Preussen
1701 - 1947

 

 

 

1918 - 1933

Sicherung des Staatsgebietes

Die erste Aufgabe der neuen Machthaber nach dem Regierungswechsel bestand in der Sicherung des Staatsgebietes, in innerer wie äußerer Hinsicht. Mit revolutionären Experimenten war niemandem gedient. Demgemäß wurden alle Behörden Preußens am 12./13. November 1918 und fernerhin angewiesen, ihre Arbeit »im dringenden Interesse des Vaterlandes unter Anspannung aller Kräfte weiterzuführen«, wenngleich unter Aufsicht der sogenannten Arbeiter- und Soldaten-Räte, die Verwaltung und Bevölkerung terrorisierten.

Das republikanische Preußen des Kabinetts Hirsch sah sich in den Ostprovinzen territorialen Problemen gegenüber. Auf dem Gebiet der äußeren Sicherung der preußischen Grenzen, die nach Osten hin zugleich Reichsgrenzen waren, ergaben sich die dringlichsten Fragen. Sie waren besonders in Polen seit längerem erkennbar; aber die neue Landesregierung versäumte das Wichtigste, was in dieser Lage zu tun war: den sofortigen Schutz der Ostgrenzen und gefährdeter Provinzteile. Es hätte sogleich scharfer und deutlicher Anweisungen an das V. Armeekorps in Posen und an das II. Armeekorps in Stettin bedurft. Als begrenzt handlungsfähig erwiesen sich jedoch nur das Preußische Kriegsministerium und die Oberste Heeresleitung (Kassel-Wilhelmshöhe); beide Stäbe waren jedoch mit der Rückführung der Armeen von der Westfront und der Überwindung der revolutionären Exzesse beschäftigt. Es hätte sogleich scharfer und deutlicher Anweisungen an das V. Armeekorps in Posen und an das II. Armeekorps in Stettin bedurft. Als begrenzt handlungsfähig erwiesen sich jedoch nur das Preußische Kriegsministerium und die Oberste Heeresleitung (Kassel-Wilhelmshöhe); beide Stäbe waren jedoch mit der Rückführung der Armeen von der Westfront und der Überwindung der revolutionären Exzesse beschäftigt.
 


Ignazy Paderewski
Führer des Posener Aufstands

Als verhältnismäßig spät, am 31. Dezember 1918, ein seit dem Frühherbst vorbereiteter Aufstand der polnischen Bevölkerungsteile in der Provinz Posen zustande kam, war das preußische Militär zersplittert, durch eine unentschlossene Befehlsgebung gelähmt und allenthalben behindert durch das Rätesystem, dem sich bereits zahlreiche preußische Staatsangehörige polnischer Nationalität festgesetzt hatten. Daß die »Festung« Posen besonders gefährdet sein würde, war unschwer vorauszusehen.

 Das Stellvertretende Generalkommando des V. Armeekorps in Posen (General d. Inf. von Bock und Polach sowie der ängstliche Stabschef Generalleutnant von Schimmelpfennig), der Oberpräsident von Eisenhart-Rothe und der Regierungspräsident Kirschstein erwiesen sich in ihrer bürokratischen Hilflosigkeit als würdige Nachfolger der Festungskommandanten und Behörden vom Herbst 1806. Sie und der von Berlin nach Posen ausgesandte neopreußische Unterstaatssekretär Helmut von Gerlach ließen sich täuschen und erkannten nicht die getarnten Vorbereitungen für den weder durch Waffenstillstandsbestimmungen noch durch andere Rechtsnormen gedeckten Aufstand auf preußischem Staatsgebiet.

Versagen der Heeresführung

Die Heeresleitung in Kassel hatte ebenfalls aus dem 9./10. November 1918 nichts gelernt und behandelte Posen-Westpreußen routinemäßig-ungeschickt. Den Posener Majorssohn Hindenburg trifft eine erhebliche Mitschuld an dem Umfang des preußischen Gebietsverlustes im Osten. Wenn der preußische Kriegsminister Generalleutnant Scheüch rascher auf diesem Sektor gearbeitet hätte, wäre die Entwicklung anders verlaufen. Anfang Dezember hätte bereits die Befehlsgliederung für den Ostraum herausgehen können. Lediglich zur Bildung des »Heimatschutzes-Ost« wurde vom Kriegsministerium (15. November) und durch Hindenburg (24. November) aufgerufen. Es fehlte den preußischen Generälen in dieser Lage die Einsicht in die Unzulänglichkeiten der Posener Kommando- und Personal-Verhältnisse. Als die Kommando-Verhältnisse schließlich und zu spät neu geordnet wurden (7./ 12. Januar 1919), befanden sich große Teile von Posen und der südliche Teil von Westpreußen in den Händen Aufständischer (»Großpolnischer Aufstand«). Die ersten drei Dezemberwochen waren verschlafen worden.

Vom preußischen Ministerpräsidenten Paul Hirsch konnte auf diesem Gebiet nichts erwartet werden. Er war, bei einem Besuch in Posen am 15. Dezember, gewarnt worden und hat gleichwohl nichts unternehmen wollen. »Ruhe« war für ihn die erste Bürgerpflicht.  Er galt als befähigter Kommunalpolitiker, der nun in dieser kritischen Lage auf den Stuhl Friedrichs des Großen gerutscht war; »den Erfordernissen der Aufgaben, genügte er in keiner Weise; er war unentschlossen und leicht zu beeinflussen und neigte zur Resignation.


