Potsdam

 

 

Potsdam Anfang des 19. Jahrhunderts

Anderthalb Jahrzehnte nach seinem Beginn erreichte der große Krieg in Europa schließlich auch Potsdam. Im Oktober 1806 drang die Garde Imperiale Napoleons in die Stadt ein. Am Abend des 24. Oktober 1806 stand Napoleon I. in der mit Fackeln beleuchteten Gruft der Potsdamer Garnisonkirche vor dem Sarg Friedrichs des Großen. 

Erst am 2. September waren die Potsdamer Garden über die Lange Brücke in die Schlacht marschiert, nun kehrten die Überlebenden als Gefangene der französischen Sieger in ihre Garnison zurück. Napoleon hatte das Stadtschloß zwei Tage als Quartier gedient. Er ließ sich durch die ehemaligen Wohnräume Friedrichs des Großen führen, der als Feldherr seine besondere Wertschätzung genoß, besuchte die Garnisonkirche und die Anlagen von Sanssouci. Der Kaiser verließ Potsdam bald wieder, neuen Feldzügen und neuen Eroberungen entgegen. Mit sich nahm er als Kriegsbeute den Schwarzen Adlerorden Friedrichs des Großen, den Interimsdegen und zahlreiche Kunstgegenstände aus den Potsdamer Schlössern. Doch die französische Armee hielt Potsdam weiterhin besetzt, zeitweilig mit bis zu 6 000 Mann. Damit begann unter dem Druck des Besatzungsregimes für die Einwohner eine harte und entbehrungsreiche Zeit. Da Potsdam Hauptkavalleriedepot der französischen Armee wurde, galt es nicht nur, die Besatzungstruppen täglich mit Brot und Wein, Fleisch und anderen Nahrungsmitteln zu versorgen; auch Tausende zum Teil in Kirchen untergestellte Pferde forderten ihre tägliche Ration an Futter. In den zwei Jahren französischer Besatzung verließen rund 2 500 Potsdamer ihre Heimatstadt. Viele waren durch die als Kontinentalsperre deklarierte Sperrung aller überseeischen Rohstoffzufuhren um Lohn und Brot gebracht worden. 


  Napoleon am Sarg Friedrich II.

Von den ehedem 450 Nowaweser Webstühlen arbeiteten nach kurzer Zeit nur noch fünf. In den Textilmanufakturen sah es nach dem Aufbrauchen der letzten Baumwollvorräte nicht viel besser aus. Angesichts der großen Arbeitslosigkeit mußte der Potsdamer Magistrat im September 1808 eingestehen, daß er über keine Mittel verfüge, der Not wirksam zu begegnen. Da auch die anderen Gewerbe darniederlagen, blieb den arbeitslos gewordenen Handwerksgesellen nur der Bettelstab. Die Waisen und Witwen der Potsdamer Soldaten, die in den Schlachten des vergangenen Krieges den Tod gefunden hatten oder in Gefangenschaft geraten waren, vergrößerten die Zahl der Bettler.

Die Stadtkassen waren leer, mußte doch Potsdam bis Ende Januar 1808 für die Beherbergung der französischen Truppen 850 000 Taler aufbringen. Damit nicht genug. Der Magistrat wurde außerdem verpflichtet, seinen Anteil an den preußischen Kriegsschulden und den von Preußen allgemein zu leistenden Besatzungskosten zu übernehmen. Auch die Aufnahme eines größeren Kredits bei Hamburger Finanzkreisen erleichterte nicht die prekäre Lage der Stadt. Der Magistrat sah sich gezwungen, eine Insolvenzerklärung abzugeben. In langen zähen Verhandlungen mit der Kammer der Kurmark wurde immerhin ein Zahlungsaufschub erreicht. Die fällige Kontributionssumme war noch lange nicht abgetragen, als im Dezember 1808 die französischen Truppen Potsdam räumten und wenige Monate später Potsdamer Truppenverbände wieder in ihre Garnison einrückten. Wenigstens die Lage der Soldatenwitwen und -waisen verbesserte sich, konnten sie doch wieder mit staatlicher Unterstützung rechnen.

Allmählich belebte sich die Tätigkeit einiger Potsdamer Manufakturen, so die der Gewehrfabrik als des damals bedeutendsten Unternehmens in Potsdam, das im Sommer 1812 wieder 210 Beschäftigte zählte.

Erst nach der Völkerschlacht von Leipzig im Herbst 1813 war die Gefahr einer neuen Besetzung durch französische Truppen für Potsdam endgültig vorbei. An den Auswirkungen der Kriegs- und Okkupationszeit litt die Stadt indes noch lange. Seit 1814 hatten ihre Einwohner eine jährliche Zinsen- und Kriegssteuerlast von über 65 000 Talern zu tragen, die um so schwerer aufzubringen war, als das gewerbliche Leben nach Kriegsende nur schwer wieder in Gang kam. Ausnahmen bildeten die Gewehrfabrik und eine größere Tuchmanufaktur, denen Heeresaufträge einen festen Absatz sicherten. Die schweren Kriegsfolgen zeigten sich auch im Potsdamer Stadtbild. Die Stadt machte einen vernachlässigten und heruntergekommenen Eindruck. Viele Häuser im Zentrum waren, von ihren Besitzern aufgegeben, unbewohnt. Die 1795 einem Brand zum Opfer gefallene Nikolaikirche lag über fünfzehn Jahre nach Kriegsende immer noch in Trümmern. Der Wilhelmsplatz war ein einziger Morast, und auch der mit Wasser angefüllte Bassinplatz bot keinen erfreulichen Anblick. Erst nach und nach gewann Potsdam wieder ein freundliches Aussehen, nachdem unter der Leitung Peter Joseph Lennés umfangreiche Verschönerungsarbeiten eingeleitet und im Rahmen dieser Maßnahmen bedeutende Mengen von Sand als Füllgut für die morastigen Plätze im Zentrum der Stadt aufgeschüttet worden waren.

Mit der königlichen Kabinettsorder vom 10. April 1826 verfügte Friedrich Wilhelm III. den Bau der Kolonie »Alexandrowka«, des wohl bemerkenswertesten Denkmals russisch-preußischer Freundschaft. An der Seite Alexanders I. hatte der preußische König die Siegeszüge gegen Napoleon am 19. Oktober 1813 in Leipzig und am 31. März 1814 in Paris bestritten. Die 1817 geschlossene Ehe zwischen Prinzessin Charlotte und dem Zarensohn Nikolai verband die beiden Herrscherhäuser noch enger. Alexanders Tod im Dezember 1825 und die Krönung Charlottes zur Zarin Alexandra Fedorowna gaben Anlaß zu diesem Denkmal. Heimstatt für die hier verbliebenen, seit vielen Jahren von der Heimat getrennten russischen Sänger sollte die Kolonie »Alexandrowka« fortan sein. Der aus 62 Kriegsgefangenen bestehende Chor war am 14. Oktober 1812 nach Potsdam abkommandiert und der Leibkompanie des Ersten Garde-Regiments zu Fuß zugeteilt worden. 


Kolonie      
Alexandrowka

Nach der Konvention von Tauroggen am 30. Dezember 1812 hatten sie an den Feldzügen ihrer Kompanie teilzunehmen. Während ihre Landsleute nach dem Bündnis zwischen Rußland und Preußen am 18. Februar 1813 den russischen Bataillonen zugeteilt wurden, verblieben die Sänger auf Wunsch des Königs als »Geschenk« des Zaren in preußischen Diensten. 1815 füllte Alexander während seines Rückmarsches die durch »Kriegsblessuren« gelichteten Reihen des Chores wieder auf. Im Todesjahr des Zaren 1825 waren von den einst 62 Sängern nur noch 19 am Leben.

