Berlin

 

 

Berlin als königlichen Haupt- und Residenzstadt

In den Jahrzehnten zwischen 1680 und 1710 verwandelte sich Berlin so rasch und so sehr wie zu keiner anderen Zeit vor der industriellen Revolution des 19.Jahrhunderts. Der Aufstieg Berlins war mit dem Machtzuwachs des brandenburgisch-preußischen Staates eng verknüpft, den die Hohenzollern 1701 mit dem Erwerb der preußischen Königswürde dokumentierten. Die Initialzündung gab aber nicht diese Königskrönung, sondern der Beginn einer großen Zuwanderung in den letzten Regierungsjahren des Kurfürsten Friedrich Wilhelm.

Die erste und spektakulärste Einwanderungswelle war die Zuwanderung der Hugenotten. Sie war ausgelöst durch die Verfolgung der Kalvinisten in Frankreich, die mit dem Widerruf des schützenden Edikts von Nantes am 23. Oktober 1685 existenzbedrohend wurde. Schon am 8. November 1685 erließ Kurfürst Friedrich Wilhelm das Edikt von Potsdam, in dem französischen Glaubensflüchtlingen Aufnahme, vielfältige Unterstützung und Begünstigung bei der Niederlassung zugesagt wurde. 


   Hugenotten in Berlin

Im Verlaufe der folgenden Jahre kamen zwischen 13.000 und 19.000 Hugenotten in das Kurfürstentum. Die Ansiedlung der Hugenotten in der Residenz war vom Kurfürsten ursprünglich nicht beabsichtigt. Er wies ihnen durch den Krieg entvölkerte Städte zu wie Stendal, Werben, Rathenow, Magdeburg, Frankfurt (Oder). Doch zog es die Franzosen in erster Linie nach Berlin, wo sie in der Umgebung des Hofes am ehesten Hilfe zur Existenzgründung und Absatz für ihre vielfältigen Erzeugnisse erhoffen konnten. Um 1700 lebten etwa 5.500 Hugenotten in Berlin, fast die Hälfte aller nach Brandenburg-Preußen eingewanderten französischen Kalvinisten. Jeder siebente Berliner war ein Franzose.

Die Berliner Hugenotten erhielten neben der kirchlichen Autonomie eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit, so daß sie als »Französische Kolonie« tatsächlich ein relativ selbständiges Gemeinwesen innerhalb der Residenz bildeten. Sie wohnten über die ganze Stadt verteilt neben den deutschen Bürgern, allerdings anfangs besonders zahlreich in der Nähe des Hofes, in Cölln und in der Dorotheenstadt, die 1691 mit Rambonnet einen französischen Bürgermeister erhielt. Später wurde auch die seit 1688 wachsende neue Friedrichstadt eine bevorzugte Wohngegend hugenottischer Handwerker.

Die französischen Flüchtlinge brachten im Durchschnitt jeder nur 200 Taler ins Land, sehr viele waren also ganz arm. Aber sie führten als wertvolles, für das Land unschätzbares Kapital ihre technologischen Kenntnisse in vielen Gewerben mit sich. Das Weben und Färben feiner Wollzeuge, das Wirken seidener Strümpfe, feine Gold- und Silberarbeiten, der Anbau zarter Gemüse wie Blumenkohl und Spargel zählten zu den Neuerungen, die die Hugenotten in Berlin heimisch machten. Vor allem das Handwerk der Residenz erhielt durch die französischen Einwanderer einen spürbaren Entwicklungsschub.

Nach dem Vorbild der fremden Nachbarn übernahmen die Bürger Berlins nicht nur manche neue Technik, sondern auch Elemente französischer Sprache, Mode und Kultur. Das war gewiß mit einer Erweiterung des Gesichtskreises verbunden und erleichterte die Integration der Hugenotten, der ansonsten Zunftgeist der Einheimischen auf der einen und Privilegien, die die Hugenotten hatten, auf der anderen Seite hindernd im Wege standen. Der französische Einfluß hatte also in der Berliner Bürgerschaft wesentlich andere Wurzeln als bei Hofe, wo Friedrich I. (Kurfürst seit 1688, König 1701—1713) den Stil des Sonnenkönigs Ludwig XIV. von Frankreich nachzuahmen suchte. 

Mit der Ankunft der reformierten Hugenotten gewann der Gedanke der Toleranz in Berlin an Boden, er wurde zur Notwendigkeit und Wirklichkeit im Alltagsleben. Nach den Hugenotten kamen einige hundert pfälzische und Schweizer Familien nach Berlin, die gleichfalls dem reformierten Glauben anhingen und vor der Not in ihren durch Kriegszüge und Übervölkerung verarmten Dörfern und Städten auswanderten. Zahlenmäßig bedeutsamer war die spontane Einwanderung von Menschen aller Stände aus nahezu allen protestantischen deutschen Territorien. Vor allem der sächsisch-thüringisch-anhaltinische Raum sandte einen breiten Strom in die brandenburgisch-preußische Haupt- und Residenzstadt. Es waren vor allem Textil- und Bauhandwerker, Gastwirte und Kleinhändler.


Mode in Berlin                     

Eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Einwanderergruppen nahmen die Juden ein. Ihre Ansiedlung entsprang ganz unverblümt finanzpolitischem Kalkül. Schon 1671 hatte der Kurfürst 50 aus Wien vertriebenen jüdischen Familien Aufnahme geboten, dabei aber ein Vermögen von 10.000 Talern zur Bedingung gemacht. In diesem Jahr kamen 9 Familien nach Berlin, darunter 7 österreichische, und bis zum Jahre 1700 war ihre Zahl schon auf 117 Familien mit rund 600 Personen angewachsen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wuchs die Berliner jüdische Gemeinde auf 3.400 Mitglieder an und kam so der durch Assimilation rückläufigen Zahl der Franzosen nahe.

Die Juden waren im Geld- und Pfandleihverkehr, im Kram- und Trödelhandel tätig. Alle zünftigen Handwerke, jegliche Beamtentätigkeit und eine Vielzahl anderer Gewerbe blieben ihnen in Berlin wie überall im Reich verschlossen. Die Juden erhielten auch kein Bürgerrecht, sondern nur Schutzbriefe. Die finanziellen Erwartungen der Herrscher erfüllten sich, aus der Handelstätigkeit der Juden floß ein wachsender Anteil der Berliner Akzise. Erfindungsreich zeigten sich die Beamten im Ersinnen von Sonderabgaben. So mußten die Berliner Juden 1689 — nach dem Regierungswechsel 1688 — 5000 Taler für die Bestätigung ihres Niederlassungsprivilegs zahlen, im Jahre 1700 ein Regiment Soldaten aufstellen und ausrüsten und sich 1711 von der Verpflichtung freikaufen, einen roten Hut zu tragen. Die Juden waren im Unterschied zu den Hugenotten keine privilegierte, sondern eine diskriminierte Minderheit, die allerdings über beträchtliche wirtschaftliche Macht verfügte. Die Einwanderung bestimmte in diesen Jahrzehnten das Gesicht der Stadt.


      Schloßplatz

Die expandierende Hauptstadt des neuen Königs an der Spree mit der glanzvollen, ja verschwenderischen Hofhaltung verhieß Zehntausenden Arbeit und Brot. Weniger als ein Viertel aller Neubürger waren noch Berliner. Die Bevölkerungszahl verdoppelte sich alle 16 Jahre und erreichte 1709 etwa 55.000 Menschen, darin waren der Hof und die Garnison eingeschlossen.

Berlin war vor allem ein riesiger Bauplatz. Von 4100 Wohnhäusern, die es 1711 in der Hauptstadt gab, sind fast zwei Drittel nach 1685 gebaut worden. Die Neubauten waren sämtlich mit der Querseite zur Straße stehende, vom Barockstil beeinflußte zwei- bis dreigeschossige Steingebäude. Die Zeit der kleinen stroh- oder schindelgedeckten Fachwerkhäuser, die mit der Giebelseite zur Straße standen und durch Zwischenräume für das abfließende Regenwasser (»Gaten«) getrennt wurden, war vorüber. Berlin verlor rasch sein mittelalterliches Aussehen.

Die Dorotheenstadt erweiterte sich beiderseits der Straße Unter den Linden bis zum Tiergarten hinter dem Brandenburger Tor. 1690 erhielt diese Neustadt einen Magistrat und eigene Gerichtsbarkeit. Die dritte und größte Neustadt entstand seit 1688 unter Leitung von Johann Arnold Nering. Dieser Baumeister vollbrachte mit der großzügigen, schachbrettartigen Anlage der Friedrichstadt, in der Raum für Gärten hinter den Häusern gelassen war, eine beachtliche städtebauliche Leistung. Um 1710 lebten schon rund 600 Bürgerfamilien, also wohl 3000 Einwohner, in der Friedrichstadt, die keinen eigenen Magistrat mehr erhielt, sondern Bürgermeister und Ratsbeamten des Friedrichswerder unterstellt wurde. Obwohl der Kurfürst 1691 die Anlage weiterer Häuser vor den Toren der Stadt verboten hatte, wuchsen auch die berlinischen Vorstädte vor dem Stralauer Tor, dem Georgentor (seit 1701 Königstor) und dem Spandauer Tor rasch. Hier sammelten sich vor allem die Zuwanderer aus den Dörfern und Kleinstädten der Mark Brandenburg, die als Fuhrleute, Tagelöhner, Knechte, Brauer, Gärtner oder Lebensmittelhändler eine Existenz suchten.

Zugleich mit den Bürgerhäusern entstanden Repräsentativbauten, die Berlin das Gesicht einer königlichen Residenz gaben. Am Ende des 17. Jahrhunderts begann unter Leitung von Andreas Schlüter der Bau einer neuen Schloßanlage im Stile des Barock. Als Schlüter ein Mißgeschick ereilt hatte — der überhohe Münzturm stürzte ein — und er in Ungnade fiel, führte Eosander von Göthe den Schloßbau nach einem erweiterten Entwurf zu Ende. 

Andreas Schlüter wirkte auch maßgeblich an dem 1695 durch Johann Arnold Nering begonnenen Bau des Zeughauses mit. Von ihm stammen die ausdrucksstarken Masken sterbender türkischer Krieger im Innenhof. Jean de Bodt vollendete den Bau, der heute das schönste erhaltene Denkmal des Barock in Berlin ist. Die auswuchernde Residenz mit den unterschiedlichen Verwaltungen war kaum noch regierbar. Im Jahre 1709 erfolgte deshalb die Vereinigung der 5 Teilstädte unter einem einzigen Magistrat und dem gemeinsamen Namen Berlin. Damit war zweifellos die Unterordnung der Stadtverwaltung unter die Behörden des absolutistischen Staates verstärkt. Es war aber auch eine Vereinheitlichung der Gerichtsbarkeit und Verwaltung Berlins erreicht, die Berlins Handel und Gewerbe zugute kam.


sterbender Krieger   

Gouverneur und Zentralbehörden hatten schon vorher wichtige Fragen des Lebens in der Hauptstadt geregelt. Bauordnung und Medizinaledikt, Krämerordnung und Dienstbotenreglement, die neben unzähligen anderen in den letzten beiden Jahrzehnten des 17.Jahrhunderts erschienen, geben Einblick in die Alltagsprobleme der Stadt.

Der Verkehr auf den teilweise gepflasterten Hauptstraßen wurde dichter, so daß sich die Verkehrsunfälle mehrten und der Kurfürst 1693 in einem Patent den Galopp verbieten, das Parken der Fuhrwerke in den Straßen regeln und ihre Beleuchtung mit Fackel oder Laterne anordnen mußte. Schon 1688 war mit der Privilegierung hugenottischer Sänftenträger der Beginn des öffentlichen Nahverkehrs in der Stadt gesetzt.

Die Personen- und Nachrichtenbeförderung nach auswärts übernahm um 1700 großenteils die landesherrliche Post, die Berlin je zweimal wöchentlich mit einer Reisegeschwindigkeit von 1 Meile pro Stunde mit Amsterdam, Hamburg, Danzig, Dresden, Leipzig und Königsberg verband und europäischen Standard darstellte. Daneben gab es zahlreiche private Fuhrleute, die genau wie die Schiffer, die auf der Hamburger Route verkehrten, »nach der Reihe« fahren mußten und einen Tarif von 7 Groschen pro Pferd und Meile fordern durften. Ihr Kundenkreis wird sich dementsprechend auf die wohlhabenden Hofleute, Kaufleute und Beamten beschränkt haben. Ungelöst blieb die Wasserversorgung und Abfallbeseitigung. Das Wasser kam aus Brunnen auf Höfen oder Straßen. 


Anatomiesaal der Charité

Abwasser und Exkremente schüttete man bedenkenlos auf die Straße oder in die Spree. Die Aborthäuschen befanden sieh bei Häusern, die am Wasser lagen, auf Galerien über dem Fluß. Asche und Müll wurden in den Wohnungen gesammelt, bis der »Modderkarren« von Zeit zu Zeit den Unrat abholte. Wie in allen Großstädten der Zeit stieg infolgedessen die Seuchengefährdung mit der Einwohnerzahl. Es ist sicher mehr ein Glücksumstand als Ergebnis besserer Stadthygiene, daß die letzte Pest, die Mittel- und Nordeuropa erreichte und Preußen entvölkerte, ihren Vormarsch auf Berlin 1709 in der Uckermark beendete. Berlin dankt der Pestgefahr des Jahres 1709 die Errichtung eines Pesthauses im Norden vor der Stadt, das 1726 zum Krankenhaus und Hospital Charité umfunktioniert wurde.

Zugleich mit dem Reichtum vermehrte sich die Armut in Berlin. Zählten die Hilflosen und Unterstützungsbedürftigen zuvor nach Hunderten, so waren es nun Tausende. Nicht zufällig entstand deshalb zu Beginn des neuen Jahrhunderts ein kombiniertes Armen-, Arbeits- und Waisenhaus, das Große Friedrichshospital am Stralauer Tor. Zucht- und Arbeitshäuser erschienen. Der Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte schon 1687 in Spandau ein solches Haus errichten lassen, in das dann auch alle »mutwilligen« Berliner Bettler gebracht wurden. Da das Spandauer Zuchthaus die anwachsenden Bettlerscharen natürlich nicht faßte, begann 1697 der Bau des imposanten barocken Hospitals in der heutigen Waisenstraße, der erst 1727 vollendet war, aber schon 1701 die ersten Insassen aufnahm. Die Kapazität dieser Einrichtung war auf höchstens 500 Personen ausgerichtet. Sie konnte nur einen Bruchteil der Berliner Armen aufnehmen und diente mehr der Disziplinierung als der Versorgung. Die Armut war seit 1699 schon der Kompetenz des Magistrats entzogen und einer vom Kurfürsten ernannten Behörde, dem späteren Armendirektorium, überwiesen.

Einrichtung und Organisation der Armenverwaltung standen unter dem Einfluß des Pietismus. Praktischen Anteil daran nahm Philipp Jacob Spener, der 1635 im Elsaß geborene Begründer des Pietismus, der seine Auffassungen von einer neuen, auf persönlichen Glauben und praktische Nächstenliebe gegründeten Frömmigkeit über Frankfurt (Main) und Dresden nach Berlin brachte und von 1691 bis zu seinem Tode im Jahre 1705 als Propst an der Nikolaikirche wirkte.

