Berlin

 

 

Die Reichshaupt- und Kaiserstadt

Nach der Reichseinigung von Versailles am 18.01.1871 wurde Berlin über Nacht Reichshauptstadt und der preußische König deutscher Kaiser. Die Wilhelmstraße wurde der Sitz der Reichsregierung, vor allem des nur dem Kaiser verantwortlichen Reichskanzlers, der immer zugleich preußischer Außenminister und fast immer preußischer Ministerpräsident war. In den Reichsämtern und Ministerien der Wilhelmstraße wurde die Innen- und Außenpolitik des Reiches wie Preußens bestimmt. Hier lag die Schaltzentrale für deutsche und europäische Politik. Am Tiergarten und am Pariser Platz residierten die Vertreter der deutschen und ausländischen Staaten. Der Reichstag, oberste Legislative‚ verkörperte den einheitlichen Nationalstaat am deutlichsten. Er erhielt ein provisorisches Domizil, zunächst im früheren Hardenbergscben Palais am Dönhoffplatz, dann in der Leipziger Straße 4. Erst 1894 konnte das neu errichtete Reichstagsgebäude (Architekt Paul Wallot) am Tiergarten bezogen werden. Im Regierungsviertel, bisher mit Adelspalästen bebaut, hatten August Borsig an der Wilhelmstraße/Ecke Voßstraße und Bethel Henry Strousberg an der Wilhelmstraße/Ecke Pariser Platz ihre Paläste errichtet.


          Berliner Börse

Trotz der Erhebung Berlin zur Hauptstadt des Reiches bestimmte der preußische Staat weiterhin die politischen Verhältnisse der Stadt, wodurch ein planmäßiger Ausbau Berlins unter Berücksichtigung der umliegenden Städte, Gemeinden und Gutsbezirke gehemmt wurde. Entsprechend der preußischen Städte- und Kreisordnung von 1853, unterstand Berlin nach wie vor der brandenburgischen Provinzia1regierung in Potsdam, dem Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg. In der Stadt regierten die zwei preußischen Staatsbehörden: die Ministerial-, Militär- und Baukommission (die spätere preußische Bau- und Finanzdirektion).

Und weiterhin das Polizeipräsidium, die faktisch als Bezirksregierung Bauwesen, Finanzen und Steuern, Verkehr und Gewerbe beherrschten. 

Der Oberbürgermeister, der ein Volljurist sein mußte, bedurfte der Bestätigung durch den preußischen König. Die preußische Staatsbürokratie herrschte über die Stadtorgane und verhinderte Bestrebungen des Oberbürgermeisters Arthur Hobrecht, eine selbständige Provinz Berlin im preußischen Staatsverband zu schaffen. Die preußische Provinzialordnung von 1875 schrieb allerdings die Bildung eines Stadtkreises Berlin vor, die 1883 erfolgte. Das Landesverwaltungsgesetz von 1883 besagte, daß Berlin nicht mehr zur Provinz Brandenburg gehöre; gleichzeitig wurde aber bestimmt, daß der Oberpräsident der Provinz auch Oberpräsident von Berlin zu sein habe. Der Ausbau der Stadt als politisches Zentrum des Reiches vollzog sich nur sehr allmählich.

Die Bildung des Nationalstaates und Berlins Rolle als Hauptstadt begünstigten außerordentlich die rasche und durchgreifende ökonomische Entwicklung der Stadt. Ein bedeutender Teil der fünf Milliarden Francs französischer Kriegskontributionen floß in Berlins Tresore. Der Berliner Bankier Gerson Bleichröder war maßgeblich an der Leitung des Goldstroms beteiligt. Berlin, seit langem ein bedeutender Platz der Industrie und des Finanzwesens, des Handels und Verkehrs, wuchs in wenigen Jahren zum nationalen deutschen Wirtschaftszentrum von internationalem Rang heran. 1876 nahm hier der Zentralverband Deutscher Industrieller seinen Sitz.

Die »Gründerjahre« von 1871 bis 1873, erfaßte die gesamte Berliner Wirtschaft. Zum Zentrum des deutschen Kapital-, Kredit- und Wertpapiermarktes entwickelte sich die Berliner Börse, jetzt vor den ehemals führenden Börsen in Frankfurt (Main), Leipzig oder Hamburg und nach London und New York bedeutendster Umschlagplatz des internationalen Kapitals. Die führenden Berliner Banken, so die Preußische Bank (seit 1876 Reichsbank), die Disconto-Gesellschaft, die 1870 gegründete Deutsche Bank, die Berliner Handelsgesellschaft sowie einige Privatbanken, wie besonders die Bleichröders, steigerten ihre Kapitalkraft und ihren Einfluß enorm. Die Dresdner Bank eröffnete noch 1872 eine Filiale in Berlin, ihr folgte bald die Darmstädter Bank für Handel und Industrie. Die Filialen entwickelten sich schließlich zu Zentralen dieser Banken. Mit aktiver Beteiligung der Banken wurden viele Industriebetriebe in Aktiengesellschaften umgewandelt, reorganisiert und erweitert; neue Großbetriebe entstanden als kapitalstarke Unternehmen. 1871/1872 wurden in Berlin 228 neue Aktiengesellschaften mit einem Grundkapital von 603 Millionen Mark in das Handelsregister eingetragen.

Die Erweiterung der Kapitalgrundlage und dadurch geschaffene Möglichkeiten zur Kapazitätsvergrößerung betrafen vor allem die Maschinenbaubranche, den für die Berliner Industrie wichtigsten Produktionszweig. Bereits 1870 erfolgte die Umbildung der Eisengießerei und Maschinenfabrik L. Schwartzkopff, Chausseestraße 20, zur Berliner Maschinenbau-AG (vorm. L Schwartzkopff). Louis Schwartzkopff, der sich am Grundkapital von 6 Millionen mit 2 Millionen Mark beteiligte, wurde Generaldirektor der Aktiengesellschaft. Die Zahl der Arbeiter nahm von 1550 (1870) auf 1800 (1871) zu. 


Preußische Staatsbank                

Im Berliner Borsigwerk (Chausseestraße 1) wurde 1873 die 3000. Lokomotive gebaut. Ausdruck des breiten Übergangs zum Fabrikbetrieb war die Zahl der Dampfmaschinen, von denen es 1875 in Berlin 1055 mit etwa 15000 PS gab (1861 waren es 357 Maschinen mit etwa 5000 PS), davon in der Metallwaren- und Maschinenbaubranche. Der Maschinenbau bildete das Rückgrat der Berliner Industrie. Als »moderner« Zweig entwickelte sich die Elektroindustrie mit dem Siemens-Unternehmen. Anfang der achtziger Jahre legte Emil Rathenau den Grundstein zum zweiten Elektrogroßbetrieb, der späteren AEG.

Diese »modernen« Industrien vergrößerten sich vor allem in ihrem elektrotechnischen Zweig bedeutend. Die Siemens-Werke eröffneten 1883 in Charlottenburg ein neues Werk für Kraftmaschinen; bald lag hier die gesamte Starkstromproduktion, während in Mitte in der Markgrafenstraße der Apparatebau verblieb. 1883 gründeten Emil Rathenau und Werner von Siemens die Deutsche Edison-Gesellschaft zunächst in der Chausseestraße 113, die nach wenigen Jahren in die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft (seit 1887) umgebildet und mit ihren Betrieben in der Schlegel-, dann in der Weddinger Acker- und in der Brunnenstraße zum führenden Großbetrieb der Starkstromindustrie wurde. Berlin wurde zum die deutsche Elektroindustrie beherrschenden Zentrum, was sich in Niederlassungen und Exporten in internationalen Dimensionen ausdrückte. Mit der Errichtung der ersten Elektrizitätswerke 1883 in der Markgrafen- und Mauerstraße (Mitte) kündigte sich für die nächsten Jahrzehnte eine Umwälzung für Wirtschaft und Verkehr, für die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen überhaupt an.

Auch die Chemieindustrie (1867—1872 Actiengesellschaft für Anilinfabrikation Agfa, 1871 Chemische Fabrik auf Actien, vorm. E. Schering mit 1,5 Millionen Mark Grundkapital) gewann an Bedeutung. Der konjunkturelle Aufschwung erfaßte auch das Baugewerbe, die Kleinbetriebe und das Handwerk, die noch wesentlich traditionell produzierten. Lediglich in der Textilindustrie (Garn- und Gewebeproduktion) setzte sich der Rückgang hinsichtlich der Zahl der Beschäftigten und der Maschinen fort. Die Konfektionsindustrie in Berlin — kleine Handwerksbetriebe, dezentralisierte und zentralisierte Manufakturen, die zum Fabrikbetrieb übergingen — nahm einen Aufschwung, der zur vorherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt und zu festen Positionen im Export führte. 

Seinen Rang als bedeutendster Standort der Druckerei- und Buchbindereiindustrie, als Verlagsort für Bücher, Zeitschriften und Zeitungen festigte Berlin mit dem Ausbau der Preußischen Staatsdruckerei zur Reichsdruckerei (1879), den Buchfertigungsfabriken Lüderitz & Bauer und A. Ludwig. Für die Ansprüche kapitalistischer Massenbeeinflussung wurden das Wolffsche Telegraphenbüro (seit 1849), die Verlage von Rudolf Mosse (1867), Ludwig Ullstein (1877), August Scherl (1883) ausgebaut und wirksam. 1886 gründete Samuel Fischer seinen Verlag. 1867 erschienen in Berlin 165 Zeitungen und Zeitschriften, 1879 waren es bereits 354, und 1895 kamen 834 Publikationsorgane heraus.


      Gartenlaube

Das enorme wirtschaftliche Wachstum Berlins war begleitet von einer raschen Zunahme seiner Bevölkerung. Sie wuchs von 547.571 Einwohnern 1861 auf 966.858 im Jahre 1875, also um 77 Prozent. Die Lebensverhältnisse der Arbeiter waren vor allem durch miserable Wohnbedingungen geprägt. Berlin hatte mit durchschnittlich 57 (1880 sogar über 60) Personen pro Grundstück die höchste Bevölkerungsdichte der europäischen Großstädte. Nur jeder dritte Berliner Arbeiter hatte 1871 eine eigene Wohnung. Es war die Blütezeit des Mietskasernenbaus, der für die Wohnungswirtschaft charakteristisch wurde. Im Norden, Osten und Süden der Stadt entstanden nach dem Hobrechtschen Plan schachbrettartig schematisch angelegte Wohngebiete. Lange Straßenfluchten, durch Plätze - oft mit Kirchen bebaut - unterbrochen, gliederten die Stadtviertel. Die breiten Ausfallstraßen genügten über Jahrzehnte dem sich rasch entwickelnden Großstadtverkehr. 

Systematisch wurden die Grundstücke von 70 bis 80 Meter Tiefe 2- bis 5fach mit Hinterhäusern überbaut, so daß die Mehrzahl der Wohnungen — überwiegend nur Stube und Küche, zuweilen mit Kammer — auf den Höfen lag: fast ohne Licht und Luft. Ein besonders abschreckendes Monstrum war Meyers Hof in der Ackerstraße 132/133 mit 7 Quergebäuden. Auf engstem Raum, in Hinterhäusern, Hof-, Quer- und Seitengebäuden, lebten die Menschen zusammengepfercht. Jede zehnte Berliner Wohnung war eine Kellerwohnung, und jeder zehnte Berliner hauste in einer solchen. Die Hälfte aller Wohnungen hatte nur ein heizbares Zimmer, und jede dieser Einzimmerwohnungen wurde durchschnittlich von vier Menschen bewohnt. Im Laufe der siebzjger Jahre leitete der Magistrat unter dem Druck der Verhältnisse in der Stadtverordnetenversammlung den Bau der Kanalisation ein, die die Abwässer auf Rieselfelder am Stadtrand führte. Jetzt wurde es möglich, Wasserleitung und WC in die Häuser zu bringen, zunächst nur für jedes Stockwerk, meistens für mehrere Familien gemeinsam. Das bedeutete trotzdem eine außerordentliche Verbesserung der hygienischen Verhältnisse für die Stadt und ihre Bewohner. So wuchs Berlin in den siebziger Jahren zu einer Millionenstadt.

Für die Versorgung der rapide wachsenden Bevölkerung der Stadt wie auch der Vororte arbeiteten zunehmend Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie; mehrere Dampfmühlen machten die ländlichen Mühlen überflüssig und ließen Berlin auch zum Mittelpunkt des Mehlgroßhandels werden. Ab 1883 arbeitete der Schlachthof am neu errichteten Zentralviehhof. Die Milchversorgung blieb bis Ende des Jahrhunderts unzureichend. Carl Bolle betrieb ab 1879 eine Molkerei; sein Betrieb in Moabit war 1886 der modernste Europas, er belieferte mit Milchwagen die Haushalte. Die Margarineproduktion wurde aufgenommen. Die Zigarettenindustrie erweiterte sich mit Josetti (Rungestraße) und Garbaty (Pankow). Luxusgüter, Schokolade, Kaffee, Delikatessen wurden produziert und in Spezialgeschäften und Filialen angeboten. Firmen wie Stiller, Tack, Leiser und Salamander fertigten maschinell Schuhe. Das Textilgewerbe florierte in seinen Zentren um den Hausvogteiplatz, am Neuen Markt, zwischen Oranienburger und Schönhauser Tor. Großbetriebe mit Hunderten Zwischenmeistern, Tausenden Heimarbeiterinnen produzierten für den Bedarf der Großstadt und für den wachsenden Export. Schneider-, Sattler- und Schuhmacherwerkstätten und zahllose Effektenfabriken arbeiteten für Luxus- und Militärbedarf. 