Planung und Bau der Kolonie »Alexandrowka« verliefen nach den Regeln preußischer Akuratesse. Befehlsmäßig wurde laut Kabinettsorder »die Leitung der ganzen Ausführung des Planes« dem Kommandanten des Ersten Garde-Regiments zu Fuß, Oberst von Röder, übergeben. Zusammen mit dem Kommandeur der Garde-Pionier-Abteilung und Gartendirektor Lenné entwickelte man die Ideen für den Bau der befohlenen »Häuser ... nach der Art der Russischen Bauernhäuser« sowie für die Gestaltung der äußeren Umgebung, Anlage der Gärten, Schmuckpflanzungen und Alleen. Von vier Standortvorschlägen war bereits am 14. Januar 1826 die Entscheidung für den »vor dem Nauener Tor gelegenen« getroffen worden. Dort, wo die beiden nördlichen Ausfallstraßen gegeneinander laufen, formte Lenné aus der alten Spandauer Chaussee durch Hinzufügen eines Kreuzungsarmes das der Militärkolonie »Alexandrowka« zugrunde liegende Andreas-Kreuz aus. Nicht minder klug waren die Entwürfe Snethlages für die Bauwerke. Zum Bau der massiven Militärkirche kamen »die Bisse und auch die kirchlichen Geräte von St. Petersburg«. Imitationen hingegen wurden die Blockhausbauten, aus denen man die Gehöftanlagen für die 12 Kolonisten, die für den preußischen Aufseher der Kolonie, Feldwebel Riege, und für den Kirchen-Ältesten Tornofski zusammenfügte. Hinter ihren anmutigen, filigran verzierten Fassaden verbirgt sich eine solide Fachwerkkonstruktion. Am 2. April 1827 bezogen die Kolonisten und ihr Aufseher die repräsentativen Gehöfte, wo sie Haus, Hof und Ställe mit einem vollständigen Inventar ausgestattet vorfanden. Auch die sich den Höfen anschließenden großen Obst- und Gemüsegärten waren angelegt und bestellt. Sie erhielten laut Statut die Grundstücke »als nutzbares Eigenthum nebst dazugehörigem Zubehör und Inventar«.  Heute leben in der Kolonie noch in männlicher Erbfolge Nachkommen zweier Kolonisten.

Nach einer dreijährigen Bauzeit fand am 11. September 1829 die feierliche Einweihung der Kirche statt. Das architektonische Erscheinungsbild der mit fünf Zwiebeltürmen versehenen Kapelle und des in »bunter Manier« ausgeführten Wohnhauses des Kirchenältesten Tornofski auf dem Kapellenberg wurde von dem damaligen Geheimen Oberbaurat Karl Friedrich Schinkel maßgeblich beeinflußt.


                russische Kirche

Nach dem Rückzug der französischen Besatzungstruppen im Dezember 1808 begann für Potsdam ein neuer Abschnitt seiner Geschichte. Die preußische Städteordnung vom 19. November 1808 erklärte die Stadt und ihre Bewohner gleichsam — wenn auch eingeschränkt — für mündig. Sie beseitigte die bisherige bürokratische Überwachung durch der Steuerrat, beschränkte damit die Staatsaufsicht und überließ die städtische Verwaltung zu wählenden städtischen Organen, trennte indes die Justiz und Polizei von der künftigen kommunaler Selbstverwaltung.

Potsdams Stellung als Überregionales Verwaltungszentrum festigte sich, seitdem die neue Regierung der Kurmark und die Verlegung der Oberrechnungskammer nach Potsdam eine Entwicklung ein geleitet hatte, die hier bis 1836 zur Konzentration von 17 Verwaltungs-, Militär- und Justizbehörden führte. Diese sozialökonomische Struktur gab der Potsdamer Einwohnerschaft ein besonderes Gepräge. Ende der sechziger Jahre standen 28 % aller Potsdamer Erwerbspersonen in Militärdiensten.

Eine herausragende Bedeutung hat für Potsdam nach 1815 das Schaffen großer Architekten, Bildhauer, Kunsthandwerker, Garten- und Landschaftsgestalter erlangt. Sie, namentlich Karl Friedrich Schinkel und Peter Joseph Lenné, trugen dazu bei, Potsdam mit seinen Schlössern und Gärten wie seinen städtischen Sakral- und Profanbauten zu einem Gesamtkunstwerk von nationaler Bedeutung zu erheben. Vor allem die Erfordernisse Potsdams als Garnison, Residenz und Verwaltungsmittelpunkt der Provinz Brandenburg und des Regierungsbezirkes Potsdam standen im Zentrum allen Baugeschehens. Die Erweiterung der Potsdamer Garnison, deren Angehörige 1841 bereits 6 700 Mann zählten, und der Übergang zur Kasernierung machten umfangreiche Neubauten von Truppenunterkünften und anderen militärischen Einrichtungen notwendig. Seit 1835 entstanden in schneller Folge eine Reihe meist vom historisierenden Burgenstil geprägte Militärbauten, die noch heute im Potsdamer Stadtbild unübersehbare Zeichen setzen. Auch die königliche Familie hat in dieser Zeit umfangreiche Bauaufträge vergeben. Zahlreiche fiskalische Neubauten, die Vollendung der das Stadtzentrum architektonisch beherrschenden Nikolaikirche, die Ausdehnung und Umgestaltung der Parkanlagen, die Verschönerung der öffentlichen Plätze und die Verlegung eines massiven Straßenpflasters in der Innenstadt gaben Potsdam schon bis 1848 ein repräsentatives Aussehen. Neue Villengebäude für adlige Pensionäre, höhere Offiziere und Beamte bildeten mit den neuen Kasernen und Magazingebäuden vornehmlich im Norden und Nordosten Potsdams architektonische Ensemble, in denen sich der Charakter der Stadt als Militär- und Beamtenstadt eindrucksvoll verkörperte. Zugleich dehnte sich Potsdam in mehrere Richtungen aus, in seinen fünf Vorstädten setzte eine intensive Bebauung ein.

In der gleichen Zeit hatten preußische Reformer auch in Potsdam den Grund für einen Aufschwung gelegt. Der Zunftzwang fiel, die preußische Städteordnung von 1808 beseitigte die bisherige staatliche Bevormundung durch den Steuerrat und überließ bedeutende Zweige der kommunalen Verwaltung gewählten städtischen Organen: der Stadtverordnetenversammlung und dem von ihr berufenen Magistrat. Seit 1815 hat Potsdam eine bedeutende Entwicklung nehmen können. Es erreichte bis 1870 eine Gesamtbevölkerungszahl von annähernd 50 000 Einwohnern. 


Nikolaikirche           

Die Stadt wuchs nun über die endlich gefallenen Stadtmauern hinaus. Auch ihre Verkehrsverbindungen wurden in dieser Zeit ausgebaut. Der um die Jahrhundertwende befestigten Chaussee nach Berlin folgte der Neubau einer massiven, auf acht gußeisernen Bögen ruhenden Havelbrücke (Lange Brücke) im Jahre 1825, die die Verbindungen mit dein Teltow und der Zauche verbesserte. Eines der ersten in Deutschland gebauten Dampfschiffe verkehrte schon um 1820 zwischen Berlin und Potsdam als Fahrzeug der preußischen Post. Nach 1850 entstanden Chausseen nach Treuenbrietzen, Fahrland, Nauen, Eiche und Saarmund; die wichtigste Straße nach Berlin gewann durch den Neubau der massiven, aus Klinkern gebauten Glienicker Brücke, zwischen 1831 und 1834 nach einem Entwurf von Schinkel errichtet, eine neue Qualität. Mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie zwischen den beiden preußischen Residenzstädten, als eine der ersten auf deutschem Boden überhaupt, wurde im Herbst 1838 die Grundlage für ein modernes Transportsystem von und nach Potsdam geschaffen. Bis 1846 überwog auf der neuen Strecke noch der Personenverkehr gegenüber dem Gütertransport. Schon im ersten Jahr ihres Bestehens fuhren mit der neuen Eisenbahn täglich über 2 000 Personen. Wenige Jahre später folgte die Weiterführung der Linie in westliche Richtung. Als die neue Gesamtstrecke zwischen Berlin und Magdeburg im August 1846 eröffnet werden konnte, hatte Potsdam endgültig Anschluß an das im Entstehen begriffene deutsche Eisenbahnnetz gefunden.

