preußische Armee
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Das friderizianische HeerIm Jahr 1740 trat die entscheidende Wende in der Geschichte Preußens ein, und mit ihr begann der wichtigste Abschnitt im Werdegang seines Heeres. Jetzt stand an seiner Spitze ein Militärkönig, der ein hervorragender Soldat geworden, dem kein Offizier an Tüchtigkeit und Berufspassion gleichkam. Sofort nach dem Regierungsantritt wurde die von Friedrich Wilhelm I. betriebene Heeresvermehrung fortgesetzt und die Truppenstärke auf fast 90.000 Mann gebracht. Kurz darauf faßte Friedrich II. jenen ganz persönlichen Entschluß zur Eroberung Schlesiens, der die gewaltsame Auseinandersetzung um die österreichische Erbfolge eröffnete und ihn selbst darüber hinaus auf ein kriegerisches Leben von beinahe einem Vierteljahrhundert festlegte. In der ersten Schlacht bei Mollwitz (10. April 1741) bewies die Heeresschule des Alten Dessauers trotz kläglichen Versagens der Kavallerie ihre Solidität. In den vier weiteren Schlachten der beiden Schlesischen Kriege fielen die Siege der Infanterie auch gegen allerschwerste Hemmnisse unaufhaltsam zu. Das war die Folge einer emsigen, intensiven Ausbildungstätigkeit des »roi connéable«, der am Anfang als keineswegs ruhmvoller Feldherr noch bitteres Lehrgeld hatte zahlen müssen. Als erstes erfuhr die naturgemäß schwer veränderliche Reiterwaffe innerhalb eines Jahres nach fataler Schlappe eine gründliche Umwandlung. Zwei Grundsätze leiteten die Regeneration: 1. Sich niemals attaekieren lassen, sondern in jeder Lage selbst angreifen. 2. Der Erfolg der Attacke liegt in der Auftreffwucht der geschlossenen Reitermasse, in der Schnelligkeit der Pferde und im Gebrauch der blanken Waffe.
Sogleich nach Mollwitz war ja schon damit begonnen worden, den noch recht langsamen Rhythmus des Exerzierplatzes, in dem sich die Linienbataillone zusammenschlossen und dann vorwärtsgingen, immer stärker zu forcieren. Die Infanterie hatte bald eine anderswo nicht mögliche Schnelligkeit und Wendigkeit in den taktischen Bewegungsmanövern erreicht. Nun wurde der Spielraum zum Gebrauch der Formationen noch weiter ausgedehnt, obgleich an der Methode nichts Revolutionäres zu entdecken ist. Die Kampfformen blieben an die taktischen Regeln der geschlossenen Ordnung wie an die Struktur des Staatswesens gebunden. Niemand hätte sie ändern können, ohne die gesamte Wehrverfassung umzustoßen. So suchte der König unentwegt nach Aushilfsmitteln, um die starren Linienlieder gelenkiger zu machen, das Aufmarschtempo der Armee weiter zu steigern und ihre Schlagfertigkeit im Angriff zu erhöhen, auch im schwierigen Gelände. Da Preußen wegen seines Mangels an natürlichen Hilfsquellen und seines ungünstigen Grenzverlaufes im Grunde genommen nicht in der Lage war, einen reinen Verteidigungskrieg zu führen und alle militärische Energie in die Offensive setzen mußte, um nicht »die Sachen in die Länge zu ziehen«, klärte sich das beschleunigte angriffsweise Verfahren zum alles beherrschenden Gedanken. Friedrich baute darauf, daß seine Truppen wie keine anderen angreifen konnten, rechnete aber auch damit, daß der künftige Feind im unvermeidlichen Kampf um Schlesien eine gesteigerte Abwehrkraft entgegenrichten und auf seinen bisher immer angewandten Versuch der »schrägen Schlachtordnung« entsprechend reagieren würde. In der kunstvollen »ordre oblique«, bei der ein verstärkter Armeeflügel den Angriff so weit wie möglich umfassend zu fuhren hatte, während der andere versagt blieb, sah er das beste Mittel, die numerisch unterlegene Macht an entscheidender Stelle zu überlegener Wirkung zu bringen. Mit diesem überaus schwierigen Manöver der Lineartaktik hat sich der König seit dem Ende des 2. Schlesischen Krieges dauernd beschäftigt, um es immer perfekter zu gestalten und das Heer auf solche Weise immer gründlicher zu schulen. Einführung von ManövernHierzu dienten ihm die großen Feldmanöver, die schon 1743 erstmals stattfanden, woran ad hoc zusammengezogene Truppenmassen aller Waffengattungen beteiligt waren. Bei den bisher üblichen Generalrevuen hatten Infanterie und Kavallerie nur bekannte, genau vorgeschriebene Bewegungen ausgeführt, jetzt ließ sie der König frei nach kurz zuvor gegebener Disposition und aufgrund unvorhergesehener Eingriffe in die Gefechtslage ablaufen. Mit voller Absicht wählte er ein Gelände aus, in dem vielfältige Hindernisse — Gräben, Waldstücke, sumpfige Wiesen usw. — das Vorgehen seiner Truppen erschweren sollten.