Im Bereich der Warschauer Straße begann die fabrikmäßige Möbelproduktion. Für Dienstleistungen blieben die Handwerker allerdings wichtig, die neuerdings auch als Zulieferer- und Reparaturbetriebe für die Industrie tätig wurden. Berlin war und blieb die größte Handwerkerstadt Deutschlands. Der Berliner Handwerkskammer gehörten in der Stadt und im Regierungsbezirk Potsdam 80000 Betriebe mit 180 000 Lehrjungen und Gesellen an. Bedeutend vergrößerte sich die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte. 1888 existierten 12340 Handelsunternehmen mit 43 154 männlichen und 10780 weiblichen Arbeitskräften. Einzelne große Handelshäuser beherrschten zunehmend ganze Branchen (Möbel, Textil); Markthallen, Märkte und Warenhäuser wurden für die Versorgung wichtiger. Auf den Groß- und Außenhandel orientierte Unternehmen ließen das Ansehen Berlins als Handelsmetropole auch international wachsen.


Hausvogteiplatz            

Die Entwicklung der Industrie war eng verknüpft mit ihrer »Randwanderung«, der weiteren Verlagerung von Betrieben nach außerhalb, wo billiger Boden und Ausdehnungsmöglichkeiten und mobile Arbeitskräfte vorhanden sowie geringere Steuern zu zahlen waren. Die metallverarbeitende Industrie breitete sich östlich der Stadtgrenze in Lichtenberg aus (so Knorr-Bremse, Landmaschinenfabrik Eckert), in Ober- und Niederschöneweide (die Deutschen Messingwerke, später auch die AEG), in Treptow und Rummelsburg, hier produzierte auch die chemische Industrie mit der Agfa. Carl Spindler verlegte seine Chemische Reinigung, Färberei und Waschanstalt in den siebziger Jahren in die Köllnische Vorstadt von Köpenick, dann Spindlersfeld genannt. Um die Stammarbeiter an die Firma zu binden, entstanden hier zugleich Wohnungen und erstmals größere soziale, kulturelle und sportliche Einrichtungen. In Reinickendorf fanden neue Fabriken ihren Standort. Weit vor die Tore der Stadt zog die Schwerindustrie: In Spandau wurden die Militärwerkstätten durch die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken erweitert. Orenstein & Koppel gründeten hier 1896 eine Lokomotiv- und Waggonbaufabrik, wenig später in Drewitz eine Kesselschmiedeanlage. Borsig zog 1894 von Moabit nach Tegel und errichtete neben den Fabriken Wohnsiedlungen, Borsigwalde entstand. Die Berliner Maschinenbau-AG (vorm. L. Schwartzkopfl) baute ab 1897 in Wildau eine neue Lokomotivfabrik. Siemens baute ab 1899 bei Spandau und erwarb nördlich von Charlottenburg Bauland. Die AEG errichtete 1898 ihr Kabelwerk in Oberschöneweide und plante Fabriken in Hennigsdorf.

Die zweite Gründerära führte zu einem neuerlichen Wohnungsbauboom, charakterisiert durch eng bebaute und übervölkerte Straßenzüge mit Hinterhöfen, Quergebäuden und Seitenflügeln, mit kleinen Werkstätten, Fabriken, Buden und Schuppen im Norden, Süden und Osten der Stadt. Neue Arbeiterwohnviertel mit jetzt durchweg 5stöckigen Massenmietshäusern entstanden in der Rosenthaler Vorstadt, im Königs- und Stralauer Viertel, im Wedding und in Moabit. Dicht besiedelte Arbeiterquartiere, den Berliner Verhältnissen ähnlich, prägten auch die Vororte Lichtenberg, Rixdorf Neu-Weißensee, Rummelsburg sowie Teile Treptows, Schönebergs und Charlottenburgs. Die Hausgrundrisse waren auf die »herrschaftliche« Wohnung im Vorderhaus zugeschnitten. Reiche Berliner bewohnten nunmehr  bevorzugt in Westend, Zehlendorf, Wannsee, Lankwitz, Mariendorf, Lichterfelde, Grunewald. 


                 Schloßfreiheit

Besonders seit den achtziger Jahren zerstörten neu errichtete Repräsentations- und Geschäftsbauten den spätmittelalterlichen Stadtkern, darunter zahlreiche reizvolle historische Straßen, Plätze und Gebäude. Die Innenstadt wurde mehr und mehr entvölkert. Monumentalbauten und Denkmäler widerspiegelten den Anspruch des Kaiserreiches nach Größe; die Stadt verlor an städtebaulicher Qualität und Schönheit. Das Straßennetz, erst seit 1875 in städtischer Verwaltung, wurde ausgebaut und erhielt durchgängig Gasbeleuchtung. Die Straßen mußten von bisher 11 bis 15 Meter ab 1891 auf mindestens 21 Meter Breite angelegt werden. 

Fortschritte machte der Ausbau des Entwässerungssystems (seit 1876), das bis 1905 auf 1 000 Kilometer Leitungen erweitert wurde und die Abwässer auf Rieselfelder bei Blankenfelde, Buch, Mühlenbeck, Schönerlinde, Hobrechtsfelde (genannt nach dem Schöpfer des Konzepts der Entwässerung), Falkenberg, Mahlow, Großbeeren, Osdorf und Sputendorf leitete. Etwa 24000 Hektar Rieselfläche besaß Berlin schließlich. Damit war eine bedeutende Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in der Stadt erreicht. Dem dienten auch die städtischen Wasserwerke in Tegel (1877) und Friedrichshagen (1893). Während 1870 noch 56 Prozent der Bevölkerung Wasser aus Brunnen bezogen, wurden 1918 schließlich über 97 Prozent zentral versorgt.

Das Gesundheitswesen der Stadt erfuhr durch den Bau des Krankenhauses am Friedrichshain (1874), des Städtischen Krankenhauses Moabit sowie des Rudolf-Virchow-Krankenhauses (1906) wesentliche Verbesserungen. Hatten an der Planung Rudolf Virchow und Ferdinand Straßmann hervorragenden Anteil, so machte sich der Stadtbaurat Ludwig Hoffmann um die Ausführung der Bauten hier, dann auch bei den Krankenanstalten in Buch sehr verdient. Der Erholung der Großstädter diente der Treptower Park (seit 1876).

Der Ausbau der Stadt war nnit der Erweiterung des Verkehrswesens verbunden, das wiederum auf den Industrie-, Wohn- und Siedlungsbau zurückwirkte. Nach der Übernahme mehrerer privater Eisenbahngesellschaften durch den preußischen Staat in den siebziger Jahren wuchs Berlin zum Hauptknotenpunkt des deutschen Eisenbahnnetzes. Der Bau der Strecke Oranienburg—Gransee—Fürstenberg—Stralsund (1878), der Anschluß Rostock—Warnemünde (1886), der schließlich 1903 eröffnete Trajektverkehr Warnemünde—Gedser und 1909 Saßnitz—Trelleborg erhöhten Berlins Bedeutung im europäischen Nord-Süd-Verkehr. Dem diente auch die Strecke Zossen—Dresden (1875). Der Ost-West-Verkehr wurde mit der Strecke Seddin—Belzig—Wetzlar (1879) erweitert. Der Frachtverkehr auf den Wasserstraßen nahm mit der Spreeregulierung in den achtziger und neunziger Jahren einen neuen Aufschwung. Die durchgehende Regulierung war mit dem Bau neuer Schleusen und Brücken sowie dem Ausbau der Häfen Am Urban, in Schöneberg, dem Nord-, Ost- und Westhafen sowie des Teltowkanals am Anfang des neuen Jahrhunderts verbunden.

Für den stadtnahen Verkehr brachte die Ringbahn, die 1871 Moabit—Stralau—Treptow und Schöneberg, ab 1877 Schöneberg—Wilmersdorf—Charlottenburg und Moabit verband, einen außerordentlichen Fortschritt. Damit war ein 40 Kilometer langer Eisenbahnring um Berlin gelegt, nicht durch den Straßenverkehr behindert, projektiert für vier Gleise, Voraussetzung für den Anschluß weiterer Vororte und für die Besiedlung. Für die Verbindung mit der Innenstadt wurde unter Leitung von Ernst Dircksen die Stadteisenbahn mit der Streckenführung Niederschlesisch-Märkischer (seit 1882 Schlesischer) Bahnhof—Friedrichstraße—Charlottenburg geschaffen — zum Teil auf einem Viadukt über den früheren Festungsgraben verlegt — und 1882 eröffnet. 


Hochbahnhof Nollendorfplatz           

Der Vorortverkehr spielte sich zunächst zwischen Haltepunkten ab, die Mindesteinnahmen garantierten — so vor allem im Zusammenhang mit dem Berufsverkehr die Strecke nach Spandau (wo nach 1867 Rüstungsfabriken entstanden) —‚ oder in Verbindung mit dem Ausflugsverkehr (Wannseebahn in den siebziger Jahren). Pendelverkehr mit Vororttarifen entwickelte sich in den achtziger und neunziger Jahren von Berlin nach Tegel, Königs Wusterhausen, Bernau, Erkner—Fürstenwalde, Oranienburg, Strausberg, Zossen und über Potsdam hinaus bis Werder.

Den innerstädtischen Straßenverkehr bewältigten noch immer Pferdedroschken, Pferdeomnibusse (seit 1846) und Pferdestraßenbahnen (seit 1865), von privaten Gesellschaften betrieben, 1879 führte Werner Siemens die erste elektrische Bahn der Welt auf der Berliner Gewerbeausstellung vor. 1881 ging die erste »Elektrische« auf einer kurzen Strecke vom Bahnhof Lichterfelde-Ost zur preußischen Hauptkadettenanstalt Lichterfelde in Dauerbetrieb. Erst 1895 fuhr man elektrisch nach Pankow und 1896 nach Treptow. 1902 waren fast alle Straßenbahnlinien elektrifiziert. Im selben Jahr wurde die erste Hochbahn nach etwa fünfjähriger Bauzeit zwischen Warschauer Brücke und Charlottenburg (Knie) mit einer Abzweigung zum Potsdamer Platz in Betrieb genommen. Ihr Ausbau ebenso wie der Auto- und Luftverkehr blieben dem 20. Jahrhundert vorbehalten. Die Möglichkeit, »elektrisch« — per Telefon — miteinander zu verkehren, bestand für die Berliner seit 1881, zunächst für 45 Teilnehmer.

So war Berlin in den neunziger Jahren längst über die engen Stadtgrenzen hinausgewachsen, man begann, von »Groß-Berlin« zu sprechen. Die herrschenden Kreise in Stadt und Staat weigerten sich, den Tatsachen durch einen politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluß Berlins und seiner Vororte zu einer neuen administrativen Einheit Rechnung zu tragen. Sorge um den Verlust finanzieller Vorteile, konservatives Beharren, ließen sie am althergebrachten Status der Stadt festhalten. Allerdings erhielten stark gewachsene Vororte wie Schöneberg (1898), Rixdorf (1899) und Lichtenberg (1908) Stadtrechte.


            Reichstag

Mit dem Schaffen von Lovis Corinth, Walter Leistikow, Max Liebermann und Max Slevogt wurde Berlin Mittelpunkt impressionistischer Kunst. Sie begründeten im offenen Gegensatz zur offiziellen Kunst, die sich in akademischer Historien- und bürgerlicher Genremalerei, in höfischen Repräsentationswerken erging, die Sezession (1898), eine Künstlervereinigung, die dem Kunstleben der Stadt neue bürgerlich-realistische Akzente verlieh. Seinen Ruf als führende Theaterstadt festigte Berlin durch die Gründung des Deutschen Theaters 1883 durch Adolf L‘Arronge; seit 1894 unter Leitung von Otto Brahm, entwickelte es sich zur führenden deutschsprachigen Bühne. 

1888 eröffnete Oskar Blumenthal das Lessing-Theater, in dem die »Freie Volksbühne« viele ihrer Aufführungen zeigte. Es kamen 1892 das Theater Unter den Linden — seit 1898 als Metropol-Theater in der Behrenstraße —‚ 1896 das Theater des Westens hinzu. Das Musikleben erfuhr durch die Gründung und die Konzerte des Philharmonischen Orchesters (Hermann Wolff, 1882) mit hervorragenden Dirigenten wie Hans von Bülow und Arthur Nikisch sowie durch das Wirken der Königlichen Kapelle mit Felix von Weingartner einen bemerkenswerten Aufschwung. Als Filiale der Königlichen Oper, immer noch durch konservativen Geschmack der Hofkreise beherrscht, arbeitete seit 1895 die Kroll-Oper. Neben den Konzerten und Opernaufführungen entwickelte sich die leichte Muse, die musikalische Unterhaltung. Weit über die Grenzen Berlins hinaus beliebt waren die Varietés, die zahlreichen Tanz- und Musikrevuen, die der Unterhaltung breiter Schichten der Bevölkerung dienten; mit ihren besten Künstlern errangen sie zu Recht die Zustimmung eines breiten Publikums. Regen Zuspruch fanden die Zirkusveranstaltungen, die im Zirkus Schumann (vormals Renz) am Schiffbauerdamm und Zirkus Busch am Bahnhof Börse feste Häuser hatten. Mit dem »Theater lebender Photographien« Max Skladanowskys im Wintergarten des neuen Central-Hotels am Bahnhof Friedrichstraße 1895, der ersten »Wochenschau« Oskar Meßters und dem ersten Kino in der Münzstraße begann von Berlin aus der Aufstieg der Filmkunst. Mehr als ein Dutzend großer Säle, jeweils mehr als 2000 Personen fassend, luden zu Tanz und Unterhaltung wie auch zu politischen Versammlungen: die Germania-Säle in der Chausseestraße, die Sophiensäle im Handwerkervereinshaus in der Sophienstraße, die Concordia-Säle in der Andreasstraße, die Pharus-Säle in der Weddinger Müllerstraße und andere mehr.

Um die Jahrhundertwende wurde es auch für Arbeiterfamilien üblich, am Wochenende ins Grüne zu fahren. Pferdewagen, Straßenbahnen, Vorortzüge und Ausflugsdampfer brachten sie in die umliegenden Wälder, in Freibäder, an Seen und Flüsse, »aufs Land«. Neuartige Ausflugslokale mit dem Angebot »Hier können Familien Kaffee kochen« ermöglichten den Aufenthalt auch bei schmalem Geldbeutel.