 

 
 
Potsdam von der Revolution bis zur Kaiserresidenz

Der Beginn des heraufziehenden industriellen Zeitalters zeigte sich in Potsdam vor allem in der Einführung der Dampfkraft und im Ausbau des Verkehrswesens. Schon 1816 verkehrte der Flußdampfer "Prinzessin Charlotte von Preußen" regelmäßig zwischen Berlin und der Havelstadt, 1833 wurde eine Dampfmaschine in der Zuckersiederei Jacobs aufgestellt, 1841/42 ein Pumpwerk für die Sanssouci-Fontänen (,‚Moschee") errichtet und ein Jahr später eine Dampfmühle der Seehandlung gebaut. 1838 dampfte die erste preußische Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam, im gleichen Jahr entstand auf dem Gelände des Potsdamer Gutes die erste deutsche Eisenbahnwerkstätte. "Kunststraßen" (Chausseen) führten bald nach Berlin (1795), Brandenburg, Beelitz, Nauen, Eiche und Saarmund. 1846 fand die erste "Potsdamer Gewerbe-Ausstellung" statt. 


     Wasserwerk

Und das, obwohl sich König und Regierung tunlichst und nicht ohne Erfolg bemühten, Industrie und Lohnarbeit aus dem Weichbild der "still-vornehmen Kunststadt und Residenz" fernzuhalten. Nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. folgte der als kunstsinniger "Romantiker auf dem Königsthron" gefeierte Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1840— 1861). Die Lage spitzte sich unter ihm schnell weiter zu; die fortschreitende industrielle Revolution komplizierte vor allem die überkommene, ungünstige Wirtschaftsstruktur. viele Handwerker machten bankrott, die Nowaweser Weber erlagen ausländischer Konkurrenz; August Wichgrafs verdienstvolle Webschule (1855) konnte da nur wenig helfen. 1840 streikten die Gewehrarbeiter in der größten Manufaktur der Stadt, die ebenfalls technologisch nicht mehr mithalten konnte.

Der Thronwechsel und damit verbundene kleinere Gnadenakte hatten Hoffnungen auf ein liberaleres Regime genährt. Aber die blutige Niederschlagung der schlesischen Weber 1844 und das harte Reagieren auf Bitten und Forderungen der hungernden Potsdamer und Nowaweser Arbeitslosen und Armen holten alle Träumer rasch auf den Boden der Tatsachen zurück. Oppositionelle Volksversammlungen fanden statt. Bürgervereine bildeten sich. Man hatte das nicht eingelöste Verfassungsversprechen nicht vergessen.

Im Vormärz hatten sich durch politische Reaktion, die große Wirtschaftskrise von 1847 und in ihrem Gefolge durch Mißernten, Lebensmittelteuerung, Hunger und Arbeitslosigkeit. Die krisenhafte Situation war bis zum äußersten gespannt in einer Stadt, deren Einwohnerschaft (ohne Militär) von 17.600 (1800) auf immerhin über 30.000 (1847) zugenommen hatte. Auch in der "Residenz-, Soldaten- und Beamtenstadt" Potsdam stand die Revolution vor der Tür.

Den sich in Europa vollziehenden gesellschaftlichen Veränderungen und dem Wetterleuchten revolutionärer Ereignisse (Pariser Julirevolution 1830) versuchten König und regierende Adelspartei durch ein besonders reaktionär-konservatives Regiment entgegenzusteuern. Angesichts der großartigen Leistungen bedeutender Künstler, Architekten, Wissenschaftler und Landschaftsgestalter fiel es den Autoren relativ leicht, eine "heile Welt" zu zaubern. Längst war Potsdam Touristenstadt geworden. Aus aller Welt pilgerte man zu den berühmten Stätten. Menzel und Kugler formten für Generationen ein höchst populäres "Friedrichsbild". So gesehen, erschienen die hereinbrechenden revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 nicht wenigen Vertretern des Potsdamer Bürgertums als plötzlicher, bedauerlicher "Unfall der Geschichte".

Am 18./19. März 1848 kämpfte das Volk auf den Barrikaden in Berlin. Nach den Schüssen des Militärs hatte Friedrich Wilhelm IV. von Preußen seine "lieben Berliner" noch zu beschwichtigen versucht und dann doch den 187 Toten auf dem Schloßplatz seine Reverenz erwiesen. Nachdem schon Prinz Wilhelm von Preußen (,‚Kartätschenprinz") wenige Tage zuvor über Potsdam heimlich als "Kaufmann Oelrichs" bei Nacht und Nebel via England gereist war, übersiedelten Friedrich Wilhelm IV. und der Hof am 29. März in das benachbarte, vermeintlich ruhigere Potsdam.

Königstreue Regimenter wurden hier zusammengezogen. All das rundete das äußere Bild der Residenz ab. Unter dem Schutz der Bajonette der Garderegimenter bereitete die Hofkamarilla in den nächsten Monaten die Gegenrevolution vor. Ein noch recht unbekannterAdeliger, Otto v. Bismarck - Schönhausen, war schon am 20. März hier eingetroffen und versuchte, allerdings zu diesem Zeitpunkt noch vergeblich, u. a. Kriegsminister v. Roon und die Generale v. Prittwitz und v. Möllendorf zum Marsch auf Berlin zu veranlassen.


Soldatenaufstand                             

Am 6. März 1848 hatte Rechtsanwalt Justizrat Ludwig W. Dortu in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung bürgerlichliberale Programmvorstellungen vorgetragen, die allerdings auf ängstliche Ablehnung durch die Mehrheit des Bürgertums stießen, das sich sehr schnell angesichts der gespannten Verhältnisse für das herrschende absolutistische System entschieden hatte. Auch die vielen kleinen Ladenbesitzer, Handwerksmeister und Kleinunternehmer schreckten vor revolutionären Aktionen zurück.

Dennoch trugen Demonstrationen der zahlreichen Arbeitslosen und der Handwerksgesellen, Proteste an die Adresse des Königs und die Regierung sowie an den Magistrat dazu bei, daß Potsdam in diesen Monaten keine ruhige Stadt blieb. Der Magistrat und die Stadtverordneten beschlossen, zum "Schutz von Ruhe und Ordnung" eine bewaffnete Bürgerwehr zu bilden (2145 Mann, Bildung am 19. März), die Stadtkommandant v. Prittwitz mit Waffen ausrüstete (u. a. 1000 Gewehre). Diese Truppe wurde wiederholt gegen Demonstranten eingesetzt.

Zum Sprecher des "Politischen Vereins" wurde der 22jährige Johann Ludwig Maximilian Dortu, Sohn des Justizrates, geboren am 29. Juni 1826 in Potsdam, gewählt. Der "Königl.-Preußische Auskultator" am Stadtgericht hatte sich schon während seines Jurastudiums in Heidelberg den Ideen der Demokraten (Hecker, v. Struve) angenähert.

Der "Politische Verein" demonstrierte am 12. Mai 1848 gegen die Rückkehr des Prinzen von Preußen. Hierfür wurde Dortu zu 15 Monaten Festung verurteilt. Das Urteil mußte jedoch kassiert werden. Am 12. September 1848 meuterten Grenadiere und Füsiliere des 1. Garderegiments zu Fuß, verfaßten eine Grußadresse an die Nationalversammlung und entrollten auf der "Mopke" (Exerzierplatz zwischen dem Neuen Palais und den Communs) das Schwarz-Rot-Goldene Banner. Nur mit Mühe und unter Waffeneinsatz gelang es der eingesetzten Garde-du-Corps, die Unruhen zu unterdrücken.


 Erschießung Dortus

Eine Volksversammlung folgte Dortus Aufruf, weitere Militärtransporte nach Berlin zu verhindern. Am 12. November rissen Revoltionäre die Eisenbahnschienen zwischen Potsdam und Nowawes auf und zerstörten die Telegraphenverbindungen. Aus Potsdam datieren schließlich auch die Erlasse über die Auflösung der Versammlung und die "oktroyierte Verfassung" (5. Dezember 1848), die Preußen in eine konstitutionelle Monarchie verwandelte. Sie galt, abgesehen von einigen Veränderungen, bis zum Jahre 1918. Dortu, der zu den Aufständischen nach Baden gegangen war, geriet am 11. Juli 1849 in preußische Gefangenschaft. Von einem Standgericht des 1. Armeekorps der "Königl. Preußischen Operations-Armee" wurde er wegen "Kriegsverrats" zum Tode verurteilt und am Morgen des 31. Juli 1849 an der Friedhofsmauer von Wiehre/ b. Freiburg erschossen.