Paul Hirsch

Wie 1848 fand die Preußen-Regierung nicht zu dem Entschluß, wenigstens den sicherheitspolitischen Teil der Regierungsgeschäfte von Berlin nach Potsdam oder an einen anderen geschützten Ort zu verlegen. So nahm das Schicksal in Posen-Westpreußen seinen Lauf. Entscheidend für den weiteren Prozeß blieb aber der unleugbare Tatbestand, daß alle wirklichen deutschen Abwehrversuche scheiterten, weil es dem Armee-Oberkommando überhaupt an einer politischen Direktive fehlte. Die Staatsregierung, hier dem Reich gegenüber primär verantwortlich, verfügte über kein Zukunftsprogramm für die Provinz Posen und wagte keine entscheidenden Schritte. Mit dem Versailler Vertrag (28. Juni 1919) gingen auch jene Gebiete Westpreußens und Posens ohne Abstimmung an Polen über, die von Grenzschutztruppen gesichert waren. Die deutschen Truppen mußten am 10. Januar 1920, dem Tag des Inkrafttretens des Versailler Vertrages, die Restgebiete räumen.

In Ostpreußen, das nicht minder gefährdet war, ist dagegen die Lage, vorrangig im Auftrag der Reichsregierung, im wesentlichen durch den Reichs- und Staatskommissar August Winnig (MSPD: Mehrheitssozialdemokrat) in Verbindung mit dem Armee-Oberkommando Nord (Bartenstein/Königsberg) stabilisiert worden. Als Winnig in Königsberg eintraf (25. Januar 1919), betrat er als Einzelperson eine verwahrloste, unter dem »Terror der Matrosen« leidende Königskrönungsstadt.


Seekt

Er leitete vom Oberpräsidium aus die Sicherungsmaßnahmen für Ost- und Westpreußen. Die Situation erinnerte an die ersten Wochen von 1807. Keine Nahrung, keine Waffen, hilflose Behörden und eine unruhige, verzweifelte Bevölkerung, die die Russeneinfälle von 1914 noch frisch im Gedächtnis hatte. Die Generäle von Quast, Hans von Seeckt und Ludwig von Estorff sowie Winnig bereiteten den Schlag, für den nur achthundert Mann (unter anderen Freikorps Gerth) bereitstanden, sorgfältig vor, da in der Provinzialhauptstadt tausendfünfhundert Matrosen und andere Widerstand leisteten, umgeben von vierundsiebzigtausend heimgekehrten, tatenlos herumlungernden Soldaten sowie sechzehntausend Erwerbslosen. Nur Eugen Ernst, seit dem 5. Januar als neuer Berliner Polizeipräsident mitverantwortlich, und Otto Braun scheinen das Drama in Königsberg mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt zu haben. Am 3. März 1919 wurde die Anarchie der Matrosen-Räte, die Kurierverbindungen zur Roten Armee in Kurland unterhielten, in Königsberg beseitigt der Anfang von relativer Ruhe und Ordnung in der nun mehr und mehr auf sich gestellten und ständig gefährdeten Provinz. Denn an Preußens Ostgrenze herrschten wieder Zustände wie vor 1772.

Bevor Winnig abtreten mußte, hat er noch 1919 den Innenminister Heine veranlaßt, in Preußen Einwohnerwehren einzurichten (bis 1921). Außerden wurde aus Resttruppen in Ostpreußen eine starke Sicherheitspolizei aufgebaut (einundzwanzigtausend Mann), die Landesschutzaufgaben erfüllte. Die regulären Truppen des Grenzschutzkommandos Ost (Kolberg-Königsberg) unterstanden bereits der Aufsicht des Reichswehrministers. 


Reichswehrparade Unter den Linden

Der letzte preußische Kriegsminister, Walther Reinhardt, der kurz vor der Annahme des Versailler Vertrages noch mit anderen Generälen die Gründung eines aus den preußischen Ostprovinzen bestehenden freien Preußen erwogen hatte, wurde am 1. Oktober 1919 von Ebert zum ersten Chef der Heeresleitung der neuen Reichswehr ernannt, mit Seeckt als Stellvertreter (Chef des Truppenamtes). Damit endete die preußische Militärgeschichte im Reichsverbande. Die Lage in Ostpreußen und in den übrigen östlichen Grenzgebieten wurde fortan vom Reichswehrministerium und vom preußischen Innenministerium gesteuert.

Verschärfend wirkte es sich aus, daß von Norden her, aus Kurland-Lettland und dem neuen Litauen, der Einmarsch der dort operierenden Roten Armee zu drohen schien. Weißgardisten, polnische Legionäre und deutsche Resttruppen (von der Goltz) schlugen sich dort mit Roten Reiterarmeen. Das Memelgebiet (vor allem Kreise Memel und Heydekrug), 1919 auf Betreiben großlitauischer Agitatoren einer alliierten Sonderverwaltung unterstellt, geriet ins Abseits; Anfang 1923 annektierte Litauen dann das Memelland.

Volksabstimmung

Im Süden der Provinz war der Regierungsbezirk Allenstein, der größere Teile des alten Ermlandes umschloß, per Friedensvertrag groteskerweise zum Abstimmungsgebiet erklärt worden. Eine interalliierte Kommission (Franzosen, Engländer, Italiener und Japaner) übernahm die Regierung in Allenstein; auf deutscher Seite war Freiherr von Gayl, der spätere Reichsinnenminister, mit geschickter Hand tätig. Alle preußischen Provinzen halfen. Im Mai 1919 ließ Otto Braun, damals noch Landwirtschaftsminister, in Goldap überraschend verlauten, daß die Staatsregierung erwäge, die Gebiete von Allenstein und Oletzko ohne Abstimmung abzutreten, als Tauschmaterial für andere Gebiete. Der Hintergrund dieses Vorganges ist ungeklärt. Trotz einiger Wankelmütigkeiten bei den Sozialisten entschied sich die ohnehin ganz überwiegend deutsche Bevölkerung des Allensteiner Gebietes in aller Eindeutigkeit mit 97,8 Prozent der Stimmen für das Reich und Preußen (11.Juli 1920). Lediglich das ohne Abstimmung an Polen zwangsweise abgetretene Soldauer Gebiet (mit 75 Prozent pro-deutschen Wählern) blieb Spannungsgebiet. Hier waren im Juli/August 1920, gleichsam als Racheakt für die Abstimmungsniederlage, sechstausendeinhundert Menschen zum Teil ausgeplündert und dann verjagt worden — die erste größere Massenaustreibung zwischen den Kriegen. Zwei Drittel der Flüchtlinge kehrten einige Zeit später zurück, nachdem die Reichsregierung in Warschau interveniert hatte.