 

 
 
Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Kaiserreiches

Um die Jahrhundertwende entstanden die ersten Großbäckereien (1898 Wittler, 1903 Thiele, 1904 Danilzik) für die Brotversorgung der Millionenstadt. Etwa zehn Frisch- und Kochwurstfabriken versorgten die Bevölkerung täglich mit Fleisch und Wurstwaren. Die regelmäßige Belieferung mit Milch führte Ende des 19. Jahrhunderts zur Senkung der Säuglingssterblichkeit. Genußmittel produzierten Th. Hildebrand, die Sarotti-Werke (1913 neues Werk in Tempelhof), Gebr. Stollwerck - Köln mit einem Zweigwerk 1900 in Berlin, die Kaffeerösterei Hinz & Küster und seit 1912 die Muratti-Zigarettenfabrik. Die Bierbrauerei war bereits seit den siebziger Jahren in Großbetrieben wie Schultheiß, Patzenhofer, Kindl, Bötzow, Löwen-Böhmisch konzentriert. Der Handel auf Märkten, in den Markthallen sowie durch Konsumvereine behielt seine Bedeutung für die Versorgung.

Die Warenhäuser  Israel, Jandorf, Karstadt, Lyon, Tietz und Wertheim vergrößerten ständig die Zahl ihrer Geschäftshäuser in allen Stadtteilen, sie beeinflußten zugleich Stadtbild wie Architektur. Großhandelsfirmen wirkten auf die Produktion zurück und verstärkten Berlins Stellung im deutschen und internationalen Warenverkehr. Der Einzelhandel schloß sich zu Einkaufsgenossenschaften zusammen (»Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler« — EDEKA). Firmen wie Reichelt, Meyer, Kaiser‘s Kaffee, Carisch, Beck und andere entwickelten den Filialhandel in der Lebensmittelbranche. 


Warenhaus Wertheim                         

Den Grundstein der Bildung der Berliner Bevölkerung legten die nach 1870 ausgebauten achtklassigen Volksschulen und die 223 Gemeindeschulen mit über 200 000 Schülern (um 1900) sowie die 47 höheren städtischen und königlichen Schulen. Mit den zahlreichen gewerblichtechnischen, den Fach- und Hochschulen hatte die Hauptstadt im Reich wie im Vergleich mit Zentren anderer Staaten eine Spitzenposition erreicht.

Der täglichen Information  diente die Presse, die im Zeitungsviertel zwischen Jerusalemer Straße, Zimmer- und Kochstraße ihre Zentralen hatte. Hier herrschten die Konzerne von Mosse, Scherl und Ullstein. Bei Mosse erschien seit 1871 zweimal täglich das »Berliner Tageblatt«, eine bürgerlich-liberale Zeitung mit umfänglichem Handels-, Wirtschafts- und Inseratenteil; 1914 hatte es eine Auflage von 238 000 Exemplaren. Mosse hatte 1891 die Berliner »Volks-Zeitung« aufgekauft, die 1914 als »Berliner Volkszeitung« in 140 000 Exemplaren täglich erschien. Im Scherl-Verlag kam seit 1883 der »Berliner Lokal-Anzeiger« heraus, mit Wirtschafts- und Inseratenteil, vor allem aber mit Stadtnachrichten, Kolportageroman, Reklame, Arbeitsmarkt und Wohnungsanzeiger; er erreichte schon Ende des 19. Jahrhunderts eine Auflage von 167 000 Exemplaren. 1895 erschien bei Scherl die erste illustrierte Sportzeitschrift, und im selben Jahr erwarb er die »Gartenlaube« (seit 1853), ein kleinbürgerliches Unterhaltungsblatt. 1911 vereinigte der Scherl-Konzern sieben Unternehmen und war eng mit der Disconto-Gesellschaft verbunden.

1912 errichtete Ullstein ein neues Verlagshaus an der Koch-/Ecke Charlottenstraße. Dieser Verlag brachte das Massenblatt »Berliner Morgenpost« auf den Markt, seit 1898 an Stelle der älteren »Berliner Zeitung«. Zeitungen im Boulevardstil, mit großen Schlagzeilen und Kurznachrichten war u.a. die »B. Z. am Mittag«. Seit 1894 gab Ullstein die »Berliner Illustrirte Zeitung« (gegründet 1890) heraus, die 1914 mit fast 1 Million Exemplaren die höchste Auflagenziffer aller deutschen Zeitschriften erreichte. 1914 kaufte Ullstein auch die alte »Vossische Zeitung«, ein großbürgerliches Blatt mit 24000 Exemplaren Auflage. Als offizielle deutsche Nachrichtenagentur galt das Wolffsche Telegraphenbüro. Insgesamt erschienen in Berlin und den Orten der Umgebung um 1900 über 800 verschiedene Organe, darunter 36 politische Zeitungen.


            Berliner Dom

Berlin war nicht nur das politisch-administrative, das militärstrategische, ein bedeutendes ökonomisches Zentrum des Reiches, es war seit 1871 zunehmend auch ein Mittelpunkt bürgerlicher Kultur und Wissenschaft geworden. Berlin hatte seine provinzielle Enge überwunden und war neben den traditionsreichen Städten Dresden und München zum Anziehungspunkt für viele Künstler und Wissenschaftler geworden. An repräsentativen Bauten entstanden in diesen Jahren im Neorenaissancestil der Dom (1894—1905 nach Plänen von Julius Raschdorff), in Neoromantik die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche (1891—1895 unter Franz Schwechten), der Kaiser-Wilhelm-Turm im Grunewald (1897—1899) und die Herrscher-Skulpturen im Tiergarten, die »Puppen-Allee«. 

Im Gegensatz zur offiziellen Kunst, wie sie Anton von Werner als Präsident der Akademie der Künste selbst pflegte, schufen die Sezessionisten, dann die Expressionisten und andere Künstler ihre Werke, gefördert von Bruno und Paul Cassirer, deren Kreis sich um 1910 Max Pechstein und die Künstler der »Brücke« (Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Ludwig Kirchner und andere) anschlossen.

Es ist Persönlichkeiten wie dem preußischen Ministerialdirektor Friedrich Althoff und dem Generaldirektor Wilhelm Bode (seit 1906) zu danken, daß die Museen eine erhebliche Bereicherung ihrer Bestände und mit dem Kaiser-Friedrich-Museum (1904) eine bedeutende Ausdehnung erfuhren und Bleibendes für die Stadt und ihre Bürger geschaffen wurde. Zwischen 1901 und 1908 entstand nach Entwürfen des Stadtbaumeisters Ludwig Hoffmann das Gebäude des Märkischen Museums. Ludwig Hoffmann, Alfred Messel und Peter Behrens setzten mit ihren Bauten architektonische Akzente.

Breit entwickelte sich das Konzert- und Theaterleben in Berlin. Aus der Überfülle an Konzerten ragten die der Philharmonie heraus sowie die der Königlichen Kapelle an der Hofoper, die unter Stabführung von Richard Strauss (1898—1912 in Berlin) neuen Aufschwung nahm. Seit 1907 wirkte das Blüthner-Orchester, das spätere Berliner Sinfonieorchester. Bis 1910 entstanden mehrere Konzerthäuser. Volksbelustigung und -unterhaltung wurde in den zahlreichen Vergnügungslokalen, Tanzsälen und Biergärten geboten, oft mit Militärmusik verbunden. Die reiche Berliner Singtradition führten vor allem die Singakademie, die Liedertafel und der Lehrergesangsverein fort.

Immer populärer wurden Kabarett, vor allem »Schlager«, Ausstattungsrevuen und die Operette, mit den Namen Victor Hollaender, Paul Lincke, Walter Kollo und Jean Gilbert als Schöpfer, Fritzi Massary, Guido Thielscher, Claire Waldoff und vielen anderen als Interpreten verbunden. In diesem Genre prägte sich die spezifische »Berliner Note« weiter aus und gewann internationale Attraktivität. 1905 öffnete an der Weidendammer Brücke die Komische Oper ihre Pforten. Sehr schnell verbreitete sich die neue Kunst, der Film, von Anfang an durch Erfindung, erste Produktion und Aufführungen mit Berlin verbunden. Nationalen und internationalen Rang erwarb Berlin zudem als Theaterstadt.

Um 1910 zählte man 30 repräsentative Theater. Aus diesen ragten das Lessing-Theater, 1904—1912 von Otto Brahm geleitet, und vor allem das Deutsche Theater in der Schumannstraße hervor. Hier setzte Max Reinhardt (seit 1905 Leitung) die durch Otto Brahm begründete Orientierung auf eine echte Schauspielkunst vor allem durch die sorgfältige Aufführung von Werken Shakespeares, der zeitgenössischen Dramatik (Tolstoi, Wedekind), durch großartige künstlerische Ausstattung und die Zusammenführung eines einzigartigen Ensembles (Adele Sandrock, Tilla Durieux, Agnes Straub, Eduard von Winterstein, Friedrich Kayßler, Alexander Moissi, Paul Wegener) fort. 1906 wurden die Kammerspiele ausgebaut. Von großer Bedeutung für das Theaterleben, aber vor allem für das Publikum war der Neubau der Volksbühne (nach Plänen von Oskar Kaufmann) von 1913 bis 1915. Sehr volkstümlich war das Rosetheater (nach seinem Direktor Bernhard Rose seit 1906) in der Frankfurter Allee.


Der Sturm                

So bekannte spätbürgerliche Dichter wie Rainer Maria Rilke und Stefan George weilten in Berlin. Exklusiv blieben ebenfalls die oppositionellen, linksbürgerlichen Zeitschriften »Sturm«, 1910 von Herwarth Walden für die expressionistische »Moderne« gegründet, und die von Franz Pfemfert seit 1911 herausgegebene »Aktion«, an der auch Anarchisten und der Sozialdemokratie nahestehende Künstler arbeiteten: Johannes R. Becher, Georg Heym, Oskar Kanehl, Erwin Piscator, Rudolf Leonhard.

Die Entwicklung Deutschlands zur ersten europäischen Industriemacht war auch durch die enge Kooperation von Wissenschaft, Technik und Produktion möglich geworden. Dieser Prozeß vollzog sich in Berlin besonders eindrucksvoll. Berlins wissenschaftliche Einrichtungen, vor allem die Akademie der Wissenschaften, die Universität, die Technische Hochschule Charlottenburg (seit 1879) und die Physikalisch-Technische Reichsanstalt (1887), hatten für wissenschaftliche Forschungen außerordentliche Bedeutung. Die Universität wurde zur größten und bedeutendsten Hochschule Deutschlands ausgebaut. 1910 erhielt sie das Gebäude der Königlichen Bibliothek am Opernplatz (die »Kommode«) zur Nutzung. Neben Neubauten für verschiedene Institute (zum Beispiel .Physik, Chemie, Meereskunde) wurde das Hauptgebäude von 1912 bis 1920 unter Leitung von Ludwig Hoffmann durch Anbau der Nordflügel wesentlich erweitert. Nach vielen Verzögerungen erfolgte von 1897 bis 1917 der für die medizinische Versorgung, die Forschung und Ausbildung dringliche Neu- und Ausbau der Charité, geleitet von Kurt Diestel und gefördert von Friedrich Althoff vom Preußischen Kultusministerium. Zwischen 1903 und 1914 entstand nach Entwürfen von Ernst von Ihne das neue Gebäude der Staatsbibliothek. Die Konzentrierung der Forschung führte 1911 zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die mit ihren zunächst auf die Chemie, Biologie und Medizin orientierten Forschungsinstituten in Dahlem entscheidend zur führenden Rolle Deutschlands in der Wissenschaft beitrug. Den wachsenden Anforderungen von Staat und Wirtschaft an die Wissenschaft entsprach ebenso die Gründung der Handelshochschule an der Spandauer Straße (1906).

Durch den Ausbau der Institutionen, die Konzentration finanzieller und materieller Mittel, die Zusammenarbeit hervorragender Wissenschaftler, durch neue Formen und Methoden wissenschaftlicher Arbeit, wozu deren wachsende Internationalisierung gehörte, gelangen auf verschiedensten Gebieten bahnbrechende Leistungen, die weltweit Anerkennung fanden. Herausragend waren die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit der Berliner Chemiker und Nobelpreisträger Emil Fischer, Jacobus Henricus van‘t Hoff, der Biochemiker Eduard Buchner, Rudolf Willstätter und der Physiker des berühmten Physikalischen Kolloquiums, die das Werk Hermann von Helmholtz‘ und Gustav Kirchoffs fortführten: August Kundt, Heinrich Rubens, Max Planck, Walther Nernst, Max von Laue, Emil Warburg, Fritz Haber, Albert Einstein und Lise Meitner, die erste weibliche Professorin in Berlin. Berlins medizinische Forschung wurde durch Robert Koch, Paul Ehrlich, Emil von Behring, August von Wassermann, Ernst von Bergmann weltberühmt. Seit 1908/1909 wurden endlich auch die Frauen zur Immatrikulation zugelassen. Über 700 wissenschaftliche Gesellschaften wirkten vor 1914 in Berlin.


          Otto Hahn   Lise Meitner

Den Nobelpreis für Literatur erhielt 1902 Theodor Mommsen für seine kunstvolle Gestaltung der »Römischen Geschichte«. Als glänzender Wissenschaftsorganisator erwies sich der Theologieprofessor Adolf Harnack, seit 1905 Direktor der Staatsbibliothek, Spiritus rector und erster Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Er war maßgeblich an der Entwicklung von »Großbetrieben der Wissenschaften« in Berlin beteiligt. Die Stadt der Wissenschaften zog viele Gelehrte an. Die Zahl der Studenten an der Universität wuchs von 4.890 im Sommersemester 1900 auf 7.837 im Sommer 1913. Zahlreich waren die Studenten aus dem Ausland. 

