Preussen
1701 - 1947

 

 

1933 - 1947

Tag von Potsdam

Nach dem 30. Januar 1933 standen die republikanischen Parteien vor einem Scherbenhaufen. Jeder schob anderen die Schuld zu. Nur Ewald von Kleist-Schmenzin hat buchstäblich bis zur Amtsübergabe im Reichspräsidentenpalais mit dem deutschnationalen Hannoveraner Alfred Hugenberg gerungen und mit anderen gegen ein Hitler-Kabinett angekämpft. 

In der Machtdurchsetzung hat der »Tag von Potsdam« eine wesentliche Rolle gespielt. Die politische »Rührkomödie« war von Goebbels und Hitler bis in alle Einzelheiten hinein vorbereitet worden. Das Schaustück diente als Narkotikum für den Reichspräsidenten, für die bürgerlichen Kabinettsmitglieder, die nicht nationalsozialistischen Verbände und Parteien, die Kirchen, die Reichswehr und alle politisch noch handlungsfähigen Kräfte. 

Zwei Tage später konnte dann im Reichstag die Annahme des »Ermächtigungsgesetzes« mit Betrug und Brutalität durchgesetzt werden. Preußen und das Kaiserreich bildeten die Kulisse für den »Tag der nationalen Erhebung«. Es entbehrte nicht einer propagandistischen Genialität, das Spektakel in Preußens Weihestätten stattfinden zu lassen, in der mit den Reizwörtern von »Treue« und »Redlichkeit« verknüpften schlichten Garnisonkirche und über den Särgen Friedrichs des Großen und seines Vaters. 

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Tag von Potsdam

Als am nächsten Tage in dem schwarz-weiß-rot ausstaffierten Potsdam nach Gottesdiensten beider Konfessionen Hindenburg in der Generalfeldmarschallsuniform mit dem zivil-devot gekleideten »böhmischen Gefreiten« auf den Stufen der Garnisonkirche kurz vor zwölf Uhr den segenspendenden Händedruck tauschte, schien wohl für den weitaus größten Teil der Träger alter und neuer militärischer und ziviler Würden und Ämter eine positive Verschmelzung von Preußen und Deutschland, von NSDAP und Staat erreicht zu sein. In der Kirche, die durch Ansprachen Hindenburgs und Hitlers profanisiert wurde, war der Sessel Wilhelms II. sinnigerweise leer geblieben; und eben vor diesem Sessel der Kaiserloge hob Hindenburg, der Ratgeber, in gespenstischer Stille den königlichen Marschallstab.

Zwei Tage später endete der um 1930 begonnene Prozeß der Selbstabdankung der Parteien mit der Annahme des »Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich« (Ermächtigungsgesetz) durch die bürgerlichen Parteien (441 zu 14 Stimmen). Nur die Sozialdemokraten mit dem Berliner Gastwirtssohn Otto Wels an der Spitze widersetzten sich dem Verfassungsbruch, während sieh die übrigen Abgeordneten, soweit sie nicht zur NSDAP-Fraktion gehörten, mit dem Trierer Prälaten Kaas und Hugenberg an der Spitze politisch entmündigen ließen.

Restaurierung der Monarchie?

Noch war der Gedanke einer Wiedereinsetzung des Hauses Hohenzollern bei in- und ausländischen Politikern ganz gegenwärtig; er zählte zum wichtigsten politischen Spielmaterial in der heraufziehenden Krise bei denjenigen, die Hitler und seine Parteigänger noch für begrenzt beeinflußbar hielten. Im Hause des Kronprinzen Wilhelm dagegen erloschen seit Anfang 1934 alle Hoffnungen. 


Ferdinand Friedensburg

Nach dem 30. Juni 1934 wußte man dort, daß man es mit einer besonderen Spezies von Mördern zu tun hatte. Hitler hatte am 30. Januar 1934 indirekt seine Absage an alle Formen dynastischer Restauration verkündet, indem er die früheren Herrscher »der rücksichtslosen Machtpolitik zugunsten ihrer eigenen Dynastie« angeklagt hatte. Eigenartig nimmt es sich aus, daß der preußische Kronprinz, der nach dem Tode seines Freundes Schleicher nicht selten auf »Blut am Boden« (statt: »Blut und Boden«) verwies, sich noch bis 1936 bei Geburtstagsfeiern (Göring, Ludendorff) als Statist verwenden ließ.

Ausschaltung der Führungsschichten

Die wenigen für Hitler allenfalls noch gefährlichen Köpfe Preußens wurden überwacht, zur Rückkehr in das Privatleben gezwungen oder in die Emigration gedrängt. Der Terror in allen Provinzen Preußens, der bis zu SA-Angriffen auf Herrenhäuser (von der Osten-Warnitz) oder grundloser Gestapo-Haft ehemaliger höherer Beamter gehen konnte (Ferdinand Friedensburg, Hans-Joachim von Rohr-Demmin und andere mehr), ließ viele gefügig werden. Andere wurden von Göring und Himmler vor dem 30. Juni1934 auf die Liquidationsliste gesetzt und größtenteils ermordet (Erich Klausener, Edgar Jung). Wenn Hitlers legale »Revolution« je revolutionäre Züge gehabt hat, dann während der Verhaftungs- und Mordaktionen in Berlin, München-Stadelheim und vor allem in Schlesien, mit denen die Opposition eingeschüchtert werden sollte.

Der Erfolg stellte sich ein. Die Korrumpierung der Reichswehrführung und die Verwahrlosung der Rechts- und Moralbegriffe waren einkalkuliert. Die berufenen Sprecher Preußens waren zum Schweigen verurteilt oder mußten sich verborgen halten. Der aus Kurland stammende Reichskriegsminister von Blomberg dankte Hitler »für sein entschlossenes und mutiges Handeln«, das heißt für den Mord an seinen Berufs- und Standesgenossen, den ehemaligen Generälen von Schleicher und von Bredow. In der urteilslosen Bevölkerung fand die Erledigung des »Röhm-Putsches« überwiegend Beifall.

Trotz der offenkundigen Lethargie der Opposition angesichts der Erfolge Hitlers scheint die Annahme berechtigt zu sein, daß sich nach den Ereignissen von 1934 jene noch kleinen Widerstandszellen in der preußischen Staatsverwaltung (Erwin Planck), in der Diplomatie und später auch in Heer und Luftwaffe bildeten, von denen aus eine überwiegend jüngere und in wiederentdeckten altpreußischen Werten denkende Generation den Weg zu den Staatsstreichplänen gefunden hat.