Ausbildung der ArmeeDie Menschenführung in der Armee stand unter der leitenden Maxime der »Conservation«. Die Erhaltung der Regimenter erforderte um so größere Sorgfalt, als sie ihren gewonnenen Leistungsvorsprung nicht wieder verlieren durften. Dazu gehörte, daß man die Leute »gut nährt«, bei der Kontrolle der Quartiere »auf ihre Wirtschaft Acht gibt«, daß ordentlich gekocht, die Stuben gelüftet, im Winter nicht überheizt und bei gutem Wetter die Betten gesonnt wurden. Peinliche Sauberkeit diente der Vorbeugung ansteckender Krankheiten. Unter der Aufsicht der Chefs und Kommandeure hatte der Regimentsfeldscher die Gesundheitspflege gewissenhaft zu praktizieren. Die Kompanien sollten nicht länger als drei Stunden täglich exerzieren, im Sommer frühzeitig hinausmarschieren und spätestens um 9 Uhr wieder in der Garnison sein. Aus den Bestimmungen und Bemerkungen des Königs anläßlich der Truppen-Revuen jener Friedensjahre ist zu ersehen, nach welchen Gesichtspunkten die Rekruten auszubilden waren: Um nicht gleich »verdrießlich und furchtsam« zu machen, »alles durch gütige Vorstellungen sonder Schelten und Schmähen« lernen; »auf keine Weise etwas Gezwungenes und Unnatürliches dulden, da... (es) dem Soldaten zugleich sauer wird...«; schwache Leute sind zu schonen, weil sich mit zunehmenden Kräften »alles von selbst« findet; jeden Zorn und Affekt unterdrücken, um so mehr Zeit und Geduld nehmen und »nur dahin sehen, daß sie alles spielend lernen«, denn »unzeitiger Eyfer und Strafe« erreichen das Gegenteil; ein neuer Mann ist »zu einem guten Cameraden ins Quartier zu legen«, der ihn »so zu sagen mit erziehen helfen muß«. Kein Offizier soll sich unterstehen, »willkürlich von den gegebenen Befehlen abzuweichen«. Wer mit Schlägen traktiert, wird »zum eigenen Schaden eher den Abgang der Leute vermehren, als ergäntzen helfen...«. Damit war, wie so oft, auf die Gefahr der Desertion hingewiesen.
WehrverfassungKönig Friedrich hat die Wehrverfassung seines Vaters im Prinzip nicht angetastet. Er hat aber trotz Heeresvermehrung die Wehrpflicht der Untertanen auch nicht ausgedehnt, sondern sie sogar weiter eingeschränkt. Im Interesse seiner vom Merkantilsystem beherrschten Innenpolitik sollte die einheimische Bevölkerung vom Militärdienst so weit wie möglich verschont bleiben. Um Ackerbau, Handel und Gewerbe nachhaltig zu fördern, um Kolonisten und Einwanderer ins Land zu ziehen, nahm die Zahl der Eximierten ständig zu. Die Befreiung von der Kantonspflicht erstreckte sich nicht nur auf Einzelpersonen; auch ganze Dörfer, Städte und Kreise wurden von der Enrollierung ausgenommen, besonders im bevorzugten Schlesien und in den wirtschaftlich wichtigen, militärpolitisch ungünstig gelegenen Streugebieten im Westen. Schon im Jahr 1742 hatte Friedrich den Bestand an Landeskindern auf ein Drittel herabsetzen wollen, was aber allein bei denjenigen neuen Regimentern eindeutig nachzuweisen ist, die keine eigenen Kantone besaßen.