Seit 1871 war die Zahl der Einwohner der Stadtgemeinde Berlin mit Ihren 66 Quadratkilometern Fläche von 827.000 auf 2.001.000 im Jahre 1910 gestiegen. In jenem 800 Quadratkilometer umfassenden Gebiet, das 1920 mit Berlin zusammengeschlossen wurde, hatte die Bevölkerung noch stürmischer - von 105.000 (1871) auf 1.724000 (1910) - zugenommen. In diesem Berliner Raum ballten sich fast 4 der 65 Millionen Einwohner des Reiches zusammen. Längst waren Wirtschaft und Wohngebiete über die administrativen Stadtgrenzen hinausgewachsen. Noch immer verhinderten Die widerstrebenden Interessen des "Speckgürtels" den Zusammenschluß des politisch wie ökonomisch verwobenen Ballungsgebietes Berlin und seiner Umgebung zu einer einheitlich verwalteten Großstadt.

Um aber den dringendsten wirtschaftlichen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, wurde am 1. April 1912 der Zweckverband Groß-Berlin gebildet, ein Kommunalverband, der Berlin mit den umliegenden sieben Städten und den Landkreisen Teltow und Niederbarnim zur einheitlichen Regelung einiger Probleme (Verkehr auf Schienen betriebener Fahrzeuge, Baupolizeiordnung, Erwerb und Erhaltung von Freiflächen) zusammenführte. Es kam jedoch nicht zu einer einheitlichen Stadtwirtschaft, Kanalisation, Gas-, Wasser- und Stromversorgung; das Schul- und Armenwesen blieben zersplittert. Bedeutsam für die zusammenwachsende Großstadt waren dann der Erwerb der Großen Berliner Straßenbahn (1919) durch den Verband und der Ankauf von 10.000 Hektar Wald (in Köpenick und Grunewald während des Krieges).

Die kommunalpolitische Planlosigkeit, vor allem auch im Wohnungswesen, blieb bestehen. Berlin besaß 1905 etwa eine Million Wohnungen, 400.000 mit einem, 300.000 mit zwei heizbaren Zimmern. 600.000 Menschen lebten zu fünft oder mehr in einem Raum. Stube und Küche, vielfach in engsten Höfen und Kellern, waren Domizil zahlloser Arbeiterfamilien. Die permanente Krise in der Bau- und Wohnungswirtschaft zwang zu größerer »Sachlichkeit«. Neue Tendenzen, von Reformern vorgetragen, führten stellenweise zur aufgelockerten Bauweise, zu anspruchsvolleren Mietshäusern, Siedlungsbauten, Eigenheimen. Die Bestrebungen, Wohnsiedlungen im Grünen anzulegen, nahmen zu. Die von Bruno Taut entworfene und 1913—1915 errichtete »Tuschkastensiedlung« Falkenberg bei Altglienicke oder die von Peter Behrens in Oberschöneweide gestaltete Reihenhaussiedlung (1915) — getragen von Arbeiterbaugenossenschaften — blieben vereinzelte Versuche, dem Elend im Wohnungswesen entgegenzuwirken.

Erweitert werden mußte der städtische Nahverkehr. Stadt-, Ring- und Vorortbahn dehnten den Massentransport aus und beförderten 1912 etwa 388 Millionen Menschen. Der Ausbau der Untergrund- und Hochbahn stieß überall auf lokale Widerstände und konzentrierte sich auf Charlottenburg, Schöneberg und Wilmersdorf. 1913 sollte Pankow mit Berlin verbunden werden; die Strecke wurde aber nur bis zum S-Bahn-Nordring (Schönhauser Allee) geführt. Erheblich wuchs der - jetzt zunehmend motorisierte - Straßenverkehr. Nach 1910 war man zu ersten verkehrsregulierenden Maßnahmen (Anfänge einer Verkehrspolizei, Einrichtung von Einbahnstraßen und anderem) gezwungen.

Berlin war zum größten deutschen Güterumschlagplatz geworden, und das rapide wirtschaftliche Wachsen der Stadt erforderte den weiteren Ausbau der Gütertransportwege. Eisenbahn- und Wassertransport schlugen in den achtziger Jahren je 3,6 Millionen Tonnen um, 1906 waren es je über 10 Millionen Tonnen; um der fallenden Tendenz des Wassertransports entgegenzuwirken, wurde die Spree reguliert, von 1901 bis 1906 der Teltowkanal gebaut, der den Weg zwischen Oberspree — Dahme und Havel (bei Potsdam) unter Umgehung der Stadtdurchquerung verkürzte. Von 1901 bis 1914 schuf man — gegen den hartnäckigen Widerstand des märkischen Adels - den Großschiffahrtsweg von Plötzensee nach Hohensaathen, den Oder-Havel-Kanal. 


Hochbahnunglück                   

Im ständigen Widerstreit zwischen Fiskus und Stadt entstand von 1907 bis 1913 der Osthafen, ein für den Umschlag und die Lagerhaltung bedeutsames Unternehmen, das durch den Westhafen in Moabit ergänzt werden sollte. Der Baubeginn hier fiel in den Sommer 1914, der Krieg unterbrach das Vorhaben.

Pulsierendes Leben erfüllte die Stadt, zeitweilig durch wirtschaftliche Krisen wie die von 1913/1914 gedämpft. Nach der umfassenden Erhebung von 1907 waren in 181.633 Berliner Gewerbebetrieben (Industrie, Baugewerbe; Handel, Verkehr, Gaststätten, Landwirtschaft und Gärtnerei) 812.665 Personen beschäftigt. Davon waren in 16.597 »fabrikmäßigen Betrieben« des Landespolizeibezirks Berlin 321.804 Arbeiter konzentriert, das heißt im Durchschnitt 19,4 Arbeiter je Fabrik.

Berlin im 1. Weltkrieg

Am 1. August 1918 verkündete Kaiser Wilhelm II. vom Balkon des Berliner Schlosses mit den Worten: "Mitten im Frieden überfällt uns der Feind ..." die Mobilmachung. In Berlins Straßen herrschte eine ähnliche Begeisterung wie 1870 - und die gleiche, diesmal trügerische Hoffnung auf einen schnellen Sieg. Auf den Straßen Berlins, auf denen es vier Jahre zuvor in patriotischem Taumel hieß: »Nun ist sie da, die heilige Stunde«, war die Euphorie, mit der die Berliner seit dem 1. August 1914 die ausrückenden freiwilligen Regimenter bejubelt hatten, einer faden Ernüchterung gewichen. Für die Millionen-Bevölkerung Berlins und seiner Vororte folgte auf den Jubel bald eine Zeit der Entbehrungen. 


  Verlesung der Mobilmachung

Die Festsetzung von Höchstpreisen und Rationierungen zog Schleichhandel, Hamsterfahrten und Schwarzmarktpreise nach sich. Der Einführung einer Groß-Berliner Brotkarte im Februar 1915 folgten bald andere Lebensmittelkarten: die Zucker-, Butter-, Eier-, Fleisch-, Kartoffel-, Petroleum-, Seifen-, Kohlenkarte. Das Wort ,,Kunst" bekam einen neuen Sinn: Kunsthonig und Kunstmarmelade, künstliche Brühwürfel und Limonaden, Kaffee-Ersatz und Magermilch wurden zu geläufigen Begriffen. Für das tägliche Brot streckte man Weizen- und Roggenmehl mit Kartoffelmehl oder auch frischen Kartoffeln. Die Herstellung von Kuchen wurde eingeschränkt. Die britische Seeblockade, gegen die Deutschlands Flotte machtlos war, begrenzte die Einfuhren. 

Die reglementierte Versorgung schwankte auch mit dem Ausfall der Ernten und dem Geschick der Bauern, die Ablieferungspflicht zu umgehen. Das Gewicht der Schrippe war schon 1915 von 75 auf 50 Gramm herabgesetzt worden. Das Brotgewicht lag je nach Zuteilung zwischen 2000 und 1600 Gramm, der Wochenration für eine Person. Seit 1916 waren auch Fleischwaren rationiert. Pro Person und Woche sank der Satz schnell auf 250 Gramm. Rund ein Fünftel des noch im Herbst 1915 statistisch festgestellten Verbrauchs. Selbst diese geringen Mengen konnten nicht immer geliefert werden.

Im Frühjahr 1916 organisierte die Stadt schließlich die Volksspeisung mit zehn Hauptküchen und 77 Ausgabestellen in allen Stadtteilen. Im schlimmen ,,Kohlrübenwinter" 1916/17, als im Februar 1917 "die Kartoffelnot aufs höchste gestiegen war", erreichte die Zahl der Essensteilnehmer 152.000. Sie verminderte sich zwar danach, aber der heiße, trockene Frühsommer 1917, in dem Berlin weder Kartoffeln noch Gemüse kannte", ließ sie sogar auf 171.000 anschwellen, wie der damalige Stadtarchivar Ernst Kaeber in seinem Buch ,,Berlin im Weltkriege" schrieb.
Je länger der Krieg dauerte, desto umfassender wurde die staatliche Bewirtschaftung der Versorgung. Sie erfaßte Bekleidung und Schuhe ebenso wie Seife und Waschmittel, Heizung und Beleuchtung.

Während die militärische Führung ihr Hauptquartier fernab von Berlin hatte, wurde die Stadt zum Zentrum der Rüstungsplanung und Rüstungsproduktion. Walther Rathenau, Nachfolger seines Vaters in der Leitung der AEG, glaubte nicht an den schnellen Sieg und erkannte als erster die Gefahr des Rohstoffmangels. 1914-15 baute er die Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium auf. Doch obwohl die Rüstungsproduktion auf Hochtouren lief, die Löhne stiegen und die Gewerkschaften sich mit den Arbeitgebern arrangierten, hielt der 1914 vom Kaiser mit den Worten: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche" verkündete innenpolitische "Burgfrieden" nur begrenzte Zeit. 


                                   Spendenaufruf

Auf der politischen Rechten wurden immer ungehemmter weitreichende "Kriegsziele" aufgestellt, die heftige Debatten auslösten. Der linke Flügel der SPD, die 1914 im Reichstag geschlossen für die ersten Kriegskredite gestimmte hatte, verweigerte schon bald die weitere Unterstützung dieses Krieges und bildete 1916 die "Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (USPD). In ihr gruppierte sich im "Spartakusbund" ein revolutionärer Kern. Doch weniger durch politische Unterwanderung von "links" als durch die schlechte Versorgungslage und die schwindende Hoffnung auf einen schnellen Sieg entstand zunehmende Unruhe in der Bevölkerung.

 

 
 
Die Jahre der Weimarer Republik

Am 9. November 1918 hatte die Revolution Berlin erreicht. Kaiser Wilhelm II. wurde zur Abdankung gezwungen; Reichskanzler Prinz Max von Baden übergab die Amtsgeschäfte an Friedrich Ebert. Bewaffnete Arbeiter und einfache Soldaten mit roten Armbinden prägten das Straßenbild. Arbeiter- und Soldatenräte wurden gebildet. Tausende standen vor dem Reichstag und erwarteten vom Parlament eine Entscheidung. Mit den Worten "Arbeiter und Soldaten! Seid Euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewußt. Unerhörtes ist geschehen" begann der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November 1919 die Republik auszurufen. Fast gleichzeitig verkündete Liebknecht die ,,sozialistische Republik" vom Balkon des Stadtschlosses aus.

Als am 10. Dezember Friedrich Ebert, Chef der provisorischen Regierung, Unter den Linden die heimkehrenden Soldaten begrüßte, war die Nation gespalten und Berlin sollte in den nächsten Wochen und Monaten Ort gewaltiger Demonstrationen und gewalttätigster Straßenkämpfe werden. 

Auf dem Reichskongreß der »Arbeiter- und Soldatenräte« in Berlin vom 16—19. Dezember 1918 entschieden sich die Delegierten mit einer Mehrheit von 400 zu 50 Stimmen für die parlamentarische Demokratie. Dabei wurde die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung auf den 19. Januar 1919 festgesetzt. Für die linken Gruppierungen, die mit Mißtrauen die Annäherung der Sozialdemokraten an die bürgerlichen und militärischen Kreise des Kaiserreiches verfolgten, war Friedrich Ebert, Vorsitzender des »Rates der Volksbeauftragten«, endgültig zum Verräter geworden, als er im Dezember 1918 Militär gegen revoltierende Arbeiter in Berlin vorrücken ließ.Beim Spartakusaufstand im Januar 1919, der sich rund um das Zeitungsviertel zwischen Koch-, Zimmer- und Jerusalemer Straße abspielte, kamen mehr als 150 Menschen ums Leben. Auch das Stadtschloß wurde zum Zentrum der Schießereien zwischen der Volksmarinedivision und den Freikorps. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Begründer des Spartakusbundes, wurden von rechten Korps umgebracht und in der Nähe des Zoos in den Landwehrkanal geworfen. Während des Generalstreiks im März 1919 stieg die Zahl der Todesopfer auf über Eintausend. 

Die Furcht vor einem Ausgreifen des Bolschewismus und bewaffnete Zusammenstöße mit kommunistischen Kleingruppen in den Straßen Berlins ließen die Mehrheit der Sozialdemokraten eindeutig Stellung beziehen. Vorrangig sollte nach Meinung der »Arbeiter und Soldatenräte« die öffentliche Ordnung wiederhergestellt und die Versorgung gesichert werden. Hungersnot und Kohlemangel hatten die Menschen seit Jahren ausgezehrt, Hunderttausende von Soldaten mußten wieder in die Wirtschaft integriert werden, hinzu kam die Umstellung der Kriegsproduktion auf zivile Bedürfnisse.Rasch und reibungslos war dies nur zu organisieren, wenn man auf die Beamtenschaft und ihren Apparat zurückgriff. Gleichzeitig setzten die sozialdemokratischen Führer auf die kaiserlichen Generäle und Offiziere, die zur Demobilisierung und Neustrukturierung der Armee unentbehrlich schienen. Den als »Regierung der Matrosenmörder« beschimpften Sozialdemokraten gelang es allerdings problemlos mit Hilfe des Militärs, die Unruhen zu ersticken. 