Auch die Bevölkerung war keineswegs in ihrer Gesamtheit für den Hitlerstaat gewonnen. Das Plebiszit vom 19. August 1934 zeigte, obwohl unter Einschüchterungen, Terror und einer hemmungslosen Regierungspropaganda abgehalten, einen Rückgang der Stimmen für Hitler. In Berlin (74,2 Prozent) wurden in den Bezirken Wilmersdorf (68,8 Prozent) und Charlottenburg (69,6 Prozent) neben Aachen und einigen westfälischen Orten die niedrigsten Stimmenzahlen erreicht. Auch in Herford, Bielefeld, Münster, Olpe und Breslau gab es unverändert sozialdemokratische und bürgerlich-konfessionelle Gruppen, die in dem begrenzten Rahmen dieser »Wahlen« den Führerstaat ablehnten. Noch deutlicher konnte sich die Opposition breiter Bevölkerungsschichten in den preußischen Provinzen artikulieren, als im April 1935 die »Vertrauensratswahlen« der Deutschen Arbeitsfront stattfanden und im Durchschnitt zwischen fünfzig und sechzig Prozent Ja-Stimmen für die NS-Listen abgegeben wurden. In der Provinz Brandenburg wurden in fünfundvierzig Gutsverwaltungen und kleineren industriellen Betrieben nur zwischen sechzehn und neunundvierzig Prozent Ja-Stimmen verzeichnet.

Verfassung und Verwaltung
Die Machtergreifung in Preußen vollzog sich schrittweise, obwohl Göring bereits im Rahmen der Regierungsbildung vom 30. Januar zum kommissarischen preußischen Innenminister, Papen erneut zum Reichskommissar bestellt worden war. Göring begann sogleich »eine durchgreifende Säuberung von Beamtentum und Polizei«. Aber noch gab es Verfassungsorgane wie den Landtag, der am 4. Februar mit 214 Stimmen (SPD, KPD, Staatspartei, Zentrum) gegen 196 Stimmen (NSDAP, DNVP) einen Antrag auf Landtagsauflösung ablehnte.


Göring

Nach der preußischen Verfassung (Artikel 14) war der Landtag nur durch einen Beschluß des Staatsausschusses (Ministerpräsident, Landtagspräsident, Präsident des Staatsrates) auflösbar. Noch am 4. Februar widersetzten sich Braun und Adenauer der Forderung des Landtagspräsidenten Kerrl (NSDAP), den Weg für Neuwahlen freizugeben. Daraufhin erwirkte Papen, der sogar mit der Idee umgegangen war, Hindenburg noch zum Staatspräsidenten Preußens zu machen, eine weitere Verordnung des Reichspräsidenten, durch die das Urteil des Staatsgerichtshofes (25. Oktober 1932) im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Vertretung Preußens durch die gewählten Organe aufgehoben wurde. Demgemäß heißt es kaltschnäuzig in der 2. Preußen-Verordnung Papens (den kein deutsches Gericht nach 1945 belangen konnte) vom 6. Februar: »Durch das Verhalten des Landes Preußen gegenüber dem Urteil des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich vom 25. Oktober 1932 ist eine Verwirrung im Staatsleben eingetreten, die das Staatsleben gefährdet. Ich übertrage daher bis auf weiteres dem Reichskommissar für das Land Preußen und seinen Beauftragten die Befugnisse, die nach dem erwähnten Urteil dem Preußischen Staatsministerium und seinen Mitgliedern zustehen.«

Proteste Otto Brauns bei Hindenburg blieben unbeantwortet. Nunmehr konnte der Staats-Ausschuß mit den Stimmen von Kerrl und Papen mehrheitlich die Auflösung des Landtages und Neuwahlen für den 5. März beschließen. Adenauer nahm an der »Abstimmung« nicht teil, nachdem er zu Protokoll gegeben hatte, daß das Gremium verfassungswidrig zusammengesetzt sei.  Am 25. März 1933 ist dann der endgültige Amtsverzicht des Staatsministeriums beschlossen worden.

In den Landtagswahlen hatte die NSDAP wiederum die Mehrheit verfehlt und blieb mithin äußerlich auf die Deutschnationalen angewiesen; die übrigen Parteien hatten sich behauptet. Die Sozialdemokraten, denen die »Flucht« Otto Brauns in die Schweiz am Vorabend der Wahl geschadet hatte, fielen von 21,2 Prozent auf 16,6 Prozent zurück, während die Kommunisten, am stärksten verfolgt, sechs Mandate hinzugewinnen konnten.

Landtagswahlen in Preußen vom 5. März 1933
NSDAP
DNVP
SPD
KPD
44    %
9,4   %
16,6 %
13,1 %

Mit dem »Reichsstalthaltergesetz« (7. Februar 1933) hat sich Hitler die Möglichkeit verschafft, von sich aus die Regierungen der Länder zu ernennen und zu entlassen. Hitler übernahm selbst das Amt des Reichsstatthalters, übertrug jedoch die Befugnisse sogleich auf den neuen Ministerpräsidenten Göring (11. April). Neben Göring (Ministerpräsident, Inneres) waren Popitz (Finanzen), Kerrl (Justiz), Rust (Unterricht und Wissenschaft) und Hugenberg (Wirtschaft, Landwirtschaft) tätig. Die »Gleichschaltung« war im wesentlichen vollzogen. Durch Reichsgesetz vom 30. Januar 1934 ist dann auch der formal noch bestehende Landtag aufgelöst worden.