Ein Schüler Speners, der Prediger Johannes Rau, begründete seit 1699 Armenschulen in allen Teilstädten der Residenz, um durch praktische Bildung zu bürgerlichem Broterwerb und Erziehung zur Gottesfurcht vorzubeugen und abzuhelfen. Das Berliner Schulwesen gewann damit schon um 1700 mit den Armenschulen, den sechs Kirchspielschulen für die Handwerkersöhne und den Gymnasien - ein viertes war im Friedrichswerder hinzugekommen - eine Differenzierung und Dichte, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts nicht mehr wesentlich überschritten werden sollte. Das Netz der Schulen wurde durch private Nebenschulen ergänzt. Allein in der Friedrichstadt waren um 1710 sechs Studenten als Schulhalter öffentlich geprüft und zugelassen worden. Etwa die Hälfte bis zwei Drittel der männlichen Bewohner Berlins lernten mehr oder weniger fließend lesen und schreiben, die Handwerkersöhne fast immer, die Tagelöhner- und Soldatenkinder meistens nicht. Im Vergleich zu den kleineren Städten oder dem platten Land war dieser Prozentsatz hoch.

Am Berliner Hof wirkte zu dieser Zeit der bedeutende Vertreter des Naturrechts Samuel Pufendorf (1632—1694). Das Naturrecht befreite Philosophie, Recht und politische Wissenschaften aus der Knechtschaft der Bibel und der lutherischen Orthodoxie. Besonders nachhaltig war das Echo von Pufendorfs Staatsrechtslehre, die den Staat nicht auf den göttlichen Willen, sondern auf einen Vertrag zwischen Volk und Herrscher gründete. Der in Sachsen geborene Pufendorf war über eine längere Wirksamkeit in Schweden 1688 nach Berlin gekommen, wo er als Hofhistoriograph angestellt wurde und mit Benutzung des kurfürstlichen Archivs die Geschichte der gerade zu Ende gegangenen Regierungstätigkeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm schrieb.


Pufendorf         

Der erste unter den Frühaufklärern war Gottfried Wilhelm Leibniz (1646—1716). Als Hofbibliothekar und braunschweigisch-lüneburgischer Hofhistoriograph in Hannover trat er zugleich in Beziehung zu zahlreichen Fürsten Europas, um überall auf die Gründung von Gelehrtengesellschaften hinzuwirken. So regte er die Einrichtung von Akademien in Dresden, Wien und Petersburg an und setzte in Berlin seine Vorstellung in die Tat um. Wenn die Akademie auch gleich der Akademie der Künste im königlichen Marstall in enger Nachbarschaft der Pferde untergebracht war, so entfaltete sie doch bald eine rege Tätigkeit im Sinne dieser Maximen besonders auf den Gebieten der Astronomie, Meteorologie und Medizin. Den Berlinern kam sie durch informative Kalender zugute. Gottfried Wilhelm Leibniz wurde zum ersten Präsidenten der Akademie der Wissenschaften berufen. Es war der Grund gelegt, Berlin zu einem Zentrum der Wissenschaften zu machen.

Schon vier Jahre zuvor war eine Akademie der Künste in Berlin errichtet worden. Die Idee und der Entwurf dazu stammten von dem niederländischen Maler Augustin Terwesten, den der Bildhauer Andreas Schlüter und der Baumeister Johann Arnold Nering unterstützten. Im Unterschied zur Akademie der Wissenschaften war die Akademie der Künste eine Ausbildungsstätte, an der junge Leute das Zeichnen, Modellieren und die Baukunst erlernten.

Alle diese Künste standen in dem baufreudigen Berlin in hoher Blüte. Die Schlösser in Charlottenburg (Andreas Schlüter), Friedrichsfelde (Martin Böhme), Köpenick (Rutger von Langerfeld) und in Schönhausen (Eosander von Göthe), das Lustschloß Monbijou (Eosander von Göthe), die steinerne Lange Brücke zwischen Berlin und Cölln (Johann Arnold Nering), das Palais des Grafen Wartenberg (Andreas Schlüter) und die Villa Kamecke (Andreas Schlüter) entstanden zugleich mit Schloß, Zeughaus, Marstall und Dorotheenstädtischer Kirche in dieser Hochzeit des Berliner Barock.


          Schloß Monbijou

Das geistige Klima Berlins wurde spätestens seit der Königserhebung auch durch politische Themen bestimmt. Nicht nur die Intrigen am Hof, auch die Beziehungen zu den europäischen Mächten bewegten die Berliner. Die wichtigsten Reichsterritorien und ausländischen Staaten hatten Residenten in Berlin, die durch Gepränge und aufwendige Bälle Aufmerksamkeit erregten. Das allgemeine politische Interesse beförderte die Herausgabe einer regelmäßigen gedruckten Zeitung, die es seit den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges nicht mehr gegeben hatte. Im Jahre 1704 erwarb der Buchdrucker Johann Lorentz ein Privileg. 

Er gab die »Berlinische Ordinaire Zeitung« heraus. Von 1721 an führte sie der Drucker Johann Michael Rüdiger als »Berlinische Privilegierte Zeitung« dreimal wöchentlich fort. Die bedeutendste Persönlichkeit im Berliner Wirtschaftsleben war Johann Andreas Kraut (1661—1723). Aus seinem Geburtsort Giebichenstein bei Halle kam er um 1680 nach Berlin, wo er in die Handlung des Hoflieferanten Westorff eintrat. Bald trat er in direkte Geschäftsbeziehungen zum Hof und besorgte seit 1689 die Kassenführung der gesamten Heeresverwaltung. Er beschaffte auf seinen eigenen Kredit die Gelder, die auf den Kriegsschauplätzen gebraucht wurden, von Hamburger und Amsterdamer Banken und ließ sich aus den unsicheren Subsidien und Kontributionen entschädigen. Kraut brachte so ein großes Vermögen zusammen und wurde zum Geheimen Kriegsrat und Minister ernannt. Schon 1686 begründete er mit der Gold und Silbermanufaktur das erste bedeutende und dauerhafte Berliner Manufakturunternehmen. Teils in dem Manufakturgebäude an der Stralauer Straße, teils in ihren eigenen Wohnungen und Werkstätten stellten um 1705 schon 100 überwiegend französische Gold- und Silberarbeiter Tressen für Hof und Armee her.

Die Kaufleute machten ihre Profite weiterhin vorrangig im Handel, wobei der Handel mit dem Hof womöglich noch stärkeres Gewicht erlangte, als er in Berlin seit zwei Jahrhunderten hatte. Die Zahl der Kaufleute wuchs sprunghaft durch Zuwanderung aus anderen deutschen Territorien, durch die Hugenotten, unter denen im Jahre 1700 82 Kaufleute gewesen sind, durch die jüdischen Kaufleute und Bankiers, deren Zahl kaum geringer war. Die Gildeorganisation bildete sich nach den veränderten Verhältnissen um. Krämer und Gewandschneider hatten sich 1690 zu einer gemeinsamen Krämergilde zusammengeschlossen, deren Mitglieder nun sämtlich das wichtige Recht des Tuchhandels hatten. Daneben entstand 1692 die Materialistengilde der Materialwaren- und Gewürzhändler. 

Die französischen Kaufleute traten den Gilden erst 1715 bei, die jüdischen blieben ausgeschlossen. In den Jahrzehnten zwischen 1680 und 1713 schossen wie während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts neue Zünfte wie Pilze aus dem Boden: 22 Neugründungen verzeichnet die Stadt, darunter so wichtige wie die Zeug- und Raschmacher (Weber feinen Wollzeugs, nach der Stadt Arras benannt), Handschuhmacher, Strumpfwirker, Posamentierer, Knopfmacher, Hutmacher, Klempner, Stahl- und Metallarbeiter.


Akademie d. Wissenschaften im Marstall         

Berlin unter dem Soldatenkönig

Als im Februar des Jahres 1713 Friedrich Wilhelm 1. mit 25 Jahren seinem Vater auf dem brandenburgisch-preußischen Thron folgte, versetzten die ersten Maßnahmen des neuen Herrschers den Berlinern geradezu einen Schock. Der König entließ einen großen Teil der Hofbedienten, schränkte die Hofhaltung bis an die Grenze kleinbürgerlichen Geizes ein, entließ Maler und Musiker, schloß das Theater, beraubte die Akademie der Wissenschaften ihrer Räume und Mittel. Er ließ Bäume, Blumen und Brunnen vom Lustgarten entfernen, um ihn in einen Exerzierplatz zu verwandeln.

Der Lebensnerv der Stadt schien durchschnitten. Etliche Adlige wie der entlassene Oberheroldsmeister Nathanael von Stapff verkauften ihre Häuser unter Wert und verließen die Stadt. Aber auch Tausende Handwerker zogen fort, da sie nun in der Residenz ihre »Nahrung« verloren sahen, darunter viele Kolonisten aus der Friedrichstadt und besonders zahlreiche Hugenotten. Eine Krise des Handels- und Kreditwesens erreichte infolgedessen Ende des Jahres 1714 mit zahlreichen Bankrotten ihren Höhepunkt.

Um eine größere Effektivität und Sparsamkeit der Staatsverwaltung zu erreichen, vereinigte der König 1723 das Generalkriegskommissariat und das Generalfinanzdirektorium zum General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänendirektorium (Generaldirektorium) als neuer Zentralbehörde. Berlin wurde der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer unterstellt. Der Berliner Magistrat verlor damit seine unmittelbare Beziehung zum Herrscher und sank zur Unterbehörde herab. Im Jahre 1726 setzte der König einen Stadtpräsidenten für Berlin ein, der den Vorsitz im Magistrat hatte. Der Einbau der Berliner Stadtverwaltung in das Gebäude des absolutistischen Staatsapparates war vollendet. Die Einrichtung der Stadtverordneten, die noch während des Dreißigjährigen Krieges wiederholt die Interessen der Bürgerschaft gegen Magistrat und Statthalter vertreten hatten, geriet im Verlauf dieses Prozesses sang- und klanglos in Vergessenheit.

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Stadterweiterung nach Westen

Der Berliner Magistrat verlor nicht nur jegliche Entscheidungsbefugnis über Stadtverwaltung und Finanzen, er büßte auch das Recht der Wahl neuer Mitglieder gänzlich ein. Friedrich Wilhelm I. ernannte Ratsherren nach der Höhe ihrer Zahlungen an die Rekrutenkasse. Ratsämter dienten auch der Gehaltsaufbesserung von königlichen Beamten oder gar Kammerdienern. Aber Friedrich Wilhelm I. ließ sich wie seine Vorgänger die Erweiterung der Hauptstadt angelegen sein. Die städtebauliche Entwicklung konzentrierte sich auf die südliche Friedrichstadt.

Nach einem im Jahre 1723 von dem Baumeister Johann Philipp Gerlach entworfenen Plan entstanden vor allem zwischen 1732 und 1736 fast 1000 neue Wohnhäuser. Auch die Dorotheenstadt wurde nach Westen erweitert, so daß die Stadt im Westen und Süden nun von den repräsentativen Plätzen Karree am Brandenburger Tor, Achteck am Potsdamer Tor und Rondell am Halleschen Tor begrenzt wurde. Um dies zu ermöglichen, ließ der König die nutzlos gewordenen Festungswerke auf der Köllnischen Seite einebnen. Die ganze Stadt ließ Friedrich Wilhelm I. dann mit einem leichteren Palisadenzaun umgeben, der das Desertieren der Soldaten ebenso verhindern sollte wie Akzisehinterziehungen.

Die ebenmäßigen zweigeschossigen Kolonistenhäuser wurden großenteils auf königliche Kosten errichtet. Zugleich zwang der König aber jedermann, der nur irgend die Mittel dazu haben mochte, auf eigene Kosten ein Haus in der Friedrichstadt zu bauen. Der Bau eines schönen Hauses in der Friedrichstadt öffnete den Weg zu Ehrenstellen und Adelsdiplomen. Im Weigerungsfalle legte der König selbst dem Geheimrat und Mitglied des Generaldirektoriums Manitius einen Unteroffizier und sechs Soldaten ins Haus. Der Baron Vernezobre konnte einer vom König befohlenen Heirat seiner Tochter nur entgehen, indem er ein prachtvolles Palais an der Wilhelmstraße baute, das spätere Prinz-Albrecht-Palais, eines der schönsten Häuser Berlins, das als Hauptquartier von SS und Gestapo endete. Nach 1732 mußten auch sämtliche Handwerkerinnungen Gewerkshäuser in der Friedrichstadt errichten und sich dafür in schwere Schulden stürzen.

Doch die Despotie des Monarchen trug letztlich Früchte. Die Friedrichstadt füllte sich mit Tausenden Kolonisten aus allen Gewerbezentren Mitteleuropas. Der König ließ Handwerker und Textilarbeiter in anderen Territorien, insbesondere in Sachsen, durch öffentliche Aufrufe und durch besondere Beamte regelrecht anwerben. Er versprach ihnen gute Verdienstmöglichkeiten, Miet- und Unterstützungsgelder für den Anfang. Nach erhaltenen Aufstellungen erhielt jeder Ansiedler im Durchschnitt 25 Taler, etwa 10 Wochenlöhne. Nahezu in jedem Haus klapperte ein Webstuhl. Hier war das Zentrum der Berliner Manufakturarbeiter. In der Friedrichstadt siedelten sich auch die Böhmen an, die als letzte geschlossene Zuwanderung im Winter 1732/1733 in Berlin eintrafen. Ihres bettelhaften Aufzuges wegen hatte der König sich anfangs gesperrt, sie aufzunehmen. Die Religionsflüchtlinge erhielten die Erlaubnis zum Bau einer eigenen Kirche, der Dreifaltigkeitskirche, und zum Unterhalt einer besonderen Schule. Sie hatten großen Anteil an der Einrichtung des Leinen- und Baumwollgewerbes in Berlin.

 Die Böhmen bildeten ein eigenes Leinenwebergewerk. Zum Ausgleich für die Einbußen, die die Bürger durch die Einschränkung des Hofstaates erlitten, vermehrte der König die Regimenter. Berlin wurde zur größten Garnison des Soldatenkönigs. In Berlin stieg der Anteil der Soldaten an der Stadtbevölkerung während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. von knapp 10 Prozent auf 21,7 Prozent. Die Hauptstadt zählte im Jahre 1740 eine Militärbevölkerung von 21 309 Köpfen einschließlich der Frauen und Kinder, darunter rund 16000 Gemeine und Offiziere.


Zeugweber                                

Die Armee wurde zunächst wie im ganzen Land so auch in Berlin durch gewaltsame Werbungen zusammengebracht. Das Berliner Schuhmachergewerk klagte schon im Mai 1714, daß sie nur noch 140 statt zuvor 430 Gesellen in der Stadt hätten und nirgendwo im Reich welche verschrieben bekommen könnten aus Furcht vor den Werbungen. Einem Bäckermeister, der seinen Knecht schützen wollt; schlugen die Werber die Hand ab, wie die Berliner geschriebenen Zeitungen dieses Jahres berichteten. Der König mußte Maßnahmen ergreifen, um insbesondere sein Ansiedlungswerk und die Wirtschaft der Residenz nicht zu gefährden. So befreite er 1717 die aus fremden Landen zuziehenden Wollweber und alle Bürger, die mehr als 10.000 Taler besaßen oder wirkliche Staatsbeamte waren, samt ihren Kindern von der Werbung.

Die Garnison war für die Masse der Berliner zweifellos eine Last. Sie blieb nach wie vor in den Wohnungen der Bürger einquartiert, denn erst nach dem Siebenjährigen Krieg wurden in größerer Zahl Kasernen gebaut. Da Berlin Ende der dreißiger Jahre rund 5000 Häuser hatte, hätte ein jedes durchschnittlich vier Soldaten oder entsprechend eine Soldatenfamilie aufnehmen müssen. Tatsächlich wohnten gerade in den kleineren Häusern der Handwerker und Ackerleute häufig entschieden mehr, denn manch einer mußte sich mit den 7 Talern Quartiergeld jährlich einen Zuverdienst schaffen. Zu dieser Zeit wurde in Berlin die heute noch in Potsdam zu beobachtende Bauweise üblich, im Dachgeschoß einen Mansardengiebel für die Soldatenstuben auszubauen.