MG-Stellung im Schloß    

Freikorps, eilig zusammengestellte Freiwilligenverbände, konnten so neben den in Auflösung begriffenen regulären Einheiten »zum Schutze des Vaterlands« gegen den Bolschewismus aktiv werden. Geführt von kaiserlichen Offizieren, sammelten die bald gefürchteten Freikorps Männer ohne Heimat, ohne Beruf und ohne Aussicht auf ein befriedigendes ziviles Dasein. Gemeinsam war ihnen die Verachtung für dieses demokratische »System«.

Für die Stadt Berlin setzte der Vollzugsrat des Rates der Volksbeauftragten vier Volksbeauftragte - Bernhard Bruns und Hugo Heimann von der SPD, Kurt Rosenfeld (ab Dezember Siegfried Weinberg) und Hermann Weyl von der USPD - »zur Kontrolle der Verwaltung der Stadt Berlin« ein. Magistrat und Stadtverordnetenversammlung fungierten weiter in ihrer Vorkriegs-Zusammensetzung. Diesem Beispiel folgten auch kommunale Arbeiter- und Soldatenräte, die zunächst — wie in Weißensee — die Gemeindevertretung aufgelöst hatten, sich dann aber auf die »Überwachung« dieser Organe beschränkten.Der Vollzugsrat bestätigte Emil Eichhorn (USPD) als Polizeipräsidenten und Otto Wels (SPD) als Kommandanten von Berlin. Nur allmählich gelang es, die hier konzentrierte Kriegswirtschaft auf Nachkriegsbedingungen umzustellen. Im ersten Halbjahr 1919 behinderten Rohstoffmangel, Beibehaltung der Blockade sowie Einschränkung des Außenhandels durch die Ententemächte, die Entwicklung der Produktion. Die Demobilisierung des Militärs erhöhte die Arbeitslosigkeit zusätzlich. Im März gab es im Großberliner Raum 235.000 Arbeitslose.

Ab Mitte 1919 setzte eine wirtschaftliche Belebung ein, die durch die Aufhebung der Blockade am 12. Juli 1919 und der kriegswirtschaftlichen Ein- und Ausfuhrverbote begünstigt wurde. Die Berliner Maschinenbau- und Metallindustrie sowie die Elektroindustrie profitierten vom internationalen Ersatzbedarf an deutschen Maschinen und Ausrüstungen sowie von Staatsaufträgen für Neuausrüstungen bei Reichsbahn, Post, Energieerzeugung und öffentlichen Bauten.

Bemerkenswert war der Zusammenschluß von Siemens und AEG mit der Auergesellschaft zur Glühlampenproduktion in der Osram GmbH im September. Die Lebenslage der Arbeiter besserte sich nur minimal; die Arbeitslosigkeit ging zwar bis November 1919 auf 100.000 zurück, die Löhne reichten jedoch nicht, um den Lebensbedarf zu decken, die Reallöhne lagen weit unter dem Vorkriegsniveau.

Anfang 1920 konnte der schlecht vorbereitete Kapp-Putsch durch Ausrufung des Generalstreiks niedergeschlagen werden.

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         Großberlin

Mit dem »Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin«, das gegen den Widerstand bürgerlicher Parteien von der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung am 27. April 1920 beschlossen worden war und am 1. Oktober 1920 in Kraft trat, veränderten sich grundlegend die Verwaltungsstruktur, die Bedingungen für die politische, ökonomische und kulturelle Entwicklung der Stadt und ihrer Bürger. 

Die bisherige Stadt Berlin, die die Stadtbezirke Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg, Tiergarten und Wedding umfaßte, wurde mit den Städten Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf sowie mit 59 Landgemeinden (wie Pankow, Weißensee, Treptow, Oberschöneweide, Friedrichsfelde, Niederschönhausen) und 27 Gutsbezirken (wie Buch, Dahlem, Plötzensee) zusammengeschlossen. Sie umfaßte jetzt das Gebiet, das man schon seit den neunziger Jahren als Groß-Berlin bezeichnet hatte. Auf 878 Quadratkilometer Gesamtfläche lebten über 3,8 Millionen Einwohner Damit war Berlin nach New York und London zur drittgrößten Stadt der Welt nach der Einwohnerzahl und zur weltgrößten Stadt nach der Fläche geworden. Die Stadt wurde in 20 nach Größe und Einwohnerzahl unterschiedliche Bezirke gegliedert.

Groß-Berlin hätte gegensätzlicher nicht sein können. Durch die Eingemeindungen von Charlottenburg, Spandau und Wilmersdorf gehörten die Villengegenden im Grunewald und am Wannsee genauso zur Stadt wie die Mietskasernen und dunklen Hinterhöfe im Wedding oder am Prenzlauer Berg — festgehalten in den Bildern von Max Liebermann und den Milieustudien von Zille.

Die Verwaltung der Stadt basierte teilweise weiterhin auf der alten preußischen Städteordnung von 1853. Die Stadtverordnetenversammlung wurde alle vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. 225 Abgeordnetensitze standen zur Verfügung, von denen nach den Wahlen vom 20.Juni die USPD 86 (Ende 1920: 62 USPD, 24 KPD), die SPD.39, die DVP 38, die DNVP 26, die DDP 15, die Wirtschaftspartei 12, das Zentrum 8 innehatten. So wurde der bisherige Stadtkämmerer Gustav Böß, mit 109 Stimmen am 20.Januar 1921 zum Oberbürgermeister gewählt. Er und der Magistrat, der aus dem Bürgermeister und aus 18 für 12 Jahre zu wählenden besoldeten sowie 12 für 4 Jahre zu wählenden unbesoldeten Mitgliedern bestand, hatte die entscheidende Richtlinien- und Grundsatzkompetenz für die gesamte Verwaltung inne. Über Finanzen und Haushalt befand die Stadtverordnetenversammlung, deren Beschlüsse jedoch, um rechtskräftig zu werden, der Zustimmung des Magistrats bedurften. Dem Magistrat unterstanden auch die 17 Ausschüsse (Deputationen), die aus Mitgliedern des Magistrats, Stadtverordneten und Bürgerdeputierten gebildet wurden. Die Kommunalaufsicht führte weiterhin (nach dem Gesetz von 1881) der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, der das Bestätigungsrecht für die Magistratsmitglieder hatte. Wesentliche Befugnisse behielt auch der Polizeipräsident von Berlin, der neben allgemeinen Polizeiangelegenheiten die Gewerbeverwaltung, Gewerbeaufsicht, Wasserbau- und Gesundheitsverwaltung, die Aufsicht über Theater, Kunst und Lichtspieltheater führte. Das Provinzialschulkollegium, die Preußische Bau- und Finanzdirektion, das Landeskulturamt, Rentenamt, Oberversicherungsamt, die Landwirtschaftskammer und weitere preußische Staatsbehörden übten fortgesetzt Funktionen in Provinz und Stadt aus. Die innere Verwaltung wurde modernisiert; sie erzielte im weiteren hinsichtlich der einheitlichen Stadtplanung und -gestaltung, des Ausbaus des innerstädtischen Verkehrs, der kulturellen, sportlichen, Erholungs- und Bildungseinrichtungen, der Stadtwirtschaft (Gas, Elektrizität, Wasser, Entwässerung, Stadtreinigung), des Gesundheits- und Fürsorgewesens, im Fremdenverkehr, Ausstellungs- und Messewesen beträchtliche Fortschritte.

In den Stadtbezirken existierten Bezirksversammlungen, die sich aus den gewählten Bezirksverordneten und den aus dem jeweiligen Bezirk stammenden Stadtverordneten zusammensetzte. Sie wählten das Bezirksamt, bestehend aus dem Bürgermeister und 6 - 13 Bezirksräten.
Ende 1923 wurden die städtischen Versorgungsunternehmen für Elektrizität, Gas und Wasser in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die nach 1920 vereinheitlichte Stromversorgung der Stadt übernahmen die Berliner Städtischen Elektrizitätswerke AG (BEWAG). 


Stadtwerke                               

Die Elektrifizierung der Wirtschaft, des Verkehrs und der Haushalte erhöhte in den Jahren 1923—1929 den Stromabsatz um das Dreifache. Um den wachsenden Elektroenergiebedarf zu decken, wurde in Rummelsburg 1925/1926 das Kraftwerk Klingenberg errichtet. Im Oktober 1930 ging das Kraftwerk West ans Netz. Die Anzahl der an das Stromnetz angeschlossenen Berliner Wohnungen wuchs von 1924 mit 21 Prozent auf 55 Prozent im Jahre 1928 und umfaßte 1931 bereits 70 Prozent. Allerdings: Die Haushalte im Arbeiterbezirk Wedding waren 1929 nur zu 10 Prozent elektrifiziert; der Versorgungsgrad in Wilmersdorf betrug bereits 65 Prozent. Die Berliner Städtischen Wasserwerke (WASSAG) versorgten Mitte der zwanziger Jahre etwa drei Viertel der Berliner Bevölkerung. Im heißen Sommer 1925 brach die Versorgung teilweise zusammen. Der Ausbau der Werke wurde forciert. Die Berliner Städtischen Gaswerke AG (GASAG) versorgten gemeinsam mit der zunächst privaten Deutschen Gasgesellschaft die Stadt. Als »gemeinnützige Betriebe in Gesellschaftsform« arbeiteten seit 1922 die Berliner Brennstoffgesellschaft m. b. H. und seit 1921 die Berliner schlag- und Reklamewesen GmbH (BEREK).  Unter städtischer Regie blieben Kanalisation, Stadtreinigung, Forst-, Park- und Gartenverwaltung sowie Markthallen. 1926 wurden Messeamt und Fremdenverkehrsbüro in einer Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-GmbH zusammengefaßt. Im Charlottenburger Ortsteil Witzleben entstanden um den neugebauten Funkturm Messehallen, in denen jährlich Rundfunk- und Automobilausstellungen, seit 1926 die Landwirtschaftsausstellung »Grüne Woche« stattfanden. Etwa 1,5 Millionen Ausländer besuchten 1926 die Stadt, ihre Sehenswürdigkeiten, Messen, Ausstellungen und Museen.

Im Flugverkehr kam es zu einem Zusammenschluß der beiden konkurrierenden Luftfahrtunternehmen Aero-Lloyd und Junkers Luftverkehrs AG zur Deutschen Lufthansa mit Sitz in Tempelhof; auf dem Tempelhofer Feld begann 1924 auf dem ehemaligen Exerzierplatz der Ausbau des «Luftbahnhofs«. Stiegen 1924 knapp 1.000 Maschinen in die Lüfte, so starteten und landeten 1928 bereits 20800 Flugzeuge im stetig erweiterten Flughafen Tempelhof. Ende der zwanziger Jahre verfügte Berlin weltweit über einen der modernsten und größten Flughäfen und war ein europäischer Verkehrsknotenpunkt geworden. Im Schienenfernverkehr war Berlin bereits um die Jahrhundertwende Drehscheibe des Eisenbahnnetzes und Schnittpunkt im europäischen Ost-West- und Nord-Süd-Verkehr. Der Sommerfahrplan 1926 wies täglich allein 194 Fernzüge auf, die von den Kopfbahnhöfen Anhalter, Görlitzer, Lehrter, Potsdamer oder Stettiner Bahnhof abgingen. Die Stationen Schlesischer Bahnhof, Alexanderplatz, Friedrichstraße, Zoologischer Garten und Charlottenburg waren durch die Stadtbahn miteinander verbunden. Am Potsdamer Platz wurde der damals so genannte »Verkehrsturm«  die erste Verkehrsampel Europas im Jahre 1924 aufgestellt.


            Unfall auf der AVUS

Derartige Rot-Grün-Ampelanlagen waren nötig geworden, weil sich der Verkehr in Berlin, insbesondere an neuralgischen Punkten wie dem Potsdamer Platz, vervielfacht hatte. Die Polizisten, die bis dahin den Verkehr geregelt hatten, wurden nunmehr an großen Kreuzungen durch die mechanischen Anlagen abgelöst. Denn neben den Automobilen, deren Zahl allein in Berlin innerhalb von nur sieben Jahren von 17000 (1922) auf 82000 (1929) anstieg, waren noch immer Pferdefuhrwerke, aber auch Straßenbahnen, Doppeldeckerbusse sowie Zwei- und Dreiräder unterwegs. 

Von der Terrasse des »Cafe Josty« am Potsdamer Platz aus beobachteten die Gäste bei Kaffee und Kuchen das oftmals chaotische Schauspiel, das sich zwischen edlen Karossen, Kleintransportern, Straßenbahnen, Doppeldeckerbussen, Droschken und Radfahrern abspielte. Fußgänger begaben sich auf zunehmend gefährlicher werdendes Terrain. 1925 wurden in Berlin 11.056 Verkehrsunfälle registriert, bei denen 162 Menschen ums Leben kamen. Ein Jahr später verdoppelte sich die Zahl der Unfälle auf 21927 mit 144 Toten und 9023 Verletzten.