In Schlesien war es im August 1919 in den Kreisen Pleß und Rybnik (Süd-Oberschlesien) zu einem Aufstand gekommen; Freikorps unterdrückten ihn. Bei der Abstimmung in Oberschlesien (20. März 1921) votierten 59,6 Prozent für Deutschland, 40,4 Prozent für Polen. Eine polnische Insurgentenarmee (Korfanty) besetzte Teile des Landes, von Frankreich unterstützt. Der Vormarsch der Polen wurde vom »Selbstschutz Oberschlesien« am St. Annaberg in erbitterten Kämpfen aufgehalten (21. Mai 1921). Erst im Oktober einigte sich dann die Pariser Botschafter-Konferenz der Entente über die Aufteilung des Abstimmungsgebietes, in dem sich nach den Bevölkerungszahlen viele Polnischsprachige für Deutschland ausgesprochen haben müssen. Im Juli 1922 konnte die preußische Verwaltung im Restgebiet ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. 

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Großberlin

In einer erneuten Abstimmung über die Zukunft Deutsch-Oberschlesiens haben sich dann über neunzig Prozent für die neu eingerichtete preußische Provinz Oberschlesien (Oppeln), die Minderheit für ein reichsfreies Gebiet ausgesprochen. Teile der oberschlesischen SPD und vor allem des Zentrums votierten gegen Preußen; lediglich die Deutschnationalen nahmen eine eindeutige Position zu Gunsten des Gesamtstaates Preußen ein.

Preußen und das Reich

Die Beziehung zum Reich zu einer wesentlichen Schicksalsfrage des republikanischen Preußens geworden. Im Zickzack-Kurs der Preußenregierungen wird der Druck ablesbar, dem der Staat ausgesetzt war. Weder konnte die Politik der »Bastion Preußen« für weite Bevölkerungsteile überzeugend durchgehalten werden, noch war es möglich, sich auf die Dauer allein als »Rückhalt des Reiches« zu etablieren. Die reichshauptstädtische Politik bietet hierfür die Belege. Der Zickzack-Kurs Otto Brauns, bravourös bis zum Scheitern, ist jedoch nicht immer und überall durch Außenfaktoren erzwungen worden. Unter der vorgegebenen Verfassungskonstruktion, an der die Mittel- und Kleinstaaten mit dem Blick auf das quantitative Übergewicht Preußens festzuhalten wünschten, wäre der »Ausbau« Preußens ohne weitere Rücksicht auf das Reich insgesamt die erfolgversprechendere Strategie gewesen.

Verwaltung

Nur kurze Zeit bestand in Preußen nach dem Regierungswechsel die Neigung, auf eine eigene Verfassung überhaupt zu verzichten und eine Art von Reichsland-Status in der Reichsverfassung zu verankern. Die Führer der das Reich stützenden Weimarer Parteien besannen sich bald auf die sicherheitspolitische Bedeutung Preußens. Auch deshalb blieb es der größte Staat im Reich. Bereits am 20. März 1919 wurde ein Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt erlassen (provisorische Verfassung). Die neue Verfassung (30. November 1920, mit Änderungen vom 7. April 1921 und 27. Oktober 1924) sah einen Landtag vor, der aus vierhundertfünfzig Abgeordneten (je ein Abgeordneter auf vierzigtausend Stimmen) bestehen sollte. Daneben war ein Staatsrat, eine Provinzenvertretung, analog zum Reichsrat, eingerichtet worden. Seine neunundsiebzig Mitglieder wurden von den Provinziallandtagen und Kommunallandtagen der (ständischen) Provinzialverbände etc. gewählt (je ein Abgeordneter auf fünfhunderttausend Einwohner, mindestens drei aus jeder Provinz). Die Zustimmung des Staatsrats war erforderlich, wenn der Landtag über höhere Ausgaben beschließen sollte, als sie von der Staatsregierung genehmigt worden waren. Außerdem besaß er ein Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung, das durch den Landtag nur mit zwei Dritteln seiner Stimmen aufgehoben werden konnte, es sei denn, ein Volksentscheid läge vor. An diesen Hauptlinien zeigt sich, daß der Staatsrat - dessen Präsident bis zum Ende der Republik der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer gewesen ist - der Regierung Schwierigkeiten bereiten konnte. 


Otto Braun

Zum Schaden Preußens ist das persönliche und politische Verhältnis zwischen Adenauer und Braun, in denen föderalistisches und zentralistisches Prinzip, rheinländische und ostpreußische Mentalitäten aufeinanderstießen, nicht von überparteilichen Einverständnissen, vielmehr von trivialer parteipolitischer Rivalität geprägt gewesen, insbesondere nachdem Adenauer Ende 1923 mit seinen Rheinstaatsplänen wesentlich auch an Otto Braun gescheitert war. 


Konrad Adenauer

Adenauer hatte in der Besetzungssituation von Teilen des Rheinlandes und Westfalens durch französische Sequester-Truppen (11. Januar 1923 und später) die Möglichkeit für eine langsame Herauslösung mindestens der Rheinprovinz aus dem preußischen Staatsverband erkannt; am 25. Oktober votierte er in Hagen gegenüber Berliner Spitzenpolitikern für ein eigenes rheinisches »Rechtsgebilde«, von Preußen getrennt, möglicherweise sogar vom Reich abgelöst.