Neben den Mitgliedern kraft Amtes (Staatsminister, Staatssekretäre) saßen im Staatsrat, von Göring ernannt, sämtliche Oberpräsidenten und provinzialen Polizeipräsidenten, die Spitzen von SS (Himmler, Heydrich, Daluege, Krüger) und SA (von Jagow, Lutze, August Wilhelm Prinz von Preußen), die Oberbürgermeister von Berlin (Sahm, Lippert), Frankfurt (Krebs) und Düsseldorf (Jarres), sodann versteinerte Traditionsgestalten der Armee und Flotte (von Mackensen, Litzmann, von Trotha), der Bischof von Osnabrück (Dr. Berning) neben Reichsbischof Müller, Vertreter von Kunst und Wissenschaft (Furtwängler, Johst, Sauerbruch, Carl Schmitt), der Präsident des Reichslandbundes (Meinberg), »Männer« der Hitler und Göring verpflichteten Industrie und Bankwelt (unter anderem Thyssen, von Strauß) sowie der Generalforstmeister von Keudell. Interessant ist, welche Personen nicht von Göring berufen worden sind. Auffällig ist der geringe Anteil der älteren, außer Dienst gestellten Generalität. 15 Mitglieder gehörten alt- oder neuadligen Familien an (20,2 Prozent), während in dem von Adenauer geleiteten alten Staatsrat der Anteil des Adels geringer war (17,7 Prozent). Das Ganze besaß für Göring dekorativen und traditions-propagandistischen Charakter. Das Gremium ist selten zusammengetreten. Für einzelne Mitglieder jedoch war die Mitgliedschaft mehr als nur eine Pfründe. Sie schützte vor Verfolgungen, und sie konnte wohl auch zum Schutz Verfolgter ausgenutzt werden.

Göring als letzter preußischer Ministerpräsident wurde als »Preuße« aufgebaut, von Hindenburg noch zum General der Infanterie befördert, mit dem »Pour le merite« bekleidet. Dies war einer der raffinierten Schachzüge Hitlers. Görings politische Existenz lähmte Millionen von Menschen. Hitler ließ sich das Spiel mit dem neuen Preußen-General etwas kosten. Göring half ihm, die polizeistaatliche Ruhe in den Provinzen zu sichern. Mit blutiger Brutalität nach »unten« und jovial-liberalem Charme gegenüber unentschieden verharrenden Vertretern der Oberschichten hat er diese Aufgabe erfüllt.

Polizeistaat

In diesem NS-Preußen bestand unter der unmittelbaren Aufsicht und Verantwortung von Göring die »Preußische Geheime Staatspolizei« (Berlin, Prinz-Albrecht-Straße 8) mit Himmler, Heydrich und Best. Es war die Basis-Institution für das spätere Reichssicherheitshauptamt, nachdem Himmler sich der Unterstellung hinter Göring entzogen hatte. Hier liefen Fäden der staatspolizeilichen Überwachung zusammen, für Preußen und das übrige Reich. Eine politische Nebenregierung als unmittelbare Konkurrenz zur Staatsregierung hat sich dort nicht bilden können, weil die SS seit 1936 eigene Herrschaftsbereiche auf Reichsebene einrichtete. Das Eigeninteresse Görings war stärker als Gesichtspunkte einer einheitlicher zu gestaltenden Reichsinnenpolitik.

Das Innenministerium (1. November 1934), das Justizministerium (22. Oktober 1934), das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (1. Mai 1934), das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (2. Mai 1935), das Landwirtschaftsministerium (1. Januar 1935), das Arbeitsministerium (vor 1933: Volkswohlfahrt; II. März 1935) und das Verkehrsministerium (11. März 1935) wurde mit den entsprechenden Reichsministerien formal zusammengelegt. Die Ministerialbeamten sind in ihrem bisherigen Verhältnis als preußische Beamte verblieben.


Popitz

Die Dienstgeschäfte wurden, von einigen verlegten Abteilungen abgesehen, in den alten Dienstgebäuden wahrgenommen. Gänzlich unabhängig von Reichsbehörden blieb das Preußische Finanzministerium (Am Festungsgraben 1) mit nachgeordneten Geschäftsbereichen (Staatsbank-Seehandlung, Staatslotterie, Staatsmünze, Beamtenfürsorgebehörden, Hochbauabteilung-Bauakademie, Staatsschuldenverwaltung und anderes mehr). Mit der Rückendeckung Görings und seiner Staatssekretäre hielt der Finanzminister Popitz wiederholt schriftlich fest, daß er zusammen mit dem Reichs- und Preußischen Minister des Inneren zuständig sei für die »Allgemeine Landesverwaltung« (Oberpräsidenten der Provinzen, Staatskommissar der Hauptstadt Berlin, Regierungspräsidenten und Präsident der Bau- und Finanzdirektion Berlin). An diesem Punkt besonders zeigten sich die Schwierigkeiten, die einer raschen Eingliederung Preußens in die Reichsverwaltung entgegenstanden.

Das System der konkurrierenden Gewalten und Machthaber, mit dem Hitler arbeitete, hat auch in der preußischen Verwaltungswirklichkeit Folgen gezeitigt. Da Hitler etwa sechs Jahre nach der Machtergreifung zu einer aggressiven Außenpolitik übergehen wollte und in der Aufrüstungsphase Ruhe benötigte, blieb ihm nicht die Zeit, der »Hydra« der Ministerialbürokratie den Kopf abzuschlagen. So bestanden an vielen Stellen, am stärksten wohl in der preußischen Justizverwaltung, Traditionsinseln, die ihre eigenen Methoden der Opposition entwickelten.

Opposition

Alte Leitbegriffe wie Toleranz, Sparsamkeit, Pflichttreue, Finanzredlichkeit und Ehre konnten immer wieder einmal mit Erfolg gegen Übergriffe nationalsozialistischer Amtsträger angewendet werden. Der aus dem Dienst entfernte preußische Generalsuperintendent Otto Dibelius erhielt in zweiter Instanz vor dem Landgericht Neuruppin (1935) gegen erbitterten Widerstand von SS und Partei Recht zugesprochen, indem ein Pfarrer, der ihn als Landesverräter bezeichnet hatte, zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.


Fabian von Schlabrendorff

Der Jurist Fabian von Schlabrendorff verwies 1944 vor dem Volksgerichtshof darauf, daß Friedrich der Große die Tortur abgeschafft hätte, er - Schlabrendorff - aber gefoltert worden wäre. Er wurde freigesprochen, von der Gestapo jedoch wieder verhaftet. Heydrich, Himmler und andere Köpfe in den SS-Zentralen beobachteten die sozial bedingten Anpassungs- und Oppositions-Strömungen mit ziemlicher Klarheit. Sie haben dem Preußen-Bereich nie getraut. Keine Division der Waffen-SS trug einen preußischen Namen, im Gegensatz zu Abteilungen des Reichsarbeitsdienstes (»Friedrich von Kaue«).