Die Millionenstadt, die Wirtschaft und die Versorgung der Bevölkerung erforderten den weiteren Ausbau des Verkehrswesens. 11 Eisenbahnlinien verbanden die Stadt mit dem deutschen und dem internationalen Netz. 1927 kamen 14 Millionen Tonnen Güter per Bahn nach Berlin, 4,6 Millionen Tonnen verließen die Stadt. 60 Güter- und 20 Personenbahnhöfe bildeten die Schnittpunkte. Auf dem Wasserweg erreichten Berlin 1927 über 8 Millionen Tonnen Güter, 1,3 Millionen Tonnen wurden verschifft. Fast 43000 Schiffe liefen in die Berliner Häfen ein. Die Berliner Hafen- und Lagerhaus AG (Behala) erweiterte die Anlagen des Westhafens zwischen Putlitzstraße und Jungfernheide. Dem wachsenden Kraftfahrzeugverkehr dienten 12 Ausfallstraßen, die noch schwach frequentiert waren. Registrierte man in Berlin 1926 etwa 47 000 Kraftfahrzeuge, so waren es 1929 bereits 97000. Das Massenverkehrsmittel blieb die Straßenbahn, seit Ende 1923 mit dem 15-Pfennig-Einheitstarif zudem am billigsten. Ende 1924 verbanden 84 Linien (1929 über 90) das Zentrum strahlenförmig und weitverzweigt mit Vorstädten und Vororten. Weiteren Ausbau erfuhr das Untergrund- und Hochbahnnetz zwischen 1922 und 1930 um 40 Kilometer mit der Nord-Süd-Bahn.

Nach der neuen Bauordnung vom 1. Dezember 1925 und dem Generalbebauungsplan waren Quer- und Seitengebäude, charakteristisch für den Mietskasernenbau, ausgeschlossen, und die Trennung von Wohn- und Industriegebieten wurde angestrebt. Meister der modernen Architektur, wie Peter Behrens, Walter Gropius, Hugo Häring, Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe, Hans Poelzig, Hans Scharoun, Bruno und Max Taut, Heinrich Tessenow, Martin Wagner, schufen vorbildlich gestaltete Wohnsiedlungen und Gartenstädte unter anderem mit der Hufeisensiedlung in Britz, in Siemensstadt, Treptow, Johannisthal, Prenzlauer Berg, Karlshorst, Zehlendorf (Onkel-Toms-Hütte) und entwarfen für die Innenstadt zweckmäßige Verwaltungs-, Industrie- und Wohngebäude. Die Finanzierung erfolgte wesentlich durch eine seit April 1924 erhobene Hauszinssteuer, die von den Mieten in Form von Mieterhöhungen mitgetragen wurde und deren Ertrag zu 50 Prozent als Hypotheken in den Wohnungsbau gegeben wurde. Die SPD befürwortete gemeinnützige Gesellschaften und gab gewerkschaftseigenen Genossenschaften (Gagfah, Gehag) Unterstützung, die etwa ein Viertel (39 000) aller Neubauwohnungen 1924—1931 in Berln errichteten. Ab 1928 wurden erstmals dringend benötigte städtische Kleinwohnungen gebaut, die für 48 bis 54 Quadratmeter 50 bis 60 Mark Miete kosteten.

Die ehemaligen Exerzierplätze Rehberge, Chausseestraße und Schönhauser Allee wurden zu Sportanlagen und Volksparks umgestaltet. Die sumpfige Jungfernheide und die Wuhlheide wurden kultiviert. Die Stadt, Betriebe, vor allem aber bürgerliche wie Arbeiter-Sportverbände errichteten Sport- und Spielplätze, Tennisanlagen, Bootshäuser, Bäder und andere Erholungsstätten. Berlin gewann den Ruf einer Sportstadt. Veranstaltungen wie das Sechstagerennen der Radfahrer im Sportpalast in der Potsdamer Straße und Autorennen auf der 1921 eröffneten Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße, kurz AVUS genannt am Grunewald waren schon kommerzialisierter Sportbetrieb.


Sonnenhof-Siedlung Friedrichsfelde 

Von den über 4 Millionen Einwohnern Berlins waren 1925 etwa 2,3 Millionen erwerbstätig. Von diesen waren 46 Prozent, rund eine Million Arbeiter, 30,5 Prozent oder 665 000 Beamte und Angestellte, 15,4 Prozent oder 336 000 zählten als Angehörige sogenannter selbständiger Berufe, und 6 Prozent oder 132 000 waren Hausangestellte. 51 Prozent der Erwerbstätigen arbeiteten in Industrie und Handwerk, 30 Prozent in Handel und Verkehr und 8 Prozent in der öffentlichen Verwaltung.

Berlin verfügte über eine einzigartige Presselandschaft, deren Verlagshäuser und Redaktionen sich zwischen Koch-, Zimmer- und Jerusalemer Straße konzentrierten. Zu Beginn der dreißiger Jahre hatte die Stadt 45 Morgenzeitungen, 14 Abendzeitungen und zwei Mittagszeitungen, darüber hinaus gab es eine Vielzahl von Zeitschriften wie die »Aktion«, die »Literarische Welt«, den »Sturm«, die »Weltbühne«. Im Wesentlichen teilten sich drei Verlagskonzerne das Monopol der Meinungsbildung: Mosse, Scherl und Ullstein. Die auflagenstärkste deutsche Zeitung war die im Ullstein-Verag erscheinende »Berliner Morgenpost« (1926: 6ooooo Exemplare), gefolgt vom »Berliner Tageblatt« mit 300000 Exemplaren, das unter dem Chefredakteur Theodor Wolff im Mosse-Verlag herausgegeben wurde. Das intellektuell anspruchsvollste Blatt stellte zweifellos die arrivierte »Vossische Zeitung« dar, die von Georg Bernhard geleitet wurde. Im August-Scherl-Verlag, der seit 1916 Alfred Hugenberg und anderen Ruhr-Industriellen gehörte, erschien der »Berliner Lokal-Anzeiger«. Neben den vielen Tages- und Boulevardzeitungen gab es zudem eine Reihe von Illustrierten. Die »Berliner Illustrirte Zeitung« war eines der größten Bilderblätter weltweit, in seinen Hochzeiten wurden 1,6 Millionen Exemplare pro Ausgabe verkauft.

Der Film - seit 1929 als Tonfilm - wie auch der Rundfunk - seit Oktober 1923 im Vox-Haus am Potsdamer Platz, ab 1931 in neuen Gebäuden an der Masurenallee - wurden vom Publikum begeistert angenommen. 1929 fand in Berlin die erste Fernsehsendung probeweise statt. 1925 gab es in Berlin 340 Kinos.

Die Staatlichen Museen mit den Generaldirektoren Wilhelm Bode (bis 1920), Otto von Falke und seit 1928 Wilhelm Waetzoldt sowie dem Direktor der Nationalgalerie Ludwig Justi erweiterten mit Ausstellungen moderner Kunst im Kronprinzenpalais und mit dem 1909—1930 neu erbauten Pergamonmuseum ihre Wirkungsmöglichkeiten.


        Mosse-Haus

Die Wissenschaften wurde vor allem mit dem Ausbau der Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft erweitert und erreichte mit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (1920 gegründet) eine neue Qualität. Auf zahlreichen Gebieten, so der theoretischen Physik, Mathematik, physikalischen Chemie, Medizin, Geologie, Zoologie und in philologischen Disziplinen erzielten Berliner Wissenschaftler welt weit anerkannte Leistungen.


Scherl-Verlag                  

Die bis 1923 anhaltende Inflation führte zu einer kaum beschreibbaren Not und Verelendung weiter Bevölkerungskreise. In der Broschüre »Not in Berlin. Tatsachen und Zahlen« von 1923 heißt es: »Erschütternde Berichte des Jugendamtes und der Hauptsfürsorgestelle für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene beleuchten das Elend der Kinder — zahlreiche Kinder auch im zartesten Alter, nie einen Tropfen Milch — als Schulfrühstück trockenes Brot — schwere Psychosen der Mütter infolge der Entbehrungen — Kinder vielfach ohne Hemd und warme Kleidungsstücke zur Schule oder aus Mangel an Leib- und Unterwäsche ganz vom Schulbesuch zurückgehalten — in unbezogenen Betten oft 3—4 Kinder oder zusammen mit den Erwachsenen.« Die Zahl der registrierten Obdachlosen stieg von 13000 im Jahr 1918 auf 782000 im Jahr 1922. Im Jahr 1925 waren in Berlin rund eine Million der Erwerbstätigen Arbeiter, aber auch bereits 500000 in einem Angestelltenverhältnis tätig. Tippmamsells, Telefonistinnen und Verkäuferinnen, Buchhalter, Vertreter und Handlungsgehilfen bildeten in den zwanziger Jahren die neue Mittelschicht der Hauptstadt.

Der Einzelhandelsbetrieb im Kiez verlor seine Kundschaft an die großen Warenhäuser mit breitem Sortiment. Die damals entstehenden Kaufhäuser, wie die von Hermann Tietz (Hertie) oder Wertheim in der Leipziger Straße, waren wahrhaftige Konsumtempel, ganz zu schweigen vom »KaDeWe«, das 1912 von Adolf Jandorf eröffnet und 15 Jahre später von Tietz übernommen wurde. Eine ganz besondere Liaison aus architektonischer Avantgarde und konsumorientierter Raumplanung war das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz, das im Sommer 1929 eröffnet wurde: ein monumentaler Bau aus grauem Muschelkalk mit zwei 15 Meter hohen Turmaufbauten und einem Dachgarten, der die Kundschaft zur Rast einlud.

Trotz Beulen, Blechschäden und dem sprunghaften Anstieg an Verletzten und Verkehrstoten —das Automobil und alles, was damit zusammenhing, war der »Renner« im Berlin der zwanziger Jahre. Autos lösten zunehmend den Pferdedroschkenverkehr ab, was dazu führte, dass eine ganze Berufssparte vom Aussterben bedroht war — die des Pferdedroschkenkutschers. Ein Vertreter dieser Zunft erlangte weit über Berlins Grenzen hinaus Ruhm. Der »Eiserne Justav« alias Gustav Hartmann fuhr 1928 mit seiner Droschke von Berlin nach Paris, um auf die Bedrohung seines Standes hinzuweisen. Da die Presse seine Reise täglich mit sensationell aufgemachten Berichten kommentierte, erlangte er die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Genutzt hat es den Droschkenkutschern allerdings wenig. Ob bei den Brauereien, bei der Meierei Bolle oder im privaten Personennahverkehr, die Pferdefuhrwerke wurden nach und nach durch PS-stärkere Transporter und Taxis abgelöst. Das Automobil galt auch dort als Symbol des Fortschritts. Der Reiz der Geschwindigkeit erfasste immer mehr Berliner, als Fahrer und als Zuschauer. Bei den im Grunewald stattfindenden Rennen herrschte stets Volksfeststimmung.


       UFA-Filmtheater

Die Berliner Theaterlandschaft der zwanziger Jahre war einzigartig. Die Hauptstadt besaß 55 Bühnen, die eine Vielzahl von unvergessenen Stars hervorbrachten. 1919 übernahm Leopold Jessner das von Schinkel erbaute ehemalige Königliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Max Reinhardt arbeitete gar an drei Bühnen, am »Großen Schauspielhaus«, am »Deutschen Theater« und an den «Kammerspielen«. Bis 1931 hatte Reinhardt noch weitere Häuser übernommen, die »Komödie am Kurfürstendamm«, das »Berliner Theater« und das »Theater am Kurfürstendamm«; er inszenierte nicht nur an Berliner Bühnen, sondern auch in Wien, Paris, London, New York. Erwin Piscator, einst Schauspieler bei Max Reinhardt, mietete 1923 das »Central-Theater« und übernahm 1927 das Theater am Nollendorfplatz. 

Derweil die Theater Bildungsbürger oder Arbeiter zu erbauen oder agitieren versuchten, schwoften Buchhalter und Verkäuferinnen im »Haus Vaterland« am Potsdamer Platz oder knutschten der Seifenvertreter und das Tippfräulein in einer der zahlreichen Mokkabars in der Friedrichstraße, in denen das Gedeck für 25 Pfennig die einzige Verzehrpflicht war und dafür ein kleines, mit dünnen Vorhängen abgetrenntes Séparée einen Hauch von Abgeschiedenheit und Ungezwungenheit suggerierte.

Berliner Honoratioren bevorzugten das Souper im Kempinski, und manchmal entschwand der eine oder andere in einer Wohnung in der Motzstraße, in der etwas geboten wurde, was es sonst noch nirgends gab: nacktes Fleisch, manchmal sogar zum Anfassen. Geschäftssinn ist gefragt, dachte sich 1919 der arbeitslose Oberstleutnant von Seeveloh und eröffnete einen Privatclub »nur für Herren«. Das Objekt der Begierde, das kapitalträchtig vermarktet wurde, war Cäcilie Schmidt, die wenig später als Celly de Rheydt Furore machen sollte. Schlepper wurden engagiert, wie Carl Zuckmeyer, der aus eigener Erfahrung berichtete: »Am besten waren Herren aus der Provinz, Kaufleute oder Agrarier, manchmal auch Reichstagsabgeordnete.« Das Vergnügen war für die Herren nicht ganz billig, der Eintritt kostete 20 Mark und 10 Mark der Wein. Für 30 Mark hätte man im vornehmen Kempinski sieben Flaschen von einem besseren Tropfen bekommen, aber dort gab es eben keine durchsichtigen Schleier.

Viele Revuen nahmen den Nackttanz ins Programm, die Tillergirls wurden gar aus London importiert. «Die rasante Abwertung des Geldes führt zu einer ebenso rasanten Entwertung moralischer Werte«, heißt es in Hans Ostwalds »Sittengeschichte der Inflation«.

Das lebendige Sein zeigte sich auch in den zahllosen Clubs und Nachtlokalen, in denen alle Genüsse dieser Welt gekostet werden konnten. Ob der süße Rausch der sexuellen Verführung, des Alkohols oder Kokains, in Berlin gab es von allem reichlich. Allein um die 150 Café und Vergnügungshäuser beherbergten allabendlich die Schwulen- und Lesbenszene der Stadt. Das »Eldorado« in der Motzstraße oder die »Silhouette« (Geisberg-/Ecke Culmbachstraße) waren zwei der Berliner Homosexuellenlokale, in die auch viele Heteros einkehrten, denn es war schick, dort gesehen zu werden. Wer incognito bleiben wollte, ging in die «Weiße Maus«, ein Kabarett, in dem man, um unerkannt zu bleiben, eine weiße oder schwarze Maske tragen konnte.