Gebietsabtretungen

Infolge des Versailler Vertrages kam der größte Teil von Westpreußen an Polen. Die östlich von der Weichsel liegenden Restgebiete wurden als besonderer Regierungsbezirk Westpreußen zur Provinz Ostpreußen gelegt (21. Juli 1922). Die westlichen Teile wurden vorerst zusammen mit Restgebieten der Provinz Posen in der »Grenzmark Posen-Westpreußen« zusammengefaßt. Sitz der Behörden wurde Schneidemühl. Schlesien ist im Hinblick auf die Abstimmungen in die Provinzen Nieder- und Oberschlesien zerlegt worden (14. Oktober 1919). Berlins Herauslösung aus der Provinz Brandenburg kam zum Abschluß (27. April 1920); die durch großzügige Eingemeindungen 1920 erweiterte Reichshauptstadt bildete fortan ein selbständiges provinzähnliches Verwaltungsgebiet. Der Kreis Pyrmont wurde der Provinz Hannover angegliedert (1. April 1922), während etwas später der Rest von Waldeck der Provinz Hessen-Nassau angegliedert wurde (1. April 1919); dies war der letzte größere Gebietszuwachs, den Preußen in der Geschichte der Erweiterung seines Staatsgebietes erreichte. Die territorialen Verluste Preußens 1919/20 beliefen sich auf 56058 Quadratkilometer. Der Bestand am 1. November 1918 betrug 348 780 Quadratkilometer. Demnach hat Preußen rund 16 Prozent seiner Fläche abgeben müssen. 

In der Hauptsache handelte es sich um das Memelgebiet, das Gebiet des späteren Freistaates Danzig, die überwiegenden Teile von Posen und Westpreußen sowie kleinere Teile von Pommern und Ostpreußen (an Polen), das oberschlesische Hultschiner Ländchen (an die Tschechoslowakei), Nordschleswig mit den Inseln Alsen und Röm/Romö (an Dänemark) und Eupen und Malmedy (an Belgien). Außerdem wurde von der Rheinprovinz ein Teil des Saargebietes abgetrennt und nach 1935 nicht wieder eingegliedert.

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Neue Gliederung

Das republikanische Preußen bestand aus zwölf Provinzen, der kommunalen Gebietskörperschaft Berlin und dem Regierungsbezirk Sigmaringen (»Hohenzollernsche Lande«), der dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz unterstand. Die Bevölkerungszunahme betrug zwischen 1925 und 1939 fast 10 Prozent, obwohl durch die politischen und rassischen Verfolgungen seit 1933 ein irregulärer Bevölkerungsverlust entstanden ist. Die mittleren und östlichen Provinzen, mit Ausnahme Berlins, erbrachten bis 1945 einen höheren Bevölkerungsüberschuß, der überwiegend den übrigen Provinzen, insbesondere den Industrie-Landschaften, zugute gekommen ist. Die Provinzen waren in vierunddreißig Regierungsbezirke unterteilt, nämlich in Ostpreußen Königsberg, Gumbinnen, Allenstein, Westpreußen-Marienwerder; in Brandenburg Potsdam und Frankfurt/O.; in Pommern Stettin, Köslin und Stralsund; in der Grenzmark Schneidemühl; in Niederschlesien Breslau und Liegnitz; in Oberschlesien Oppeln; in der Provinz Sachsen Magdeburg, Merseburg und Erfurt; in Schleswig-Holstein Schleswig; in Hannover Hildesheim, Hannover, Lüneburg, Stade, Osnabrück und Aurich; in Westfalen Münster, Minden und Arnsberg; in Hessen-Nassau Kassel und Wiesbaden; in der Rheinprovinz Koblenz, Düsseldorf, Köln, Trier und Aachen. Diese Regierungsbezirke waren 1928 in 119 Stadtkreise und 416 Landkreise untergliedert.

Ein Oberpräsident stand jeweils an der Spitze der Provinzialverwaltung. Er wurde vom Staatsministerium ernannt und unterstand dem Innenminister. Ihm war zugeordnet der Provinzialrat. Er setzte sieh aus dem Oberpräsidenten, einem vom Innenminister ernannten Beamten und fünf vom Provinzialausschuß auf sechs Jahre gewählten Personen zusammen. Die provinziale Selbstverwaltung: (»Stände« - »Landschaften«), wie sie in der Bismarckzeit eingeführt worden war, bestand jeweils in einem auf vier Jahre gewählten Provinziallandtag (als Beschlußorgan), daneben, als eigentlichem ausführenden Arbeitsgremium, in dem Provinzialausschuß, mit dem auf Lebenszeit gewählten Landeshauptmann oder Landesdirektor an der Spitze. 


Winterfeldt-Menkin

Die provinziale Selbstverwaltung hat auch im 20. Jahrhundert in allen preußischen Provinzen vorzügliche Leistungen aufzuweisen (Verkehrswesen, Elektrifizierung, Sozialfürsorge, Denkmalspflege, Inventarisationen der Baudenkmäler und anderes mehr) - Stellvertretend für die hervorragenden Landesdirektoren dieser Zeit sei Joachim von Winterfeldt/Menkin genannt, der vom 1911 bis 1930 das Amt des Landesdirektors für die Provinz Brandenburg wahrgenommen hat. An der Spitze der oben genannten Regierungsbezirke stand ein ebenfalls von der Staatsregierung bestimmter Regierungspräsident. Dieser hatte einen beschlußfassenden Bezirksausschuß an der Seite, der sich - ähnlich wie der Provinzialrat - aus dem Regierungspräsidenten selbst, zwei vom Staatsministerium auf Lebenszeit ernannten Personen sowie vier vom Provinzialausschuß auf sechs Jahre Gewählten zusammensetzte.

Dem Regierungspräsidenten unterstand ein Behördenapparat, der in der Regel weit stärker ausgebaut war als bei den aufsichtführenden Oberpräsidenten. Schließlich sind, auf der unteren Ebene der Staatsverwaltung, in den Landkreisen die vom Staatsministerium ernannten Landräte zu erwähnen, die »vor Ort« Preußen im Guten wie im Bösen zu repräsentieren hatten. Neben den Landräten standen Kreisausschüsse, bestehend aus dem Landrat und sechs vom Kreistag gewählten Eingesessenen; der Kreistag, auf vier Jahre gewählt, reichte als parlamentarisches Organ der Kreisselbstverwaltung seine Beschlüsse an den Kreisausschuß weiter. Die Ausführung oblag im Landratsamt dem Landrat, seinem Stellvertreter und vor allem dem Kreissekretär. Außerhalb der Landkreise standen sonst lediglich die kreisfreien Städte (ab fünfundzwanzigtausend Einwohner), von mittelbaren Staatsbeamten geleitet. Organe waren der von der Stadtverordnetenversammlung oder vergleichbaren Vertretungskörperschaften auf unterschiedliche Zeit gewählte Oberbürgermeister oder Bürgermeister, der Stadtausschuß (Bürgermeister und vier vom Magistrat gewählte besoldete Stadträte) sowie die Stadtverordnetenversammlung, vor 1918 auf ein Zensus-Wahlrecht gegründet, danach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht angeglichen.