Der Nationalsozialismus hat vor allem aus wahltaktischen Gründen Namen und Fragmente der preußischen Geschichte verwendet. Am bekanntesten ist eine Postkarte geworden, die zum Tag von Potsdam gedruckt worden war. Sie zeigte Friedrich, Bismarck, Hindenburg und Hitler und war mit dem propagandistisch kaum übertreffbaren Spruch versehen: "Was der König eroberte, der Fürst formte, der Feldmarschall verteidigte, rettete und einigte der Soldat".

Nationalsozialismus und Preußen- Traditionen

Er hat sich über die Verwertbarkeit der Führungsschichten Preußens kaum Illusionen gemacht. Nichts belegt das stärker als die Tatsache, daß von den rd. 500 höheren Partei- und SS-Führern, die er ernannt hatte, nur 3,4 Prozent (17) aus preußischen Provinzen stammten. Nach dem Anteil der Bevölkerung Preußens an der des Reiches hätten es fast zwei Drittel (328) sein müssen. Die Funktionäre kamen aus Österreich-Ungarn, aus Böhmen, Bayern, dem Baltikum und aus dem Ausland. Sie setzten sich wie Okkupanten in Preußens Provinzen fest. Preußischer Herkunft waren militärische und zivile Mitläufer, von denen sich nach den ersten Jahren ein Teil auf Positionen der Skepsis, des Abwartens und der Widerstandsbereitschaft zurückzog 

Es ist kein Zufall, daß unter den Verschwörern von 1943/44 einige Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten von preußischer Herkunft gewesen sind. Während sich politischer Terror, Unfreiheit und die Verfolgung der Juden in allen Provinzen ausbreiteten, entwickelte sich eine Sehnsucht nach dem »echten« Preußen mit Toleranz, Recht und Kirchlichkeit. Es ist ebenfalls kein Zufall, daß eines der ersten KZs, Sachsenhausen bei Oranienburg, in Preußen errichtet wurde. 

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Die Hohenzollern im zweiten Weltkrieg

Zu einer letzten regimefeindlichen Demonstration kam es, als am 29. Mai 1940 der älteste Sohn des Kronprinzen, der in Frankreich gefallene Prinz Wilhelm von Preußen († 26. Mai 1940), in Potsdam beigesetzt wurde. Wilhelm II. hatte ihn 1933 wegen einer den Hausgesetzen nicht entsprechenden Ehe von einer Thronfolge ausgeschlossen. Nun fand sich nicht nur das alte Preußen am Park von Sanssouci ein, fünfzigtausend Menschen, ein stummes Spalier zwischen Friedenskirche und Antikentempel bildend. Die Ehrenwache der beiden von der Front beurlaubtem Brüder Louis Ferdinand, Prinz Hubertus, der beiden Fliegeroffiziere. Dahinter, in der zerknitterten, verwitterten Uniform, wie sie von der Front kamen, zwei einfache Soldaten aus der Kompanie des Prinzen Wilhelm am Altar. Nicht zu täuschen war der Diktator, dem tags darauf der Bericht über die größte unorganisierte Demonstration seiner Regierungszeit vorgelegt wurde. Ihm war bewußt, wie geringe Einbrüche er in die Reihen der hohen und niederen Aristokratie Preußens zu verzeichnen hatte. Sogleich erkannte er die Gefahr für seine Popularität und entschied: Alle Prinzen aus ehemals regierendem Hause, vor allem aber die Hohenzollern, durften fortan nicht mehr an den Fronten eingesetzt werden, »wegen internationaler Versippung«. 

Ex-Kaiser Wilhelm II. blieb eine kleine Figur auf dem Spielbrett der Giganten; sein letzter Entschluß von einer gewissen Tragweite zeigt noch einmal die Linie der dynastischen Selbstbehauptung: Am 11. Mai 1940 schlug er das Angebot Churchills aus, nach England zu fliegen und damit das Land seiner Mutter und Großmutter im Kampf gegen den Tyrannen zu unterstützen. Nicht nur der Gedanke an sechzehn in der Wehrmacht dienende Hohenzollernprinzen hielt ihn zurück. Er wolle, meinte er mit später Selbstkritik, nicht noch einmal davonlaufen, und er wolle die Holländer in ihrem Unglück nicht alleinlassen. Er wies seinen Adjutanten an, der englischen Regierung seinen »tiefen Dank« auszusprechen, und wurde, wie alle Deutschen, zum Gefangenen Hitlers: Glaube, Haltung, aber kein kämpferischer Impuls. 


Kaiser Wilhelm
 in Doorn

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris ließ er sich unnötigerweise von seinem Hofmarschall von Dommes, den man in Berlin nach den Potsdamer Ereignissen unter Druck gesetzt hatte, dazu bewegen, Hitler ein Glückwunschtelegramm zu senden, das postwendend durch die Presse Europas ging. Das war dann die letzte der Handlungen ohne das Gespür dafür, wie diese Texte auf die preußisch- monarchistische Opposition wirken mußten. Von friderizianischem Mobiliar, einigen an St. Helena gemahnenden Getreuen und mit Sonderausweisen angereisten Familienangehörigen umgeben, ist Wilhelm II. am 4. Juni 1941 verstorben. 

Hitler plante ein »Staatsbegräbnis«, gewissermaßen einen letzten »Tag von Potsdam«, der Führer den Sarg des letzten Kaisers zynisch grüßend, vor einem Wald von Hakenkreuzfahnen. Aber Wilhelm hatte sich testamentarisch Trauerreden, Kränze und eben diese Fahnen verbeten. Und der Kronprinz, hier eindeutig, verweigerte unter Berufung auf den letzten Willen seines Vaters der Reichskanzlei die Überführung nach Deutschland. 

Preußische Generalität und Widerstand

Der preußisch-deutsche Generalstab hat in der Reichswehr- und Wehrmachtszeit immer noch einen »preußischen Typ« hervorgebracht oder doch an sich gezogen. Dies wird von vielen Beobachtern bezeugt. Er ist auch physiognomisch und phänotypisch erkennbar. Eine Frage ist es, ob dieser Offiziers- und vor allem Generalstyp sich in den politischen Prüfungen des zweiten Krieges bewährt hat und neben dem Kriegshandwerk ein sittliches Prinzip zu wahren verstanden hat. Andererseits waren preußische Konservative und Offiziere am wenigsten geeignet und vorgebildet, eine von Mordinstinkten erfüllte Gestalt zu erkennen und mit adäquater Brutalität niederzuschlagen. Die Einsicht, einem Verbrecher als oberstem Kriegsherrn zu dienen, war noch in den ersten Kriegsjahren nicht weit verbreitet. Namen wie die der Generäle von Rundstedt, Blaskowitz, von Bock, von Kluge, von Kleist, von Manstein, von Brauchitsch oder von Reichenau belegen dies trotz aller Unterschiede im einzelnen beispielhaft. 