Nach der Niederlage der deutschen Revolution von 1848/49 besetzten Beamte und Offiziere in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung ein Drittel der Sitze. Die im Juli 1853 erfolgte Revision der preußischen Städteordnung minderte die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung durch eine verstärkte Staatsaufsicht. So konnte sich nach den leidenschaftlichen Auseinandersetzungen der Revolutionstage eine politische Öffentlichkeit in Potsdam zunächst nicht wieder bilden, und die Konservativen beherrschten uneingeschränkt die Szene. Das änderte sich grundlegend erst 1867 mit den Wahlen zum Gesetzgebenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, die auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts ausgetragen wurde. hier schon zeigte sich eine Polarisierung der politischen Kräfte. Die Konservativen setzten die Wahl ihres Kandidaten, des Oberpräsidenten v. Jagow, gegen eine starke Gegenwehr der Fortschrittspartei unter Max Duncker zum Reichstagsabgeordneten für den Wahlkreis Potsdam—Spandau—Osthavelland durch. Doch bei den folgenden Reichstagswahlen von 1871 wurde den Konservativen das Potsdamer Mandat durch die Fortschrittspartei wieder entrissen.

Die Angst des Königs vor seinen "lieben Potsdamern" blieb: 1850 ließ er den Park von Sanssouci für die Öffentlichkeit sperren. Die am 15. Juli 1853 auch in Potsdam eingeführte neue Städteordnung postulierte das Dreiklassenwahlrecht, schränkte die Souveränität der Stadtverordneten erheblich ein und dehnte die Machtbefugnisse des Magistrats weiter aus. Das "unruhige" Nowawes (1871 = 5.171 Einwohner) wurde isoliert. Noch 1860 existierte ein Zuzugsverbot für Nowawes, in dem sich seit der Mitte der 60er Jahre erste industrielle Unternehmen niederließen.

Im Bereich von Kunst und Kultur bahnte sich in Potsdam nach 1849 eine vom Hofleben um den kunstsinnigen Friedrich Wilhelm IV. unabhängige Entwicklung an. Sie wurde vor allem vom Potsdamer Schauspielhaus und vom Potsdamer Kunstverein befördert, der mit Kunstausstellungen und anderen kulturellen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit trat. 1862 gründete sich der »Verein für die Geschichte Potsdams«, der die lokale und regionale Geschichte erforschte und damit wesentlich zur Herausbildung eines städtischbürgerlichen Geschichtsbewußtseins beitrug.

In den Jahren 1834 - 1849 entstand nun nach Sanssoucj und dem Neuen Garten der dritte und letzte große Schloß- und Gartenkompiex der Hohenzollern als Teil der repräsentativen Ausgestaltung der Residenz: Babelsberg auf der Neuendorfer Gemarkung. Schon 1826 hatte Prinz Wilhelm von Preußen die Absicht, auf dem Babelsberg ("Babertsberg") einen Sommersitz zu erbauen. Nach seiner Verheiratung mit Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar überließ ihm Friedrich Wilhelm III. 1833 das hügelige Gelände am Griebnitzsee in Erbpacht. 


Schloß Babelsberg         

Karl Friedrich Schinkel (1781—1841) erarbeitete Pläne für ein Schlößchen im Tudorstil, auf die die Prinzessin intensiven Einfluß nahm. Der Bau (Grundsteinlegung im Juni 1834) entstand in zwei Phasen 1834/35 und 1844/49. Am 18. Oktober 1835 wurde das Schloß (der heutige östliche Teil) eingeweiht. Als der Prinz wegen der kinderlosen Ehe König Friedrich Wilhelms IV. designierter preußischer Thronfolger geworden war, ging man daran, aus Repräsentationsgründen den Bau zu erweitern.

Nach Schinkels Tod bearbeitete Ludwig Persius (1803 - 1845 in Potsdam) 1844 die Pläne seines Vorgängers. Die vielgliedrig gestaffelte Anlage aus gelbem Backstein über asymmetrischem Grundriß mit ihren Türmen, Terrassen, romantischen Erkern und Söllern war damit laufenden Veränderungen unterworfen und wurde schließlich unter Johann Heinrich Strack (1805—1880) vollendet.

Am 16. Oktober 1849, nach der Niederschlagung der Revolution, wurde das Schloß erneut eingeweiht. Bis zu seinem Tode verbrachte Wilhelm I. (1797— 1888), preußischer König und seit 1871 deutscher Kaiser, fast jeden Sommer auf seiner Lieblingsresidenz, deren glanzvolle Ausstattung ein Hauptbeispiel des prunkvollen Dekorationsstils der Spätromantik Hier fielen zahlreiche bedeutsame politische Entscheidungen, so u. a. die Ernennung Otto v. Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten 1862.

Auch der Park hat eine bewegte Geschichte. Im Herbst 1833 hatte Peter J. Lenné (1789—1866) das Projekt, mit dem Park Klein Glienicke wesentlicher Teil seines "Verschönerungsplanes", begonnen. Aber erst unter Hermann Fürst v. Pückler-Muskau (1785—1871) wurde das Vorhaben 1843 wieder aufgenommen. Pückler war durch seine Arbeiten in Muskau und Branitz bekannt geworden. In Babelsberg erhielt er nun Gelegenheit, in Zusammenarbeit mit Hofgärtner Christoph Kindermann sein landschaftsgärtnerisches Konzept zu verwirklichen. Schenkungen und Erwerbungen erweiterten bis 1871 die vielleicht landschaftlich reizvollste Potsdamer Parkschöpfung (heute rund 150 ha) in unmittelbarer Nähe der verarmten Weberkolonie Nowawes; 1843 wurde das Gelände mit einem Zaun umgeben.

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        Stadtplan

Auf einem Hügel, auf dem bis 1848 die abgebrannte Mühle des Hofrates Rehnitz gestanden hatte, entstand der "Flatowturm" (1853/56), erbaut nach dem Vorbild des Eschenheimer Torturmes der Freien Reichsstadt Frankfurt (Main). Nordöstlich, auf der "Lennéhöhe", fand 187 1/72 die abgetragene spätmittelalterliche Berliner Gerichtslaube ihren Platz, die der Berliner Magistrat dem König geschenkt hatte. Zahlreiche Denkmale und Kriegstrophäen ("Michaels Kampf mit dem Drachen"‚ "Generalsbank", "Siegessäule", Kanonen u. a.). "bereicherten" seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr das Gelände.

Durch die weitere Konzentration von Militär- und Verwaltungsbehörden wurde Potsdam zu einem machtpolitischen Zentrum des preußischen Königreiches. So vergrößerte sich die Garnison. 1867 standen rund 28 Prozent aller Erwerbstätigen in Militärdiensten, ein im Wirtschaftsleben der Stadt immerhin bedeutsamer Faktor. Die soziale Infrastruktur als Hohenzollernresidenz, Garnison- und Beamtenstadt bildete sich in diesen Jahren endgültig aus. Unzählige Exzellenzen, Geheimräte, Rentiers, hohe Beamte und Hoflieferanten bestimmten neben adligen Gardeoffizieren das öffentliche Bild der Stadt, deren zivile Einwohnerzahl von 31.394 (1849) auf 38.359 (1871) anstieg. Oberbürgermeister Alexander Beyer (Amtszeit von 1851 bis 1878) und der Geheime Hofrat Louis Schneider (1805—1878), Begründer des "Vereins für die Geschichte Potsdams", repräsentierten die neue Oberschicht.

Wenige neue Betriebe entstanden, alte, wie die Gewehrfabrik, wichen, Wiederbelebungsversuche der Seidenindustrie mißlangen. Gegen Ende der 50er Jahre gab es nur zwei Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten (Zuckersiederei Jacobs, Eisenbahnwerkstätten). So hatten sich die wirtschaftlichen Grundlagen eigentlich kaum verändert; nur das florierende Dienstleistungsgewerbe und das Handwerk paßten sich den neuen Bedingungen an.