Zivilverwaltung und ArmeeDie Aufgaben der Zivilverwaltung wurden noch enger mit den Bedürfnissen der Armee verknüpft: die materielle Vorratsbeschaffung, das System der Lebensmittellieferungen, die Transportleistungen, und alle Mobilmachungsmaßnahmen. Die für jedes Regiment zunächst auf zwölf Tage festgesetzte Herstellung der Kriegsbereitschaft konnte um die Hälfte verkürzt werden. Ehe allerdings der gesamte Feldetat wirksam gemacht war, bedurfte es etwas längerer Anlaufzeit. Eine große Zahl von Fahr-, Pferde- und Packknechten mußte aus den Kantonen zusammenkommen, dazu Bäcker, Schlachter, Zimmerleute, Maurer und Schmiede, auch Lazarettgehilfen. Dieses umfangreiche Personal entsprach dem hohen Wagenbedarf für das Proviantfuhrwesen, die transportablen eisernen Backöfen sowie für das in den Depots bereitgestellte Artillerie- und Pioniergerät samt Pferdebespannung. Wie das riesige Räderwerk der militärstaatlichen Dienstleistungsorganisation zu funktionieren hatte, zeigt das gründlich überarbeitete Marschreglement vom 5. Januar 1752 auf. Danach sollten die Landräte bzw. deren Beauftragten die angekündigten Regimenter an der Kreisgrenze pünktlich in Empfang nehmen, sie unter strikter Beachtung der befohlenen Marsch-Route reibungslos durch ihr Gebiet führen und in guter Ordnung dem ablösenden Kommissar übergeben. Um beim Quartierbezug Unregelmäßigkeiten und Zeitverlust zu vermeiden, mußten die städtischen Magistrate an jedem als Unterkunft vorgesehenen Haus ein numeriertes Schild anbringen lassen, eine Liste mit genauer Angabe der Belegungsstärke führen und die entsprechenden Einzelbillets zur Ausgabe an die Kompanien pp. bereithalten. Wurde die Truppe auf Dorfquartiere angewiesen, lag die Vorbereitung in der Zuständigkeit des Landrates. Vor allem war dafür zu sorgen, daß stets genügend Stuben für die Kranken zur Verfügung standen. Das Lagerstroh hatten die Kreise rechtzeitig an die Städte zu liefern, wo es Magistratsbeamte nach genauer Gewichtsberechnung an die Bürger verteilten. Jeder Soldat beköstigte sich selbst von seinem Traktament und den Zulagen, die im Feldzug gewährt wurden: täglich zwei Pfund Brot und wöchentlich zwei Pfund Fleisch.
Das Pferdefutter war gleichfalls nach den Quartierorten zu liefern, wo Magistrat, Gutsherr oder Dorfschulze zur vorübergehenden Lagerung Bodenräume und Scheunen bereitzustellen hatten. Nur beim schnellen Marsch durch Landgebiete sollte die Dorfgemeinde die Fourage zusammenbringen. Die Bezahlung erfolgte mit barem Gelde zu marktgängigen Preisen und steuerfrei aus der Kasse des Landrates. Bezogen die Truppen das Feldlager, so galt die Vorschrift, jedem Infanterieregiment zehn und jedem Kavallerieregiment 20 Wagen für die Zuführung von Fourage, Holz und Stroh kostenlos zu stellen, vorausgesetzt, daß sie der jeweilige Kommandeur nicht länger als höchstens zwei Tage zur Versorgung beanspruchte. Sonst wurden ihm aus Gründen des Untertanenschutzes für jeden weiteren Tag ein Taler pro Wagen vom nächsten Verpflegungsgeld abgezogen. Wie die Truppenführung verpflichtet war, alles Erforderliche mit den Kommissaren »freundschaftlich und ohne Bitterkeit« zu regeln, so sollten Letztere »das Corps nicht eher quittieren, bis alles abgethan und eine richtige Liquidation geschlossen«, insbesondere »hierin kein Nachsehen oder unzeitige Höflichkeit in Vertuschung der Exzesse bezeugen«. Bei solchem Verfahren blieben die Quartierwirte von jeder übermäßigen Drangsal verschont. Beim Marsch durch fremdes Territorium bestanden die Aufgaben des begleitenden Kommissars in gleicher Weise, und jeder Offizier trug dafür die Verantwortung, daß seine Mannschaft keinen Anlaß zur Klage gab, genauso wie im eigenen Land. In einem Krieg, wie dem siebenjährigen Erschöpfungskampf, galten bald andere Gesetze. Die Armee im Siebenjährigen KriegDie Generale und Feldmarschälle der Allierten konnten den Krieg »nicht anders als aus dem Cabinet« führen, während der preußische Kronfeldherr alles zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort selbst plante, entschied und sogleich in die Tat umsetzte. Sein Staat war sozusagen identisch mit seinem Heer, von dessen Größe und Schlagkraft Preußens Großmachtexistenz allein abhing. Die fest fundierte und wohlerprobte militärstaatliche Organisation, deren kriegsmäßiger Ausbau ein reichliches Jahrzehnt zuvor »mit dem Bauche der Armee« begonnen hatte, ermöglichte es, die Truppen besser versorgt als auf der Gegenseite durch die Zeit der Feldzüge und Winterquartiere zu bringen.