Bock

Kleist

Kluge

Manstein

Rundstedt

Bock, Manstein und andere haben gegenüber den Offizieren des Widerstandes immer wieder auf den »Eid« verwiesen, der sie an das Staatsoberhaupt binde. Der Verlust an ethischer Bildung im höheren Offizierskorps, in wilhelminischer Zeit einsetzend, wird hier evident. Eine Kultureinheit hatte sich aufgelöst, die gemeinsame Sprache der »Preußen« war unter dem Druck der materiellen und destruktiv-säkularisierenden Zeitkräfte verlorengegangen. Man macht es sich zu leicht, wenn man nur den Nationalsozialismus, die Aufblähung des Heeres, die nachgewachsenen Leutnants-Jahrgänge für die Substanz-Defizite und Behinderungen der Widerstandswilligen verantwortlich macht. Es war ihnen nicht begreiflich zu machen, daß Hitler den Eid selbst mehrfach gebrochen und jeden Anspruch auf Gehorsam und Treue verwirkt hatte.

1944 fielen in Berlin die Entscheidungen der Widerstandskämpfer, Stauffenberg, Tresckow, Olbricht und Beck, Hitler mit einem Sprengstoff-Attentat zu beseitigen, nachdem mehrere frühere Versuche gescheitert waren. Von Henning von Tresckow, der als Generalmajor an der Ostfront stand, ist die motivierende Weisung überliefert: »Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß der deutsche Widerstand vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.« Das Attentat müsse erfolgen, koste es, was es wolle. In diesen Sätzen schwingt schon eine Ahnung mit, daß Attentat und Staatsstreich mißlingen würden.


   Hitler zeigt Mussolini den zerstörten Lageraum


Rest der Barracke mit Gedenktafel heute

Es fehlte in Stauffenbergs Plan der zweite und dritte Nachstoß durch Offiziersgruppen mit Faustfeuerwaffen im Rastenburger Hauptquartier für den Fall, daß die Bombe nicht ihren Zweck erfüllen sollte. Daß in dieser alles entscheidenden Frage keine »Reserven« von Generalstabsoffizieren bereitgehalten wurden, ist nur aus der Übereilung des Unternehmens in seiner Schlußphase zu erklären. Bei diesem Stande durften die Staatsstreichmaßnahmen von der Berliner Bendlerstraße aus erst auf die bestätigte Todesnachricht hin ausgelöst werden, wenn man nicht Suizid und Genozid einer ganzen Führungsschicht riskieren wollte.

Es sind zum größeren Teil Militärs aus altpreußischen Familien gewesen, die am Widerstand gegen Hitler unmittelbar mitgewirkt haben. Unter den mehr als sechzig Offizieren (darunter achtzehn Generäle), die nach dem Attentat auf Hitler (20. Juli 1944) durch Mord oder erzwungenen Freitod ihr Leben lassen mußten, stammen einige aus den alten und traditionsreichen brandenburgischpreußischen Familien: Major Hans-Jürgen Graf von Blumenthal († 13. Oktober 1944), Generalmajor Heinrich Burggraf und Graf zu Dohna-Schlobitten († 14. September 1944), Oberst i. G. Wessel Freiherr von Freytag- Loringhoven († 26. Juli 1944), Oberstleutnant Fritz von der Lancken († 29. September 1944), Oberst i.G. Hans-Ottfried von Linstow († 30. August 1944), Major i.G. Hans Ulrich von Oertzen († 21. Juli 1944), General der Infanterie Friedrich Olbricht († 20.Juli 1944)., Generalmajor Hans Oster († 9.April 1945), General der Artillerie Friedrich von Rabenau († 12. April 1945), Generalmajor Helmut Stieff († 8. August 1944), General der Infanterie Carl Heinrich von Stülpnagel († 30. August 1944), Generalmajor Henning von Tresckow († 21. Juli 1944), Oberstleutnant Gerd von Tresckow († 6. September 1944), Oberstleutnant i. G. Hans-Alexander von Voß († 8. November 1944), Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben († 8. August 1944) und zahlreiche weitere, die den preußischen Ost- und Mittelprovinzen entstammten oder durch ihren Berufsweg in der preußischen Verwaltung, in preußischen Regimentern oder auch durch preußische Vorfahren entscheidend geprägt worden sind. Insofern sind die Grafen Claus und Berthold Schenk von Stauffenberg, auch als Nachfahren Gneisenaus, dem preußischen Beziehungsfeld zuzurechnen. 

Unter den Beteiligten des Widerstandes, die der Hinrichtung entgingen, sind vor allem Fabian von Schlabrendorff, General d. P. Hans Freiherr von Esebeck sowie Generalmajor Siegfried von Stülpnagel zu nennen. Weit größer als beim Militär mit seiner Bindung an Fahnen, Eid und Befehl erwies sich der Kreis der sonstigen »Preußen« im Widerstand. Pommern, West- und Ostpreußen, die Mark Brandenburg, Berlin und die Provinz Sachsen sind hier wohl am stärksten vertreten. Ewald von Kleist-Schmenzin († 16. April 1945) gab seinem Sohn, dem Leutnant Ewald Heinrich von Kleist, auf die Frage, ob er sich an dem Attentat auf Hitler beteiligen solle, die Antwort: »Ja, Du mußt es tun. Jeder, der eine Gelegenheit wie diese vorübergehen läßt, wird in seinem Leben nie mehr glücklich sein können«.