Zum Nutzen der Armee förderte Friedrich Wilhelm I. als einzige unter den Wissenschaften die Medizin. 1724 wandelte er das Anatomische Theater in ein Medizinisch-Chirurgisches Kolleg. Unter den Gewerben blühten nur die Gastwirtschaften in demselben Maße auf, wie sich die Garnison vermehrte. Nie zuvor gab es soviel Bierschenken, Branntweindestillen, Kneipen an allen Ecken der Stadt und besonders in den Vorstädten außerhalb der Akzisemauer. König Friedrich Wilhelm I. machte die Entwicklung des Wollgewerbes zum Kernstück seiner Wirtschaftspolitik. 


       königl. Lagerhaus

Die erste Maßnahme war die Errichtung des Lagerhauses, eines großen Wollmagazins, aus dem die kleinen Tuchmacher und Zeugweber ihren Rohstoff beziehen und an das sie ihre Erzeugnisse verkaufen sollten. Der König befahl 1713 Johann Andreas Kraut die Einrichtung des Unternehmens, gleichzeitig übertrug er ihm die Leitung des gesamten Manufakturwesens. Kraut sollte auch allein die Kosten des Lagerhauses tragen, er erhielt vom König nur das Gebäude der liquidierten Ritterakademie in der Klosterstraße, das Hohe Haus, zur Verfügung gestellt. Auf Grund dieser Politik konnte sich in Berlin neben der Uniformtucherzeugung eine umfangreiche Wollweberei für den zivilen Bedarf entwickeln. Die Produktion leichter, ungewalkter und bedruckter »Zeuge« für die alltägliche Frauenbekleidung und für alle anderen Anwendungsgebiete von Baumwollstoffen nahm in den dreißiger Jahren einen raschen Aufschwung. Berliner Zeuge eroberten in Konkurrenz mit den Waren aus Sachsen, dem Eichsfeld, Hessen oder Württemberg die Leipziger, Frankfurter und Braunschweiger Messen. 

Es war das erste Berliner Gewerbe von überlokaler Bedeutung. Die technologischen Grundlagen dieser Produktion machte vor allem der Schweizer Unternehmer Johann Georg Wegely in Berlin heimisch, der 1711 als »Kreponfabrikant«, das heißt unzünftiger Hersteller von Zeugen, das Bürgerrecht erwarb. 1725 erweiterte er seinen Betrieb beträchtlich durch den Kauf des Manufakturhauses an der Fischerbrücke in Cölln.

 
 
Berlin im Zeitalter der Aufklärung

Nach dem Tode Friedrich Wilhelms I. am 31. Mai 1740 übernahm König Friedrich II. die Regierung in schwerer Zeit. Der längste und strengste Winter des Jahrhunderts hatte auch in Berlin zu Teuerung und Hungersnot geführt. Der junge König, dem die harten Auseinandersetzungen mit seinem Vater schon als Kronprinz die Sympathien seiner Untertanen eingetragen hatten, öffnete als erstes die Kriegsmagazine, um mit billigerem Brot den Hunger der Hauptstädter zu lindern.

Während seiner Regierungszeit gestaltete Friedrich II. die Verwaltung Berlins mehr und mehr nach dem Vorbild von Paris um, der Hauptstadt des mächtigen absolutistischen Frankreich. So schuf er 1742 das Amt des Polizeidirektors, der die Aufsicht über den Magistrat und erhebliche Befugnisse über die städtische Polizei und Wirtschaft erhielt. In dieses Amt wurde Karl David Kircheisen eingesetzt. Er unterstand unter Umgehung der Kurmärkischen Kammer direkt dem Generaldirektorium, damit die besondere Sorge des Staates um die Hauptstadt signalisierend, eine Sorge, die angesichts der wachsenden sozialen Spannungen eher Besorgnis als Fürsorge war. Nach Pariser Vorbild wurde damals die Stadt in 18 Polizeiquartiere eingeteilt. Den Polizeikommissaren der einzelnen Quartiere oblag vordringlich die Bekämpfung der Bettelei und die Erstickung jeglicher Unruhen im Keim.

Das Rathäusliche Reglement von 1747 war dann nur noch die abschließende Fixierung der geschaffenen Verhältnisse: die Unterwerfung des gesamten Magistrats unter die Aufsicht des Polizeidirektors, die gänzliche Ausschaltung der Stadtverordneten und die Ordnung des Magistratskollegiums nach modernen bürokratischen Gesichtspunkten in die vier Departements der Justiz, Polizei, Ökonomie und Kämmerei.

Der Regierungswechsel beförderte einen Aufschwung der hauptstädtischen Wirtschaft. Sie wurde von der Einschnürung in das Korsett der Wollgewerbe und des Armeebedarfs befreit. Das Gewerbe gewann an Vielfalt und Qualität. Die besondere Aufmerksamkeit dieses Königs galt einem Luxusgewerbe, der Seidenproduktion. Nach dem Ende des Zweiten Schlesischen Krieges 1744/1745 berief der König eine Kommission zur Beförderung der Berliner Seidenindustrie und stellte einen Fonds von 100 000 Talern bereit. 


Cöllnischer Fischmarkt                   

Daraus wurde der Anbau von Maulbeerbäumen zur Seidenraupenzucht prämiiert, zu dem Schulen und Hospitäler, Beamte, Pächter und Bürger und schließlich jedermann auf Höfen, in Gärten und sogar auf Friedhöfen angehalten waren. Dadurch wurden die Seidenmanufakturen unterstützt, die Berliner Unternehmer, denen an der Gunst des Königs gelegen war, in rascher Folge gründeten. Die bedeutendsten waren die 1746 auf Initiative des Kaufmanns Johann Ernst Gotzkowski entstandene Blumesche Samtmanufaktur mit 60 Stühlen, die Unternehmen der Berliner Schutzjuden David Hirsch und Isaac Bernhard, die mit Leipziger Arbeitern betriebene Manufaktur des Kaufmanns Friedrich Wilhelm Schütze vor dem Königstor mit 100 Stühlen und das Unternehmen der Franzosen Girard und Michelet. Auf staatliche Kosten betrieben königliche Beauftragte auch die Anwerbung von Spezialisten vor allem aus dem französischen Seidenzentrum Lyon. Etwa 100 Lyoner Seidenweber ließen sich in diesen Jahren in Benn nieder. Sie verstärkten die Französische Kolonie, gehörten aber auf Grund ihres katholischen Glaubens der Französischen Gemeinde nicht an.

In diesen Jahren entstand auch die erste Berliner Porzellanmanufaktur, eine Gründung des erfolgreichen Zeugmanufakturunternehmers Wilhelm Kaspar Wegely. Sie befriedigte den gehobenen Bedarf, der bisher ganz auf den Import der teuren Meißner Erzeugnisse angewiesen war. Das Geheimnis der Porzellanherstellung, das »Arkanum«, hatte Wegely von Angestellten der kurmainzischen Manufaktur in Höchst gekauft, die Künstler warb er von der Meißner Manufaktur an. Als der kostspielige Bau eines Manufakturgebäudes vor dem Königstor in der Hauptsache abgeschlossen war, begann 1754/1755 die Produktion für den Verkauf. Bestellungen des Hofes blieben allerdings aus, Friedrich II. bezog sein Tafelgeschirr weiterhin aus Meißen.

Luxusgut war auch noch der Zucker, zumal er nach mehreren gescheiterten Versuchen, Zuckerraffinerien in Berlin anzulegen, aus Hamburg bezogen wurde. Seine Verbreitung war eng mit der der überseeischen Getränke Tee und Kaffee verbunden. Die Anlage dreier Zuckersiedereien durch den Berliner Kaufmann David Splitgerber schuf Voraussetzungen für wachsenden Zuckerkonsum. Die erste entstand 1749 am Südufer der Spree, die zweite 1751 am gegenüberliegenden Flußufer am Holzmarkt vor dem Stralauer Tor und die dritte 1754 in deren unmittelbarer Nähe. Den Rohzucker bezog der geschäftstüchtige Unternehmer außer über Hamburg auch über Stettin, die Steinkohle aus Schlesien. Schon 1747 entdeckte zwar der Berliner Chemiker Andreas Sigismund Marggraf die Verwertbarkeit des Rübenzuckers.


      Splitgerbersche Zuckersiederei

Mit dem geistigen Leben entfalteten sich nach 1740 der Buchverlag und das Zeitungswesen zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig der Hauptstadt. Buchhandlung, Druckerei, Verlag und Zeitungsherausgabe waren dabei mehrfach in einem Unternehmen vereinigt. Neben die alte von Johann Michael Rüdiger am Ende des voraufgegangenen Jahrhunderts begründete Buchhandlung, Hofdruckerei und Zeitung trat das Unternehmen des Ambrosius Haude, der zuvor Antiquar in Potsdam gewesen war und sich als Lieferant des Kronprinzen unentbehrlich gemacht hatte. 

Er war schon 1741 der größte Verleger am Ort, bekam das Monopol für den Verlag aller Schriften der Akademie der Wissenschaften und gab seit 1740 eine zweite Berliner Zeitung heraus, die »Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen«, die sein Schwager Johann Carl Philipp Spener später wie die ganze Firma unter beider Namen fortführte. Buchhandlung, Verlag und Zeitung des Johann Michael Rüdiger leitete seit 1751 dessen Schwiegersohn Christian Friedrich Voss. Zu einem dritten großen Verlagsunternehmen entwickelte sich die schon 1713 von Christoph Gottlieb Nicolai, dem Vater des Schriftstellers Christoph Friedrich Nicolai, begründete Verlagsbuchhandlung.

Der erneute Wirtschaftsaufschwung ging mit einem erheblichen Bevölkerungswachstum einher. Hatte die Stadt im Jahre 1740 reichlich 90.000 Einwohner beherbergt, so waren es im Jahre 1755 schon 126.661 Bewohner. Das Wachstumstempo war gegenüber der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. nahezu verdoppelt, es blieb jedoch erheblich hinter dem der großen Einwanderungszeit um die Jahrhundertwende zurück. Die Ankömmlinge ließen sich vor allem in den Vorstädten nieder. Stärker als zuvor wurde auch das Umland in die Ansiedlung einbezogen. Um die eigentliche Stadt begann sich ein Ring von Gewerbesiedlungen und Dörfern zu legen, die für den Berliner Markt produzierten.

Die Entwicklung hatte schon 1716 begonnen, als sich 19 Hugenotten im Nordwesten Berlins niederließen, um Maulbeerplantagen anzulegen. Ihre Siedlung erhielt den alttestamentarischen Namen Moabit, ihre Bewohner gingen bald zu rentableren Zweigen der Gärtnerei über. Agrarischen Charakter hatte anfangs auch die Ansiedlung böhmischer Exulanten im Ratsdorf Rixdorf seit 1737. Neben den 18 Bauern und Büdnern ließen sich 30 landlose Mietsleute mit ihren Familien nieder, und zumindest diese waren auf einen Erwerb als Spinner oder Weber für Berliner Textilunternehmer angewiesen.

Nach 1740 veranlaßte der ständige Mangel an Gespinst in der Berliner und Potsdamer Textilproduktion die Anlage regelrechter Spinnerdörfer. Als solches kann man die 1750 ebenfalls mit böhmischen Exulanten beim Amtsdorf Schöneberg gegründete Kolonie Neu-Schöneberg bezeichnen, die wegen ihres gewerblichen Charakters dem Berliner Magistrat unterstellt wurde.

Sächsische Arbeiter hatte der König auch bei der Anlage von Neu-Vogtland im Auge, einer Siedlung vor dem Spandauer Tor für die zahlreichen Bauarbeiter, die sich als Saisonarbeiter in Berlin aufhielten. Der König wollte sie nicht nur als Arbeitskräfte bei den königlichen Bauten haben, sondern auch als Steuerzahler, die ihr verdientes Geld im Winter nicht im sächsischen Ausland verzehrten. Um die heutige Garten- und Ackerstraße wurden deshalb von 1751 bis 1754 60 Siedlungshäuser für jeweils 2 Familien erbaut, in denen wenig später außerdem 109 Textilarbeiterfamilien zur Miete wohnten. Der Ruf des Viertels vor der Akzisemauer mit den zahlreichen Schenken war schlecht. 

 Armut, Krankheit und Laster waren wohl nirgendwo in der königlichen Residenz häufiger als hier. Die bäuerliche Siedlung trat ungeachtet der Knappheit von Milch, Butter, Eiern und Obst auf dem Berliner Markt zurück. Die größte Neugründung war das 1747 von 20 reformierten Emigrantenfamilien aus Pfalz-Zweibrücken angelegte Müggelheim. Nur vier Kolonisten begründeten zwei Jahre später das nahe gelegene Grünau. Dieses schwere Siedlungswerk in den Spreeniederungen unterstützte der Staat mit der Gewährung von Freijahren, Militärdienstfreiheit, Erbrecht und persönlicher Freiheit.


Das alte Brandenburger Tor                   

Große Hoffnungen der gebildeten Bürger, der fortschrittlich denkenden Künstler und Wissenschaftler weit über die Grenzen des preußischen Staatsgebietes hinaus richteten sich auf die Regierung dieses Königs, weil er sich in seiner Kronprinzenzeit als Freund der Aufklärung und der schönen Künste bewiesen hatte, als Anhänger der Philosophie des von seinem Vater vertriebenen Christian Wolff, als Briefpartner des ketzerischen Franzosen Voltaire und als Autor des »Antimachiavell«. Man erwartete von ihm eine gerechte und weise Regierung zum Wohle seiner Untertanen, unter der Kunst und Wissenschaften blühen konnten. Dem begrenzteren, auf Kunst und Wissenschaft gerichteten Teil der allgemeinen Erwartungen entsprach der König, und die Hauptstadt profitierte davon. Das geistige Zentrum des Staates, das unter dem Soldatenkönig eher in Halle, der Hochburg des Pietismus und jungen Universitätsstadt, gelegen hatte, verlagerte sich wieder nach Berlin.

Friedrich II. belebte die Akademie der Wissenschaften neu. Am 24. Januar 1744 erhielt die Akademie unter dem Namen Königliche Akademie der Wissenschaften ein neues Statut. Bedeutende Gelehrte rief der König nach Berlin, so den Schweizer Mathematiker Leonhard Euler, der in St. Petersburg gewirkt hatte, den Mathematiker Pierre Louis Moreau de Maupertuis und den Arzt und Materialisten Julien Offray de La Mettrie. Auch bedeutende deutsche Gelehrte, wie der Bevölkerungstheoretiker und Prediger an der Petrikirche Johann Peter Süßmilch sowie der Chemiker und Entdecker des Rübenzuckers Andreas Sigismund Marggraf, wurden Mitglieder der Akademie. Der König errichtete das alte Akademiegebäude im Marstall neu und gab der Einrichtung einen ansehnlichen Fonds, er reglementierte aber auch die Personalpolitik und das wissenschaftliche Leben, wobei er einseitig französischen Gelehrten den Vorzug gab. Zum neuen Präsidenten bestellte er 1746 Maupertuis.

1749 gründeten bürgerliche Intellektuelle um den Dichter Karl Wilhelm Ramler, den Musiker Johann Joachim Quantz, den Verlagsbuchhändler Christian Friedrich Voss und den Kupferstecher Meil den Montagsclub, in dem literarisch-ästhetische, philosophische und politische Fragen freimütig besprochen wurden. Zu diesem Klub aufgeklärter Geister traten bald auch drei junge Männer, die sich seit 1754 regelmäßig zweimal wöchentlich zu Gedankenaustausch und gemeinsamer Arbeit zusammenfanden: der fünfundzwanzigjährige Gotthold Ephraim Lessing, der gleichaltrige Moses Mendelssohn und der einundzwanzigjährige Christoph Friedrich Nicolai, seit 1752 Mitarbeiter in der von seinem Bruder geleiteten großen väterlichen Verlagsbuchhandlung.