Ein rasch zunehmender Verkehr und der sich entwickelnde Tourismus stellten wachsende Ansprüche. Nach dem Bau einer Gasanstalt durch eine englische Firma wurden seit 1856 die Öllampen durch die Gas-Straßenbeleuchtung ersetzt. Auch das Straßenpflaster und die Straßenreinigung verbesserten sich; 1853/54 entstand die Nedlitzer Brücke in der "Potsdamer Burgenromantik".

Es war zugleich die letzte große "klassische" Periode in der Baugeschichte der Stadt bis zur Jahrhundertwende, die Namen wie die der Schinkel-Schüler und Persius-Nachfolger Friedrich A. Stüler, Ludwig F. Hesse, v. Arnim, Ziller u. a. umfaßte. Hier sei nur an die Erweiterung Sanssoucis durch einen Teil der Bornstedter Feldmark, den Bau der "Neuen Orangerie" (1851/60), der Friedenskirche (1844/54), an das Belvedere auf dem Pfingstberg (1849/63) und die katholische Kirche St. Peter und Paul (1867/70) erinnert. Nur unerheblich vergrößerte sich die Stadtfläche, obwohl im Norden, außerhalb der Stadtmauer mit ihren immer noch zur Nachtzeit geschlossenen Toren, neben Kasernenbauten die villenartige Bebauung einsetzte.

Im Oktober 1858 löste Kronprinz Wilhelm den unheilbar geisteskranken König Friedrich Wilhelm IV. als Regent ab, um nach dessen Tode 1861 als Wilhelm 1. von Preußen (1861—1888) die Thronfolge anzutreten. Im Zuge der Heeresvorlage kam zum Konflikt zwischen Thron und Parlament trat das liberale Kabinett um von Arnim zurück. Otto v. Bismarck-Schönhausen (1815— 1898), der Sproß eines "schloßgesessenen" altmärkischen Junkergeschlechtes, mütterlicherseits einer Familie von Gelehrten und hohen Staatsbeamten entstammend (der Großvater A. L. Mencken war Kabinettsrat unter Friedrich II. gewesen), bot sich dem König als Ministerpräsident an. 


Orangerie                       

Am 24. September 1862 berief Wilhelm I. im Schloß Babelsberg den 47jährigen Otto v. Bismarck zum Vorsitzenden des Staatsministeriums (Ministerpräsidenten), am 8. Oktober wurde er Minister für Auswärtige Angelegenheiten.

Die Kaiserresidenz Potsdam

Während des deutsch-französischen Krieges wurden in Potsdam Lazarette eingerichtet, "Liebesgaben" gespendet, Vereine bildeten sich; so einer "zur Erquickung der auf der Eisenbahn durchkommenden Truppen". Zu den zahlreichen "vaterländischen" Gedenktagen, die in den Potsdamer Schulen zu feiern waren, gehörten künftig u. a. die "Schlachtentage" von Gravelotte (18. August), Sedan (1. September) und Metz (27. Oktober 1870). Das 1. Garde-Regiment z. Fuß hatte bei St. Privat schwere Verluste erlitten.

Am 13. Juni 1871 hielt Wilhelm I., nunmehr Deutscher Kaiser, an der Spitze der Potsdamer Garnison glanzvollen Einzug in der Residenz. In diesen Jahren prägte sich bis 1914 das Gesicht Potsdams als Hohenzollernresidenz, Garnison- und Verwaltungsstadt vollends aus. Die Havelstadt wurde eines der wichtigsten politisch-militärischen und administrativen Zentren des deutschen Kaiserreiches. Klein- und Kleinstbetriebe in Handel, Gewerbe, im Bau- und Dienstleistungswesen blieben das bestimmende Wirtschaftsprofil; der einzige größere Betrieb war die "Königl. Eisenbahn-Haupt-Werkstatt Potsdam".

Die Einwohnerzahl (ohne Militär) stieg von 38.359 (1871) zwar auf 57.500 (1914), aber der Anteil der Militärangehörigen bewegte sich stets zwischen 10 bis 12 Prozent der Gesamteinwohnerzahl, d. h. ‚ er war höher als in jeder anderen preußischen Stadt. Eine bezeichnende Blüte gedieh in diesen Jahren im kuriosen Hoflieferantenwesen, jener Erscheinung, die mit am deutlichsten die enge ökonomische Anlehnung an Hof, Adel und Armee widerspiegelte. Das äußere Bild der Stadt blieb bis 1900 fast unverändert, obwohl einige größere öffentliche Gebäude entstanden. 


    Königliches Regierungsgebäude

Dazu gehörten die neue katholische Kirche auf dem zugeschütteten Bassinplatz (Grundsteinlegung: 4. Juni 1887), das Landgerichtsgebäude (1880/83) und das Haus der Deutschen Lebensversicherungsgesellschaft (1888) in unmittelbarer Nähe des Nauener Tores. Mit diesem Bau begann auch der Abriß der Stadtmauer des 18. Jahrhunderts. Nach der Jahrhundertwende das Hauptpostamt am Wilhelmsplatz (1897/1900), die neue Kriegsschule auf dem Brauhausberg (1899/1902), das Königliche Regierungsgebäude an der Spandauer Straße (Friedrich- Ebert-Straße) (1902/06) und der Rechnungshof des Deutschen Reiches in der Waisenstraße (Dortustraße). 

Diese Bauten entstanden nach den Bedürfnissen der Residenz- und Behördenstadt. Potsdam war weiterhin die bevorzugte Wohnstätte der deutschen Kaiser (Wilhelm I. - Schloß Babelsberg, Friedrich III. und Wilhelm II. - Neues Palais). Auch als Garnisonstadt ist Potsdam in dieser Zeit ausgebaut worden. Hinzu kamen das  Garde-Ulanen-Regiment (seit 1860), das 2. Garde-Feldartillene-Regiment (1890 und 1895), die Leibgendarmerie (1894), das 4. Garde-Feldartillerie-Regiment (1899) und die Maschinengewehr-Abteilung der Garde-Jäger (1900). Sie machten Potsdam wieder zur »Pflanzschule des Heeres«. Über 8.500 Militärangehörige waren für das Wirtschaftsleben der Stadt von großer Bedeutung. Die bunten Uniformen der Garderegimenter beherrschten das Stadtbild.

Seit 1897 entstand ein neues Wohnviertel ("Rohdesia") auf den sumpfigen Stieffschen Wiesen zwischen Heiligem See und Bassinplatz mit dem ausgehobenen Sand des Teltow-Kanals (1900/06). Einen wesentlichen Fortschritt für die Einwohner brachten die Anlagen der Wasserversorgung und der Kanalisation. Eine englische Aktiengesellschaft baute das erste Wasserwerk (1875/76) in der Bertinistrafle, die Anlage der Leitungen war 1877 vollendet. Erst im Jahre 1890 kaufte die Stadt dieses Werk zum Preis von 1.026.000 Mark.

Eine neue Lange Brücke war 1888 fertiggestellt worden. Die seit 1880 existierende private »Potsdamer Pferde-Eisenbahn« konnte dadurch ihre Linie bis zum Bahnhof in der Teltower Vorstadt ausbauen. Um dem wachsenden Verkehr gerecht zu werden, pflasterte man wichtige Straßenzüge neu. Die öffentliche Beleuchtung erfolgte zuerst durch Gasglühlicht, nach der Fertigstellung des städtischen Elektrizitätswerkes in der Brandenburger Vorstadt (13. September 1902) mehr und mehr durch elektrische Lampen. Die Pferdestraßenbahn, 1904 von der Stadt übernommen, wich im September 1907 der elektrischen Straßenbahn mit einer erweiterten Linienführung. Seit 1911 hatte Potsdam an der Pirschheide einen Luftschiffhafen, ehrgeizige Pläne sahen ein Luftfahrtzentrum Europas vor.