Witzleben vor dem Volksgerichtshof

In Pommern wurden nach dem 20. Juli sämtliche im Verdacht der Opposition stehenden Großgrundbesitzer verhaftet, nachdem bereits im Frühjahr Elisabeth von Thadden († 8. September 1944) mit anderen Oppositionellen (unter anderem Otto Kiep) in Berlin verhaftet worden war. Aus Ost- und Westpreußen stammten die Brüder Carl († 2. Februar 1945) und Fritz Goerdeler (Stadtkämmerer von Königsberg, t 1. März 1945), Major Helmuth Groscurth († März 1943), Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort († 4. September 1944). In Schlesien arbeiteten für den Umsturz der »Kreisauer Kreis« mit Helmut Graf von Moltke/Kreisau († 23. Januar 1945), Theodor Steltzer, Adolf Reichwein († 20. Oktober 1944), Adam von Trott zu Solz († 26. August 1944), dem Regierungspräsidenten von Niederschlesien Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg († 10. August 1944), Eugen Gerstenmaier sowie Regierungsdirektor Michael Graf von Matuschka († 14. September 1944). In Berlin-Brandenburg, dem Zentrum des Widerstandes wegen der Einheit von Reichshauptstadt und Preußen-Zentrum, waren es in dieser Phase vornehmlich Ernst von Harnack († 5. März 1945), der Berliner Stadtkommandant Generalleutnant Paul von Hase († 8. August 1944), der aus der Provinz Sachsen stammende Berliner Polizeipräsident Wolf Graf von Helldorf († 15. August 1944), Wilhelm-Friedrich Graf zu Lynar-Lübbenau († 29. September 1944), der Sohn des Physikers Staatssekretär außer Dienst Erwin Planck († 23. Januar 1945), der im Amt befindliche Preußische Finanzminister Johannes Popitz († 2. Februar 1945), Botschafter Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg († 10. November 1944), die der zentralen Widerstandsgruppe angehört haben. Der Potsdamer Regierungspräsident Graf Gottfried von Bismarck-Schönhausen (auf Reinfeld), ein Enkel des Reichsgründers, erlebte das Kriegsende im SS-Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg. So ließen sich mehrere hundert Mitwisser und Beteiligte des Juli-Aufstandes benennen.

Preußische Widerstandskämpfer

Moltke

Oster

Tresckow

Trott zu Solz

Yorck

Dies alles bestätigt die These, daß wohl mehr als zwei Drittel der am 20. Juli 1944 in irgendeiner Form Mitwirkenden dem «preußischen« Milieu im Reich zuzurechnen sind. Hitler wußte sehr wohl, daß neben größeren Teilen der Arbeiterschaft in der Berliner Zentrallandschaft, in Stettin und in den mitteldeutschen Revieren und neben der Kirchenopposition vor allem konservative und progressive Altpreußen seinen Sturz herbeisehnten und dafür zu bluten bereit waren. Hitlers Haß und Rachsucht kannten keine Grenzen. Alle Vorgänge, von den Volksgerichtshofverhandlungen bis zu den Hinrichtungen, wurden gefilmt und dem Diktator vorgeführt. Nur wenige blieben ihm entzogen.

Staatsverwaltung im Krieg

Die Zukunft Preußens im Rahmen des deutschen Reiches war ein zweitrangiges Thema für die Widerstandsgruppen. Die Diffamierung Preußens im In- und Ausland hat die Verwaltungs-Juristen wohl nicht unbeeinflußt gelassen. Aus den Herkunftsländern der führenden Nationalsozialisten berichtete Ulrich von Hassell im September 1941: >‘In Bayern und Österreich herrsche ein nie dagewesener Haß gegen Preußen. Daher sei übrigens auch eine Hohenzollern-Monarchie unmöglich.« Der preußische Finanzminister und Verwaltungs-Chef, Popitz, hatte mit Kronprinz Wilhelm († 1951) Gespräche geführt und dabei im Juli 1941 die Zusage des nunmehrigen Chefs des Hauses Hohenzollern erhalten, sich an einem Staatsstreich zu beteiligen. Die Frage der Wiedereinführung der Monarchie überhaupt und die Problematik der Übernahme einer politischen Funktion (»Reichsverweser«) durch einen Hohenzollern blieb unentschieden. Sie wurde »späterer Entwicklung« überlassen; dies auch deswegen, weil man bei einem Scheitern des Attentats und einer Entdeckung der Beteiligten ein Ausmorden des Hauses durch Hitler zu befürchten hatte.

Zusammenbruch

Der von Hitler begonnene Krieg schlug mit Härte zurück. Die fünf westlichen Provinzen wurden im Februar, März und April von Amerikanern, Engländern und Kanadiern eingenommen und behielten bis zur Ebene der Regierungsbereiche ihre bisherige Verwaltungsstruktur. Im Osten zogen die russischen Regimenter unter anderen Führungszeichen als 1812/13 in die Provinzen ein.

Millionen von Menschen gingen in Ansturm und Widerstand, auf Straßen und in Lagern, in Hungersnöten und Epidemien zugrunde, während die letzten Amtsschilder mit dem Ordnung verheißenden Preußen-Adler von den Mauern gerissen wurden. Als Beispiel sei auf einige der ältesten Adels-Familien des preußischen Osten verwiesen, die wie in allen Kriegen einen hohen Blutzoll im Krieg, im Widerstand und auf der Flucht entrichten mußten. Die höchste Zahl an Kriegstoten und Ermordeten (Gefallenen) weisen auf: von Arnim 62 (33), von Puttkamer 62 (18), von Bülow 47 (35), von Wedel 47 (27), von Zitzewitz 45 (14), von Kleist 38 (18), von Dewitz 37 (22), von Winterfeld 37 (18), von Bredow 29 (20), von Klitzing 27 (14), von Knobelsdorff 27 (10), von der Schulenburg 26 (12), von Schwerin 25 (15), von Kalckstein 24 (6), von Bonin 24 (16), von der Marwitz 21(5), von Tresckow 21(8), von Richthofen 19 (7), von Schlieffen 17 (13), von Werder 17 (8), von Borcke 17 (9), Finck von Finckenstein 15 (5), von Blücher 14 (12), von der Osten 14 (9), von Dohna 13 (8) und von Bismarck 13 (8). Den Vorrang unter den Herkunftsgebieten dieser Familien nehmen Pommern, Ostpreußen und die Mark Brandenburg ein. Mehr als fünfhundert Personen des Adels sind bei der Besetzung der Provinzen sogleich in der Nähe ihrer Besitzungen ermordet, erschossen oder auf andere Art ums Leben gebracht worden. Die gesamte Führungsschicht als »Klasse« sollte dezimiert, »Preußen« an der Wurzel getroffen werden.


