5. Dezember 1757

 

Nachdem die schlesische Armee unter Bevern bei Breslau geschlagen und nach der Kapitulation von Breslau zerstreut wurde, konnte Friedrich auf seinem Weg von Leipzig nach Schlesien im Lager von Parchnitz am 2. Dezember noch 16.000 Mann an sich ziehen und damit die geringen Kräfte seiner Armee auf 35.000 Mann erhöhen. Friedrich mußte seinen ursprünglichen Feldzugsplan zwar aufgeben, er meinte aber, daß er die Österreicher aus Schlesien herausdrängen müsse, da er selber in Schlesien Winterquartiere nehmen wollte.

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Die Vereinigung mit dem König hob um so nachhaltiger ihre Zuversicht, als viele Fahnenflüchtige wie Schlacke abgefallen waren und der feste Bestand an Landeskindern zusammen mit der Roßbacher Kampfelite eine zuverlässige Angriffstruppe ergaben. Zum erheblichen Nachteil für die bevorstehende Operation fiel jedoch der Verlust der Festung Breslau ins Gewicht, die nach verlorener Schlacht schnell kapituliert hatte. Vorläufig war allerdings ein großer Vorteil weit wichtiger: Erst nach tagelanger Untätigkeit und verspätet eingetroffener Weisung aus dem Wiener Kabinett hatte der österreichische Kriegsrat am 2. Dezember den Vormarsch nach Liegnitz beschlossen. Unter Außerachtlassung jeglicher Vorsichtsmaßregeln ließ er ihn langsam beginnen, als ob man mit keinem kriegsgewaltigen Gegner mehr zu rechnen brauchte, dessen Zahl der eigenen Macht kaum bis zur Hälfte heranreichte. Der österreichische Kriegsrat beschloß auf die Kunde vom Eintreffen Friedrichs in Schlesien hin, dem wahrscheinlichen Angriff der Preußen in einer gut gewählten Stellung jenseits der Lohe zu begegnen. Die österreichische Armee entfaltete sich zwischen Nippern und Sagschütz. Um so ungestörter konnte der König so weit vorrücken, bis beide Armeen auf freiem Feld westlich der verlassenen Lohe-Stellung bei Leuthen zusammentrafen. Vollkommen überrascht stand Prinz Karl von Lothringen seinem gefährlichsten Widersacher gegenüber, der ihn schon viermal besiegt hatte, und ihm blieb nichts anderes übrig, als die Schlacht passiv anzunehmen, um sie verteidigungsweise zu führen.

DIE ANSPRACHE DES KÖNIGS AN SEINE
 GENERALE UND STABSOFFIZIERE

am 4. Dezember 1757
dem Vorabend 
der Schlacht bei Leuthen

Ihnen, meine Herren, ist es bekannt, daß es dem Prinzen von Lothringen gelungen ist, Schweidnitz zu erobern, den Herzog von Bevem zu schlagen und sich Meister von Breslau zu machen, während ich gezwungen war, den Fortschritten der Franzosen und Reichsvölker Einhalt zu tun. Ein Teil von Schlesien, meine Hauptstadt und alle meine darin befindlich gewesnen Kriegsbedürfnisse sind verloren gegangen, und meine Widerwärtigkeiten würden aufs höchste gestiegen sein, setzte ich nicht ein unbegrenztes Vertrauen in Ihren Mut, Ihre Standhaftigkeit und Ihre Vaterlandsliebe, die Sie bei so vielen Gelegenheiten mir bewiesen haben. Ich erkenne diese dem Vaterlande und mir geleisteten Dienste mit der innigsten Rührung meines Herzens.
Es ist fast keiner unter Ihnen, der sich nicht durch eine große ehrenvolle Handlung ausgezeichnet hätte, und ich schmeichle mir daher, Sie werden bei vorfallender Gelegenheit nichts an dem mangeln lassen, was der Staat von Ihrer Tapferkeit zu fordern berechtigt ist.
Dieser Zeitpunkt rückt heran; ich würde glauben, nichts getan zu haben, ließe ich die Österreicher in dem Besitze von Schlesien.
Lassen Sie es sich also gesagt sein, ich werde gegen alle Regeln der Kunst die beihnahe dreimal stärkere Armee des Prinzen Karl angreifen, wo ich sie finde. Es ist hier nicht die Frage von der Anzahl der Feinde noch von der Wichtigkeit ihres gewählten Postens; alles dieses, hoffe ich, wird die Herzhaftigkeit meiner Truppen und die richtige Befolgung meiner Dispositionen zu überwinden suchen.
Ich muß diesen Schritt wagen, oder es ist alles verloren; wir müssen den Feind schlagen, oder uns alle vor seinen Batterien begraben lassen.
So denke ich - so werde ich handeln.
Machen Sie diesen meinen Entschluß allen Offizieren der Armee bekannt; bereiten Sie den gemeinen Mann zu den Auftritten vor, die bald folgen werden, und kündigen Sie ihm an, daß ich mich berechtigt halte, unbedingten Gehorsam von ihm zu fordern. Wenn Sie übrigens bedenken, daß Sie Preußen sind, so werden Sie gewiß sich dieses Vorzuges nicht unwürdig machen; ist aber einer oder der andere unter Ihnen, der sich fürchtet, alle Gefahren mit mir zu teilen, der kann noch heute seinen Abschied erhalten, ohne von mir den geringsten Vorwurf zu leiden.
Schon im voraus hielt ich mich überzeugt, daß keiner von Ihnen mich verlassen würde; ich rechne also ganz auf Ihre treue Hilfe und auf den gewissen Sieg.
Sollte ich bleiben und Sie für Ihre mir geleisteten Dienste nicht belohnen können, so muß es das Vaterland tun.
Gehen Sie nun ins Lager und wiederholen Ihren Regimentern, was Sie jetzt von mir gehört haben.
Das Regiment Kavallerie, das nicht gleich, wenn es befohlen wird, sich unaufhaltsam in den Feind stürzt, lasse ich gleich nach der Schlacht absitzen und mache es zu einem Garnisonregimente.
Das Bataillon Infanterie, das, es treffe, worauf es wolle, nur zu stocken anfängt, verliert die Fahnen und die Säbel, und ich lasse ihm die Borten von der Montierung abschneiden. 
Nun leben Sie wohl, meine Herren; in kurzem haben wir den Feind geschlagen, oder wir sehen uns nie wieder.