Weitere Wissenschaftsinstitute (u. a. Sternwarte Babelsberg 1911/13) siedelten sich an, städtische Anlagen (Wasserwerk, Kläranlagen, Kanalisation, Schlachthof, Elektrizitätswerk u. a.) wurden geschaffen, das St. Joseph-Krankenhaus (1872/73), die Synagoge (1903), die Hauptpost entstanden, die 6-Millionen-Mark-Hoffbauer-Stiftung 1901 auf dem Tornow ("Hermannswerder") wurde begründet. Potsdam schrieb ein wichtiges Kapitel der Verkehrsgeschichte zu Wasser, zu Lande und in der Luft, mit den Namen 0. Wrights, H. Grades, W. A. Pietschkers sowie den Zeppelinen der DELAG auf dem Gelände des Luftschiffhafens untrennbar verbunden. Der Berliner Vorort dehnte sich  aus, und 1907 fuhr die erste "Elektrische" durch die Straßen.


Einsteinturm         

Die nunmehrige Kaiserresidenz bildete den Ort glanzvoller Militärparaden ‚ Fürstenvisiten, Staatsakte und prunkvoller Hofhaltung. Schaustellungen zogen Touristen (um 1900 fast 10 Millionen!) aus dem In- und Ausland an. Für das Bürgertum waren fortan der "greise Heldenkaiser", der "eiserne Kanzler" und Moltke, der "schweigende Feldherr", die neuen Heroen. 1871 bis 1914, das waren zweifellos Jahre des touristischen Reizes, des vielschichtigen Glanzes der Kunst- und Kulturstadt Potsdam.

Eine in Deutschland einmalige Anlage zur Herstellung von Dampflokomotiven ließ die Firma Orenstein & Koppel — Arthur Koppel AG in Drewitz bei Potsdam errichten. Bis 1899 entstand dort eine neue Lokomotivfabrik, deren besonderes Merkmal ein Kuppelbau war. Nicht nur das Äußere, auch die innere Einrichtung dieser Fabrikhalle legte bald den gebräuchlichen Namen »Circus« nahe. Um den Kuppelbau gruppierten sich in Form eines Sechsecks zwei Reihen Werkstattgebäude. In ihnen wurden die Teile für die Lokomotiven vorgefertigt. Die größte Fläche beanspruchte die Schmiede, wo mit mechanischen Hämmern die Lokomotivkessel, Rahmen und alle anderen schmiedeeisernen Teile gefertigt wurden. Im Rundbau in der Mitte trafen die Teile auf kürzestem Wege zusammen und wurden zu einer Lokomotive zusammengesetzt. Die Montage erleichterten zwei Portalkräne, welche auf Schienen die Halle umfahren konnten.

Die notorische Wachsamkeit von Feuerwehrleuten war nicht ganz unbeteiligt daran, daß aus dem Weberstädtchen Nowawes die Filmstadt Babelsberg werden konnte. Die Berliner Feuerpolizei muß sich in einem Zustand dauernder Alarmbereitschaft befunden haben angesichts des hohen Verbrauchs von leicht entflammbarem Filmmaterial, das die immer zahlreicher werdenden Filmunternehmen in der dichtbesiedelten Großstadt belichteten. Die Brandgefahr war ein Grund unter anderen, daß sich im Herbst 1911 der technische Leiter der Deutschen Bioskop Gesellschaft, der Filmpionier Guido Seeber, auf den Weg ins Berliner Umland begab, um ein geeignetes Areal für das expandierende Filmunternehmen zu finden. Er fand und erwarb es für seine Gesellschaft in Neu-Babelsberg.


       Orenstein & Koppel

Innerhalb kurzer Zeit errichtete man hier nicht nur eines der ersten gläsernen Filmateliers Deutschlands — mit den technischen Erfindungen gingen auch solche auf filmkünstlerischem Gebiet einher. Der dänische Regisseur Urban Gad ließ in seinen Filmen den derb-hölzernen Charme des früheren Eintopps hinter sich und setzte mit filmischem Gespür den ersten europäischen Stummfilmstar für die Kinoleinwände in Szene: Asta Nielsen.

Der allgemeine wirtschaftliche Entwicklungstrend in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ist in Potsdam nachvollziehbar, obwohl die Hofhaltung und die weitläufigen Park- und Gartenanlagen der industriellen Ausdehnung Grenzen setzten. Die Einwohnerzahl stieg von 41 824 im Jahr 1861 auf 59 796 im Jahr 1900. 1 1882 waren rund ein Viertel der Bewohner im Handel und im Gewerbe beschäftigt.  4069 Betriebe zählte man in der Stadt. Die Vorstädte (Brandenburger, Jäger, Nauener, Berliner und Teltower) mit ihren weiten Ackerflächen wurden mehr und mehr bebaut und nahmen teilweise eir neu villenartigen Charakter an. Die Grundfläche des Stadtgebietes dehnte sich aus (1865: 1 283 Hektar; 1900: 1 350 Hektar). 1913 - 1917 begann der letzte Schloßbau der Hohenzollern, Schloß Cecilienhof, für den Kronprinzen Wilhelm.

Das friedliche Bild der Kaiserstadt mit Paraden und großen Staatsempfängen schien selbst die Wahl des Sozialdemokraten Karl Liebknecht zum Reichstagsabgeordneten im »Kaiserwahlkreis« im Jahre 1912 nicht stören zu können. Doch der erste Weltkrieg veränderte vieles.

Nach dem Ausmarsch der Garderegimenter wurde die Stadt zum großen Feldlager der Ersatzeinheiten und zur Lazarettstadt. Baracken auf dem Bornstedter Feld dienten diesem Zweck ebenso wie die Orangerie im Park Sanssouci und das Schützenhaus in der Teltower Vorstadt. 

Nach und nach machten die bunten Uniformen dem Feldgrau Platz. Nahrungsmittel, Bekleidung, Brennstoffe wurden rationiert. Suppenküchen sollten die Not der Ärmsten lindern, deren Zahl ständig wuchs. Als die militärische Niederlage Deutschlands offensichtlich war, dankte Kaiser Wilhelm II. ab und ging nach Holland ins Exil. Am 27. November 1918 verließ die Kaiserin in aller Heimlichkeit vom Wildparkbahnhof aus die Stadt. Potsdam hörte auf, die Residenz des Kaisers zu sein.

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Von der Weimarer Republik bis zum Ende des 2. Weltkrieges

Durch die Novemberrevolution 1918 und die Abdankung des Kaisers verlor Potsdam seine Residenzfunktion. Im Verständnis der Stadtverwaltung wurde jedoch die offizielle Bezeichnung "Residenzstadt Potsdam" beibehalten. In dieser Zeit zeigen sich in Potsdam soziale Schwierigkeiten, ein besonderes Problem war die Wohnungsnot. Eine Abhilfe wurde durch neue Siedlungsbauten geschaffen. Der verlorene Krieg verschärfte die Not und das Elend. Der umfangreiche Besitz der Hohenzollern an Schlössern und Grundbesitz ging bis auf einige Wohnstätten (u. a. Schloß Cecilienhol) 1926 endgültig in Staatseigentum über. Das Stadtschloß am Alten Markt wurde zum Teil von der Stadt gemietet und diente bis 1945 als Sitz des Magistrats. Trotz der Verkleinerung des Heeres nach dem Versailler Vertrag blieb Potsdam Garnisonstadt (Infanterie-Regiment 9, Reiter-Regiment 4, Artillerie-Regiment 23). Die Auswirkungen des Krieges für die Einwohner der Stadt waren gravierend. Selbst die gewisse Wohlhabenheit der Potsdamer Beamtenschaft verlor sich in der Inflationszeit. Die Stadtverwaltung versuchte durch den Bau und die Vermietung von Siedlungen (Vorderkappe an der Leipziger Straße, Stadtheide 1919/21, im Bogen 1927 an der Zeppelinstraße, Meinstsiedlung 1928 und Stadtrandsiedlung an der Drewitzer Straße, Siedlung Waterland am Rande des Bornstedter Feldes 1923/27) der Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot entgegen zu wirken. 