Unerkannt bleiben wollte man hier keinesfalls: Das «Romanische Café« gegenüber der Gedächtniskirche war weder einladend noch gemütlich, «der Kaffee war schlecht, der Kuchen war alt, die Eier im Glase teuer«, so ein Zeitgenosse, aber hier traf sich alles, was in der kulturellen Szene einen Namen hatte oder haben wollte. «Romanisch« hieß das Café, weil Kaiser Wilhelm die Kirche, die seinem Andenken galt, und zwei benachbarte Häuser im romanischen Stil hatte erbauen lassen. In dem recht geräumigen, auf zwei Säle verteilten gastronomischen Betrieb trafen sich alle — die Dadaisten wie die Expressionisten und Sezessionisten hatten ihre festen Tische; Regisseure, Schauspieler und Bühnenbildner trafen auf Drehbuchautoren und Literaten, Maler auf Kunsthändler.


Im Romanischen Café              

Obwohl eine von Joseph Goebbels, seit 1926 «Gauleiter« an der Spree, prognostizierte schnelle «Eroberung des roten Berlin« mißlang, zeichneten sich zu Beginn der dreißiger Jahre — wenn auch nicht in den klassischen Arbeitervierteln — enorme Stimmengewinne der NSDAP ab. Während bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 im Wedding weniger als 20 Prozent der Stimmen an die Nationalsozialisten gingen, gewannen sie in Steglitz, einem eher kleinbürgerlich geprägten Stadtteil, mehr als 40 Prozent. Es kam zu jener Zeit bereits zu organisierten Überfällen auf kommunistische Studenten, jüdische Kommilitonen wurden verprügelt. Ziel der NSDAP war, durch Provokationen und Gewalttätigkeiten öffentlich auf sich aufmerksam zu machen, der paramilitärische Charakter ihrer Aktionsformen war dabei unverkennbar. In Kreuzberg befand sich das «Gaubüro« der NSDAP. Einen Vorgeschmack der heraufziehenden Tyrannis symbolisiert zweifellos der gezielte Überfall auf jüdische Passanten am 12. September 1931 am Kurfürstendamm. Datum und Ort waren gezielt gewählt, da es sich um Rosch ha-Schana, das jüdische Neujahrsfest, handelte und am Abend viele jüdische Berliner unterwegs waren, die zuvor in den beiden nahe gelegenen Synagogen in der Fasanenstraße und am Lehniner Platz einen der drei höchsten jüdischen Feiertage begingen. Plötzlich tauchten an die 2000 nationalsozialistische Sympathisanten auf, die mit dem Ruf »Juda verrecke! — Deutschland erwache!« auf Passanten einschlugen, die »wie Juden aussahen«. Als die Rädelsführer vor Gericht standen — und seitens der Richter nur milde gerügt wurden —‚lautete der Kommentar eines gewissen Herrn Dr. Freisler: »Es ist bedauerlich, daß der eine oder andere Semit am Kurfürstendamm eine Ohrfeige bekommen hat. Schießereien zwischen Kommunisten und Faschisten waren nun an der Tagesordnung.

 
 
Berlin in der Nazi-Zeit

Niemals zuvor erlebte die Stadt innerhalb einer so kurzen Zeit derart gravierende Veränderungen wie in den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, in denen Berlin die Hauptstadt des »Dritten Reiches« war - eine rasante, fatale Entwicklung, an deren Ende die völlige »innere und äußere Zerstörung der Stadt« stand. Die äußere Zerstörung, das war die Vernichtung weiter Stadtteile und des historischen Zentrums durch alliierte Bomben und die Aufteilung des »Trümmerhaufens bei Potsdam«, wie Bertolt Brecht 1945 Berlin bezeichnete, in vier Besatzungszonen; die innere Zerstörung war die Vertreibung weiter Teile des künstlerischen und intellektuellen Lebens und vor allem die Vertreibung und Ermordung der Juden. Im Berlin der Jahre 1933—1945 wurde der Zweite Weltkrieg geplant, geleitet und beendet, die Auslöschung des europäischen Judentums erdacht und koordiniert, von Berlin gingen aber auch die entscheidenden Widerstandsbemühungen aus.


            Fackelzug der SA

Bereits wenige Stunden nach Hitlers Machtantritt zeigte sich ein charakteristisches Element der nationalsozialistischen Herrschaft, das bis weit in den Krieg hinein bestimmend blieb: die perfekte propagandistische Inszenierung. Beim nächtlichen Siegesmarsch von Einheiten der SA und SS am 30. Januar 1933  durch das Brandenburger Tor, sagte Liebermann, "daß er gar nicht so viel essen kann, wie er kotzen möchte". Unmittelbar darauf gingen die Nationalsozialisten mit unglaublicher Brutalität gegen ihnen mißliebige Gruppen und Personen vor. 

Die nach dem Reichstagsbrand vom 28. März 1933 erlassene «Notverordnung« gab den rechtlichen Deckmantel für die schon vorher begonnenen willkürlichen Verhaftungen. Zahlreiche Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden wurden in «wilden« Konzentrationslagern oder in dem am 21. März 1933 in Oranienburg eingerichteten KZ inhaftiert und zu Tode gefoltert. Allein in der «Köpenicker Blutwoche« vom 21. bis 27. Juni 1933 wurden von Angehörigen der SA-Standarte 15 in ihren «Sturmlokalen« und im Gefängnis des Amtsgerichts Köpenick 91 Menschen ermordet.

Tausende flüchteten aus dem «Dritten Reich«, nicht nur linke Politiker, sondern auch Künstler und Intellektuelle, oftmals jüdischer Abstammung. Bereits im Jahre 1933 emigrierten die Schriftsteller Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Arnold Zweig und Alfred Kerr, die Theaterkünstler Max Reinhardt, Fritz Kortner und Elisabeth Bergner, die bildenden Künstler Georg Grosz und John Heartfleld, die Wissenschaftler Walter Benjamin und Wilhelm Reich. Sie alle hatten in Berlin gelebt und gewirkt, hatten das geistige und kulturelle Leben der Stadt geprägt, hatten Berlin zu einer Metropole von internationalem Rang gemacht davon konnte bereits im Frühjahr 1933 keine Rede mehr sein.

Mit dem Ausschluss der Juden aus dem Kulturleben, mit der «Säuberung« — so der nationalsozialistische Sprachgebrauch — der Preußischen Akademie der Künste, deren Ehrenpräsident Max Liebermann im Mai 1933 sein Amt niederlegte, und mit der von Propagandaminister Joseph Goebbels inszenierten Bücherverbrennung auf dem Opernplatz am 10. Mai setzten die Nationalsozialisten den totalitären Anspruch ihrer Ideologie rücksichtslos durch. Das galt auf kulturellem wie auf politischem Gebiet: Mit dem «Ermächtigungsgesetz« vom 23. März hatte sich der Reichstag, der jetzt gegenüber in der Krolloper tagte, selbst ausgeschaltet. Die KPD war bereits verboten, das Karl-Liebknecht-Haus am Bülow-Platz seit dem 8. März von SA besetzt und nach Horst Wessel benannt. Die Gewerkschaften wurden am 2. Mai aufgelöst, nachdem bei einer Massenkundgebung am 1. Mai auf dem Tempelhofer Feld Hitler den «Klassenkampf« für beendet erklärt hatte.

Zeitgleich mit ihrem Terror entfalteten die Nationalsozialisten eine ungeheure Propaganda, die viele »Volksgenossen« überwältigte und vereinnahmte. Hakenkreuzfahnen bestimmten das alltägliche Stadtbild, und geschickt wußte Goebbels verschiedene Anlässe zu nutzen, um den Eindruck von Macht und Größe zu erwecken. Ob der Preußische Ministerpräsident Hermann Göring am 10. April 1935 im Berliner Dom heiratete, ob die 700-Jahr-Feier der Stadt im August 1937 begangen wurde oder Mussolini bei seinem Staatsbesuch im September 1937 durch die Straßen gefahren wurde, Berlin war die Kulisse für Aufmärsche und Paraden, Fahnen und Fackeln. 


Bücherverbrennung                

Höhepunkt der propagandistischen Selbstdarstellung des »Dritten Reiches« waren die Olympischen Spiele, die vom 1. bis 16. August 1936 in Berlin stattfanden.

Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus —das waren zumindest bis Kriegsbeginn nicht nur oder nicht vor allem Ausgrenzung und Zerstörung, Hitlerjugend und Winterhilfswerk, das waren auch die Berliner Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler, das Staatliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt unter dem karrierebewußten Gustav Gründgens und die Aufführungen vieler Filme mit Emil Jannings oder Ilse Werner in den über 200 Kinos der Stadt. Von den in den zwanziger Jahren berühmten Kabaretts hatte sich das »KadeKo« am Lehniner Platz mit Paul Morgan und Max Adalbert erhalten, und im Staatlichen Schauspielhaus feierte man im November 1935 den 75. Geburtstag Gerhart Hauptmanns mit einer Aufführung seines Dramas »Michael Kramer«, an der Werner Krauss und Bernhard Minetti mitwirkten.

Zu dieser seltsamen Normalität, in der Verfolgung und Bedrohung ausgeblendet werden konnten, gehörte auch die Präsentation technischer Neuerungen, etwa die erste Fernsehsendung der Welt am 23. März 1935, die Ankündigung des »Volkswagens« auf der Internationalen Automobilausstellung in den Hallen am Kaiserdamm im Februar 1936 oder der erste Flug eines Hubschraubers, vorgeführt auf dem Tempelhofer Feld im November. Das widersprüchliche Gesicht des Nationalsozialismus mit seiner Mischung aus Regression und Moderne zeigte sich gerade auch in der Hauptstadt des Reiches.

Als die Stadt Berlin am 21. April 1933 den Charlottenburger Reichskanzlerplatz, heute Theodor Heuss gewidmet, zum Adolf-Hitler-Platz machte, brach sie mit der Tradition, keine Straßen nach lebenden Personen zu benennen. Aber weder diese Auszeichnung noch die Verleihung der Ehrenbürgerwürde im November 1933 konnte Hitlers Sympathien für Berlin vermehren. Er, der Österreicher, hatte München zur «Stadt der Bewegung« ernannt, hielt in Nürnberg die «Reichsparteitage« ab und wollte seinen Alterssitz in Linz an der Donau nehmen. Berlin war nicht die Stadt Hitlers, Berlin war die Stadt von Joseph Goebbels. 


      Olympische Spiele 1936

Seit November 1926 war er »Gauleiter« der NSDAP von Berlin-Brandenburg, seit 1927 hatte er mit seinem Wochenblatt »Der Angriff« in der Stadt ununterbrochen Wahlkampf betrieben. Der »Marat des roten Berlins« genannt, amtierte Goebbels nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten nicht nur als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, sondern war als Gauleiter auch dafür zuständig, «für den Einklang der Gemeindeverwaltung mit der Partei zu sorgen«. Schon mit dieser in der neuen Stadtverfassung vom 1. Januar 1937 festgelegten Bestimmung hatte Goebbels weitestgehend die Macht in der Stadt, im Februar 1940 übernahm er offiziell auch das Amt des Stadtpräsidenten mit Weisungsbefugnis gegenüber dem Oberbürgermeister. 

Seine Machtfülle steigerte sich noch einmal, als er am 5. August 1944 auch «Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz « und «Verteidigungskommissar« wurde. Nicht zuletzt in dieser Funktion hatte Goebbels die Stadt bis zum Ende total im Griff.

Berlin, wie es war, galt Hitler als eine Notwendigkeit, aber so, wie es war, sollte es nicht bleiben. Schon in «Mein Kampf« hatte er geklagt: «Wie wahrhaft jammervoll aber ist das Verhältnis zwischen Staats- und Privatbau heute geworden. Würde das Schicksal Roms Berlin treffen, so könnten die Nachkommen als gewaltigste Werke unserer Zeit dereinst die Warenhäuser einiger Juden und die Hotels einiger Gesellschaften als charakteristischen Ausdruck der Kultur unserer Tage bewundern. Man vergleiche doch das böse Mißverhältnis, das in einer Stadt wie selbst Berlin zwischen den Bauten des Reiches und denen der Finanz und des Handels herrscht.«

Als Reichskanzler und «Führer« hatte Hitler den Willen und die Macht «zur planvollen Gestaltung der Reichshauptstadt Berlin«. Zur Umsetzung seiner größenwahnsinnigen Vorstellungen ernannte er am 30. Januar 1937 Albert Speer zum Generalbauinspektor mit der Aufgabe, «in das Chaos der Berliner Bauentwicklung jene große Linie zu bringen, die dem Geist der nationalsozialistischen Bewegung und dem Wesen der deutschen Reichshauptstadt gerecht wird.« Diese «große Linie« - das sollte vor allem eine fünf Kilometer lange und ganze 120 Meter breite Straße sein, vom Tempelhofer Feld im Süden bis zu einem projektierten Nordbahnhof, mit einer «Großen Halle« auf dem Spreebogen, unter deren 220 Meter hohen Kuppel 180.000 Menschen Platz finden sollten. Bis 1950 hätten die Bauarbeiten gedauert, dann, so Hitlers Vorstellungen, wäre Berlin die Welthauptstadt «Germania«.