Die Gutsbezirke wurden 1927 abgeschafft. Auf die sozialdemokratischen Landagitatoren hatten sie immer wie feudalautokratische Reservate gewirkt; die Bezeichnung verleitete zu Fehlinterpretationen. Tatsächlich waren sie ein Ergebnis der Regulierung der bäuerlichen Rechtsverhältnisse in der Reformzeit. Abgetrennte Gemeindeteile, nach innen auf geschlossenem Hofbesitz beruhend, nach außen mit allen Rechten und Pflichten der Gemeinde behaftet, waren der Aufsicht der Behörden unterworfen worden; ein Teil war erst nach 1815 durch einen Staatshoheitsakt entstanden (Forsten, Domänen und anderes). Im präfigurierten Blickwinkel von Otto Braun und seinen Mitarbeitern war die Abschaffung ein Stück Klassenkampf gegen die »feudaljunkerliche Reaktion« mit ihren patriarchalischen Strukturen; in Wirklichkeit hat es sich um eine wegen des Straßenlastenausgleichs zwar überfällige, aber doppelbödige Aktion mit starken politischen Reiz-Momenten gehandelt.

Wirtschaft und Bevölkerung

Die wirtschaftlichen Interessen des Staates waren weitgehend im Ministerium für Handel und Gewerbe zusammengefaßt. Es ist nach dem Innenministerium das zweitstärkste Staatsministerium gewesen und hat binnen- wie außenwirtschaftlich erheblich über die preußischen Grenzen und Staatskompetenzen hinaus wirken können.


AEG-Kabelwerk
Berlin-Oberschöneweide

Die preußische Staats-Industrie verfügte über Bergwerke und Salinen, deren Betrieb zum Teil bis in das Mittelalter zurückreichte (so Bernsteinwerke in Palmnicken/Samland; Kalkbergwerke Rüdersdorf/Mark; Erzgruben im Harz). Die Verwaltung dieser und anderer Werke oblag bis 1923 der 3. Abteilung für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im Ministerium. Danach übernahm die am 13. Dezember 1923 gegründete »Preußische Bergwerks- und Hütten AG« (»Preußag«) die »Verwaltung und Ausbeutung« der Staatsbetriebe, mit einer nominalen Kapitalausstattung von hundert Millionen Reichsmark (1928); die Aktien blieben im Besitz des preußischen Staates. Sie sind nach 1945 per Rechtsnachfolge auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Zwischen 1923 und 1945 war der Konzern beteiligt an den Kali-, Stein- und Braunkohlesyndikaten der späteren Weimarer Zeit; er betrieb Blei- und Erzbergwerke sowie Blei- und Silberhütten am Nordwestharz (Goslar — Oker), Kaliwerke in Staßfurt und Bleicherode (Provinz Sachsen), Salmen in Artern, Bad Dürrenberg und Schönebeck/Elbe (Provinz Sachsen), dazu die Bernsteingewinnung (1938: 397.362 Kilogramm), ferner Wasserversorgungsanlagen und Erdölgewinnung im norddeutschen Raum. Die Ausgliederung der Verwaltung der Staatsbetriebe aus dem Ministerium, das 1921 bis 1925 unter der Leitung von Wilhelm Siering (SPD) stand, hat sich als eine weitsichtige und erfolgsträchtige Maßnahme erwiesen.

1927 hat der Staat in einer bedeutsamen Entscheidung eine Einheitsgesellschaft geschaffen: »Preußische Elektrizitäts-Aktiengesellschaft« (Preußenelektra, Grundkapital: achtzig Millionen Reichsmark). Allein von 1927 bis 1929 stieg die Strommengenerzeugung des zweiten Staats-Konzerns von zweihundertvierundachtzig auf vierhundertvierundzwanzig Megawatt. Die Gesellschaft schuf in diesen letzten »guten« Jahren Preußens ausgezeichnete Werksiedlungen und Wohlfahrtseinrichtungen. »Preußag« und »Preußenelektra« wurden 1929 in einer Holding-Gesellschaft, zusammengefaßt, der » Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks-AG (»Veba«), von der aus die Finanzpolitik der staatswirtschaftlichen Unternehmungen gesteuert worden ist.

Landwirtschaft und Agrarpolitik

In der Landwirtschaft und Forstwirtschaft waren um 1925 rund neunundzwanzigeinhalb Prozent der Erwerbstätigen Preußens beschäftigt (Industrie und Handwerk: 40,9 Prozent; Handel und Verkehr: 17,1 Prozent). In der Grenzmark (60,9 Prozent), in Ostpreußen (55,6 Prozent) und in Pommern erwies sich der Anteil der in der Landwirtschaft Arbeitenden bekanntermaßen als besonders hoch, während er in der Rheinprovinz und in Westfalen nur bei etwa neunzehn Prozent lag. Dementsprechend scharf waren die agrarpolitischen Grundsatzdiskussionen in den Ost- und Mittelprovinzen ausgeprägt. Eine Art von Agrarreform, wie sie Braun als Landwirtschaftsminister vorschnell 1919/20 durchzusetzen versuchte, scheiterte im wesentlichen an der unzulänglichen Gesetzgebung des Reiches.