Schloßruine Muskau

Dieser Direktive entsprechend ist vielerorts auch mit Schlössern und Herrensitzen verfahren worden. Am härtesten traf es West- und Ostpreußen sowie Hinterpommern. In Ostpreußen gingen unter anderem durch Brandlegung zugrunde die Schlösser Finckenstein, Schlobitten, Gallingen, Prassen, Wicken, Dönhoffstädt, Groß-Wohnsdorff, Auer, Waldburg und Friedrichstein, sämtlich mit unersetzbaren Kunst- und Handschriftensammlungen sowie Bibliotheken. In Schlesien wurden die Schlösser Trachenberg, Freiburg, Kamenz, Liegnitz, Muskau, Neukirch, Ohlau und Pilgramsdorf eingeäschert. In Brandenburg brannten aus oder wurden abgetragen unter anderem das Brühl-Schloß in Pförten, Friedensdorf und Wolfshagen, in Pommern unter anderem Stargordt und Versin, das von zurückweichenden Truppen gesprengt wurde.

Die Liste ließe sich verlängern. Das durch Bomben beschädigte Schloß in Königsberg verfiel später dem Abbruch. Die Zerstörungen in Städten und Dörfern, auch durch Brandlegung, sind nicht annähernd zu umschreiben. Dazu kam die Verwüstung der Industrie durch sofort einsetzende Ausschlachtungen und Demontagen. In wenigen Wochen brannten nach Bombenangriffen die Innenstädte von Königsberg, Breslau, Berlin, Stettin und Magdeburg aus; Küstrin, Kolberg und Glogau, noch einmal erbittert verteidigte alte Festungsorte, gingen großenteils in Erdkämpfen zugrunde. 

Die Stätten der preußischen Geschichte schienen nicht mehr zu existieren. Die Reste des Staates glühten gleichsam aus. Das Finale hätte nicht schreckensreicher ausfallen können. Eine Kulturarbeit von Jahrhunderten schien großenteils aufgegeben und eingeebnet. Was in allen Kriegen des 18. und 19.Jahrhunderts vermieden werden konnte, trat ein: Rußland konnte sich, mit Hilfe der Deutschen, Österreicher, Franzosen und Engländer bis an die Elbe, bis in die Zentralräume Europas vorschieben. Preußens Auflösung hatte ihm den Weg bereitet.


Zerstörtes Potsdam

Okkupation und Preußenhaß

Die Zertrümmerung der alten Formen, die Bismarck als eine seiner Aufgaben bezeichnet und die er begonnen hatte, ist von den nachfolgenden Mächten so gründlich weitergetrieben worden, daß es heute vielen schwer fällt, die Welt des alten Preußen zu verstehen. In den vier Besatzungszonen und in den Annektionsgebieten der am Sieg beteiligten Mächte war »Preußen« unerwünscht. Seine Fragmente gehörten zur Kriegsbeute, waren zur Deportation oder Ausplünderung freigegeben. Das Verhalten Preußens, seiner Verbündeten und seiner Gegner nach gewonnenen Kriegen im 18. oder 19. Jahrhundert zeichnete sich durch zivilisiertere Formen aus.

Im Sommer 1945 lebte das Bild eines immer noch nicht ausgelöschten Preußen in diplomatischen Denkschriften und Meinungstraktaten bei denen wieder auf, die aus dem besetzten Reich Teile herauslösen wollten, jene Randstaaten Deutschlands eingeschlossen, die die Kriegsmaschinerie Hitlers mehr beliefert als gestört hatten. »Preußen« galt allenthalben als eine Art Signalwort für deutschen »Militarismus«, derweilen auf alten Kasernenhöfen in Ost und West schon wieder die Bereitschaft zu Wehrbeiträgen getestet wurde. »Preußen« schließlich auch als Reizwort für Großgrundbesitz, um mit der Zerstörung agrarwirtschaftlicher Strukturen in Mittel- und Ostdeutschland die Sozialisierung auf dem Lande voranzutreiben.

Neben den zynischen, im Auftrage von Regierungen und Parteien handelnden Propagandisten standen jene ratlos Gewordenen, Enttäuschten und mit Recht Verbitterten, für die der negative Begriff eine Art Entlastung bedeutete, weil er geeignet zu sein schien, die »Schuld« auf andere abzuwälzen. Sie gehörten zu den letzten Opfern der Hitlerschen Propaganda. Daß der Nationalsozialismus preußische Leitvokabeln lediglich aufgegriffen und ausgeschlachtet hatte, daß beides von der Wurzel und Entwicklung her nichts gemeinsam hatte, war in den ersten Nachkriegsjahren öffentlich kaum vertretbar. 

Der Preußenhaß hat nach 1945 in den Besatzungszonen Deutschlands die absonderlichsten Blüten getrieben, von serienweise ausgetauschten Straßen-, Schul- und Ortsnamen bis hin zur Sprengung der Schlösser in Berlin (1951) und Potsdam und der Potsdamer Garnisonkirche (1968). In Potsdam hat die Denkmalsstürmerei nach 1945 besonders absurde Züge angenommen. 1947 wurde eine Veranstaltung von Übereifrigen in Szene gesetzt, bei der ein alter Sarg mit der Aufschrift »Geist von Potsdam« auf der Havel versenkt werden sollte. Obwohl Schüsse abgegeben wurden, wollte die Kiste nicht absacken. Man hatte einige physikalische Gesetze nicht beachtet. Das Experiment wurde nicht wiederholt.