     Nicolaihaus, Brüderstr.

Eine Bildungsstätte aufgeklärter Bürger, deren dankbarer Schüler Christoph Friedrich Nicolai war, begründete der Prediger Johann Julius Hecker 1747 in der Kochstraße in der Friedrichstadt nach dem Vorbild der Franckeschen Stiftungen in Halle. Diese »Realschule« war ein Schulenkomplex mit einem Pädagogium für künftige Akademiker, einer Kunstschule für Kaufleute, Techniker und Manufakturunternehmer, mit einer Deutschen Schule für die Söhne der Handwerker und sogar mit einer Mädchenschule. Die Bildungsinhalte waren — verglichen mit den alten Gymnasien — modern und praxisbezogen. Der Unterricht umfaßte außer Latein und Griechisch auch das Englische und Italienische, Naturwissenschaften, Technologie und Ökonomie. 

Eine Buchhandlung, eine Sammlung von Maschinen und Modellen, ein Botanischer Garten und die in Preußen in dieser Zeit unerläßliche Maulbeerbaumplantage waren angegliedert. Auch die bildenden Künste blühten wieder in Berlin, die Baukunst konnte sich unter dem neuen König repräsentativ entfalten. Das Forum Fridericianum zwischen Schloß, Zeughaus und Friedrichstraße entstand in diesen Jahren zwischen dem Regierungsantritt Friedrichs II. und, dem Siebenjährigen Krieg. Der Baumeister Hans Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699—1753) erbaute hier im Stile des »friderizianischen Rokoko«, jedoch schon mit Elementen des Klassizismus durchsetzt, von 1741 bis 1743 ein Opern- und Festhaus. Dahinter entstand seit 1747 die katholische Hedwigskirche, die erst 1773 fertiggestellt werden konnte. Johann Boumann der Ältere errichtete 1748—1753 das Palais des Prinzen Heinrich, und unter Leitung von Friedrich Feldmann entstand in der Nachbarschaft gleichzeitig das Donnersche Palais.

Im Siebenjährigen Krieg verloren die Berliner Regimenter  insgesamt wohl 10.000 Mann auf den Schlachtfeldern. Von dem 1.850 Mann starken Grenadierregiment Linden kehrten 1763 nur 50 der sieben Jahre zuvor ausgezogenen Soldaten heil zurück. Die Stadt füllte sich mit Verwundeten, Soldatenwitwen und -waisen. Das 1747 vor dem Oranienburger Tor bei der Charité errichtete Invalidenhaus, das mit rund 1.000 Plätzen die einzige derartige Einrichtung für das ganze Land war, faßte nur einen Bruchteil des Soldatenelends.

Anders als in den beiden ersten Schlesischen Kriegen drang der Krieg direkt in die Stadt vor. Die Österreicher kamen im Oktober 1757 nur bis vor die Tore. Vom 3. bis 12. Oktober 1760 aber belagerten und besetzten russische und österreichische Truppen die Hauptstadt. Die Vorstadtbewohner flohen hinter die für den Schutz der Stadt ganz ungeeigneten Mauern. Angst und Schrecken ergriffen die Bewohner zugleich mit Zorn auf Hof- und Staatsbeamte, die die bedrohte Stadt im Stich gelassen hatten, um sich selbst zu retten. Einer eigentlichen Plünderung entging die Stadt, da der russische General Graf Gottlob Kurt Heinrich Tottleben sich mit der Kaufmannschaft unter Führung des Johann Ernst Gotzkowski auf eine erträgliche Kontribution von 1,75 Millionen Talern zumeist in Wechseln einigte.

Die schlimmsten Leiden für die Berliner Bevölkerung kamen erst noch, sie gingen von der Inflation aus, mit deren Hilfe der König die Kriegskosten deckte. Aus der gleichen Mark Feinsilber, aus der vor dem Krieg 14 bis 19 Taler geprägt wurden, schlugen die jüdischen Münzunternehmer Veitel Ephraim, Daniel Itzig und Moses Isaac im königlichen Auftrag im Jahre 1761 30, ja sogar 40 Taler. Nahezu wertlose Achtgroschenstücke, irreführend in sächsischen Münzstätten geprägt, überschwemmten als »Ephraimiten« den Markt. Der Schlagschatz, der daraus dem König zufiel, deckte 17 Prozent der preußischen Kriegskosten.


Friedrichsforum Unter den Linden         

Der Hubertusburger Frieden vom 15. Februar 1763 brachte der Berliner Wirtschaft keine Erholung, sondern stürzte sie in eine Nachkriegskrise, die vom Zusammenbruch des europäischen Wechselmarktes mit seinem Zentrum Amsterdam ausging. Eine Welle von Bankrotten erschütterte die Berliner Handels- und Manufakturunternehmen, Johann Ernst Gotzkowski war ihr erstes Opfer. Die Porzellanmanufaktur kam so in königlichen Besitz. Der König setzte eine besondere Kommission ein, um die Spitze der Berliner Geschäftswelt vor der Strenge des Wechselrechts zu bewahren. Zahllose kleine Handwerker und Fabrikanten wurden in den Strudel der Bankrotte hineingerissen.

Seit den siebziger Jahren erlebte die Wirtschaft wieder einen kräftigen Aufschwung. Intensiver staatlicher Förderung erfreute sich nach wie vor das Seidengewerbe. Es wuchs von 564 Stühlen im letzten Krisenjahr 1767 auf 2092 Stühle im Jahre 1789 an. Als neues Gewerbe, das anfangs sogar Einschränkungen durch die staatliche Wirtschaftspolitik überwinden mußte, entwickelte sieh die Baumwollproduktion. Die Zahl der Webstühle stieg von 615 im Jahre 1767 auf 1.038 im Jahre 1789. Die Zahl der beschäftigten Spinner, Kämmer, Weber und Drucker betrug jeweils ein Vielfaches. Baumwollunternehmer bemühten sieh zuerst, die technischen Neuerungen der industriellen Revolution in Berlin heimisch zu machen.

Die Einwohnerzahl Berlins wuchs wieder kräftig, von rund 125.000 im Jahre 1763 auf 150.000 im Jahre 1789. Dies geschah anfangs langsam, denn auf die schweren Nachkriegsjahre folgte die europäische Hungerkrise der Jahre 1770—1772. Obwohl die Behörden alles daransetzten, durch Öffnung der Kriegsmagazine wenigstens in der Hauptstadt eine akute Hungersnot zu vermeiden. Die Zahl der Todesfälle an hitzigem Fieber, Ruhr und Auszehrung erreichte das Vier- bis Fünffache des Gewöhnlichen, die Zahl der Eheschließungen und der Geburten sank im Verhältnis zur Einwohnerzahl auf den tiefsten Stand des Jahrhunderts. So stagnierte die Einwohnerzahl im Jahre 1772 noch bei 128.000, und erst die weiteren siebziger und achtziger Jahre waren eigentlich eine Zeit des Aufschwungs.


       Ephraimpalais

Berlins Bevölkerung wurde nach wie vor durch Seuchenzüge dezimiert, unter denen die alle 3 bis 4 Jahre wiederkehrenden Pockenepidemien die schlimmsten waren, denn jedes achte befallene Kind starb. Die Ärzte wandten gegen diese nach dem Erlöschen der Pest schlimmste Seuche ihre ganze Kunst auf. Früher als in anderen deutschen Städten wurde 1769 in der Charité die erste Einimpfung abgeschwächter Menschenpocken nach englischem Vorbild vorgenommen. Der hochangesehene Johann Peter Meckel, Professor am militärärztlichen Institut der Charité und Akademiemitglied, impfte mit gutem Erfolg seine eigenen Kinder. Berlin hatte in der Charité das größte deutsche Krankenhaus. Hier standen je 3.000 Einwohner 1 studierter Arzt, 1 Wundarzt und 1 Hebamme zur Verfügung.

Es wuchs in diesen Jahrzehnten nicht nur zu einer der volkreichsten, sondern auch zu einer der schönsten Hauptstädte Europas. Im Heiligen Römischen Reich stand es an Größe nur noch der Kaiserstadt Wien nach. Der alternde König, der sich nun ganz von seiner geschäftigen Hauptstadt und ihren spöttisch-kritischen Bewohnern fernhielt, beförderte doch von seinem Neuen Palais in Sanssouci her großzügig die Erweiterung und Verschönerung Berlins. Repräsentative Bauten entstanden Unter den Linden, wo Georg Friedrich Boumann der Jüngere 1775—1780 die Königliche Bibliothek in barocken Formen errichtete, am Gendarmenmarkt, wo Johann Boumann der Ältere 1774 das Französische Komödienhaus als größtes hauptstädtisches Theater baute und Carl Philipp Christian von Gontard die Kuppeltürme der deutschen und der französischen Kirche als Dominanten setzte.

Vornehmlich unter städtebaulichen Gesichtspunkten und in autokratischer Manier beförderte der König den bürgerlichen Wohnhausbau. Unter den Linden ließ er zweistöckige bescheidene Häuser abreißen und durch drei- und vierstöckige Gebäude im italienischen Stil ersetzen, die aus der königlichen Kasse bezahlt wurden. Repräsentative Bürgerhäuser entstanden in gleicher Weise am Gendarmenmarkt, in der Leipziger Straße, am Friedrichstädtischen Markt und am Hackeschen Markt, nicht weniger als 204 allein in den Jahren 1769—1785, wie Christoph Friedrich Nicolai berichtet. In den alten Straßen Berlins und Cöllns stockte man zwei- und dreistöckige Häuser einfach auf.

Die königliche Bautätigkeit löste nach dem Siebenjährigen Krieg auch ein anderes ernstes Problem: die Unterbringung der Garnison. Friedrich II. ließ Kasernen bauen, um die konfliktträchtige Einquartierung der Soldaten in Bürgerwohnungen zu beenden. Ein Kranz von dreizehn Kasernen, ein bis zwei für jedes Regiment, legte sich um die Stadt. Sie wurden wegen des Wachdienstes und zur Verhinderung von Desertionen sämtlich in der Nähe der Stadttore errichtet.

Berlin wurde nach dein Siebenjährigen Krieg eines der Zentren der deutschen Aufklärung neben Weimar und Göttingen, Hamburg und Stuttgart. Diese Blütezeit des geistigen Lebens in der Hauptstadt ist zweifellos ermöglicht und begünstigt worden durch den »aufgeklärten Absolutismus« Friedrichs II. Der König, der seine Ignoranz und Geringschätzung 1780 in einer Schrift »Über die deutsche Literatur« öffentlich kundtat, wahrte doch dieser Literatur gegenüber eine Duldsamkeit, die ihr den nötigen Spielraum zur Entfaltung gab. Und die Berliner Aufklärer haben es ihm mit Loyalität und sogar Verehrung gedankt. Nur Lessing, der bedeutendste unter den Berliner Schriftstellern der Jahrhundertmitte, ging enttäuscht außer Landes, als der König ihm die Stelle des Vorstehers der Königlichen Bibliothek verweigerte. Die Berliner Aufklärung schrieb den umfassenden Kampf gegen Orthodoxie, Vorurteile und Unwissenheit auf ihre Fahnen. 

In ihren Reihen standen zahlreiche Schulmänner, darunter Freiherr Karl Abraham von Zedlitz, der seit 1771 Chef des geistlichen Departements war. Er förderte die Bemühungen Friedrich Eberhard von Rochows um die Reform des Landschulwesens und begann mit der Einrichtung einer »Normalschule« in der Königsstadt, auch die Berliner Elementarschulen im Sinne der Aufklärung umzugestalten. Die Kinder der Handwerker und Arbeiter sollten gründlichere Schreib- und Rechenfertigkeiten und Kenntnisse in der Geographie, Naturkunde und Geschichte erwerben. Solchen Grundsätzen folgte auch sein 1777 als Akademie-Abhandlung publiziertes Bürgerschulprogramm.


Gensdarmenmarkt                  

Von der Französischen Revolution bis zur Napoleonischen Besetzung

Die Ereignisse der Revolution bildeten den Gesprächsstoff in der Berliner Bevölkerung, und verstärkt traten nach Jahren der Zurückhaltung wiederum Themen der Politik in den Mittelpunkt der geistigen Auseinandersetzung in den Salons des liberalen Teils des Bürgertums. Parallelen zwischen den Zuständen in Preußen und denen im vorrevolutionären Frankreich wurden gezogen. Der preußische König Friedrich Wilhelm II. mußte sich den Vergleich mit dem französischen König gefallen lassen. Die Mätressenwirtschaft und die spiritistischen Sitzungen waren Gegenstand der Gespräche. Aber Berlin war nicht Paris. Berichte über die Ereignisse in Frankreich drückten zunehmend Verwunderung und dann Angst vor der revolutiönären Wucht der Volksmassen aus.

1789 umfaßte die Stadt Berlin eine Fläche von etwa 400 Hektar. Ihre Bevölkerung stieg ständig und betrug im Jahre 1802 177.029 Personen, davon gehörten 25.580 oder 14,4 Prozent zum Militärstand (Soldaten mit ihren Familien). Die Bevölkerung lebte im Jahre 1790 in 6275 Häusern; wenn man die Soldatenfamilien nicht mitzählte, waren das im Durchschnitt etwa 24 Personen pro Haus. Die Privathäuser waren bei der Feuerversicherung mit einem Wert von 20.440.650 Talern versichert.

Nach den unvollständigen statistischen Angaben wurde für das Jahr 1803 die Zahl der Meister und der Fabrikherren mit 23 115, der Gesellen mit 17 640, der Lehrlinge mit 4240 angegeben. 49.432 Personen arbeiteten in Manufakturen, waren Manufakturarbeiter. Einschließlich der Frauen und Kinder sowie der Soldaten, die nach den Prinzipien der preußischen Kompaniewirtschaft auf Monate für einen Bruchteil des Soldes zur Arbeit »beurlaubt« wurden, gehörten somit 27,9 Prozent der Berliner Bevölkerung zu dieser Personengruppe. In der Stadt lebten noch 105 Ackerbürger. Für die Versorgung der Stadt waren über 300 Viehmäster und Viehhändler, an 100 Branntweinbrenner, 80 Brauer, 250 Bäcker, 162 Fleischer und zahlreiche andere Gewerbetreibende tätig. Groß war die Zahl derjenigen, die von der öffentlichen und privaten Fürsorge lebten, das heißt durch die Armenpflege unterstützt werden mußten, um ihr Leben fristen zu können. Ihre Zahl schwankte, dürfte aber bei etwa 9.000 Personen (5 Prozent der Bevölkerung) gelegen haben. Darüber hinaus bestanden in den Berliner Zünften im Jahre 1793 68 Innungen mit 6.996 Meistern und 162 Witwen, die das Gewerbe ihrer verstorbenen Männer weiterführten. Ihnen standen 5000 unzünftige Unternehmungen gegenüber.


      neues Brandenburger Tor

Am Ende des 18.Jahrhunderts erreichte Berlin den Rang einer europäischen Großstadt, die Städte wie Hamburg und Frankfurt (Main) überflügelt hatte. Wien war nur noch unwesentlich größer als Berlin, und die Stadt begann sich mit Paris und London in der Größe und der Zahl der Einwohner zu messen. Doch standen diese Städte in ihrer internationalen Ausstrahlung noch weit vor Berlin, wo es zum Teil ziemlich ländlich und kleinstädtisch zuging. Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich Berlin zu dem größten Gewerbezentrum. Architektur, Kunst und ein reges geistiges Leben entfalteten sich und waren immer stärker bürgerlich geprägt. 