Hinter den Ergebnissen der Landwirtschaftspolitik Brauns, zu der naturgemäß andere destabilisierende Faktoren traten, stand nicht zuletzt als Agens die »Junkerfrage«, gleichsam der empfindlichste klassenkämpferische Nerv der alten Sozialdemokratie. Die volkswirtschaftliche Gesamtbedeutung der gesamten Landwirtschaft in den preußischen Ost- und Mittelprovinzen ist trotz aller Schwierigkeiten und Strukturbereinigungen außerordentlich hoch geblieben. Seit 1919 wurden immer noch etwa zweiundsiebzig Prozent des Kartoffelbedarfs und sechzig Prozent des Getreidebedarfs im Reich vom ostdeutschen Großgrundbesitz gedeckt. Dazu kamen ein entwickeltes Genossenschaftswesen und Einrichtungen der Beratung und Kreditversorgung. Nachdem die Bauern und Gutsbesitzer 1945/46 getötet oder verjagt, die Wirtschaftseinheiten zerschlagen und die Organisationen beseitigt worden sind, besteht in den ehemaligen preußischen Ostprovinzen eine Unterversorgung mit Nahrungsmitteln, so daß sich das westliche Europa und Nordamerika zur Alimentation aufgerufen sehen. Die Landwirtsfamilien, die vor 1945 in den Ostprovinzen gewirtschaftet haben, tragen heute zum Teil mit ihren neu errichteten Betrieben in der Bundesrepublik dazu bei, den Mangel in den ehemaligen preußischen Kornkammern zu mildern.

Hohenzollern

Die Abdankung von König und Kronprinz mit der Folge der Vakanz des Thrones traf die Bevölkerung unvorbereitet. Es war, als hätte man mit der Liquidierung der Krone dem provinzial aufgegliederten Einheitsstaat Preußen den Nerv gezogen, ein Band zerschnitten, welches das Ganze immer noch zusammengehalten hatte. Ein Teil der Bevölkerung, besonders in den ländlichen und kleinstädtischen Orten, mit tieferen Bindungen an das Königshaus, mußte sich ausgesetzt fühlen - in die Kälte des Parteienstaates, mit Straßenkämpfen und verwahrlosenden Rechts- und Ehrbegriffen. In Potsdam und Berlin war dies deutlich zu beobachten, und zwar in allen sozialen Schichten. Die Potsdamer und Berliner Hofgesellschaft hat sich endgültig erst während des zweiten Weltkrieges aufgelöst.


Kronprinz Wilhelm

Kaiser und der Kronprinz (Rückkehr im August 1923) lebten zwar im holländischen Exil, aber das Haus Hohenzollern blieb in Potsdam weiterhin gegenwärtig; die Stadt (nicht die Arbeiter-Vorstadt Nowawes-Babelsberg) blieb die offen-heimliche Hauptstadt nicht nur des Königshauses, sondern auch Treffpunkt monarchistischer, militärischer und nationalistischer Gruppen und Verbände, mit zunehmender Stärke seit der Wahl Hindenburgs im April1925.Die »Revolution« 1918/19 war in Potsdam rasch kanalisiert worden. Die ehemalige Kaiserin Auguste Viktoria blieb mit Familie und Hofstaat im Neuen Palais so gut wie unbehelligt und verließ erst am 27. November die Stadt, als längst wieder eine Ruhe an der Oberfläche eingekehrt war.

Die Anwesenheit des Ex-Kaisers im Neuen Palais, in Rheinsberg oder auf einem der schlesischen Schlösser hätte sich durchaus ermöglichen und sichern lassen, wenn Kaiserhaus, Generalstab und die politischen Spitzen in Berlin die Nerven behalten und aus dem Märzaufstand von 1848 etwas gelernt hätten. Hof und Hof-Einrichtungen wurden in stark verringertem Umfang aufrechterhalten. Kronprinzessin Cecilie vertrat mit Geschick von Cecilienhof aus das Haus. Die Familien der Söhne Wilhelms II. wohnten weiter im Umkreis der Residenz. Der Tod Auguste Viktorias (Doorn 11. April 1921) und die fast triumphale Heimfahrt der toten Kaiserin, die sich im Volk wohl stärkerer Sympathien als der Kaiser erfreut hatte, durch das Reich nach Sanssouci bewegten große Teile der Potsdamer Bevölkerung in einem Maße, wie es heute kaum vorstellbar ist. Die Beisetzung im Antikentempel wurde wie eine unerwartete Dank-Demonstration an das gescheiterte Herrscherhaus empfunden.

Zwischen neuem Staat und alter Dynastie mußten nach dem Umsturz zahlreiche Rechtsfragen geklärt werden. Die vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Haus und Staat zogen sich bis 1926 hin. Der mit viel Lärm verbundene Volksentscheid über die Expropriation der ehemaligen Fürstenhäuser scheiterte (Juni 1926). Eine klare Scheidung von Haus- und Staatsbesitz war nicht möglich. Doch hat das Königshaus auch auf Gebäude und Grundstücke verzichtet, deren »private« Wurzel nicht umstritten war. Das Haus behielt, gleichsam als Abschlußzahlung für eine vierhundertjährige Regierungsarbeit, neben zahlreichen landwirtschaftlichen Betrieben mit rund zweihundertfünfzigtausend Morgen land- und forstwirtschaftlicher Nutzfläche östlich von Elbe und Saale  und Grundstücken vornehmlich in Berlin und Potsdam vor allem die Burg Hohenzollern, das Palais Kaiser Wilhelms l. in Berlin, den dortigen Niederländischen Palast, in Potsdam die Villa Liegnitz, das Schlößchen Lindstedt, sodann die Burg Rheinstein, das Denkmal des Prinzen Louis Ferdinand bei Saalfeld, die Herrschaften Rheinsberg und Schwedt, das Thronlehen Oels (1884) in Schlesien sowie die Güter und ehemaligen Herrschaften Paretz (Havelland) und Kamenz (Niederschlesien), ferner das Jagdschloß Rominten (Ostpreußen), Schloß Hemmelmark bei Kiel und Schloß Reinhartshausen bei Erbach. Außerdem wurde eine Abfindungssumme gezahlt.