Zur Verwirklichung dieser abstrusen Pläne kam es nicht; nur einzelne Großvorhaben wurden realisiert: 1936 das Olympiastadion und der Flughafen Tempelhof, mit seiner 1200 Meter langen Fassade der größte zusammenhängende Gebäudekomplex Europas. Unterdrückungswillen und Großmachtfantasien des «Dritten Reichs« sind noch an weiteren Orten im Stadtbild wahrnehmbar, etwa am ebenfalls 1936 eingeweihten Reichsluftfahrtministerium an der Wilhelm-/Leipzigerstraße, dem heutigen Bundesfinanzministerium mit 2.000 Räumen. Über diesen monströsen Block hieß es 1938 in der Zeitschrift «Das Bauen im Neuen Reich«, er stelle «ganz klar das nationalsozialistische Wollen und Können der baulichen Verwahrlosung eines versunkenen Zeitalters entgegen. In einer solchen Umgebung werden die Bauten des neuen Reiches zu Fanalen.«

Am 14. November 1933 erklärte Oberbürgermeister Heinrich Sahm, seit 1931 im Amt und gerade erst in die NSDAP eingetreten, bei der Übergabe des Ehrenbürgerbriefs an Hitler, «daß die Reichshauptstadt in bedingungsloser Gefolgschaftstreue und eiserner Geschlossenheit sich hinter den Führer stellt.« Von einer geschlossenen Zustimmung zu Hitler konnte indes nicht die Rede sein - weder 1933 noch danach. Bei der letzten Reichstagswahl hatte die NSDAP 43,9 Prozent der Stimmen erhalten, mit dem Koalitionspartner DNVP kam sie auf 51,9 Prozent reichsweit, in Berlin waren es nur 34,6 bzw. 45,6 Prozent.


Reichsluftfahrtministerium             

Von Anfang an hatte es gegen die Nationalsozialisten in Berlin Widerstand gegeben - das lag vor allem daran, dass in der Hauptstadt die logistischen Zentren des Reiches und beinahe aller Organisationen lagen. So kam denn auch der vereinzelte Widerstand aus allen politischen Lagern, von den Kommunisten bis zu den Konservativen, und aus allen Interessengruppen, von den Gewerkschaften bis zu den Kirchen. In Berlin gegründet wurden der Pfarrernotbund und die Bekennende Kirche, deren führende Vertreter der Dahlemer Pastor Martin Niemöller und der Theologe Dietrich Bonhoeffer waren. Hier konspirierten Wilhelm Canaris und Hans Oster im Amt Abwehr des Reichskriegsministeriums, hier operierte in den Jahren 1942—1944 die kommunistische Saefkow-Jacob-Gruppe, hier verübte die Gruppe um Herbert Baum am 18. Mai 1942 den Brandanschlag auf die Ausstellung »Das Sowjet-Paradies« im Lustgarten, und von hier, vom Sitz des Oberkommando der Wehrmacht in der heutigen Stauffenbergstraße, sollte nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 der Umsturz realisiert werden.

So war Berlin »Hauptstadt des Widerstands«, aber die Stadt war auch das Zentrum des Terrors. In Berlin lag mit dem Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße die Zentrale von Gestapo und Sicherheitsdienst der SS, nicht weit davon entfernt, in der Bellevuestraße am Potsdamer Platz, der Volksgerichtshof. Über 5200 Todesurteile fällte dieses Unterdrückungs- und Willkürinstrument, seit 1942 unter dem Vorsitz des »Blutrichters« Roland Freisler. Zahlreiche dieser Urteile wurden in der Strafanstalt Plötzensee, an der Nordgrenze Charlottenburgs zum Wedding, durch Fallbeil oder den Strick vollstreckt. In Plötzensee starben Julius Leber, Helmut James Graf von Moltke und Carl Friedrich Goerdeler. Andere politische Häftlinge in Berlin wurden ohne Todesurteil ermordet, etwa Albrecht Haushofer am 23. April 1945, als die Rote Armee bereits in Berlin kämpfte. In der Haftanstalt Lehrter Straße in Moabit hatte Haushofer die postum veröffentlichten Moabiter Sonette verfaßt.


   projektierte"Halle des Volkes"

Mit dem Wannsee verbinden die meisten sommerliche Badefreuden, aber seit dem 20. Januar 1942 steht dieser Name auch für den Mord an den europäischen Juden. An diesem Tag wurde auf der »Wannsee-Konferenz« die «Endlösung der Judenfrage« beschlossen: Deportation der Juden und Einrichtung von Lagern zur massenhaften Tötung. Damit realisierten die Nationalsozialisten die letzte Konsequenz ihrer antisemitischen Politik, die bereits unmittelbar nach ihrem Machtantritt eingesetzt hatte. Dem Ausschluß der Juden aus dem Kulturleben folgte die schrittweise Entrechtung und Enteignung. Eine der ersten Aktionen war der Boykott am 1. April 1933, bei dem vor Warenhäusern und Geschäften SA-Posten mit den Schildern »Deutsche, kauft nicht bei Juden!« standen.

Vorläufiger drastischer Höhepunkt der anti-jüdischen Maßnahmen war ein organisierter Pogrom in der Nacht vom 9. November, die so genannte »Reichskristallnacht«, bei der überall in Deutschland Synagogen geplündert und in Brand gesteckt, Tausende von Juden mißhandelt und verhaftet wurden. Fast alle Synagogen Berlins wurden zerstört oder beschädigt, 12.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt, vor allem in das im Juli 1936 eingerichtete KZ Sachsenhausen, nur 25 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.

Nach dem Novemberpogrom wurde die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden verstärkt. So erfolgte am 6. Dezember 1938 das Verbot des Besuchs von Theatern, Kinos, Kabaretts, Museen und Sportplätzen und der Erlaß eines «Judenbanns« für das Regierungsviertel: Juden wurde verboten, Teile der Wilhelm-, Leipziger und der Voßstraße sowie Unter den Linden zu betreten.

Nach vielen weiteren Schikanierungen begannen im Oktober 1941 Deportationen nach Ghettos in Lodz, Riga und anderen Städten, am 11. Juli 1942 ging der erste Transport nach Auschwitz aus Berlin ab. Die Juden hatten sich in der Synagoge Levetzowstraße in Tiergarten oder im ehemaligen jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße in Mitte einzufinden, von wo sie zu den Deportationsbahnhöfen Putlitzstraße oder Grunewald gebracht wurden. Die zunächst Verbleibenden waren zur Zwangsarbeit verpflichtet, im Februar 1943 jedoch wurden auch sie verhaftet. «Wir schaffen die Juden nun endgültig aus Berlin heraus«, notierte Goebbels am 2. März in sein Tagebuch. Eine Gruppe aber mußte er ausnehmen: die in »Mischehen« lebenden Männer. Deren nichtjüdische Ehefrauen hatten gegen die Verhaftung ihrer Angehörigen in der Rosenstraße öffentlich protestiert - die einzige Demonstration gegen die Deportationen spielte sich in der Reichshauptstadt ab. So waren die meisten der etwa 8.000 Juden, die sich bei Kriegsende in Berlin aufhielten, durch ihre Ehe geschützt, einige hatten im Untergrund, zum Teil versteckt in Kleingartenkolonien oder dem jüdischen Friedhof Weißensee überleben können. Mehr als 160.000 Juden hatten 1933 in Berlin gelebt, davon konnten 90.000 emigrieren, 55.000 wurden deportiert und ermordet, etwa 7.000 starben durch Selbstmord.

Er wolle Meier heißen, wenn auch nur ein einziger feindlicher Flieger Deutschland erreiche, hatte Reichsluftmarschall Göring prahlerisch verkündet. Die Namensänderung blieb aus, nicht aber die alliierten Bomber. Nachdem die deutsche Luftwaffe London bombardiert hatte, setzte die britische Luftwaffe zu Vergeltungsschlägen an. Ein erster Angriff auf Berlin in der Nacht vom 25. auf den 26. August 1940 richtete nur wenig Schaden in Pankow und Lichtenberg an, aber schon die drei Nächte später erfolgte Attacke forderte erste Opfer: Brand- und Sprengbomben, vor allem um den Görlitzer Bahnhof in Kreuzberg niedergegangen, töteten 12 Menschen.


Judentransport                    

In den folgenden Jahren nahm — bei mitunter auch 1800 Kilogramm schwere Bomben zum Einsatz. Ein solcher »Wohnblockknacker« brachte am 7./8. September 1941 am Pariser Platz ein Haus zum Einsturz und tötete 100 Menschen. Im Winter 1943/44 ging die Royal Air Force zu Flächenbombardements über, an den bei der »Battle of Berlin« geflogenen Großangriffen waren jeweils 800 und mehr Bomber beteiligt.

Im August 1943 rief Goebbels zur Evakuierung Berlins auf. Innerhalb von fünf Monaten verließen mehr als eine Million Frauen, Kinder und Alte die Stadt. Insgesamt kamen beim Luftkrieg in Berlin etwa 50.000 Menschen ums Leben, nicht eingerechnet eine unbekannte Zahl von Vermißten. Fast alle Bezirke wurden zum Ziel von Bomben; Moabit im November 1941, Dahlem und Tempelhof im Januar, Wilmersdorf und das Zentrum im Februar 1943. Das Charlottenburger Schloß, Rathaus und Gedächtniskirche sowie das gesamte Hansaviertel wurden im November und Dezember 1943 zerstört, im Oktober 1944 die Spandauer Altstadt, das Zeitungsviertel und das Schloß, noch im April 1945 wurden die Gebäude auf der Museumsinsel getroffen. 28,5 Quadratkilometer Stadtfläche wurden in Trümmer gelegt, 612.000 Wohnungen zerstört. Im Bezirk Mitte betrug die Verlustquote 70, in Friedenau, Schöneberg und Tiergarten 58 Prozent. Weniger Schäden erlitten kriegswichtige Industrieanlagen in Berlin; davon waren bei Kriegsende noch rund 65 Prozent in Betrieb.

Die Bomben trugen erst spät dazu bei, die Bevölkerung zu demoralisieren, selbst die Niederlage der 6. Armee in Stalingrad Ende Januar 1943 tat dem Durchhaltewillen keinen Abbruch. Obwohl damit bereits die Kriegswende eingetreten war, fand Goebbels am 18. Februar 1943 bei einer seiner berüchtigsten Hetzreden im Sportpalast auf die Frage nach dem Willen zum »Totalen Krieg« begeisterte Zustimmung: »Ich frage euch: Seid ihr entschlossen, dem Führer in der Erkämpfung des Sieges durch dick und dünn und unter Aufnahme auch der schwersten persönlichen Belastungen zu folgen? (...) Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?«


           zerbomtes Berlin

Das Vorstellungsvermögen der Berliner wurde allerdings durch den schon sehr bald stärker werdenden Bombenkrieg und seine kaum vorstellbaren Ausmaße strapaziert; bis die Truppen der Alliierten die Stadt erreichten, sollten indes noch zwei Jahre vergehen, in denen trotz des chronischen Ausnahmezustandes mit Verdunklung, Bombardierung und Zerstörung eine Alltäglichkeit herrschte. Erst am 10. August 1944 wurde in einem Erlaß über den »Stil des öffentlichen Lebens« erklärt, er sei »nunmehr grundsätzlich den Erfordernissen des totalen Krieges anzupassen«. Zum 1. September schlossen alle Theater, Varietés, Kabaretts und Schauspielschulen, nur in Ausnahmefällen wurden noch Veranstaltungen durchgeführt. 

So erklangen bei einem Konzert im bereits beschädigten Schauspielhaus noch Arien aus der »Zauberflöte«. Das war am 21. April 1945, als schon einzelne Granaten sowjetischer Artillerie das Stadtzentrum erreichten.

Seit Ende Januar war der Angriff erwartet worden. Den rund 1,6 Millionen sowjetischen Kämpfern standen etwa 90.000 Verteidiger gegenüber: 45.000 Soldaten und SS-Männer, 5.000 Angehörige der Hitlerjugend und des Arbeitsdienstes und 40.000 zum »Volkssturm« Aufgebotene. Am 23. April erklärte Goebbels: »Die Stadt Berlin wird bis zum letzten verteidigt. Kämpft mit fanatischer Verbissenheit um Eure Frauen, Kinder und Mütter! Wir werden bestehen. (...) Seid trotzig und kühn. Seid wendig und listenreich. Euer Gauleiter ist bei euch.«

Am 25. April meldete der Wehrmachtsbericht: »In der Schlacht um Berlin wird um jeden Fußbreit Boden gerungen. Im Süden drangen die Sowjets bis in die Linie Babelsberg-Zehlendorf-Neukölln vor. Im östlichen und nördlichen Stadtgebiet dauern heftige Straßenkämpfe an.« Während die letzte U-Bahnlinie, zwischen Wittenbergplatz und Ruhleben, an diesem Tag ihren Betrieb einstellte, verkehrte die S-Bahn zum Teil weiterhin. Man könne jetzt, so die Berliner mit Galgenhumor, bequem mit der S-Bahn von der Ost- an die Westfront fahren.

Am 28. April hieß es im Wehrmachtsbericht: »In den inneren Verteidigungsring ist der Feind von Norden her in Charlottenburg und von Süden her über das Tempelhofer Feld eingebrochen. Am Halleschen Tor, am Schlesischen Bahnhof und am Alexander-Platz hat der Kampf um den Stadtkern begonnen.« 

Und am 29. April: »Tag und Nacht tobte der fanatische Häuserkampf um den Stadtkern von Berlin. Die tapfere Besatzung verteidigte sich in schwerem Ringen gegen die unaufhörlich angreifenden bolschewistischen Massen. Trotzdem konnte ein weiteres Vordringen des Feindes in einzelnen Stadtteilen nicht verhindert werden. Rittlings der Potsdamer Straße und am Belle-Alliance-Platz sind heftige Straßenkämpfe im Gange.« Einen Tag später, als »das heroische Ringen um das Zentrum der Reichshauptstadt« noch immer «mit unverminderter Heftigkeit« anhielt, beging Hitler im Bunker der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße Selbstmord. Goebbels tat es ihm wenig später gleich; am selben Tag hißten sowjetische Soldaten die rote Fahne auf dem Reichstag. Am 2. Mai konnte Stalin verkünden: «Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, das Zentrum des deutschen Imperialismus« ist von der Roten Armee vollständig besetzt. Am 8. Mai wurde in Karlshorst die Bedingungslose Kapitulation unterzeichnet.


Rote Fahne auf dem Reichstag

Am 25. Februar 1947 erließ der Alliierte Kontrollrat den Befehl über die Abschaffung Preußens. Damit war Berlin nicht mehr dessen Hauptstadt.