Die Stadt blieb aber Residenzstadt und war zugleich die größte Garnisonstadt Preußens. An der Wende vom 18. zum 19.Jahrhundert entstanden in Berlin die ersten auf Maschinenarbeit beruhenden Werkstätten, die Fabriken. Entscheidender Produktionsbereich war die Textilproduktion (Spinnerei) in den Fabriken von Hotho, Tappert und vor allem Georg Sieburg. Spätestens seit 1784 besaß die Sieburgsche Spinnerei einen Zentralantrieb für die Maschinen (Pferdegöpel), 1797 ging diese Spinnerei mit einer aus England importierten Dampfmaschine zum Dampfantrieb über. Damit vollzog sich ein gewaltiger produktionstechnischer Sprung nur zwölf Jahre, nachdem dieser Schritt in England gegangen worden war. Sieburgs Betrieb war allen anderen Spinnereien auf dem Kontinent überlegen. Die Zahl der Fabrikgründungen in Berlin stieg, die Betriebe gewannen an Stabilität. Die industrielle Revolution hielt in Berlin Einzug und war durch die Gründung von Fabriken in der Textilbranche markiert.

1792 wurde die Chaussee nach Potsdam eröffnet, die die langen und umständlichen Wege über die Teltower Landstraße entscheidend verkürzte. Das in den Jahren 1788—1791 gebaute Brandenburger Tor stellte den Anfangspunkt dieses neuen Verkehrsweges nach Westen dar. Damit wurde die Straße Unter den Linden zu einer Hauptverkehrsader. Aber sie endete am Schloßplatz und wurde als eine Querverbindung nach Osten nicht weitergezogen. Dazu reichte die finanzielle Kraft nicht, und es blieb in der verkehrsmäßigen Erschließung der Stadt bei diesem Torso. Höhere Bildung stellte ein wesentliches Mittel dar, mit dem sich das Bürgertum vom Adel emanzipierte. 

Nach unterschiedlichen Angaben kann geschätzt werden, daß in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts etwa 1 000 Personen in Berlin lebten, die als Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler usw. ihren Lebensunterhalt verdienten. Das war für die damaligen Verhältnisse eine hohe Konzentration von Intellektuellen. Der Berliner Hof war Kristallisationspunkt des gesellschaftlichen Lebens. An ihm herrschte eine Günstlings- und Verschwendungswirtschaft. Der vom König Friedrich II. hinterlassene Staatsschatz von 51 Millionen Talern war 1793 verbraucht, und 1797 hinterließ König Friedrich Wilhelm II. 23 Millionen Taler Schulden. Die Kabinettsregierung dieses Königs zerstörte zunehmend die finanzielle Grundlage des Staates.


franz. Gymnasium                 

Nach dem Tode Friedrich Wilhelms ll. im Jahre 1797 kam König Friedrich Wilhelm III. an die Regierung. Er entließ Wöllner und begann mit der Bauernbefreiung auf den königlichen Domänen. Auch über diese Vorgänge sprach man in den Salons des Berliner Bürgertums. Sie hatten ihre Vorläufer in den Gesprächskreisen des 1786 verstorbenen Moses Mendelssohn sowie von Friedrich Nicolai. In losen Runden trafen sich Repräsentanten des bürgerlichen Geisteslebens, die auch mit Johann Wolfgang von Goethe in Verbindung standen. Den Mittelpunkt des »Tugendbundes« bildete Henriette Herz. In ihrem Haus in der Spandauer Straße 53 kamen die führenden geistigen Köpfe der Zeit zusammen, unter ihnen die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt sowie der Theologe Daniel Friedrich Schleiermacher und Prinz Louis Ferdinand von Preußen. Im Kurländischen Palais Unter den Linden 7 versammelte die verwitwete Herzogin Dorothea von Kurland um 1800 einen anderen Kreis, zu dem unter anderen Carl Friedrich Zelter, Wilhelm Schlegel, Gustav Parthey und Elisabeth von der Recke gehörten. Der bedeutendste Treffpunkt der intellektuellen Kreise war der Salon der Rahel Levin, später Varnhagen von Ense (zunächst Charlottenstraße, dann Jägerstraße und zuletzt Mauerstraße). Er war der Treffpunkt von Vertretern aus Philosophie, Dichtung, Theater, Musik und bildender Kunst Berlins. Die Salons wirkten bis weit über 1815 hinaus. Typisch für sie war die Beschränkung auf einen kleinen Personenkreis hochgebildeter Vertreter des Bürgertums und des Adels. 

Die Akademie war als Wissenschaftseinrichtung wirkungslos geworden und auf bloße Repräsentation ausgerichtet. Neue Bildungsstätten sorgten für die Weiterentwicklung der Wissenschaften. In Berlin fanden die Bergakademie (1770), die Tierarzneischule (1790), die Bauakademie (1799), das Ackerbauinstitut (1806) sowie zahlreiche Bildungsanstalten für die Militärbeamten, wie die Militäringenieurschule und die Artillerieakademie, eine Heimstatt. In ihnen äußerte sich das Streben nach neuen Formen des Bildungswesens, denn wirtschaftliche Erfordernisse und geistige Auseinandersetzungen des aufstrebenden Bürgertums forderten neue Möglichkeiten der Bildungsvermittlung. Dazu gehörten in Berlin auch die private Vorlesungstätigkeit am Ausgang des 18.Jahrhunderts; sie und literarische Vorträge sowie Theateraufführungen brachten eine neue Qualität in das geistige Leben Berlins. 1786 zum Beispiel fanden 13 Privatvorlesungen zu aktuellen Fragen der Wissenschaft in den Wohnungen bedeutender Gelehrter statt und erfreuten sich eines großen Zuspruchs. Insgesamt bildeten sie eine der wichtigsten Vorleistungen für die Entwicklung der Wissenschaften in Berlin nach 1810.


   Hertz

Neue Tendenzen zeigten sich auch in der Architektur und der bildenden Kunst. Der Bau des Brandenburger Tores durch Karl Gotthard Langhans symbolisierte die Überwindung des barocken Stils in der Berliner Architektur und die Anfänge des Klassizismus, der den Beginn bürgerlicher Kunst darstellte. Auch in anderen Bereichen der Kunst — so zum Beispiel Johann Gottfried Schadows meisterhafte Arbeiten in der Plastik — begann sich das bürgerliche Element immer mehr und immer stärker durchzusetzen. 


Varnhagen   

Schadow markierte mit seinen Werken einen wesentlichen Einschnitt in der Geschichte der europäischen Bildhauerkunst. Das Theater war ein zentraler Ort der Auseinandersetzung zwischen dem auf seinen Positionen beharrenden Adel und den aufstrebenden bürgerlichen Kräften. Auf der Bühne und im Zuschauerraum prallten die unterschiedlichen Lebensauffassungen aufeinander. Mit August Wilhelm Iffiand hatte das Berliner Theater zunächst im Französischen Komödienhaus, ab 802 im Neubau des Nationaltheaters auf dem Gendarmenmarki seinen ersten großen Protagonisten. Das Berliner Musikleben wandelte sich, bürgerliche Musikpflege setzte sich zunehmend durch.

Besetzung Berlins, Reformen und Beginn bürgerlicher Umgestaltung

Nach dem katastrophalen Zusammenbruch der preußischen Armee in der Doppelschiacht bei Jena und Auerstedt erschienen am 18. Oktober an jeder Straßenecke rote Zettel mit der lakonischen Mitteilung, daß der König eine Bataille verloren habe. Fluchtartig verließen die preußischen Behörden die Stadt, der Magistrat erließ eine Proklamation, die jeden Widerstand bei Strafe verbot. Am 24. Oktober erreichten französische Truppen Berlin, und am 27. Oktober zog Kaiser Napoleon in die preußische Hauptstadt ein.

Der preußische Staat zerfiel und überließ die Berliner Bevölkerung sich selbst. Deren Haltung mußte widersprüchlich sein; zum einen zeigte sich Befriedigung, zum anderen sahen die Berliner, daß die Folgen dieser Niederlage vom Volke getragen werden mußten. Fast fünfzig Jahre hatte die Stadt keine fremden Truppen erlebt. Unruhe und Besorgnis lagen über ihr.

Zunächst verkündete Napoleon von Berlin aus am 21. November die Kontinentalsperre gegen England, die jeden Export und Import von Waren in diese Richtung unterbinden sollte. Für das Berliner Gewerbe war damit die lästige englische Konkurrenz für lange Zeit ausgeschaltet, zugleich aber fiel auch der Export nach Übersee sowie der Import von Rohstoffen und Halbfabrikaten weg. Einzelne Manufakturen konnten sich durch Lieferungen für die französische Armee erhalten und sogar ihre Position festigen. Manufakturen, die für die Luxusbedürfnisse des Adels und Hofes produziert hatten, verloren mit ihren Abnehmern ihre Existenz. Insgesamt zeitigte die Kontinentalsperre nachteilige Wirkungen. Arbeitslosigkeit, Einquartierung französischer Soldaten, die Übernahme der Besatzungskosten und ungeheure Kontributionen belasteten die Stadt schwer und zerstörten nach und nach ihre herausragende wirtschaftliche Position in Preußen. Berlin mußte zur Bezahlung der Kontributionen und Besatzungskosten Kredite aufnehmen und trug schließlich eine Schuldenlast von 8,2 Millionen Talern, deren letzter Rest erst 1867 getilgt werden konnte.


     Einzug französischer Truppen

Einen wichtigen, wenn auch begrenzten Fortschritt brachte die französische Besetzung. Nach fast vier Jahrhunderten der erzwungenen Unmündigkeit mußten die Berliner Bürger beginnen, sich nun selbst um ihre Angelegenheiten zu kümmern. Am 29. Oktober 1806 wurden 2000 zur Oberschicht gehörende Berliner Bürger auf Befehl des Kaisers in der Petrikirche versammelt, um aus ihrer Mitte einen aus 60 Personen bestehenden Conseil municipal zu wählen. Dieser wiederum wählte aus seiner Mitte ein aus 7 Personen bestehendes Comité administratif, das formell die Stadtverwaltung in den Händen hatte. Napoleon bestätigte die Wahl.

Das Comité erhielt den Auftrag, dafür zu sorgen, daß die Beschlagnahmen der französischen Armee vorgenommen und alle Befehle der französischen Behörden ausgeführt werden konnten. Der Conseil municipal und das Comité administratif traten an die Stelle des alten noch vom König ernannten Magistrats und des königlichen Gouverneurs. Weiterhin befahl Napoleon die Aufstellung einer 2000 Mann starken Bürgerwehr zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

Die nach der Niederlage von 1806 einsetzende Reform des preußischen Staates bewirkte insbesondere mit dem Oktoberedikt, das am 9. Oktober 1807 in Kraft trat und die ständischen Beschränkungen für Handel, Gewerbe und Grundbesitz sowie die Beschränkungen der persönlichen Freiheit (Leibeigenschaft) aufhob, und mit der Städteordnung (19. November 1808) weitreichende Folgen. Die Städteordnung veränderte und erweiterte die städtischen Machtorgane.

Die zentralen Staatsorgane zogen sich aus den städtischen Angelegenheiten teilweise zurück, behielten sich aber das Aufsichtsrecht durch den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg vor, der nach 1815 damit den Präsidenten einer »Regierung Berlin« betraute. An seine Stelle trat später der Polizeipräsident. In der Stadt blieben darüber hinaus die Justiz und die Polizei (in allen ihren Gliederungen von der Kriminal- bis zur Seuchenpolizei) in der Verantwortung übergeordneter Staatsorgane. In diesen Bereichen duldete der Staat keine Mitsprache seiner Bürger, die überdies nur dann das aktive und passive Wahlrecht besaßen, wenn sie als Haus- und Grundbesitzer oder als Gewerbetreibende das Geld aufbrachten, um einen Bürgerbrief zu erwerben.

Für Berlin hatte die Städteordnung die Eingliederung aller unter Sonderrecht stehenden Bevölkerungsgruppen zur Folge. Das betraf unter anderem die Angehörigen der Französischen Kolonie und der jüdischen Gemeinde. Ende Januar 1809 erhielt die Stadtverwaltung in Berlin die Auflage, die neue Städteordnung in Berlin bis zum 1. April 1809 einzuführen. Dagegen regte sich Widerspruch. Berliner Bürger meldeten Vorbehalte an und äußerten Zweifel. Sie hätten auch nichts von einem Wunsche der Bürgerschaft bemerkt, an der städtischen Verwaltung beteiligt zu werden. Man zögerte, hatte Furcht vor dem Neuen und scheute sich, an der bürgerlichen Entwicklung der Stadt mitzuwirken, Verantwortung für sie zu tragen. Der Polizeipräsident Karl Justus von Gruner verwarf diese Einwände und teilte die Stadt in 102 Wahlbezirke ein. Er legte fest, daß die Wahl der Stadtverordneten zwischen dein 18. und dem 22. April vor sich gehen sollte. 


Stadtverordnete         

Die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts — männlich und Bürger zu sein sowie ein Jahreseinkommen von 200 Talern nachzuweisen — erfüllten aber nur 12 862 Personen — eine geringe Zahl, die die Begrenztheit der Selbstverwaltung ausweist. Über die Beteiligung an den Wahlen liegen keine Angaben vor. Gewählt wurden 31 Kaufleute, 28 Gewerbetreibende, die sich Meister nannten, 9 Fabrikanten, 5 Eigentümer und Rentiers, 5 Gärtner und Ackerbürger, 5 Brauer und Destillateure, 4 Gastwirte, 4 Apotheker, 1 Elbschiffer, 1 Juwelier, 1 Pächter, 3 Polizeibeamte, 2 Bauinspektoren, der Oberst der Bürgergarde und als einziger Vertreter des Adels der pensionierte Kammerpräsident Leopold von Gerlach.

Auf der konstituierenden Sitzung im heutigen Universitätsgebäude am 25. April wählten die Stadtverordneten Leopold von Gerlach zu ihrem Vorsitzenden, der dann der erste Oberbürgermeister von Berlin wurde. Feierlich wurden die Stadtverordneten, der Oberbürgermeister, 1 Bürgermeister, 9 besoldete und 15 unbesoldete Stadträte in der Nikolaikirche mit einem Gottesdienst in ihr Amt eingeführt. Der Aufbau der städtischen Behörden begann.

In einem anderen Bereich vollzog sich ebenfalls ein wichtiger Schritt. Seit den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts gab es Überlegungen, in Berlin eine Universität einzurichten, die sich grundsätzlich von bisherigen Universitäten unterscheiden sollte. Der durch die Reformen eingeleitete Beginn bürgerlicher Umwälzung machte im Jahre 1810 die Gründung einer Universität in Berlin möglich. Mit ihr entstand nach den Ideen Wilhelm von Humboldts eine höhere Lehranstalt, die ihr Ideal in der Einheit von Forschung und Lehre sah. 1807 reorganisierte sich die Akademie, die eng mit der Universität verbunden war und deren Mitglieder sich aus ihrem Lehrkörper zusammensetzten. Die wissenschaftliche Arbeit erhielt neue Impulse. Die neu gegründete Friedrich Wilhelm Universität stellte sich den politischen und geistigen Auseinandersetzungen der Zeit. Johann Gottlieb Fichte, der erste gewählte Rektor, hielt seine »Reden an die deutsche Nation«.