Bis zum Schluß konnte der König zuverlässige Kerntruppen als voll kampffähige Verbände um sich scharen. Die Kavallerie blieb infolge nicht so katastrophaler Verluste und besseren Personalersatzes auf einem recht guten Leistungsstand. Der geniale Seydlitz hatte den bei Kolin verlorenen guten Ruf der schweren Reiterei schnell wiederhergestellt. Bei seinen erfolgreichen Bestrebungen, auch die Husaren kavalleristisch vollwertig einzusetzen, wurde er vom braven Zieten eifrig unterstützt. Beide Reiterführer, wie auch andere hervorragende Generale, vor allem die beiden Prinzen Heinrich von Preußen und Ferdinand von Braunschweig, gehörten zu den bewährten Helfern des Königs. Insbesondere zählte das beim Herauswinden aus fataler Lage, in die er sich selbst durch eigene Fehler gebracht hatte. In der Spätphase des Krieges hat der König jedes windige Mittel rücksichtslos angewendet, um die Feldarmee wenigstens auf 100.000 Mann zu bringen. Die besetzten Gebiete wurden ausgebeutet, Rekruten gepreßt, Gefangene gewaltsam untergesteckt, und zur Auffüllung der Kriegskasse diente die sehr zweischneidige inflatorische Münzverschlechterung. Wie bereits die Einverleibung der sächsischen Regimenter nach ihrer Kapitulation bei Pirna Mitte Oktober 1756, hatten solche Zwangsmaßnahmen üble Folgen, vor allem im Hinblick auf die Fahnenflucht. Allerdings gaben die unentwegten Märsche auf der »inneren Linie« zwecks dauernder Deckungnahme dazu günstige Gelegenheit. Andererseits sind nicht wenig Deserteure teils schon wegen der regelmäßigen Fleischportionen auch zu den Preußen übergelaufen. Die rückwärtigen Versorgungsdienste entlasteten und erhielten das Heer unter anhaltender Zerreiß-Probe. Eine laufend verstärkte Artillerie stützte die zermürbte Infanterie bei jeder Aktion. Als keine großen Schlachten mehr stattfanden, wuchsen Zahl und Bedeutung der bunt gemischten Frei-Formationen aus dem sozialen Treibgut des langen Krieges, für Streifzüge und die lokale Verteidigung bestimmt.
Das persönliche Ingenium des Königs allein ist wohl nicht der Grund gewesen; man wußte auch, worum es in diesem Kriege ging und wofür sich der äußerste Einsatz lohnte. Als Kaiserin und Zarin seit 1760 keine Gefangenen mehr austauschen ließen, weil sie diese Regimenter fürchteten, ist von den 12.000 in Österreich Internierten nur der geringe, aber typische Anteil unsicherer Ausländer (10—15%) der nachdrücklichen Aufforderung zum Übertritt in die kaiserliche Armee gefolgt. Selbst die Mecklenburger, die angeblich brutal Ausgehobenen, die aber bereits in der Friedenszeit als einexerzierte Urlauber ebenfalls vorübergehend in ihre Heimat zurückgekehrt waren, wollten mit ganz wenigen Ausnahmen preußische Soldaten bleiben. Von den inzwischen erneut als Untertanten geltenden Glatzern - die Grafschaft war durch die Einnahme der Festung am 26. Juli 1760 in österreichischen Besitz gelangt - durfte keiner mehr ins schlesische Dorf entlassen werden, weil zu viele entliefen, um preußische Kriegsdienste zu nehmen. So lagen die Wurzeln der Rettung tiefer. Sie lagen in der Tragfähigkeit des fast Unzumutbaren an Durchhaltevermögen im ganzen Volk. Nirgendwo regten sich Widerstand, Verrat oder gar Abfall. Die soziale wie die militärische Wirkung des Kantonsystems war für den Zusammenhalt der Wehrkraft von entscheidendem Gewicht.
