, das
Palais Kaiser Wilhelms l. in Berlin, den dortigen Niederländischen
Palast, in Potsdam die Villa Liegnitz, das Schlößchen Lindstedt, sodann
die Burg Rheinstein, das Denkmal des Prinzen Louis Ferdinand bei Saalfeld,
die Herrschaften Rheinsberg und Schwedt, das Thronlehen Oels (1884) in
Schlesien sowie die Güter und ehemaligen Herrschaften Paretz (Havelland)
und Kamenz (Niederschlesien), ferner das Jagdschloß Rominten
(Ostpreußen), Schloß Hemmelmark bei Kiel und Schloß Reinhartshausen bei
Erbach. Außerdem wurde eine Abfindungssumme gezahlt.
Stadtschloß Berlin
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Der preußische Staat dagegen übernahm
in Berlin das Stadtschloß (Museum), Marstall, Schloß Monbijou, das
Kronprinzen- und das Prinzessinnen- Palais, das Ordenspalais am
Wilhelm-Platz, das Palais Prinz Albrecht, die Schlösser und Gärten von
Bellevue, Charlottenburg und Nieder-Schönhausen und das Jagdschloß
Grunewald. In Potsdam wurde übernommen das Stadtschloß mit Lustgarten
und Marstall, Schloß und Park von Sanssouci mit dem Neuen Palais, den
Schlössern Orangerie und Charlottenhof, dem Marmor-Palais mit dem Neuen
Garten, der Pfingstberg mit dem Belvedere, Schloß und Park Babelsberg,
die Pfaueninsel sowie die Kolonien Alexandrowka und Nikolskoe.
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Sodann
fielen dem Staat zu die Staats-, Königs- und Prinzenschlösser in
Königsberg, Marienburg, Oliva, Stettin, Oranienburg, Liegnitz, Breslau,
Quedlinburg, Merseburg, Kiel, Hannover, Celle, Osnabrück, Münster,
Kassel nebst Wilhelmshöhe, Wiesbaden, Homburg, Brühl, Engers, Koblenz,
Sooneck, Stoltenfels, dazu die Jagdschlösser Stern (bei Klein-Glienicke),
Königs Wusterhausen nnd Letzlingen, schließlich auch der
»Königsstuhl« bei Rhense und die »Klause« bei Kastel an der Saar.
Außerdem wurden dem Staat die Kroninsignien, Kunstgegenstände des Hauses
in den Berliner Museen sowie die Schackgalerie in München überlassen.
Die bislang Königlichen Theater in Berlin, Wiesbaden und Kassel hatte der
Staat weiterzuführen. Die Ausstattung, soweit sie zu diesem Zeitpunkt
noch in den Schlössern vorhanden war, verblieb dort; einige Gemälde von
Watteau, Chardin, Menzel, Krüger, die Skulptur der Königin Luise und
ihrer Schwester von Schadow sowie kunstgewerbliche Hinterlassenschaften
der Hohenzollern gingen an das Haus über. Das Schloß Homburg sowie
Cecilienhof wurden den Söhnen des Kaisers als Wohnstätte überlassen,
dazu der Antikentempel in Sanssouci als Grabstätte. Der Staat war
verpflichtet, das Charlottenburger Mausoleum und die Grabstätten an der
Friedenskirche in Potsdam zu erhalten. Das Königshaus seinerseits räumte
dem Staat das Vorkaufsrecht auf das Palais Kaiser Wilhelm I. in Berlin
ein; es stimmte der Auflage zu, die ihm verbliebenen Schlösser und
Gärten wie bisher der Allgemeinheit offenzuhalten und dort die
Grundsätze der Denkmalpflege zu beachten. Außerdem nahm der Staat die
Schloßbibliothek und das Hohenzollern-Museum (Schloß Monbijou) in seine
Obhut. Das Hausarchiv in Berlin-Charlottenburg (zerstört 1943) wurde
gemeinsamer Verwaltung überantwortet. Die Hohenzollern konnten mit diesem
Ergebnis, das Rechte und Pflichten einschloß, mehr als zufrieden sein.
Eine nüchterne, verfassungskonforme Hauspolitik hätte fairerweise die
Konsequenz sein müssen.