Die Anlage von »Wald-Potsdam« in der Teltower Vorstadt sollte die Entwicklung der Stadt zur »vornehmen Wohn- und Beamtenstadt« sowie als Hauptanziehungspunkt für den Fremdenverkehr fördern. Zahlreiche Eingemeindungen ließen das Stadtgebiet wachsen, im Jahre 1927 waren es 2 705 Hektar, und die Einwohnerzahl hatte 67 000 überschritten. Wachsender Fremdenverkehr, steigender Zuzug, Wassersportausstellungen, Flugveranstaltungen, Tagungen von Verbänden und Organisationen befruchteten das Wirtschaftsleben.


Potsdam-Tourismus        

Als Ende 1921 die mächtige Ufa sich das Babelsberger Filmgelände einverleibte, hatte der erste Weltkrieg der Bioskop-Geseltschaft eine existenzbedrohende Schuldenlast eingebracht, die sich auch durch die im Frühjahr 1919 vollzogene Fusion der Firma mit der Decla Filmgesellschaft kaum verringerte. Die so entstandene Decla-Bioskop war wohl der ernsthafteste Konkurrent für die Ufa —doch hinter letzterer stand eine konzentrierte Macht, die letztlich das nötige Geld und den längeren Atem hatte. Durch die Ufa-Gründung war 1917 aus der einstigen Varieté - und Jahrmarktsattraktion Film die politische Institution Film geworden. Die Gründung der Universum Film AG hatte Erich von Ludendorff während des Krieges angeregt und sich dabei der Unterstützung jener versichert, die später die Weimarer Republik nur als ein irrtümliches Intermezzo zu verstehen bereit waren. Das Engagement der geldschweren Hintermänner richtete sich darauf, die Filmproduktion in Deutschland zu kontrollieren und zu lenken.

In Potsdam wurde Filmgeschichte geschrieben. Seit Erich Pommer 1916 die Filmgesellschaft Decla gegründet hatte, war er als erfolgreicher Produzent, als schillernde Persönlichkeit bekannt, die neben dem branchenüblichen Geschäftssinn ein ausgeprägtes Kunstverständnis besaß. Pommer verbrachte seine produktivsten Jahre vornehmlich im Babelsberger Ufa-Studio, bis er 1933 emigrierte. Mit seiner Unterstützung entstanden in den zwanziger Jahren Filme, die zu den Klassikern des deutschen Stummfilms wurden: »Das Cabinet des Dr. Caligari« (R:Robert Wiene, 1920 noch bei der Decla produziert), »Die Nibelungen« (R: Fritz Lang, 1924), »Der letzte Mann« (R: Friedrich Wilhelm Murnau, 1924), »Faust« (R: E W. Murnau, 1926) und »Metropolis« (R: Fritz Lang, 1927). Pommer war auch einer derjenigen, die am Ende der zwanziger Jahre den Tonfilm als neue Herausforderung für die Filmkunst begriffen. Bereits 1929/30 produzierte er im gerade errichteten Ton-Atelier in Babelsberg, dem sogenannten Tonkreuz, einen Tonfilm-Klassiker: »Der blaue Engel« (R: Josef von Sternberg, mit Marlene Dietrich).

Die Premiere von »Der blaue Engel« fand zu einer Zeit statt, in der sich die gesellschaftlichen Konflikte vehement zuspitzten. Die Ufa - seit 1927 dem Pressekonzern des nationalistisch gesinnten Alfred Hugenberg zugehörig - leistete mit der Mehrzahl ihrer Produktionen einen Beitrag zu dieser Eskalation. Die Ufa-Theater boykottierten pazifistische Streifen wie »Im Westen nichts Neues«; hingegen bemühten Ufa-Filme wie Gustav Ucickys »Das Flötenkonzert von Sanssouci« (1930) den Preußenmythos, um die Bereitschaft zur Wiederaufrüstung zu befördern.


                    UFA-Gelände

Am Morgen des 21. März 1933 waren die Deutschen über den Rundfunk live bei jenen Ereignissen dabei, die in die Geschichte als »Tag von Potsdam« eingehen sollten. Er war zum Datum für die Eröffnung des am 5. März »gewählten« Reichstages in Potsdam bestimmt. Das Reichstagsgebäude in Berlin - durch die Brandstiftung am 27. Februar schwer zerstört -‚stand nicht zur Verfügung. Den Gedanken, das Ereignis in der Potsdamer Garnisonkirche stattfinden zu lassen, hatte Dr. Friedrich Bestehorn, Magistratsrat in Potsdam, in die Reichskanzlei getragen. 

Die Wahl fiel nicht zufällig auf dieses Datum. An jenem Märztag im Jahre 1871 hatte Wilhelm I. den ersten deutschen Reichstag eröffnet. Im Zuge der demagogischen Beschwörung deutschpreußischer Traditionen sollte deutlich die Abkehr von »Weimar« und die Kontinuität mit dem deutschen Kaiserreich beschworen werden.

Der »Tag von Potsdam« war die durch den Reichspropagandaminister kulthaft in Szene gesetzte »Vermählung zwischen den Symbolen der alten Größe und der jungen Kraft«, zwischen Preußentum und Nationalsozialismus, wie Adolf Hitler den Staatsakt nannte. Der Tag begann in früher Morgenstunde um 6.30 Uhr mit einem Militärkonzert der beiden Kapellen des Infanterie-Regiments Nr. 9 im Lustgarten. Zu dieser Zeit strömten bereits Massen von Menschen in die Stadt. Die Straßenbahnen waren überfüllt. Die Beamten und Offiziere hatten dienstfrei, und für die Kinder fiel die Schule aus. Um 10.30 Uhr begannen die bei solchen Anlässen üblichen Festgottesdienste. In der evangelischen Nikolaikirche hörte Hindenburg die Predigt des Generalsuperintendenten Dr. Otto Dibelius. Beim katholischen Hochamt in der St. Peter und Paul-Kirche, das Domkapitular Prälat Dr. Bannasch zelebrierte, war Himmler zugegen. Hitler und Goebbels besuchten in dieser Zeit die Gräber der ermordeten Märtyrer der braunen Bewegung auf dem Luisenstädtischen Friedhof in Berlin.

Unter dem Glockengeläut aller Potsdamer Kirchen begaben sich im Anschluß an die Gottesdienste die Abgeordneten mit Hitler und der Reichsregierung an der Spitze zur Garnisonkirche, wo auch Hindenburg nach einer Autofahrt von der Historischen Mühle durch den Park und die Stadt eintraf. Hindenburg schritt dann die an der Garnisonkirche aufmarschierten Ehrenkompanien des Infanterie-Regiments Nr. 9 sowie der SA, des Stahlhelms und der deutschnationalen Kampfstaffeln ab und begrüßte die Kriegsveteranen von 1866 und 1870/71. Alles, was Rang und Namen hatte, war zu diesem Fest geladen. Nur die SPD-Fraktion und die KPD-Abgeordneten, gegen die bereits Haftbefehle liefen, waren ausgeschlossen. In der Kirche wurde der Staatsakt mit dem Choral von Leuthen: »Nun danket alle Gott« eröffnet. Danach sprach Hindenburg zu seinem Volk. Hitler verkündete seinen »unerschütterlichen Willen, das große Reformwerk der Reorganisation des deutschen Volkes und des Reiches in Angriff zu nehmen und entschlossen durchzuführen«. 

Nachdem das letzte Wort gesprochen war, begab sich Hindenburg an die Särge von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. und legte einen Lorbeerkranz nieder. Eine Reichswehrbatterie salutierte dazu im Lustgarten. Danach fand der Händedruck zwischen dem greisen Feldmarschall und dem jungen Kanzler statt. Die »Potsdamer Rührkomödie«, wie dieses erste Meisterstück von Goebbels auch genannt wurde, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Das Land war begeistert, und Goebbels resümierte mit sich zufrieden in seinem Tagebuch: »Am Schluß sind alle auf das tiefste erschüttert«. Die nach Potsdam in die Garnisonkirche verlegte Reichstagseröffnung vom 21. März 1933 steht am Beginn einer Zeit, die sich das »Dritte Reich« nannte. 