Die Armee nach dem KriegIn der ersten Instruktion des Königs an die Kommandeure der Kavallerieregimenter nach dem Krieg vom 11. Mai 1763 steht der fatale Satz: »Überhaupt muß der gemeine Soldat vor dem Offizier mehr Furcht als vor dem Feinde haben.« Es wäre jedoch ganz verfehlt, daraus abzuleiten, daß auf solcher Ansicht die friderizianische Menschenführung beruht hätte. Vorher ist sie nirgends zu finden. In den »Generalprinzipien vom Kriege« vom 23. Januar 1753 hatte Friedrich die Güte seiner Truppen über alle Maßen gelobt, hatte ihnen als dem »vornehmsten Stande des Landes« angehörig hohes Ehrgefühl zugesprochen und die Generale ermahnt, die Freundschaft der Soldaten zu gewinnen. Voller Stolz ist der König 1756 mit ihnen ins Feld gerückt. Jahre später ließ er sich in verzweifelt düsteren Augenblicken zu dem ungerechten Urteil hinreißen, seine eigenen Leute mehr zu fürchten als den Feind. Dieser Eindruck wirkte nach, als das Retablissement der Armee im Einklang mit dem Wiederaufbau des ruinierten Landes gehalten und die einheimischen Arbeitskräfte weit mehr als bisher geschont werden mußten. Standen bei Kriegsende 103.000 Landeskinder 37.000 Ausländern gegenüber, so sank die erste Zahl unter verstärkter Fremdwerbung auf das neue Friedensmaximum von 70.000 Mann ab. 1786 befanden sich unter den 164.000 Gemeinen 81.000 Inländer und 83.000 Ausländer, bezogen auf eine Gesamtstärke des Heeres von 194.000 Mann bei einer Bevölkerungszahl von 5,8 Millionen nach dem friedlichen Erwerb Westpreußens. Über die voll beabsichtigte Veränderung der personellen Verhältnisse hatte sich der König von vornherein keinerlei Illusionen gemacht; dies fernerhin im Zusammenhang mit der verheerenden Artilleriewirkung, die in einem künftigen Kriege stürmenden Bataillonen entgegenschlagen würde. Friedrich ist aber selbst der Reorganisator zu einem immer schlechter werdenden Mannschaftsersatz hin gewesen, indem er aus einseitig wirtschaftlichen Gründen die Exemtionen übermäßig ausweitete und damit das Kantonsystem buchstäblich durchlöcherte.
Dennoch hat der König die in ihren Kriegskadern zwar fest bestehende, aber ganz neu rekrutierte Friedensarmee schon in wenigen Jahren wieder zu einem beachtlichen Format hinaufgezwungen. Die unermüdlich intensive Arbeit teilte er sich jetzt mit ad hoc ernannten Generalinspekteuren, weil die Riesenlast des Gesamtretablissements von Land und Militär allein nicht mehr zu tragen war und die Erschöpfung seiner physischen Kraft dazu zwang. Höchste Vollkommenheit in Ausbildung und Reitergeist erreichte die Kavallerie unter dem Kommando ihres hoch verehrten, unersetzbaren Generals v. Seydlitz. Seitdem er an der Spitze stand, waren auch die Stockschläge »fast ganz abgeschafft«. Gerade diese stolzen Regimenter sollten aber im Katastrophenjahr 1806 ihren hohen Ansprüchen am wenigsten genügen, ja nicht einmal imstande sein, ihre Schuldigkeit zu tun. Wenn der König persönlich eingriff, zeigte sich der Ingrimm gegen einzelne Offiziere und von der Kriegszeit her in Ungnade gefallene Regimenter. Die ärgerlichen Vorurteile mochten in der Zwiespältigkeit seines Charakters liegen. Auch das Trauma ständiger Abhängigkeit von einer geradezu widernatürlichen Kraftübersteigerung des Staates ließ ihn um so krassere Maßstäbe setzen. So wollte der König die Armee nur noch von einem Militäradel geführt wissen, der seiner Überzeugung nach am zuverlässigsten die erwartete Berufsleistung erbrachte und darin die hochgeschätzte Wahrung der Standesehre sah. Bürgerliche Offiziere, die im Kriege aufgestiegen waren, schickte er wieder fort, wenn sie ihm nicht als verdienstvoll genug erschienen, oder sie landeten in einem Garnisonsregiment niederen Ranges. Um die noch offenen Stellen zu besetzen, wurden fremde Edelleute herbeigeholt. Die früher überaus engen persönlichen Beziehungen lockerten sich im Betrieb der Friedensroutine, der gegenüber der kulturellen Landesentwicklung wohl auch nicht mehr so hohes Interesse beanspruchte. Die verschärfte Disziplin, die gekürzten Erträge aus der Kompaniewirtschaft, mancherlei Ungerechtigkeiten und die beklemmende Pedanterie im Dienst erzeugten ein zunehmend kritisches Verhältnis zwischen dem Offizierkorps und seinem alternden König. Das lag auch im Wandel des Zeitgeistes mitbegründet.