Bilanz in der Republik
Severing
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Die Regierungszeit Otto Brauns und Carl
Severings verdient es nicht, allein von ihrem wenig rühmlichen Ende her
betrachtet und gewertet zu werden. Aber ein dunkler Schatten fällt von
dort auf die zwanziger Jahre zurück. Doch darf nicht unterbewertet
werden, daß Sozialdemokratie und Zentrum trotz des verlorenen Krieges und
trotz der Unruhen von 1919/20 ein qualifiziertes, diszipliniertes und
weithin unbestechliches Beamtentum auf allen Verwaltungsebenen vorgefunden
und überwiegend weiter im Dienst behalten haben.
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Dazu hatten sie eine verläßliche,
befehlsgewohnte, teilweise sogar paramilitärisch ausgerichtete Schutz-
und Landespolizei und — was vielleicht das Wichtigste gewesen ist —
eine in der Mehrheit unverändert staatsvernünftige Bevölkerung, mit der
sich selbst in Ballungsgebieten regieren ließ. Das republikanische Preußen stand vor
Aufgaben, die in kurzen Zeiträumen nicht zu bewältigen waren und die
unverändert die politische und wirtschaftliche Geschlossenheit des
Staates erforderten, zumal bereits mit wachsenden radikalen Gruppen
gerungen werden mußte. Das Reich bedurfte des Rückhaltes bei mindestens
einem größeren Staat im Staate. Preußens Auflösung würde weit eher
das Reich schwächen, sein Prestige mindern und die innenpolitischen
Spannungen vermehren. Und exakt dies trat ein, als mit der »Sprengbombe«
des »Volksbegehrens für Preußen« der Rechtsparteien und mit Papens
»Preußenschlag« einer der wichtigsten Machtpfeiler niedergelegt wurde,
auf dem das Weimarer System überhaupt noch ruhte. Auch in der
Abstiegsphase seit 1928 hat die Staatsregierung in der Frage des »
Einheitsstaates« keine überzeugende, die »preußischen«
Grundbestimmungen beachtende Politik betrieben.
1928 war Innenminister Severing mit
einem »Ermächtigungsgesetz« zur Neuabgrenzung von kommunalen und
staatlichen Verwaltungsbezirken im Landtag gescheitert. Severing hatte
danach die Politik der kleinen Schritte eingeschlagen;
Eingemeindungsgesetze (Königsberg/Preußen, Breslau, Frankfurt am Main)
sowie Gesetze zur Beseitigung störender Grenz- und Verwaltungs-Anomalien
(Provinz Grenzmark-Posen-Westpreußen, Oberschlesien, Kommunalgrenzen im
rheinisch-westfälischen Industriegebiet) waren durchgesetzt worden. Die
»große Verwaltungsreform« jedoch, deren Auswirkungen das
innenpolitische Leben in Preußen 1928 bis 1932 belasteten, sollte nun zur
»Beseitigung zu vieler, kleiner und daher kostspieliger
Verwaltungsstellen« führen. Neben den Leistungen der Staatsregierung
standen in der Spätphase in ihrem politischen Kalkül schwer
verständliche Übereilungen, Ungeschicklichkeiten und Inkonsequenzen, die
die Wahlergebnisse teilweise beeinflußt haben dürften und die insofern
den Kollaps von 1932 mitverursacht haben. Braun jedenfalls konnte zu diesem
Zeitpunkt nicht zu Gunsten etwa eines Zentrumpolitikers zurücktreten, was
wegen seines Gesundheitszustandes angebracht gewesen wäre. Die
Nationalsozialisten nebst den mit ihnen verbundenen
Hugenberg-Deutschnationalen hätten sogleich in Preußen die Macht
ergriffen. So nahm ein politischer Prozeß mit allen Zeichen der Tragödie
seinen Lauf. Atemberaubend schnell ging es mit Preußen abwärts. Die
Bevölkerung, auch die ahnungslos radikal Wählenden, vertrauten in ihrer
Mehrheit Paul von Hindenburg. Unvorstellbar, daß dieser redlich wirkende
Kriegsmann die Phalanx der Gegner und Feinde Preußens
wissentlich-unwissentlich anführen, jedenfalls legitimieren könnte. Da
es wohl zutreffend ist, daß er grundsätzlich auch 1932 noch »Herr
seiner Entscheidungen« gewesen ist, wirkt es um so befremdlicher, daß er
eine gegen Preußens Eigenständigkeit gerichtete Aktion mit seiner
Unterschrift sanktionierte.