Der im April 1808 in Königsberg gebildete »Tugendbund«, der sich die Verbreitung liberaler und nationaler Ideen zur Aufgabe gemacht hatte, brachte zahlreiche erklärte Gegner Napoleons miteinander in Verbindung. Besonders wirksam für die Verbreitung patriotischen Gedankengutes wurde die von Berlin ausgehende Turnbewegung, an deren Spitze Friedrich Ludwig Jahn stand. Aus der Turnbewegung ging der »Deutsche Bund« (1810) mit Sitz in Berlin hervor, der Zweigvereine in vielen Städten besaß und die antinapoleonischen Kräfte sammelte.


Universität                                 

Im April 1809 brach der Major Ferdinand von Schill mit seinem Regiment von Berlin aus auf, um in Norddeutschland und den Rheinbundstaaten auf eigene Faust einen Aufstand gegen die französische Macht zu entfachen. Seine Tat sollte ein Signal geben. Ein geheimes Insurrektionskomitee in Berlin unter dem preußischen Stadtkommandanten Graf Chasot bemühte sich, der antinapoleonischen Bewegung in der Stadt ein Zentrum zu sein.

Der preußische König verließ im Januar 1813 Berlin und ging nach Breslau. Auf Drängen der Patrioten veröffentlichte er am 17. März den Aufruf »An mein Volk«, in dem er eine Verfassung versprach und zum Kampf gegen Napoleon aufforderte. Die in Berlin in den Monaten Januar/Februar vorhandene Unruhe legte sich, als am 20. Februar eine Kosakenpatrouille das Königstor erreichte und die französische Garnison alarmiert werden mußte.

Ihr Erscheinen galt als allgemeines Signal zur kommenden Befreiung. Wenn auch ein allgemeiner Aufstand ausblieb — in Berlin gab es dafür keine Führungskräfte —‚ so gingen Teile der Bevölkerung doch gegen die Franzosen vor — zum Beispiel wurden am Mühlendamm zwei Kanonen von patriotischen Kräften vernagelt und eine weitere in der Spree versenkt —‚ oder es wurden versprengte Kosaken versteckt. Mit Opferbereitschaft unterstützten die Bürger den Kampf. Ein Berliner Fabrikant rief dazu auf, Goldringe und Schmuck gegen Gleichartiges aus Eisenkunstguß aus der Berliner Eisengießerei mit dem Wahlspruch »Gold gab ich für Eisen« zu tauschen.

Der französische Kommandant von Berlin, Marschall Augereau, befürchtete angesichts der allgemeinen Kriegslage und der antifranzösischen Haltung der Berliner, in schwere Bedrängnis zu kommen, und befahl in der Nacht vom 3. auf den 4. April den Abmarsch der französischen Truppen. Während ihre Nachhut am 4. April morgens Berlin durch das Hallesche Tor verließ, marschierten russische Truppen durch das Oranienburger Tor nach Berlin hinein. Sie wurden stürmisch und begeistert von der Bevölkerung als Befreier von der verhaßten Fremdherrschaft begrüßt.


     Granitschale im Lustgarten

Die preußische Regierung, vor allem die Kreise um Peter Christian Wilhelm Beuth, war bemüht, die Industrialisierung voranzutreiben. Es fehlte an leistungsfähigen Dampfmaschinen; nur zwei waren in ganz Preußen außerhalb des Bergbaus im Einsatz. Der Import aus England war auf Dauer zu teuer. Die Bemühungen zur Ansiedlung der Industrie in Berlin wurden forciert, und die Behörden suchten Ausländer dazu zu bewegen, mit Unterstützung des Staates Fabriken zu errichten. Zwei Engländer, die Gebrüder James und John Cockerill, die in Lüttich eine Maschinenbauanstalt unterhielten, kamen auf Wunsch von Beuth nach Berlin. 

Sie richteten nach englischem Vorbild im Jahre 1815 eine Fabrik für Werkzeugmaschinen in der Neuen Friedrichstraße 26-28 ein. 1815 baute die Königliche Eisengießerei die erste Dampflokomotive des Kontinents, die 1816 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Im Jahre 1815 gründete Georg Christian Freund in der Mauerstraße 34 eine Spezialfabrik zum Bau von Dampfmaschinen, die bereits 1816 ihre erste vollfunktionsfähige Maschine ablieferte, die bis 1902 in Betrieb war.

1820 gab es in den unterschiedlichen Produktionsstätten Berlins insgesamt acht Dampfmaschinen, die Maschinen antrieben. In anderen Betrieben erfolgte der Antrieb noch durch Nutzung der Naturkräfte — so in der Königlichen Eisengießerei durch das Wasser der Panke oder durch Zugtiere. Auch 1830 konnte von einem massenweisen Einsatz von Dampfmaschinen noch nicht die Rede sein; die Zahl der eingesetzten Dampfmaschinen hatte sich auf 23 mit einer Maschinenleistung von 221,5 PS erhöht. 22 von ihnen stammten aus den Berliner Maschinenbauanstalten der Gebrüder Cockerill (11), von Freund (9) und von Franz Anton Egells (2). Letzterem kam eine gewisse Bedeutung zu, da er als der typische Vertreter der ersten Berliner Unternehmergeneration bezeichnet werden kann. Er erregte durch seine technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten Aufsehen und wurde von Beuth ausgewählt, um sich zu qualifizieren. 1821 gründete Egells - ebenfalls mit Hilfe von Beuth - eine kleine Eisengießerei und Maschinenbauanstalt in der Mühlenstraße 59/60, die er 1825 vor das Oranienburger Tor verlegte.

Beuth hatte 1821 den Verein für die Förderung des Gewerbefleißes initiiert, der alle Bemühungen zur Industrialisierung zusammenfaßte und vorantrieb. 1822 veranstaltete die Technische Deputation für Gewerbe gemeinsam mit dem Verein die erste Gewerbeausstellung Berlins im Zeughaus, die einen recht guten Einblick in den erreichten Stand bot. Der gebotene Überblick zeigte vor allem jene Bereiche auf, die zurückgeblieben waren. In der Folge kaufte Beuth — oft unter abenteuerlichen Bedingungen — englische Maschinen, ließ sie auseinandernehmen und nachbauen. Nach und nach entwickelten sich daraus die Anfänge der Berliner eisenverarbeitenden und der Maschinenbauindustrie, die nach 1830 ihren ersten Aufschwung nahm. Zugleich vollzog sich im großen Stil der Übergang von der Manufaktur zum Industriebetrieb. Die Stadt Berlin entwickelte sich in einem immer schnelleren Maße.

 Die auf dem Lande überflüssig gewordene Bevölkerung wanderte in die Stadt ab. Die Folge war auch ein Bevölkerungszuwachs für Berlin. Betrug die Einwohnerzahl der Stadt im Jahre 1815 191.500 Personen, so stieg sie bis zum Jahre 1831 auf 230.000. In den folgenden Jahren beschleunigte sich dieser Prozeß immer mehr. Neue Wohngebiete wurden mit der Anlage der Luisenstraße (1827) im Norden geschaffen. Im Süden begann die Bebauung des Köpenicker Feldes (seit 1802 Luisenstadt). Langsam schob sich die Stadt nach Osten. Auch an anderen Stellen ging die Bebauung über die alte Akzisemauer hinaus auf bis dahin ausschließlich landwirtschaftlich genutztes Territorium.


Blick vom Kreuzberg auf Berlin          

Die Separation begann 1817 auf dem seit Anfang des 18. Jahrhunderts bereits zu Berlin gehörenden Köpenicker Feld und löste bis 1847 die Berliner Feldmark im Nordosten der Stadt auf. Hütungsrechte, Verpflichtungen über Abgaben in Naturalien, der Flurzwang usw. wurden beseitigt und Grundbesitz geschaffen, den der Besitzer veräußern konnte, wann und an wen er wollte.

Die Zusammenballung von Menschen in der Stadt und die industrielle Entwicklung machten es dringend erforderlich, einen Bebauungsplan für Berlin aufzustellen, der die Richtungen und Schwerpunkte der weiteren Ausdehnung, die Anlage von Straßen und Plätzen usw. zum Gegenstand haben mußte. Die Arbeiten an ihm begannen 1809, aber erst 1821 lag der Entwurf einer Bauordnung als Voraussetzung für die weitere Planung vor. Verabschiedung und Inkraftsetzung zogen sich bis zum Jahre 1853 hin. Erst 1827, nach restloser Bebauung freier Grundstücke innerhalb der Stadt, begann eine Planungsarbeit für das Gelände vor der Stadt, die der Königliche Oberbaurat Johann Carl Ludwig Schmid von der Königlichen Oberbaudeputation leitete. An ihr war der Magistrat nicht beteiligt.

1832 begannen die Feldmesser mit der Arbeit und legten Fluchtlinien für die anzulegenden Straßen fest. Ihre Tätigkeit beschränkte sich auf einen kleinen Teil des Geländes unmittelbar an der alten Stadtgrenze. Die Planung hatte keinen Ansatz einer übergreifenden, großzügigen Idee, sondern setzte lediglich das alte Straßennetz in die Außenbezirke fort. Die Verkehrswege der sich ständig vergrößernden Stadt wurden nicht neu geordnet.

Partielle Verbesserungen betrafen die Bequemlichkeit vor allem der Begüterten. Dazu zählte die Straßenpflasterung, die 1824 von den Besitzern des Weinlokals Lutter & Wegner an der Ecke Charlotten-/Französische Straße begonnen wurde. Die Hausbesitzer sollten auf ihre Kosten die Gehsteige vor ihren Grundstücken pflastern, später trug die Deputation für Hundesteuer die Lasten, so daß nur immer stückweise die Pflasterung vorankam. 1827 nahm die Stadtpost mit zwei Postämtern und 60 Annahmestellen ihre Tätigkeit auf.


         Altes Museum

Die Hoffnungen, die an die Städteordnung geknüpft waren, hatten sich noch nicht erfüllt, das städtische kommunale Leben entwickelte sich nur sehr langsam. Als Ausdruck dafür mag gelten, daß die Stadtverordnetenversammlung, das wichtigste und höchste Organ kommunaler Selbstverantwortung, bis zum Jahre 1869 keine ihr angemessene Heimstatt hatte. Zunächst tagte sie in dem späteren Universitätsgebäude, dann in einer Wohnung in der Kurstraße 50, der eine andere in der Niederlagstraße 7 folgte. 1814 fand die Versammlung eine neue Zuflucht im alten Börsengebäude am Lustgarten, und erst ab 1. Oktober 1822 konnte sie in einem städtischen Gebäude unzulänglich untergebracht werden. Hier — im alten Cöllnischen Rathaus — verblieb sie bis zum Umzug in das Rote Rathaus.

Beginnend in den Jahren nach 1815 vollzog sich — wenn zunächst auch noch langsam — ein Umbau der Stadt, in dessen Ergebnis Berlin zu einer europäischen Großstadt wurde. Hier ist vor allem auf den genialen Architekten Karl Friedrich Schinkel zu verweisen, dessen Plan der Stadtgestaltung und dessen Bauten, wie die Neue Wache 1818, das Schauspielhaus 1821, die Schloßbrücke 1824, das Alte Museum 1830 und die Bauakademie 1836, das Stadtbild Berlins wesentlich mitbestimmten. Nach seinen Richtlinien begann der Ausbau der Stadt in ihrem Zentrum.

In den zwanziger und dreißiger Jahren wurden die Wissenschaften zu einem festen Bestandteil des geistig-kulturellen Lebens in Berlin. Dabei war die Universität der Mittelpunkt, und die anderen vorhandenen und entstehenden Einrichtungen gruppierten sich um sie. Die Universität bildete sich zu einem Bildungs- und Forschungszentrum von europäischem Rang aus. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel erhielt 1818 den Lehrstuhl für Philosophie.

Aus dem Entwicklungsstand der Industrie ergab sich das Streben staatlicher und kommunaler Organe, den Bildungsstand der Handwerker und Gewerbetreibenden auf das fortgeschrittenste Niveau der Naturwissenschaften zu heben. Der Aufbau eines technischen Schulwesens war eine Forderung der Zeit, der die Gründung der Technischen Schule 1819, der Königlichen Gartenbauanstalt 1823 und des Gewerbe-Institutes 1826 (seit 1866 Gewerbeakademie) entsprachen. 1879 vereinigten die Behörden die Gewerbeakademie mit der Bauakademie zum Polytechnikum, aus dem die Technische Hochschule in Charlottenburg hervorging. Neu entstand 1831 die Universitätsbibliothek zu Berlin, da die Königliche Bibliothek allein den Andrang nach wissenschaftlicher Literatur nicht befriedigen konnte.

Die bereits 1797 einsetzenden Bemühungen, aus den königlichen Kunstsammlungen ein öffentliches Museum in Berlin zu bilden, erhielten durch die Reformbewegung neuen Auftrieb. So begann 1820 eine Kommission, durch Ankäufe und Auswahl aus den Königlichen Schlössern Kunstwerke für ein Museum zusammenzutragen, das 1830 in dem von Schinkel fertiggestellten Museumsbau am Lustgarten eröffnet wurde.

Das Berlin dieser Jahre trug trotz aller biedermeierlichen Beschaulichkeit nach außen nicht den Charakter einer Idylle. Die großen Paraden, Einweihungsfeiern und Feste konnten nicht den jämmerlichen Zustand der Stadt verdecken. Die allgemeinen Lebensbedingungen und die Hygiene blieben unverändert schlecht. Es gab keine öffentliche Wasserversorgung, keine Entsorgung, die Straßen waren in einem beklagenswerten Zustand voller Schmutz und Kot. Die Bebauung war eng, die Häuser mit Menschen überbelegt. Krankheiten griffen um sich, so mehrfach die Cholera, an der in Berlin im Jahre 1831 2274 Menschen erkrankten.


Maschinenbauanstalt Borsig        

Der seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auftretende Brennstoffmangel in Berlin offenbarte das Problem: entweder Torf und Holz - mit niedrigem Heizwert - aus der näheren Umgebung zu verwenden oder Steinkohle, deren Antransport hohe Kosten verursachte. Die grundsätzliche Entscheidung für die Steinkohle, die in diesen Jahren fiel, förderte zugleich die Industrie, die damit für die Antriebsmaschine den richtigen Brennstoff erhielt.

Aus dem Bedürfnis der Textilfabrikanten nach Maschinen und nach modernen Antriebsmitteln entwickelte sich die Berliner Maschinenbauindustrie aus kleinen Anfängen. Es formten sich Anstalten, die für die speziellen Bedürfnisse ihrer Abnehmer fertigten. In Berlin fand die Dampfmaschine über die Textilproduktion hinaus Eingang in neue Bereiche, zum Beispiel für die maschinelle Herstellung der Zeitungen und Bücher im Verlag Haude & Spener. Zunehmend konnte die einfache Warenproduktion zuriickgedrängt werden. Die wenigen überlieferten statistischen Werte belegen diesen Prozeß. 1837 arbeiteten im Durchschnitt 24 Arbeitskräfte je Maschinenbaubetrieb, 1846 waren es bereits 78.

Im Stadtgebiet und in unmittelbarer Nähe entstanden Industriegebiete. Die Maschinenbauindustrie fand günstige Ansiedlungsmöglichkeiten am Stadtrand vor dem Oranienburger Tor. Die Gegend erhielt im Volksmund wegen der vielen Fabrikschlote die Bezeichnung »Feuerland«. Die neuen Kattunfabriken und -bleichen fanden ihren Standort in der Köpenicker Straße. 1848 gründete Hermann Gerson ein Kaufhaus am Werderschen Markt, das erste in einer langen Kette derartiger Spezialeinrichtungen, die an die Stelle der Märkte und kleinen Läden traten.