Am Abend vor der Schlacht hielt Friedrich seine berühmt gewordene Ansprache an seine Heerführer, in der er sich wieder einmal als Roulettespieler entpuppte, rot oder schwarz, siegen oder untergehen.

Das Gelände war dem Angreifer von den Friedensmanövern her wohlbekannt, so daß sich zeitraubende und auffällige Erkundung erübrigte. Am frühen Vormittag des 5. Dezember begann die preußische Armee nach siegreichem Vorhutgefecht vor dem rechten Flügel der österreichischen Schlachtaufstellung, die sich 65.000 Mann stark reichlich acht Kilometer lang ausdehnte, aufzumarschieren. Dem Plan des Königs zufolge führte sie dieses Manöver aber nur halbwegs aus, um den Feind zu täuschen und ihn zum verfrühten Einsatz seiner Reserven an der scheinbar bedrohten Stelle zu verleiten. 


Friedrichs Ansprache an die Generalität
unvollendetes Gemälde von Menzel

Sobald er das Gewünschte tat, bogen die Kolonnenspitzen gegen 10.30 Uhr wieder rechts ab. Die ganze Armee zog in südlicher Richtung weiter und verschwand hinter jener flachen Hügelkette, die den Österreichern nur drei Kilometer entfernt gegenüber lag. Eine entschlossene Heeresführung hätte jetzt die günstige Gelegenheit ergriffen, über sie hinweg dem halsbrecherischen Flankenmarsch in die Seite zu fahren wie Friedrich bei Roßbach. Statt dessen kam man auf dem Feldherrnhügel zu einer ganz anderen Lagebeurteilung: Im Hinblick auf die fortgeschrittene Tageszeit wurde ein ernsthafter Angriff der »Potsdamer Wachtparade«, wie die Österreiche die zusammengeschmolzene Armee der Preußen neckisch nannten, nicht mehr erwartet, der nach Lage der Dinge nur durch noch weite Überflügelung rechts erfolgen konnte. Trotz warnender Einwände wollte Prinz Karl den Fridericus gleichsam unverrichteter Sache ruhig wieder abziehen lassen, womit er den Manöverzweck seiner eigenen Vormarschoperation als erreicht ansah. Während sich seine Armee nicht vom Fleck rührte, brachte aber die preußische das Kunststück fertig, nach abgebrochenem »Deploiement« im Weitermarschieren die Gefechtsformation zu verändern. In der Reihenfolge rechter Flügel - Kavallerie zuerst, gefolgt von der Infanterie -‚ dann der linke umgekehrt, stellte sie die endgültige Schlachtordnung her. Unglaubhaft schnell standen alle Bataillone, Regimenter und Batterien um 13.00 Uhr in der Sturmausgangsposition schon halb in der Flanke des Feindes. Hier hatte der König den Schwerpunkt gewählt, wo er sich nach taktischer Lage, Waffenwirkung und Stoßkraft am wirksamsten zur Geltung bringen ließ. Die österreichische Schlachtlinie war starr nach Westen ausgerichtet, an den Flügeln stand die Kavallerie, im Zentrum die Infanterie. Die Stoßrichtung des Angreifers verlief von Südwest nach Nordost, so daß die Abwehrwaffen entlang der überbreiten Front vorerst gar nicht zur Aktion kommen konnten. Die mit erdrückender Übermacht an entscheidender Stelle aufmarschierte Armee gliederte sich gemäß »ordre oblique«. 

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Der rechte Infanterieflügel hatte den Hauptangriff auszuführen, eingeleitet von einer »Attaque« aus drei Bataillonen vor dem ersten Treffen. Die Staffelung der Bataillone nach links rückwärts verhinderte den Frontalkampf, so lange die Umfassung andauerte; das Schrägziehen »en echelons« sicherte ihr Gelingen. Starke Kavalleriekräfte standen beiderseits zur Deckung angriffsbereit, links versteckt hinter einem Hügel, auch hinter der Infanterie als drittes Treffen in Reserve.