"Der Geist von Potsdam"

Preußen vor dem Kontrollrat

Vor diesem Hintergrund gewinnt der verspätete Berliner Kontrollratsbeschluß der Alliierten von 1947 seine Dimensionen. Eines besonderen Beschlusses über die Auflösung des preußischen Staates hätte es nicht bedurft, da er nicht mehr existent war und teilweise bereits neue Verwaltungseinheiten an die Stelle der alten getreten waren. Aber das sowjetische Rußland, Preußens einstiger Seniorpartner, wünschte den letzten Hammerschlag gegen Preußen zu führen. Frankreich, das England Attlees und die Vereinigten Staaten beteiligten sich interessiert, arglos oder gleichgültig. Das Interesse der Sowjetunion an solchen Festschreibungen war verständlich, da diese mit ihrer Klientel als eigentlicher Gewinner im östlichen Mitteleuropa eine territoriale Basis errichtet hatte. So war es in erster Linie ein Akt sowjetrussischer Besitzstandssicherungspolitik, aber auch ein Vorgang, der bestimmten Strömungen und Hoffnungen in Frankreich und in Polen entgegenkam. England hatte lange gezögert; noch in Jalta (5. Februar 1945) und in Potsdam (21. Juli 1945) hatte Churchill gegenüber Stalin Bedenken angemeldet, die die Zertrümmerung der Ostflanke des deutschen Reiches betrafen. Am 25. Februar 1947 verkündete der Kontrollrat, ironischerweise im Gebäude des Preußischen Kammergerichts in Berlin-Schöneberg tagend, in einem Dekret: »The Prussian State together with its central government and all its agencies is abolished.« Der Beschluß ist durch deutsche Parlamente nicht bestätigt worden. Zur Begründung führten die Kontrollratsmächte an, Preußen sei ein Herd des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen (»a bearer of militarism and reaction in Germany«). Man hätte sich eine etwas intelligentere Begründung einfallen lassen können. An den in der zivilisierten Welt zwischen 1701 und 1933 geführten Kriegen sind Frankreich mit achtundzwanzig Prozent, Großbritannien mit dreiundzwanzig Prozent, Rußland-Sowjetunion mit einundzwanzig Prozent und Preußen-Deutschland mit lediglich acht Prozent beteiligt gewesen.


Konferenz von Jalta

Es bleibt festzuhalten, daß das Preußen-Dekret des Kontrollrats kein Gegenstück für das Reich gefunden hat. Viel Ehre für den längst am Boden liegenden Preußen-Adler, daß vier Großmächte nach einem Wege von »Versailles« über »Moskau« nach »Jalta« einige Schwanzfedern des edlen Greifvogels Post mortem an das Gerüst dieses sonderbaren Auflösungsgesetzes nageln zu müssen meinten.

Verluste

Preußens Hinterlassenschaften erstrecken sich über weite Gebiete, gleichviel, ob es sich um materielle Kulturen, um Ideen oder um politische und militärische Konstellationen oder Verhaltensformen handelt. In Preußen haben sich neue Bewohner mehr oder minder wohnlich einrichten müssen. So wie altpreußische Burgen, Schlösser und Herrensitze zwischen Ostpreußen und der Altmark mit zum Teil seltsamen Methoden neuen Zwecken dienstbar gemacht worden sind. Deshalb ist die Frage nach den preußischen Hinterlassenschaften (Bevölkerung, Staats- und Rechtsideen, Militärtraditionen, Hauptstadt und Kultursammlungen) nicht zur Ruhe gekommen. Ein bedeutendes Staatswesen ist nicht mit einem Kontrollrats-Dekret abzustellen. Das Gefühl eines Verlustes bewegt viele, die ihre Gedanken auf die Zukunft der Deutschen richten. Es bewegt wohl auch jene verspäteten Nachfahren preußischer Geschlechter, die aus Weltangst und Bewegungsfurcht "Warnungen vor Preußen« aussprechen. Charles de Gaulle hat kühl die Frage aufgeworfen, was »Deutschland« ohne Preußen überhaupt sei.

Zu den Hinterlassenschaften zählte neben der Verwaltung, in der sich auf deutscher Seite preußische Formen, Einrichtungen und Rechtsgrundlagen bis heute erhalten haben, vor allem die Bevölkerung, zumal die der mittleren und östlichen Provinzen. Es ist bekannt, daß die Einwohnerschaft der Ostprovinzen mehr als jeder andere Bevölkerungsteil im Deutschen Reich unter den Folgen des Krieges und Kriegsausganges zu leiden hatte. Um 1950 lebten noch hundertvierzigtausend Ostpreußen, dreißigtausend (Hinter-) Pommern, zwanzigtausend Ostbrandenburger und achthundertvierzigtausend Schlesier in ihrer Heimat.

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Die übrigen Bewohner, mehr als sieben Millionen Menschen, waren während des Krieges geflohen oder wurden nach Kriegsende durch Verschleppung in russische Arbeitslager und durch die vom Alliierten Kontrollrat gebilligten »Ausweisungen« von ihren Wohnsitzen gewaltsam verdrängt. Aus den von der Sowjetunion und Polen annektierten Provinzen sind rund vierundzwanzig Prozent der gesamten preußischen Bevölkerung (Stand 1933) vertrieben oder ausgesiedelt worden. Da sich noch etwa dreihunderttausend ehemalige preußische Staatsbürger vor allem in Oberschlesien und Ostpreußen befinden, dürfte der tatsächliche Abwanderungsprozentsatz etwas geringer sein. Weitere sechsundzwanzig Prozent der preußischen Altbevölkerung (und deren Nachkommen) behielten 1945/46 ihre Wohnsitze in den preußischen Mittelprovinzen (Brandenburg, Berlin, West-Pommern, Sachsen, West-Niederschlesien). Ein Teil dieser Bevölkerung (1933: 10589517 Einwohner) hat dann, im wesentlichen zwischen 1948 und 1961, den Wohnsitz in Richtung Westen gewechselt. Andererseits ist ein Teil der Vertriebenen in den ehemaligen Mittelprovinzen ansässig geworden. Es läßt sich mit Sicherheit sagen, daß mehr als drei Viertel (rd. sechsundsiebzig Prozent der »Preußen« nach 1945) in Gebieten verblieben sind, die 1932 zum Freistaat Preußen gehört haben. Der Gebietsverlust, den Preußen durch die Annexionen nach dem zweiten Weltkrieg erlitten hat, beläuft sich auf neununddreißig Prozent seines Staatsgebietes (Stand 1934). 

Zur Nachlebensgeschichte Preußens gehört die Geschichte der Staatsprovinzen und des dort verbliebenen kulturellen Erbes durch die Nachfolgestaaten. In Polen, wo man unter den Belastungen des ersten Nachkriegsjahrzehnts Jahrhunderte der preußischen und deutschen Geschichte der Ostprovinzen für nicht existent erklärt oder dämonisiert hatte, wandte man sich dennoch stärker den historischen Realitäten zu, auch wenn noch Teilen der Bevölkerung, zumal jüngeren Generationen, unklar bleibt, auf welchem vielschichtigen Geschichtsboden sie leben.