Stadtschloß Berlin

Der preußische Staat dagegen übernahm in Berlin das Stadtschloß (Museum), Marstall, Schloß Monbijou, das Kronprinzen- und das Prinzessinnen- Palais, das Ordenspalais am Wilhelm-Platz, das Palais Prinz Albrecht, die Schlösser und Gärten von Bellevue, Charlottenburg und Nieder-Schönhausen und das Jagdschloß Grunewald. In Potsdam wurde übernommen das Stadtschloß mit Lustgarten und Marstall, Schloß und Park von Sanssouci mit dem Neuen Palais, den Schlössern Orangerie und Charlottenhof, dem Marmor-Palais mit dem Neuen Garten, der Pfingstberg mit dem Belvedere, Schloß und Park Babelsberg, die Pfaueninsel sowie die Kolonien Alexandrowka und Nikolskoe.

Sodann fielen dem Staat zu die Staats-, Königs- und Prinzenschlösser in Königsberg, Marienburg, Oliva, Stettin, Oranienburg, Liegnitz, Breslau, Quedlinburg, Merseburg, Kiel, Hannover, Celle, Osnabrück, Münster, Kassel nebst Wilhelmshöhe, Wiesbaden, Homburg, Brühl, Engers, Koblenz, Sooneck, Stoltenfels, dazu die Jagdschlösser Stern (bei Klein-Glienicke), Königs Wusterhausen nnd Letzlingen, schließlich auch der »Königsstuhl« bei Rhense und die »Klause« bei Kastel an der Saar. Außerdem wurden dem Staat die Kroninsignien, Kunstgegenstände des Hauses in den Berliner Museen sowie die Schackgalerie in München überlassen. Die bislang Königlichen Theater in Berlin, Wiesbaden und Kassel hatte der Staat weiterzuführen. Die Ausstattung, soweit sie zu diesem Zeitpunkt noch in den Schlössern vorhanden war, verblieb dort; einige Gemälde von Watteau, Chardin, Menzel, Krüger, die Skulptur der Königin Luise und ihrer Schwester von Schadow sowie kunstgewerbliche Hinterlassenschaften der Hohenzollern gingen an das Haus über. Das Schloß Homburg sowie Cecilienhof wurden den Söhnen des Kaisers als Wohnstätte überlassen, dazu der Antikentempel in Sanssouci als Grabstätte. Der Staat war verpflichtet, das Charlottenburger Mausoleum und die Grabstätten an der Friedenskirche in Potsdam zu erhalten. Das Königshaus seinerseits räumte dem Staat das Vorkaufsrecht auf das Palais Kaiser Wilhelm I. in Berlin ein; es stimmte der Auflage zu, die ihm verbliebenen Schlösser und Gärten wie bisher der Allgemeinheit offenzuhalten und dort die Grundsätze der Denkmalpflege zu beachten. Außerdem nahm der Staat die Schloßbibliothek und das Hohenzollern-Museum (Schloß Monbijou) in seine Obhut. Das Hausarchiv in Berlin-Charlottenburg (zerstört 1943) wurde gemeinsamer Verwaltung überantwortet. Die Hohenzollern konnten mit diesem Ergebnis, das Rechte und Pflichten einschloß, mehr als zufrieden sein. Eine nüchterne, verfassungskonforme Hauspolitik hätte fairerweise die Konsequenz sein müssen.

Bilanz in der Republik


Severing

Die Regierungszeit Otto Brauns und Carl Severings verdient es nicht, allein von ihrem wenig rühmlichen Ende her betrachtet und gewertet zu werden. Aber ein dunkler Schatten fällt von dort auf die zwanziger Jahre zurück. Doch darf nicht unterbewertet werden, daß Sozialdemokratie und Zentrum trotz des verlorenen Krieges und trotz der Unruhen von 1919/20 ein qualifiziertes, diszipliniertes und weithin unbestechliches Beamtentum auf allen Verwaltungsebenen vorgefunden und überwiegend weiter im Dienst behalten haben.

Dazu hatten sie eine verläßliche, befehlsgewohnte, teilweise sogar paramilitärisch ausgerichtete Schutz- und Landespolizei und — was vielleicht das Wichtigste gewesen ist — eine in der Mehrheit unverändert staatsvernünftige Bevölkerung, mit der sich selbst in Ballungsgebieten regieren ließ. Das republikanische Preußen stand vor Aufgaben, die in kurzen Zeiträumen nicht zu bewältigen waren und die unverändert die politische und wirtschaftliche Geschlossenheit des Staates erforderten, zumal bereits mit wachsenden radikalen Gruppen gerungen werden mußte. Das Reich bedurfte des Rückhaltes bei mindestens einem größeren Staat im Staate. Preußens Auflösung würde weit eher das Reich schwächen, sein Prestige mindern und die innenpolitischen Spannungen vermehren. Und exakt dies trat ein, als mit der »Sprengbombe« des »Volksbegehrens für Preußen« der Rechtsparteien und mit Papens »Preußenschlag« einer der wichtigsten Machtpfeiler niedergelegt wurde, auf dem das Weimarer System überhaupt noch ruhte. Auch in der Abstiegsphase seit 1928 hat die Staatsregierung in der Frage des » Einheitsstaates« keine überzeugende, die »preußischen« Grundbestimmungen beachtende Politik betrieben.