Das Ende Preußens
Die Unterstellung Preußens unter die
unmittelbare Reichsverwaltung, auch populär als Preußenschlag oder
»Staatsstreich« bezeichnet, war in erster Linie das Werk von drei
Randpreußen, des Agrarpolitikers und Reichsinnenministers Wilhelm
Freiherr von Gayl, aus einer rheinisch-kurländischen Familie, des
oberflächlichen Kanzlers Franz von Papen, eines westfälischen
Katholiken, und des Reichswehrministers Kurt von Schleicher, eines
ungewöhnlich intriganten 0ffizierssohnes, der außerhalb der
altpreußischen Tradition und des alten Grundbesitzes stand.
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Die Totengräber Preußens
Papen, Gayl,
Hindenburg und Schleicher |
Schleicher
wollte vor allem die preußische Polizei in die Befehlsgewalt der
Reichsregierung bringen; Gayl sah in der Entmachtung der
Preußen-Regierung einen ersten Schritt auf dem Wege zur von ihm geplanten
konservativen Reichsreform; bei Papen dürften wahltaktische Überlegungen
den Ausschlag gegeben haben. Sprecher der Nationalsozialisten und der
Deutschnationalen forderten geradezu eine Intervention in Preußen, als
Beweis »nationaler Zuverlässigkeit«.
Am 17. Juli wurde
der Berliner SPD-Führung bekannt, daß der Angriff auf Preußen
unmittelbar bevorstünde. Bereits am 18. Juli beschlossen die
Führungsgremien der SPD, keinen bewaffneten Widerstand zu leisten und
keinen Generalstreik auszurufen. Es wirkte wie eine Ermutigung für Papen.
Otto Braun wurde von den Mitarbeitern nicht aus dem Urlaub zurückgerufen,
als »sein« Staat auf dem Spiel stand. Severing, auf welche Art auch
immer wie gelähmt wirkend, ließ sich am Vormittag des 20 Juli 1932,
begleitet von den Ministern Hirtsiefer und Klepper, durch von Papen und
von Gayl in der Reichskanzlei die Notverordnung des Reichspräsidenten auf
Einsetzung des Reichskanzlers zum Reichskommissar für das Land Preußen
nebst Amtsentsetzung der Minister vortragen. Am Abend wurde ihm durch den
neuen Polizeipräsidenten Melcher und zwei Polizeioffiziere die
Amtsausübung im Innenministerium (Unter den Linden 72) verboten.
Preußen hatte kampflos kapituliert. Der
übermächtige Schatten Hindenburgs, der den von Max Weber erdachten
Verfassungsartikel 48 in Händen hielt, ließ die Regierung vorzeitig
resignieren. Braun, Severing, die anderen Minister, der Berliner
Polizeipräsident Albert Grzesinski und der Kommandeur der Schutzpolizei
trennten sich von ihren Ämtern, als wäre eine staatliche Konkursmasse zu
verwalten gewesen. Kein Kampfeswille für eine preußisch-republikanische
Staatsidee. Keine vitale Zuversicht, kein Preußen-Programm, auf das man
sich hätte berufen können, nur ein schlecht geordneter Rückzug.
Nichts mehr vom Geist und Kampfesmut eines Friedrich Ebert, eines Gustav
Noske oder August Winnig, die Staatsinteressen über Parteiinteressen
gestellt hatten. Gleiches gilt für sämtliche Führer des Zentrums in
Preußen und im Reich. In dieser Situation den Freistaat Preußen dem
politischen Hasardeur und Ignoranten Papen und den ebenfalls ohne
parlamentarische Mehrheit regierenden Hindenburg-Konservativen
auszuliefern, bedeutete für die Preußen-SPD und ihre beiden
Koalitionspartner den politischen Selbstmord.
Preußen mußte nicht
zuletzt deshalb gehalten werden, um weitere Vorstöße der
Nationalsozialisten abwehren zu können. Der ziemlich lautlose
Zusammenbruch der Staatsregierung erinnerte fatal an den Abgang Wilhelms
II. In Preußen regierte der
Reichskommissar, der seit dem 30. Januar 1933 Hitler hieß. Über ihn
schrieb der Historiker Hintze damals einem Kollegen: »Dieser Mensch
gehört ja eigentlich gar nicht zu unserer Rasse. Da ist etwas ganz
fremdes an ihm, etwas wie eine sonst ausgestorbene Urrasse, die völlig
amoralisch noch geartet ist.«
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Hitler
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