Es war das Schicksal des Königs, am Tor zur Zeitenwende zu stehen. Da er mit dem großen konservativen Retablissement die Armee im fest zementierten sozialen und ökonomischen Rahmen des Staates nicht weitgespannt reformieren konnte, verfiel sie dem Untergang. Der Geist der Regimenter von Hohenfriedberg und Leuthen lebte jedoch fort und mit ihm vorwiegend im niederen Volk der Stolz, ein Preuße zu sein. Der Untergang der altpreußischen ArmeeWas aber die Stagnation nach dem Siebenjährigen Krieg im preußischen Militärwesen verfestigte, war die Rechtfertigung jener Kriegskunst, aus der mit dem Status-quo-Frieden von Hubertusburg 1763 der ruhige Zustand des politischen Gleichgewichtes in der Staatenwelt Europas hervorgegangen war. Sind schon während der letzten Feldzüge keine blutigen Schlachten mehr geschlagen worden, weil ein Angriff zu hohe Verluste kostete und ein Sieg an der strategischen Patt-Situation kaum etwas geändert hätte, so erst recht nicht im letzten Kabinettskriege um die bayerische Erbfolge. Als zu spätabsolutistischer Zeit die technischen Militärwissenschaften ihren Höhepunkt erreichten, konstatierte die Kriegstheorie apodiktische Grundsätze, Regeln und Rezepte, wonach die weiter gesteigerte Kraft der Defensive, wie es hieß, die Waffenentscheidung künftig ganz unmöglich machen würde. Wenn aber das zu große Risiko des Blutvergießens die streitenden Parteien gegenseitig abschreckte, müßten auch die Kriege selbst immer seltener werden und schließlich aus der Welt kommen. Solche Auffassung traf sich mit den humanitären Tendenzen des ausgehenden Aufklärungszeitalters. Diese Tendenzen erzeugten freilich eine breite und tiefe Opposition gegen die stehenden Heere der absoluten großen und kleinen Fürsten, doch ist es bezeichnend, daß in der Reihe fachkundiger Militärs auch der junge, vom wissenschaftlichen Rationalismus gebildete Scharnhorst die disziplinierte Berufsarmee mit dem Gegenargument bester Friedenssicherung durch die im Gleichgewicht der Abschreckung gehaltenen, wohlgerüsteten Machtstaaten verteidigt hat.
General v. Rüchel, einer der Unglücksmänner von 1806, hat sie in schwülstiger Rede beim ersten Stiftungsfest der »Militärischen Gesellschaft« zu Berlin im Jahre 1803 am Geburtstage Friedrichs des Großen zum Ausdruck gebracht: »Aber, meine Herren! Besser, nutzbarer wird der Mensch nur in moralischer Tendenz - durch die unbegrenzte Kraft eines guten, edlen, die Menschen liebenden Willens - durch die richtige Anwendung seiner Kenntnisse zum allgemeinen Wohl - durch die Handlung für das allgemeine Beste... So gesellet sich die allegorische Minerva mit ihrer Eule zu den Künsten des Krieges und des Friedens...« Mars und Minerva innig vereint! Gegenüber diesem Ideal erschien das revolutionäre französische Kriegswesen als Rückschritt, Entartung und Verwilderung. Es betraf ebenso die Vorzüge der Solidität altpreußischer Finanzwirtschaft, indem die Teilnahme an den Feldzügen von 1792—1793 das gesamte wohlgeordnete fiskalische Finanzierungssystem schon erschüttert hatte. Jetzt vollzog sich »auch auf dem Gebiet der Staatsflnanzen die kopernikalische Wendung von den stabilen statischen Zuständen der vorrevolutionären Zeit zu dem mobilisierten, dynamischen Zustand des 19. Jahrhunderts«. Als das preußische Koalitionskorps 1795 aufgrund des Baseler Friedensschlusses unbesiegt vom Kriegsschauplatz am Rhein abmarschierte, befand sich das Kampfverfahren der Franzosen noch im Rohzustand, steckte sozusagen noch in den Kinderschuhen und empfahl wenig zur Nachahmung. Man sprach verächtlich von »zerlumpten Carmagnolen ohne wahren militärischen Geist und Haltung«, vom wild gewordenen Mob der Sansculotten und ihrer »Hordentaktik«.