In den dreißiger und vierziger Jahren fanden der Instrumenten- und Apparatebau, die chemische Industrie, die Lampenfabrikation usw. eine Heimstatt in Berlin. Eine Besonderheit der Berliner Industrie nahm ihren Anfang: die Verarbeitung von Halbfabrikaten zu Endprodukten. Neue Gewerbezweige setzten sich zunehmend in Berlin durch, und es entwickelte sich die typische Struktur der Wirtschaft: Maschinenbau, chemische Industrie und Bekleidungsindustrie. 


     Potsdamer Bahnhof

Im Eisenbahnbau sahen die Fabrikanten ebenso wie die Kaufleute eine der großen Möglichkeiten, in bisher nicht gekanntem Maße den Absatz ihrer Produkte zu steigern und den Handel noch stärker nach Berlin zu ziehen. Im Juni 1835 wandte sich die Corporation der Kaufmannschaft Berlins an die preußische Regierung mit dein nachdrücklichen Wunsch, dem Gedanken des Eisenbahnbaus von Berlin aus näher zu treten und die Finanzierung von Staats wegen zu übernehmen, da Berlin sonst Provinzstadt werde. 1836 folgten zahlreiche Denkschriften über den Bau von Eisenbahnen von Berlin aus, die sich an Kapitalgeber wandten. Bereits diese Denkschriften sowie die ersten Aktivitäten wirkten stimulierend auf das Tempo der Industrialisierung. Neue Unternehmungen entstanden, so die von August Borsig, deren Eigentümer sich von dem zu erwartenden Eisenbahnbau Absatz für ihre Produkte versprachen.

Mit in Amerika nach englischem Vorbild gebauten Lokomotiven begann 1838 der Eisenbahnverkehr zwischen Berlin und Potsdam. 1841 folgte die Betriebsaufnahme zwischen Berlin und Dessau durch die Anhaltinische Bahn. 1842 eröffnete die Berlin-Frankfurter Eisenbahn den Verkehr nach Frankfurt (Oder), es folgten 1842/1843 die Stettiner Eisenbahn, 1846 die Hamburger Bahn. Im gleichen Jahr wurden die Strecken von Potsdam nach Magdeburg, von Frankfurt (Oder) nach Breslau sowie von Dessau nach Bitterfeld und Halle verlängert. 1848 kam die erste Etappe der Eisenbahnentwicklung mit der Eröffnung der Dresdener Bahn über Elsterwerda zu einem gewissen Abschluß. Parallel dazu erfolgte der Ausbau des Wasserstraßennetzes, so daß sich Berlin als zentraler Knotenpunkt des Verkehrs in Preußen weiter ausbildete.

Für den Bau der Berlin—Potsdamer Eisenbahn bezog man fast das gesamte Material noch aus dem Ausland. Nur kleinere Aufträge gingen an Berliner Betriebe, so die Herstellung von Schrauben an die 1837 entstandene kleine Gießerei und Maschinenbauanstalt von August Borsig.

Die Pflege und Wartung der Lokomotiven übernahm die Maschinenbauanstalt von Egells. Das Potential an Betrieben und an technischen Fertigkeiten reichte aus, daß die in Berlin ansässige eisenverarbeitende Industrie Schritt für Schritt in das Eisenbahngeschäft einsteigen und die Fähigkeit ausprägen konnte, um Lokomotiven, Eisenbahnwaggons und benötigtes Sicherungsmaterial weiterzuentwickeln. Der ehemalige Privatdozent für Geschichte der Berliner Universität Dr. Ludwig Kufahl errichtete Ende der dreißiger Jahre eine kleine Maschinenfabrik, in der er mit dem Nachbau und der Weiterentwicklung von Lokomotiven begann. Im Herbst 1840 war eine erste fertig, die am 3. Dezember 1840 von der Berlin—Potsdamer Eisenbahn angekauft wurde. Egells wollte gleichfalls Lokomotiven bauen, scheiterte aber an der Konkurrenz seines ehemaligen Mitarbeiters August Borsig, der sich nun — wiederum durch Förderung Beuths — ebenfalls dem Lokomotivbau widmete. Seine 1. Lokomotive trat am 24.Juni 1841 in den Dienst, die 26. folgte bereits 1844. Die Fähigkeit zum Nachbau war erwiesen, technische Verbesserungen waren möglich geworden. Die Hofkutschenlieferanten Pflug & Zoller übernahmen den Bau von Eisenbahnwaggons.

Mit dem Fortgang der industriellen Revolution wuchs die Bevölkerung der Stadt enorm. Sie vergrößerte sich von 230.000 Einwohnern im Jahre 1830 auf 403.586 im Jahre 1847, also um etwa 75 Prozent. Die Rechtsverhältnisse der Stadt hielten mit der industriellen Entwicklung nicht Schritt. 

1831 trat eine neue Städteordnung in Kraft, die die Leitung der städtischen Angelegenheiten von der Stadtverordnetenversammlung dem Magistrat zuschob. Ein Regulativ aus dem Jahre 1834 veränderte die Stellung des Oberbürgermeisters im Magistrat. Er wurde Dienstvorgesetzter mit allen disziplinarischen Befugnissen gegenüber dem Magistrat. An die Stelle der Steinschen Städteordnung, die eine freiwillige Mitarbeit ehrenamtlicher Kräfte forderte, trat eine bürokratisch organisierte, von Beamten wahrgenommene und strenger Staatskontrolle unterstehende Kommunalverwaltung.


Altes Berliner Rathaus                  

Dieser mehr als unbefriedigende Zustand war typisch auch für andere kommunale Bereiche. Die Zusammenballung von fast 400 000 Menschen auf engstem Raum in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts führte zu einer Verschlechterung der ohnehin üblen hygienischen Verhältnisse, und nicht nur auf diesem Gebiet trug die Stadt noch bis weit in die sechziger Jahre hinein provinziellen Charakter. Die Versorgung Berlins mit Lebensmitteln vollzog sich überwiegend auf den Märkten, auf denen die Bauern und Gärtner der Umgebung ihre Produkte feilboten. 

Mit Wasser wurde die Stadt nach wie vor über die öffentlichen und privaten Brunnen versorgt, eine Kontrolle der Reinheit und Qualität des Wassers fand nicht statt Der größte Skandal war die Behandlung der Abwässer und die Fäkalienbeseitigung, die mittelalterlich geprägt blieb. Seuchen und Krankheiten waren bei diesen Zuständen angesichts der großen Zahl dichtgedrängt lebender Menschen die Folge.

Der Zustand der Straßen blieb schlecht. Der Staat tat nichts zum Ausbau der Straßen, wenn auch die Hausbesitzer zur Unterhaltung der Gehwege verpflichtet wurden. In Rinnsteinen floß träge der Straßenkot in die Spree. Insbesondere bei Regenwetter und bei Nacht war die Benutzung der Straßen ein Wagnis, das oftmals mit einem Schlammbad in den Rinnsteinen endete. Es war schon ein großer Fortschritt, als am 1 .Januar 1837 die neuangelegten Straßen innerhalb der Ringmauer in städtisches Eigentum übergingen, konnten doch wenigstens in diesen Stadtbereichen partielle Verbesserungen vorgenommen werden.

Die Bestimmungen über die Straßenbeleuchtung stammten ebenfalls noch aus dem 17.Jahrhundert. Öllaternen beleuchteten die Stadt. Seit Anfang der zwanziger Jahre wurden sie nach und nach durch die modernere Gasbeleuchtung abgelöst. Aber hier wurde die Kommune ebenfalls nicht befragt. Das Innenministerium schloß im Jahre 1826 über die Köpfe von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung hinweg einen Monopolvertrag mit einer englischen Firma, der Imperial Continental Gas Association, zur Herstellung von Gas und zur Belieferung der Stadt bis zum 1 .Januar 1847. Weil diese Gesellschaft ihr Monopol rücksichtslos ausnutzte und Verpflichtungen nicht erfüllte, erhielt die Stadt die Genehmigung zur Errichtung eines kommunalen Gaswerkes und konnte seit 1847 eine eigene Gasversorgung aufbauen.


            Singakademie

Das Berliner Musikleben erhielt durch die Uraufführung der Oper »Der Freischütz« von Carl Maria von Weber am 19. November 1821 einen großen Impuls. Das Niveau der Haus- und Liebhabermusik, das bereits 1791 zur Einrichtung einer »Singakademie« unter der Leitung von Carl Friedrich Fasch geführt hatte, festigte sich unter seinem Nachfolger, dem Maurermeister und Freund Goethes Carl Friedrich Zelter. Zelters Schüler, Felix Mendelssohn Bartholdy, setzte 1829 die Wiederaufführung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach durch, was eine intensive Bach- und Händelpflege einleitete.

Für die Architekten war der Wohnungsbau dieser Jahre ein lohnendes Objekt, zumal das öffentliche Bauen in den Hintergrund trat. Im Wohnungsbau setzte sich das vierstöckige Haus durch, dessen Fassade noch unter dem Einfluß der Schinkel-Schule sparsam mit antikem Dekor versehen wurde. Als neue Auftraggeber traten die Fabrikbesitzer in Erscheinung. Der für Architekten und Baumeister interessanteste öffentliche Bauauftrag war die Planung für einen neuen evangelischen Dom in Berlin. Der alte Dom galt trotz des Umbaus durch Schinkel als überholt und häßlich, und der König wollte in einem Neubau die gewonnene Macht Preußens und des Hauses Hohenzollern auch nach außen zum Ausdruck bringen. Nach langen Diskussionen und Beratungen entschied sich der König für das Projekt von Friedrich August Stüler mit einer inneren Gestaltung durch den Maler Peter von Cornelius. Die Ausführung des Baus begann 1845, kam aber nach der Revolution von 1848 zum Erliegen.

Die Not und die Armut im Berlin dieser Jahre waren groß. Bettina von Arnim veröffentlichte 1843 in der Schrift »Dies Buch gehört dem König« Materialien zu den Lebensumständen der Berliner Stadtarmut.

 
 
Vormärz und Revolution

Mit dem Thronwechsel 1840 hatte man große Hoffnungen in Friedrich Wilhelm IV. gesetzt, von dem man annahm, er würde eine liberalere Grundhaltung als sein Vater an den Tag legen und sich für die Einlösung von dessen Verfassungsversprechen einsetzen. Die Zensur wurde gemildert, der verhasste Justizminister und »Demagogen«-Verfolger von Kamptz seines Amtes enthoben und im Zuge einer vom König verfügten Amnestie erhielt Ernst Moritz Arndt sein Lehramt zurück, Fritz Reuter wurde aus der Haft und Turnvater Jahn aus der Polizeiaufsicht entlassen. Letzterem verlieh man sogar noch nachträglich das Eiserne Kreuz in Würdigung seiner patriotischen Verdienste.

Die anfängliche Begeisterung mit der man den Regierungswechsel begrüßt hatte, wich der Ernüchterung und wandelte sich schließlich in Enttäuschung, als sich zeigte, dass Friedrich Wilhelm nicht der Mann war, Reformen einzuleiten. So dachte er keinesfalls daran, dem Staat eine Verfassung zu geben.

Der Verfassungsstreit, die »Kartoffelrevolution», wie der Protest gegen die prekäre Versorgungslage genannt wurde, der Kattundrucker-Streik des Jahres 1847 waren erste revolutionäre Anzeichen. Es genügte ein Funke, um das Pulverfaß angestauter Konflikte zur Explosion zu bringen. Anfang 1848 kam es überall in der Stadt zu spontanen Versammlungen, bei denen die Teilnehmer Proteste gegen die herrschenden Mißstände artikulierten. In den ersten Märztagen trafen sich »In den Zelten» im Tiergarten zahlreiche Unzufriedene, Bürger und Arbeiter, die offen über die Zustände diskutierten und sich fragten, ob es nicht vielleicht doch gelingen könnte, den König von der Notwendigkeit politischer und sozialer Reformen zu überzeugen.


Schusterwohnung             

Am 17. März beschloß eine Volksversammlung, dem König eine Liste mit Forderungen zu übergeben, die von der Zurückziehung des Militärs, über die Gewährung der Pressefreiheit, die Einberufung des Landtags bis hin zur Gründung einer bewaffneten Bürgerwehr reichten. Der König äußerte sich nicht generell ablehnend, sondern zeigte sich willens, auf einige der Forderungen einzugehen. Als aber am 18. März die vor dem Schloß versammelte Menge Soldaten erblickte und plötzlich zwei Schüsse fielen, waren die Massen nicht mehr zu halten. In verschiedenen Stadtteilen wurden Barrikaden errichtet und es kam zu heftigen Straßenkämpfen, bei denen mehr als 200 Gefallene zu beklagen waren.

Der berühmt gewordene Aufruf des Königs »An meine lieben Berliner«, die Barrikaden zu räumen, verhallte ungehört. In den Mittagsstunden des 19. März erhielt das Militär den Befehl zum Rückzug. Der König, der den auf dem Schloßhof aufgebahrten »Märzgefallenen« die letzte Ehre erwies, genehmigte die Aufstellung einer bewaffneten Bürgerwehr, Presse und Versammlungsfreiheit. Am 20. März war die Stadt voller schwarz-rot-goldener Fahnen und Kokarden. Die Revolution schien auf der ganzen Linie gesiegt zu haben.

Die demokratischen Kräfte waren bemüht, die Bevölkerung mittels Zeitungen, Zeitschriften und Flugblättern zu dem Zweck zu mobilisieren, die «Früchte der Revolution« zu sichern. In Vereinen wie dem »Demokratischen Klub«, dem »Republikanischen Klub» oder dem »Konstitutionellen Klub» diskutierte man darüber, ob es gelingen könnte, den Staat künftig anders zu organisieren und die bestehenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Immer wieder gab es Aufläufe und Gewaltakte. Als es am 14. Juni zum Sturm auf das Zeughaus kam, kippte die öffentliche Meinung. Angst vor um sich greifender Anarchie machte sich breit. 


       Barrikade in Berlin

Der König reagierte mit ungewohnt schroffen Worten: »Was not tut, ist die Zähmung Berlins.» Die radikale Linke und das gemäßigte Bürgertum konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen. Als die Radikalen in der preußischen Nationalversammlung im September des Revolutionsjahres die Abschaffung des Adels, das Verbot aller Orden und die Streichung des Zusatzes »von Gottes Gnaden» im Königstitel beschlossen, ging das den konservativ Gesinnten zu weit. Unter dem Eindruck der zunehmend revolutionärer werdenden Ereignisse verfügte der neu ernannte Ministerpräsident Graf Brandenburg die Verlegung der Nationalversammlung in die Stadt Brandenburg und ordnete den Einmarsch der Truppen nach Berlin sowie die Auflösung der Bürgerwehr und die Verhängung des Belagerungszustandes an.

Als am 5. Dezember 1848 das Parlament aufgelöst wurde, empfanden kritischere Geister das als einen Akt, der einem Staatsstreich gleichkam. Daran änderte auch nichts, daß der König noch am gleichen Tag eine Verfassung oktroyierte, durch die Preußen zu einer konstitutionellen Monarchie wurde. Das zunächst zum Erstaunen der Bevölkerung gewährte allgemeine und gleiche Wahlrecht wurde jedoch bereits am 30. Mai 1849 durch das so genannte Dreiklassenwahlrecht ersetzt. Dieses Wahlrecht, dass das wohlhabende Bürgertum und den besitzenden Adel begünstigte, sollte bis in den November 1918 hinein gelten.