"Tag von Potsdam"              

Ein neuer Krieg war programmiert. Durch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht wuchs Potsdam als Garnisonstadt über seinen früheren Rahmen hinaus. Eine große Kriegsschule in Bornstedt, eine Heeresunteroffiziersschule in Eiche und die Reitschule in Krampnitz machten Potsdam erneut zur »Pflanzschule des Heeres«. Über 10 000 Mann zählte die Garnison schon 1938. Eingemeindungen großen Umfangs waren die Folge. Die Gemeinden Bornstedt, Bornim, Nedlitz und Eiche gehörten ab 1935 zu Potsdam, seit dem 1. April 1939 auch die größte Stadt des Kreises Teltow: Babelsberg. Im Jahre 1938 hatte der nationalsozialistische Gauleiter Stürtz die Zusammenlegung der Stadt Nowawes (seit 1924) mit der Gemeinde Neu-Babelsberg und die Übernahme des Namens »Babelsberg« verfügt. Drewitz, Bergholz-Rehbrücke, Wilhelmshorst, Geltow, Golm, Grube und Fahrlaud kamen 1939 ebenfalls hinzu. Das Stadtgebiet wuchs von 5 745 Hektar auf 16 227 Hektar, die Einwohnerzahl stieg von 78 982 auf 135 892 Personen. Potsdam war kurz vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges zur »Großstadt« geworden.

Joseph Goebbels leitete im März 1933 die totale Kontrolle des Staates über das Filmwesen in die Wege und vollendete sie durch die Verstaatlichung der Filmindustrie 1937. Getreu der Goebbelsschen Auffassung von der unmerklichen Erziehung der Massen durch den Film produzierte die Ufa in anempfohlener Ignoranz der Wirklichkeit weiterhin Valium für das Volk. Die Produktion von ausgesprochenen Propagandafilmen blieb sorgsam dosiert. Mit der deutschen Niederlage im 2. Weltkrieg war der Untergang der mächtigsten deutschen Filmfirma besiegelt.

Der 21. Juli 1944 und seine Vorbereitung trugen einen deutlichen Potsdamer Akzent. Eine große Zahl der damals Handelnden lebte und arbeitete in der Stadt, plante hier den Umsturz. Mancher Fluchtweg führte über Potsdam. Die Stadt bot außerdem ein sicheres Versteck. Als Garnisonstadt war Potsdam besonders mit dem militärischen Flügel der Bewegung des 20. Juli verbunden. Er besaß hier gewisse eigenständige Zentren in den militärischen Einheiten und Dienststellen der Stadt wie im Reichsarchiv auf dem Brauhausberg oder im Infanterie-Regiment Nr. 9, das wegen seines hohen Anteils an adligen Offizieren scherzhaft als »Graf Neun« bezeichnet wurde. Aus dem I. R. 9 ging eine Reihe von Offizieren hervor, die aktiv an der Aktion beteiligt waren, Hitler zu töten, die Macht zu übernehmen und den Krieg zu beenden. Man weiß von 20 »Neunern« — Angehörige und Ehemalige — unter den Verschwörern des 20. Juli: Kein anderes Wehrmachtsregiment hat damit mehr Hitlergegner hervorgebracht als das I. R. 9.


      Kaserne I.R. 9

Schlüsselfiguren des Widerstandes aus dem I. R. 9 waren Generalmajor Henning von Tresckow, Chef des Generalstabes der 2. Armee, von 1923 bis 1934 als Leutnant bzw. Hauptmann im I. R. 9, und Oberleutnant d. R. Fritz-Dietloff Graf von der Schulenburg. Tresckow gehörte zu den tatkräftigsten Offizieren. Er organisierte bereits 1943 — Stauffenberg gehörte noch nicht der Verschwörung an — die ersten Attentatsversuche. Im Sommer 1943 bearbeitete Tresckow zusammen mit General 0lbricht den militärischen Aufmarschplan, der unter dem Decknamen »Walküre« bekannt ist. Schulenburg, Verwaltungsjurist, seit 1937 stellvertretender Polizeipräsident von Berlin, ab 1939 stellvertretender Oberpräsident in Schlesien, erhielt in seinen Positionen einen tiefen Einblick in die Rücksichtslosigkeit der nationalsozialistischen Politik. 

Er wurde zum entschiedenen Gegner des NS-Staates und forderte ab 1938/39 den völligen Umsturz. Ab Anfang 1944 bildete er den Mittelpunkt eines kleinen verschworenen Kreises von Offizieren im Ersatzbataillon 9, in der Stammkaserne des I. R. 9 in der Potsdamer Priesterstraße (heute Henning-von-Tresekow-Straße). Weiterhin gehörten zu den verschworenen Offizieren des I. R. 9: Oberstleutnant Hasso von Boehmer, Major Axel Freiherr von dem Bussche-Streithorst, Hauptmann Dr. Hans Fritzsche, Oberleutnant Helmuth von Gottberg, Oberleutnant Ludwig Freiherr von Hammerstein, Oberstleutnant d. R. Carl-Hans Graf von Hardenberg-Neuhardenberg, Generalleutnant Paul von Hase, Leutnant Ewald Heinrich von Kleist, Oberst Hans Otfried von Linstow, Hauptmann Friedrich Karl Klausing, Major d. R. Ferdinand Freiherr von Lünick, Major d. R. Herbert Meyer, Leutnant Georg-Sigismund von Oppen, Feldwebel d. R. und OA Prof. Hermann Priebe, Oberst Alexis Freiherr von Roenne, Oberstleutnant Gerd von Tresckow, Oberstleutnant i. G. Hans-Alexander von Voß und Hauptmann d. R. Achim Freiherr von Willisen. Diese 20 Offiziere — darunter viele Reservisten und nur kurzzeitig Dienende — belegen angesichts von 1.000 das I. R. 9 durchlaufenden Offizieren einschließlich der Reservisten und Tochterregimenter bei aller Unterschiedlichkeit ihres Widerstandes vor allem die Besonderheit ihres Handelns. Der Weg der 20 »Neuner« in den Widerstand, von denen viele 1933 durchaus noch keine Gegner des Nationalsozialismus waren, verlief so verschieden, wie es die Motive und die Erfahrungen dieser Männer waren. Es muß zwar offen bleiben, inwieweit preußische Einflüsse und Traditionen den schwerwiegenden Schritt in den Widerstand erleichterten. »Am 20. Juli 1944 hat der soldatische "Geist von Potsdam" noch kurz vor Toresschluß Hitlers "Tag von Potsdam" widerlegt.«

Die ersten Bomben fielen im Juni des Jahres 1940 auf die Stadt. In der Endphase des Krieges war sie das Ziel eines schweren Luftangriffs der Royal Air Force. In den späten Abendstunden des 14. April 1945 warfen 490 Flugzeuge 1 750 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die markierte Innenstadt ab. Der geschichtliche Zufall will es: auf den Tag 200 Jahre nach der Grundsteinlegung des Schlosses Sanssouci und 100 Jahre nach der Grundsteinlegung der Friedenskirche.

Unzählig waren die Opfer unter der Bevölkerung, unersetzlich die Verluste an der Bausubstanz. Ganze Straßenzüge verbrannten im Feuersturm. Weitere Kampfhandlungen in der zweiten Aprilhälfte vergrößerten die Schäden. Ganze Straßenzüge verbrannten im Feuersturm. Das Stadtschloß, die Garnisonkirche und die Bürgerhäuser um den alten Markt wurden schwer beschädigt. Potsdam wurde am 30. April, Berlin am 2. Mai von der Roten Armee erobert. Im August 1945 zählte die Stadtverwaltung 856 zerstörte, 248 teilweise zerstörte und 3 301 beschädigte Gebäude. 


Ruine des Stadtschlosses                     

Die Zahl der Toten dieser Zeit kann nur geschätzt werden, zeitgenössischen Angaben zufolge waren es um die 3.000.

Im Juli 1945 stand Potsdam erneut im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit: Im Schloß Cecilienhof fand vom 17. Juli bis 2. August 1945 die Potsdamer Konferenz der Siegermächte der Antihitlerkoalition statt. Truman, Churchill und Stalin verabschiedeten das Potsdamer Abkommen und beschloßen damit die europäische Nachkriegsordnung und das weitere Schicksal Deutschlands.

Potsdam wurde Hauptstadt (bis 1952) des neu gegründeten Landes Brandenburg.