Kaum jemand zweifelte an der überlegenen Schlagkraft der Armee und an der Führungsqualität ihres Offizierkorps. Von Scharnhorst abgesehen haben nicht einmal die späteren Militärreformer fundamentale Neuerungen gefordert. Zumindest bis in die letzten Tage vor der Jenaer Katastrophe war Gneisenau sehr zuversichtlich gestimmt; den Geist der Offiziere hielt er für »vortrefflich«. Der junge Clausewitz hegte große Siegeshoffnungen. Wer wollte auch resignieren, ehe er gekämpft hatte? Die glänzende Außenseite des altpreußischen Heeres verdeckten jedoch innere Dürftigkeit und tiefer sitzende Übel. Bei sinkendem Geldwert und steigenden Preisen sollte sein Unterhalt möglichst wenig kosten, um im Lande keine Unzufriedenheit zu erregen. Das hielt die Mittel karg und knapp, nur für die Mannschaft gab es als Ausgleich freie Brotverpflegung. Etwa ein Drittel der Leute zählte 30 bis 40 Jahre, 50- bis 6ojährige waren keine Seltenheit. Auch die Überalterung der Offiziere hing mit der übertriebenen Sparsamkeit zusammen. Auf einem anderen Blatt stand der schwere Vorwurf gegen eine Reihe von Einheitschefs, die mit den Erträgen der Kompaniewirtschaft zum Zweck persönlicher Bereicherung Mißbrauch trieben. Seitdem das Gewicht des alten Königs nicht mehr von oben drückte, lockerte sich die Disziplin im Offizierkorps. Die Lust zum Dienst wich in seiner Enge und Eintönigkeit zunehmender Abstumpfung. Wenn früher der »roi connétable« durch seine Offiziere auf die Armee wirkte, so wurde diese virtuelle Kraftübertragung spürbar schwächer. Da es an Autorität fehlte, das Bedürfnis nach fester »innerer Führung« zu befriedigen, neigten insbesondere die jüngeren Herren zu Kritiksucht und dilettantischer Besserwisserei, je reger sie die Schriften der zahlreichen Militärpublizistik lasen und sich mit den dort dargelegten geistigen Wehrfragen der Zeit auseinandersetzten.
König Friedrich Wilhelm III. teilte den Optimismus seiner verblendeten Paladine nicht. Er war sich der Mängel und Schwächen im gesamten Heerwesen durchaus bewußt und hielt schon deshalb an der leitenden Idee seiner Politik fest, Preußen den Frieden zu erhalten. Demgegenüber trifft es sicher zu, »daß das Preußen von 1803 bis 1813 weit stärker einer klugen Außenpolitik als einer reformerischen Innenpolitik - abgesehen von der Heeresreform - bedurft hätte.« Selbst bei letztmöglicher Gelegenheit im Jahre 1805 hatte man nicht den Entschluß finden können, aus der bewaffneten Neutralität heraus und mit einer zum Teil schon mobilisierten Armee dem antinapoleonischen Abwehrbunde beizutreten. Dadurch war die Chance vertan, auf dem Schlachtfeld von Austerlitz die Entscheidung zu bringen. Neun Monate später, als inmitten aller Aufregung über den Austritt der Rheinbundfürsten aus dem Reichsverband Napoleons hinterlistige Schachzüge bekannt wurden, befahl der »nichtregierende Souverän« dann doch, seine Regimenter gegen das mächtige Kaiserreich auf Kriegsfuß zu setzen. Der Imperator fand den Gedanken, daß die Preußen allein losschlagen könnten, einfach lächerlich, als er davon hörte. Sobald er aber erfuhr, daß der Zar den inzwischen ausgehandelten Friedensvertrag nicht ratifizierte, sah die Sache ernster aus. Auf jeden Fall wollte Napoleon eher in Berlin sein als die Russen. Der Schritt des Königs war mit Rücksicht auf die Ehre seines Thrones nur als passive Schutzmaßnahme gedacht. Von der Kriegspartei opponierender Patrioten, die am Rande der Rebellion stand, samt allen jungen Heißspornen im Offizierkorps ließ er sich zur Unzeit buchstäblich in die Katastrophe hineinzerren. Im ratlosen Kriegsrat kollegialer Führung blieb der eigene Operationsplan zwischen den Vorschlägen zu kühner Offensive und ängstlicher Defensive an eine Illusion gebunden. Ein Ultimatum forderte von Napoleon als Garantie für Ruhe und Sicherheit den Abzug seiner Truppen aus Deutschland. Erst nach abgelaufener Frist am 8. Oktober wollte die preußische Regierung notfalls schießen lassen. Nicht einmal mit ganzer Macht ausgerückt, blieb die Armee auf halbem Wege zwischen Elbe, Saale und Thüringer Wald weit verzettelt sozusagen unverrichteter Sache stehen. Auch angesichts des energischen Vormarsches der Franzosen über das Fichtelgebirge Richtung Leipzig kam kein einziger vernünftiger Entschluß mehr zustande, als ob das Oberkommando von allen guten Geistern verlassen gewesen wäre.