Berlin bis zur Reichsgründung

Die konservative Wende von 1850 brachte nicht nur Männer wie den Gerichtspräsidenten Ernst Ludwig von Gerlach und Hermann Wagener, den Chefredakteur der »Kreuzzeitung», wie die »Neue Preußische Zeitung« genannt wurde, in Schlüsselstellungen, sondern war auch verknüpft mit der Einführung einer neuen Kommunalverfassung, in der das Selbstverwaltungsprinzip erhalten blieb, aber die Machtbefugnisse stärker auf die Exekutive verlagert wurden. Zwar sah die Kommunalverfassung vor, daß der Bürgermeister durch den Gemeinderat gewählt wurde. Die Bestätigung der Wahl lag nach wie vor bei der Krone, was deutlich macht, wie misstrauisch König und die ihn beratende »Kamarilla« dem Selbstverwaltungsprinzip gegenüberstanden.

Die mehrheitlich konservativ eingestellten Stadtverordneten wählten den früheren Oberbürgermeister Heinrich Wilhelm Krausnick, der durch die Märzrevolution aus dem Amt gedrängt worden war, sich jetzt aber wieder zur Verfügung stellte. Die Konservativen empfanden das als Sieg und jubelten, dass die Stadt nunmehr vom Liberalismus »befreit» sei.

Die eigentliche Macht lag in den fünfziger Jahren interessanterweise nicht beim wiedergewählten Bürgermeister, sondern beim Polizeipräsidenten, der mit einer ganzen Reihe von Kompetenzen ausgestattet war. In der Amtszeit Carl Ludwig von Hinckeldeys, der 1856 in einem Pistolenduell ums Leben kam, wurde die Berliner Polizei ausgebaut und ein perfekt funktionierendes Überwachungssystem geschaffen, das mittels Spitzeln und Agenten, Hausdurchsuchungen, Konfiszierungen privater Briefe und ähnlicher Maßnahmen dazu diente, die Bevölkerung zu kontrollieren und demokratische Regungen schon im Ansatz zu unterbinden.

Die Jahre der Reaktion, geprägt durch das System Hinckeldey, waren jedoch nicht nur Jahre der Unterdrückung, sondern auch eine Phase fortschreitender Stadtentwicklung. Manches wendete sich zum Besseren. So setzten sich in der Stadthygiene eine Reihe von Neuerungen durch. Angeordnet wurden zum Beispiel regelmäßige Rinnsteinspülungen und der Bau erster Wasserleitungen. Das am Stralauer Tor 1853 eröffnete Wasserwerk sicherte der Stadt einen Teil seiner benötigten Wasserlieferungen und die »Berlin Waterworks Comp.» lieferte zur Freude der Berliner Kundschaft ab 1856 vorgeklärtes und gereinigtes Spreewasser. 


Wasserwerk vor dem Stralauer Tor      

Die von Hinckeldey ins Leben gerufene Berufsfeuerwehr entwickelte sich derart mustergültig, daß Fachleute selbst aus dem Ausland kamen, um ihre Einrichtungen zu studieren. Das durch die Ablösesummen der Bauern zunächst bei den Großgrundbesitzern aufgehäufte bare Geld, der profitable Handel mit Versorgungsgütern sowie die Entwicklung der eisenverarbeitenden Industrie Berlins stimulierten die weitere Entwicklung der Berliner Wirtschaft. Nach der 1851 von Hansemann begründeten Kreditgesellschaft und der 1856 aus ihr hervorgegangenen Disconto-Kommanditgesellschaft entstanden in rascher Folge neue Banken, wie die Berliner Handelsgesellschaft, die Preußische Handelsgesellschaft, der Berliner Bankverein, der Schlesische Bankverein. Der »Sieg des Talers über den Gulden« — wie man in Bankkreisen die Verschiebung der Schwerpunkte des Geldverkehrs nannte —veränderte in den sechziger Jahren mit einem Schlage die Stellung des Bankplatzes Berlin.

Die Blüte der Maschinen- und Metallwarenindustrie begann. Die Fabriken in Berlin konnten in den fünfziger Jahren ihre Produktion verdoppeln und in den sechziger Jahren nochmals verdreifachen. Heraus ragten der Lokomotivbau und die Fertigung von Eisenbahnbedarf wie Waggons, Sicherungs- und Beleuchtungstechnik. Neu zu der Produktion von Dampfmaschinen und Maschinen für die Textilindustrie kam die Herstellung landwirtschaftlicher Geräte und die Beleuchtungsindustrie. Die Zahl der Arbeitskräfte in der Berliner Maschinenbau- und Metallwarenindustrie vergrößerte sich von~ 5.673 im Jahre 1856 auf 9.131 im Jahre 1871. Führend waren die Firmen Borsig, Wöhlert, Hoppe, Schwartzkopff, Pintsch, Egells und andere.

In der Berliner Industrie vollzogen sich neue Entwicklungen. Werner Siemens (1888 geadelt) baute in Berlin eine völlig neue Industrie auf, die die Stadt nach und nach zu einem Zentrum der elektrotechnischen Industrie werden ließ. Es begann mit den Bau von Telegrafenlinien, die von Siemens & Halske nicht nur in Deutschland errichtet wurden. Die wissenschaftlich-technischen Grundlagen für die Anwendung der Elektroenergie wurden in der Stadt gelegt.


       Am Krögel (nähe Molkenmarkt)

Das Berliner Stadtbild und die Wohnverhältnisse der Bevölkerung veränderten sich durch die von Hinckeldey erlassene Bauordnung von 1853. Am Ende der fünfziger Jahre und verstärkt in den sechziger Jahren orientierten sich alle Überlegungen für notwendige Veränderungen immer stärker an ingenieurwissenschaftlichen Stadttechniken, mit deren Hilfe eine Beseitigung der sozialen Mißstände einer Großstadt und eine neue städtische Ordnung erreicht werden sollten. Dabei wurden nur immer einzelne Aspekte des Städtebaus berührt und die Zusammenfassung der Detailprobleme zu einem Ganzen dem Zufall überlassen. Ein typisches Beispiel dafür bot der Bebauungsplan für Berlin, der 1862 in gedruckter Form vorgelegt wurde. 

Seit 1859 hatte der Feldmesser und Baumeister James Hobrecht an ihm gearbeitet. Der Plan sah einen Wechsel zwischen geräumigen langen Straßen und zahlreichen Plätzen vor; die Plätze konnten als Märkte dienen oder durch ihre besondere Architektur Abwechslung bieten.

Hobrechts Idee war es, zwischen den Straßen Wohnquartiere von jeweils etwa 50000 Quadratmetern zu bilden. Zusammen mit der von ihm eingeplanten Kanalisation sah das Schema fast gleich große Rechtecke zur Bebauung vor. Schwierig war die Anbindung an schon bebaute Gegenden und an die bestehenden Chausseen. Hobrechts Plan muß als gelungen angesehen werden. Er war ein Fluchtlinienplan, der sich an entsprechenden Vorbildern aus England orientierte. 

In den sechziger Jahren entstanden vier bis sechsgeschossigen Mietskasernen, Wohnblöcke von 120 bis 150 Metern Frontbreite und 75 Meter Tiefe, Gebäude also mit Kellerwohnungen, Hinterhäusern, Seitenflügeln und Hinterhöfen. Unter dieser Wohnungsbauentwicklung, die als eine der fatalsten Fehlentscheidungen der Berliner Kommunalpolitik bezeichnet worden ist, hatten noch die nachfolgenden Generationen zu leiden.

Die Linden, die Friedrichstraße, die Leipziger Straße verloren in den Jahrzehnten nach 1848 ihr biedermeierliches Aussehen. Es entstand ein architektonisches Stildurcheinander. Paläste, pompöse Fassaden und Straßenfluchten, die an Großstädte wie Paris erinnerten, bestimmten neben den Mietskasernen zunehmend das Stadtbild. 1861 wurde mit dem Neubau des Rathauses begonnen. 1863 wurde die Berliner Börse vollendet, 1865 der Grundstein zum Bau der Siegessäule auf dem Königsplatz gelegt. Der Humboldthain und der Treptower Park entstanden. Zwischen 1865 und 1868 wurde nach Friedrich Hitzigs Entwurf die städtische Markthalle am Schiffbauerdamm errichtet. Mit ihren gußeisernen Säulen, die eine Dachverglasung trugen, galt sie als »Verkörperung der neuen Technik-Architektur».

Am 5. September 1866 wurde die liberale Synagoge in der Oranienburger Strasse eingeweiht. Der Bau zählte wegen seiner Pracht, des raffinierten Beleuchtungssystems und der komplizierten Gewölbekonstruktion zu den berühmtesten jüdischen Kultbauten Deutschlands. Der Entwurf stammte von Eduard Knoblauch, Baudurchführung und Ausstattung waren von Friedrich August Stüler übernommen worden.

Der technische Fortschritt ermöglichte die Konzentration, da durch die Eisenbahn Entfernungen in immer kürzerer Zeit durchmessen werden konnten. Und hier gewann Berlin als Zentrum des sich ausbildenden preußischen Eisenbahnnetzes mit dem Charakter eines mitteleuropäischen Knotenpunktes allen bisherigen Zentren gegenüber einen bedeutenden Vorsprung, der weiter ausgebaut werden konnte. Nach einer längeren Pause begann 1867 der Bau neuer Eisenbahnlinien, so über Wittenberg nach Halle und Leipzig, der Görlitzer Bahn, der Ostbahn nach Küstrin, 1871 folgte die Strecke über Stendal nach Hannover. Durch Verbindungen zu den außerpreußischen Eisenbahnnetzen konnte Berlin in den sechziger Jahren noch ausgeprägter an den internationalen Eisenbahnverkehr angeschlossen werden, und die Stadt bildete einen internationalen Verkehrsknotenpunkt erster Ordnung im damals vorherrschenden Ost-West-Verkehr.


Synagoge                    

Begleitet wurde diese verstärkte Einbindung in das Verkehrsnetz durch einen weiter gesteigerten Ausbau der Wasserstraßen. Als Notstandsarbeiten entstanden zwischen 1848 und 1850 der Landwehrkanal und der Luisenstädtische Kanal. 1859 folgte der Spandauer Schiffahrtskanal und der Ausbau großer Hafenanlagen wie des Humboldthafens und des Nordhafens. Die äußerst günstige verkehrsgeographische Lage förderte den Ausbau, und die Stadt wurde zu einem Kreuzungspunkt im europäischen Verkehrsverbund.

Auch der städtische Verkehr begann sich zu verändern. Waren es im Vormärz noch Pferde-Omnibusse, die das Straßenbild bestimmten, war man in den sechziger Jahren bemüht, den Linienverkehr auf die Schiene zu bringen. Ab 1865 fuhr die Pferdebahn von der Dorotheenstraße nach Charlottenburg. Allein auf dieser Linie zählte man 1870 rund eine Million Fahrgäste. Auch die Vororte um Berlin benötigten einen schnellen Anschluß durch ein öffentliches Verkehrsnetz ebenso wie die flächenmäßige Ausdehnung eine innere Kommunikation erforderte. Aus diesem Bedürfnis heraus entstand 1865 der öffentliche Nahverkehr durch die Aufnahme des Pferdebahnbetriebes zwischen Berlin und Charlottenburg, dem bald weitere Linien folgten.

In den fünfziger und sechziger Jahren kam es im Zuge des Industrialisierungsprozesses zu einem ungeahnten Anstieg der Berliner Bevölkerungszahlen. Zählte man noch 1849 412.154, waren es 1871 bereits 825.937 Einwohner. Das bedeutete mehr als eine Verdoppelung der Stadtbevölkerung. Hinzu kam, dass die zunehmende Industrialisierung Auswirkungen auf Beruf, Alltag und Bewußtsein der Menschen hatte. 1871 arbeiteten bereits zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung im industriellen und gewerblichen Sektor, das restliche Drittel war in Dienstleistungsberufen, in Handel und Gewerbe tätig.

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       Berlin 1860

Immer mehr Menschen strömten in die Stadt. Bis in die sechziger Jahre hinein kamen diese Menschenmassen zum größten Teil aus der Mark Brandenburg und den preußischen Ostprovinzen. Ein nicht geringer Teil der nach Berlin Wandernden ließ sich wegen der Wohnungsnot in Berlin in den Vororten nieder, so daß auch diese zunehmend in den Sog der Großstadtentwicklung gerieten. 1858 zählte man in den Orten rechts der Spree (zum Beispiel Lichtenberg, Stralau, Boxhagen/Rummelsburg) bereits 9.000 Einwohner, in den links gelegenen Orten (zum Beispiel Treptow, Rixdorf, Tempelhof, Niederschöneweide) 22.000 Einwohner. Die ehemaligen Dörfer und Gutsbezirke kamen mehr und mehr in den Einzugsbereich der Stadt, zum Teil wurden sie direkt eingemeindet.

Die Stadtfläche war nach der Städteordnung von 1809 erstmals 1841 festgelegt worden. Die damals festgelegte Größe der Stadtfläche betrug 3510 Hektar. 1861 erfolgte eine Vergrößerung, nach der, abgesehen von einigen kleinen Gebietseinbeziehungen im Westen, die Größe der Stadt bis 1920 festgeschrieben wurde, zumal erst 1866 die Akzisemauer niedergelegt wurde. Es wurden zum Stadtgebiet hinzugeschlagen, das Gebiet vor dem Potsdamer Tor, das Gebiet vor dem Halleschen Tor einschließlich des Kreuzberges, ein Teil der Hasenheide, ein Teil der Feldmark von Deutsch-Rixdorf, der Tiergarten (ohne Schloß Bellevue), das Gelände des Zoos, der Exerzierpiatz vör dem Brandenburger Tor, Alt-Moabit, der Wedding sowie kleine Geländestreifen der nördlichen, südlichen und westlichen Gemeinden. Außerhalb blieben Charlottenburg - obwohl zunehmend mit der Stadt zusammengewachsen - sowie alles Gelände im Osten. Insgesamt wurden 2410 Hektar der Stadt zugeschlagen, die damit eine Flächenausdehnung von 5920 Hektar erhielt. Dem äußeren Wachstum der Stadt entsprach eine sprunghafte Zusammenballung der Wohnbevölkerung. Im Durchschnitt nahm die Wohndichte zu. 1850 gab es auf 8725 Grundstücken 79910 Wohnungen, das waren pro Grundstück 9,21 Wohnungen und 47,98 Bewohner. 1870 dagegen bestanden auf 14618 Grundstücken 166144 Wohnungen, das waren pro Grundstück 11,48 Wohnungen und 52,97 Bewohner.

Der Gedanke, den Museen den Charakter einer nationalen Einrichtung zu geben, nahm in den sechziger Jahren Gestalt an Bereits nach den nationalen Unabhängigkeitskriegen gegen Napoleon und in der Zeit der Romantik hatte sich dieses Bestreben als Ausdruck einer bürgerlich-patriotischen Bewegung erstmals artikuliert. Im Ergebnis bürgerlicher Privatinitiativen entstanden in Berlin zwei bedeutende kulturgeschichtliche Sammlungen 1861 vermachte der Kaufmann Wilhelm Wagner seine Sammlung von 262 Werken deutscher und ausländischer Künstler dem preußischen Staat als Grundstock für eine vaterländische Galerie. Aus ihr entstand die Nationalgalerie, für deren in den Jahren 1866/1867 errichteten Neubau der Architekt Friedrich August Stüler die Entwürfe lieferte. 

1867 konstituierte sich der Verein Deutsches Gewerbemuseum Berlin, der ein Museum und eine Unterrichtsanstalt zur Ausbildung des Nachwuchses für die angewandte Kunst initiierte. Aus dem Museum entstand später das Kunstgewerbemuseum. Berlin war auf dem Weg, eine Großstadt wie andere europäische Großstädte zu werden. Wie anderswo auch bestimmten diesen Prozess rücksichtslose Spekulation und Profitmacherei. Soziale Mißstände waren die Folge. Das hatte mancherlei Skandale und Skandälchen zur Folge, konnte aber den immer schneller werdenden Veränderungsprozess nicht aufhalten.


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