1928 war Innenminister Severing mit einem »Ermächtigungsgesetz« zur Neuabgrenzung von kommunalen und staatlichen Verwaltungsbezirken im Landtag gescheitert. Severing hatte danach die Politik der kleinen Schritte eingeschlagen; Eingemeindungsgesetze (Königsberg/Preußen, Breslau, Frankfurt am Main) sowie Gesetze zur Beseitigung störender Grenz- und Verwaltungs-Anomalien (Provinz Grenzmark-Posen-Westpreußen, Oberschlesien, Kommunalgrenzen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet) waren durchgesetzt worden. Die »große Verwaltungsreform« jedoch, deren Auswirkungen das innenpolitische Leben in Preußen 1928 bis 1932 belasteten, sollte nun zur »Beseitigung zu vieler, kleiner und daher kostspieliger Verwaltungsstellen« führen. Neben den Leistungen der Staatsregierung standen in der Spätphase in ihrem politischen Kalkül schwer verständliche Übereilungen, Ungeschicklichkeiten und Inkonsequenzen, die die Wahlergebnisse teilweise beeinflußt haben dürften und die insofern den Kollaps von 1932 mitverursacht haben. Braun jedenfalls konnte zu diesem Zeitpunkt nicht zu Gunsten etwa eines Zentrumpolitikers zurücktreten, was wegen seines Gesundheitszustandes angebracht gewesen wäre. Die Nationalsozialisten nebst den mit ihnen verbundenen Hugenberg-Deutschnationalen hätten sogleich in Preußen die Macht ergriffen. So nahm ein politischer Prozeß mit allen Zeichen der Tragödie seinen Lauf. Atemberaubend schnell ging es mit Preußen abwärts. Die Bevölkerung, auch die ahnungslos radikal Wählenden, vertrauten in ihrer Mehrheit Paul von Hindenburg. Unvorstellbar, daß dieser redlich wirkende Kriegsmann die Phalanx der Gegner und Feinde Preußens wissentlich-unwissentlich anführen, jedenfalls legitimieren könnte. Da es wohl zutreffend ist, daß er grundsätzlich auch 1932 noch »Herr seiner Entscheidungen« gewesen ist, wirkt es um so befremdlicher, daß er eine gegen Preußens Eigenständigkeit gerichtete Aktion mit seiner Unterschrift sanktionierte.

Das Ende Preußens

Die Unterstellung Preußens unter die unmittelbare Reichsverwaltung, auch populär als Preußenschlag oder »Staatsstreich« bezeichnet, war in erster Linie das Werk von drei Randpreußen, des Agrarpolitikers und Reichsinnenministers Wilhelm Freiherr von Gayl, aus einer rheinisch-kurländischen Familie, des oberflächlichen Kanzlers Franz von Papen, eines westfälischen Katholiken, und des Reichswehrministers Kurt von Schleicher, eines ungewöhnlich intriganten 0ffizierssohnes, der außerhalb der altpreußischen Tradition und des alten Grundbesitzes stand.

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Die Totengräber Preußens
Papen, Gayl, 
Hindenburg und Schleicher

Schleicher wollte vor allem die preußische Polizei in die Befehlsgewalt der Reichsregierung bringen; Gayl sah in der Entmachtung der Preußen-Regierung einen ersten Schritt auf dem Wege zur von ihm geplanten konservativen Reichsreform; bei Papen dürften wahltaktische Überlegungen den Ausschlag gegeben haben. Sprecher der Nationalsozialisten und der Deutschnationalen forderten geradezu eine Intervention in Preußen, als Beweis »nationaler Zuverlässigkeit«.

 Am 17. Juli wurde der Berliner SPD-Führung bekannt, daß der Angriff auf Preußen unmittelbar bevorstünde. Bereits am 18. Juli beschlossen die Führungsgremien der SPD, keinen bewaffneten Widerstand zu leisten und keinen Generalstreik auszurufen. Es wirkte wie eine Ermutigung für Papen. Otto Braun wurde von den Mitarbeitern nicht aus dem Urlaub zurückgerufen, als »sein« Staat auf dem Spiel stand. Severing, auf welche Art auch immer wie gelähmt wirkend, ließ sich am Vormittag des 20 Juli 1932, begleitet von den Ministern Hirtsiefer und Klepper, durch von Papen und von Gayl in der Reichskanzlei die Notverordnung des Reichspräsidenten auf Einsetzung des Reichskanzlers zum Reichskommissar für das Land Preußen nebst Amtsentsetzung der Minister vortragen. Am Abend wurde ihm durch den neuen Polizeipräsidenten Melcher  und zwei Polizeioffiziere die Amtsausübung im Innenministerium (Unter den Linden 72) verboten.

Preußen hatte kampflos kapituliert. Der übermächtige Schatten Hindenburgs, der den von Max Weber erdachten Verfassungsartikel 48 in Händen hielt, ließ die Regierung vorzeitig resignieren. Braun, Severing, die anderen Minister, der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski und der Kommandeur der Schutzpolizei trennten sich von ihren Ämtern, als wäre eine staatliche Konkursmasse zu verwalten gewesen. Kein Kampfeswille für eine preußisch-republikanische Staatsidee. Keine vitale Zuversicht, kein Preußen-Programm, auf das man sich hätte berufen können, nur ein schlecht geordneter Rückzug.  Nichts mehr vom Geist und Kampfesmut eines Friedrich Ebert, eines Gustav Noske oder August Winnig, die Staatsinteressen über Parteiinteressen gestellt hatten. Gleiches gilt für sämtliche Führer des Zentrums in Preußen und im Reich. In dieser Situation den Freistaat Preußen dem politischen Hasardeur und Ignoranten Papen und den ebenfalls ohne parlamentarische Mehrheit regierenden Hindenburg-Konservativen auszuliefern, bedeutete für die Preußen-SPD und ihre beiden Koalitionspartner den politischen Selbstmord. 

Preußen mußte nicht zuletzt deshalb gehalten werden, um weitere Vorstöße der Nationalsozialisten abwehren zu können. Der ziemlich lautlose Zusammenbruch der Staatsregierung erinnerte fatal an den Abgang Wilhelms II. In Preußen regierte der Reichskommissar, der seit dem 30. Januar 1933 Hitler hieß. Über ihn schrieb der Historiker Hintze damals einem Kollegen: »Dieser Mensch gehört ja eigentlich gar nicht zu unserer Rasse. Da ist etwas ganz fremdes an ihm, etwas wie eine sonst ausgestorbene Urrasse, die völlig amoralisch noch geartet ist.«


Hitler