Anders lagen die Verhältnisse bei Auerstedt, wo es nach schon angetretenem Rückzug nicht einmal gelang, mit 48.000 Mann das nur 27.000 zählende, obendrein mit dem Rücken zum steilen Saaletal kämpfende Korps Davout aus dem Weg zu schlagen. Dort »war es von preußischer Seite eine Kunst, die Schlacht zu verlieren«. Das Fiasko läßt sich durch den Ausfall des tödlich verwundeten Oberfeldherrn, der »seinen Schlachtplan in der Tasche behalten«, allein nicht erklären. Die totale Konfusion hing mit den nachgeordneten Kommandanten zusammen. Sie warteten auf nicht gegebene Befehle, weil ihnen im Schlendrian der monotonen Friedensroutine jedes selbsttätige Handeln abhanden gekommen war. Der Generalstabschef, Oberst v. Scharnhorst, führte an Stelle des gefallenen Generals eine Division im Brennpunkt vor Hassenhausen, rief verzweifelt nach einer Batterie und 12 Schwadronen Reiter, die nicht kamen, und verließ mit den letzten Soldaten das Schlachtfeld, die Muskete in der Hand. Der Schock der Niederlage knickte den Rest der Besonnenheit, des Mutes und des festen Entschlusses; er warf zu viele Offiziere »aus dem Gefühl des Hochmuts in das der äußersten Schwäche«. Das Versagen an der Spitze bewirkte nach unten fortzeugend eine fatale Haltungskrise, die auf dem Rückzuge wie ein Geschwür aufbrach. Von Napoleons Verfolgungskorps bis an die Oder gejagt, verschwand die in abgesplitterten Trümmern kapitulierende Armee wie eine Spukerscheinung. Der Marsch des Generals v. Blücher wieder zurück Richtung Elbe und dann nach Lübeck bildete eine rühmliche Ausnahme, doch seine Regimenter besaßen zu wenig Gefechtskraft, um dem bitteren Ende der Gefangennahme zu entkommen. Auf die schnelle Kunde von der Vernichtung der Feldarmee fiel eine Festung nach der anderen ohne ernsthafte Gegenwehr in die Hände der kaiserlichen Marschälle. Das gab Napoleon unverzüglich einen guten Teil seines Operationsheeres zur Fortsetzung des Krieges gegen die Russen frei. Die Festungskommandanten handelten mit innerer Logik nach dem Kausalkomplex der vorrevolutionären strategischen Theorie: feste Stützpunkte und marschierende Truppen bedingten sich gegenseitig, und wenn das mobile Element nicht mehr existierte, verlor das andere seine Funktion. Die Magistrate der bombenbedrohten Bürgerschaft halfen nach; auch beherrschten die französischen Parlamentäre mit ihren einseifenden Appellen an Menschlichkeit und Friedensliebe die Kunst der psychologischen Kriegführung.
Doch der Zusammenbruch der nachfriderizianischen Militärmonarchie war die charakteristische Folge des Unterganges ihrer Armee. Preußens Schicksal hing nun allein noch von der Waffenstärke der russischen Armee und dem Kampfwillen ihrer Führung ab. Der Entschluß des Königs, an der Seite des Zaren den Krieg auf seinem Rest-Territorium ostwärts der Weichsel fortzusetzen, lenkte endlich auch zu einem festen außenpolitischen System hin, indem ein großes Bündnis aller antinapoleonischen Mächte erstrebt wurde. Ein so kunstvoll erschaffener, auf noch recht schwachen physischen Grundlagen ruhender Militärstaat wie der altpreußische war 1806 schon deshalb rasch und vollständig zusammengebrochen, weil ihn König Friedrich »der Einzige« hinterlassen und die epigonenhaften Führer der Armee eine solche Schöpfung für unüberwindlich gehalten hatten. Um so jäher und kläglicher mußte die Schlachtniederlage in der Katastrophe enden, als der gewaltigste Kriegsmann der Neuzeit mit der geballten Kraft seines revolutionären Staats- und Heerwesens der friderizianischen Monarchie mitten ins Herz stieß. »Kunersdorf war für Preußen zu verwinden, Jena nicht.« Damals bestand gegenüber den strukturellen Grenzen der österreichisch-russischen Kriegskunst die Möglichkeit des Ausgleichs, jetzt triumphierte der Wille des Feldherrngenies zur Vernichtung. In der Endphase der altpreußischen Zeit reichten zwei Schläge, Jena und Auerstedt, um die einst so ruhmreiche und beste Armee Europas vom Erdboden zu vertilgen.
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