Ein Teil der Artillerie fand überhöhte Stellung zu effektivster Unterstützung. Der große Erfolg des Flankenstoßes bestand darin, daß der gesamte linke Flügel der österreichischen Armee unter nur geringem eigenen Verlust total zertrümmert werden konnte. Dabei hatten konzentrisches Artilleriefeuer den Angriff wesentlich erleichtert und die Kavallerie des Generals v. Zieten den ersten Teilsieg vollendet.

Jetzt trat die Schlacht in ihre kritische Phase, da sich ihre Mechanik zwangsläufig zum Frontalkampf änderte, nachdem Prinz Karl den voll intakten Hauptteil seiner Armee um den Drehpunkt Leuthen herumgeschwenkt hatte. Die Erstürmung des Dorfes gegen zähen Widerstand erforderte hohe Opfer und darüber hinaus schritt der Angriff nicht weiter fort. Die dünne preußische Infanterielinie — auch das zweite Treffen war nun in sie mit eingerückt -‚ stand in einem konstanten Feuergefecht. Ihre rechte Flanke sicherte Zietens Kavallerie, doch die linke lag scheinbar ungeschützt feindlichem Zugriff offen. Dagegen richtete sich bei schon einsetzender Tagesdämmerung die entscheidungsuchende Attacke der noch voll intakten österreichischen Reitermasse. Auf diesen Moment hatte aber der Führer des linken preußischen Kavallerieflügels, General v. Driesen, schon gewartet. Mit seinen Kürassieren, Dragonern und Husaren brach er aus seiner Lauerstellung hervor und fiel dem Gegner in den Rücken. Unter Mitwirkung der Reserve, die der Infanterie gefolgt war, wurde Prinz Karls Kavallerie ins eigene Fußvolk hineingetrieben, wodurch die ganze Schlachtfront ins Wanken geriet. Driesens Gegenschlag riß auch die preußischen Bataillone wieder vorwärts, die mit dem Bajonett nachsetzten. Wenn die geschlagene Armee nicht noch höhere Verluste auf dem Schlachtfeld erlitt - 3.000 Tote, 6.000 Verwundete und über 12.000 Gefangene gegenüber 1.175 toten und 5.200 verwundeten Preußen -‚ so verdankte sie ihre Rettung allein der schützenden Nacht.

Der denkbar größte Waffenerfolg am Ende eines epochewidrig ereignisreichen Kriegsjahres mit vier Schlachten in sieben Monaten (!) demonstriert beispielhaft im Zusammenhang mit der Gesamtoperation von Roßbach bis Leuthen, was überlegene Führungskunst in ihrer elementaren Gültigkeit bedeutet. Friedrich der Große hatte seine unterlegene Macht durch Gewinnung von Raum- und Zeitfaktoren, die der Gegner in gleichem Maße verlor, an der entscheidenden Stelle zu vielfacher Wirkung gebracht. 


Schlacht bei Leuthen                              

Wie zu allen Zeiten, waren dazu sorgfältiges Berechnen von Risiko und Erfolgsaussicht, perfekte Überraschung und das entsprechend verwendungsfähige Kampfinstrument erforderlich. Andererseits zeigt das Beispiel Leuthen die Grenzen der zeittypischen Lineartaktik und der durch sie bedingten Manöverstrategie deutlich auf. Der Idealfall des voll geglückten Flankenstoßes mittels schiefer Schlachtordnung ist nur dieses eine Mal unter günstigsten Umständen eingetreten. Der Schlachterfolg wurde zwar durch operative Verfolgung so weit wie möglich ausgenützt, doch begann sie erst am übernächsten Tag; nicht eher bis die erschöpften Truppen wieder lineartaktisch geordnet in gefechtsbereiter Formation standen. Am nachteiligsten wirkte sich jetzt der Verlust Breslaus auf den Abschluß des Feldzuges aus; denn der König mußte vorrangig den strategischen Schlüsselpunkt Schlesiens einschließen und zurückerobern (21. Dezember). Zum gleichzeitigen Nachdruck fehlte es dem nur rund 10.000 Mann starken Verfolgungs-Detachement an der nötigen Kampfkraft. Immerhin gelangten etwa 23 000 Österreicher hinter Landeshut über die schützenden Sudeten, womit die Kader zu neuer Heeresbildung erhalten geblieben waren.

Die Verluste beider Seiten waren schwer. 3.000 Tote, 6.000 bis 7.000 Verwundete und über 12.000 Gefangene verlor die österreichische Armee. Daneben büßte sie 131 Kanonen, 9 Standarten und 46 Fahnen ein. Die preußischen Gesamtverluste betrugen fast 6.400 Mann.

Der nach der Schlacht angestimmte Choral von Leuthen »Nun danket alle Gott« gehört ebenso wie die Ansprache Friedrichs vor der Schlacht und die Schlacht selbst zu den Dingen, die dem »Mythos Preußen« Vorschub leisteten.