brandenburgisch - preußische
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Der Drillmeister der ArmeeGründliche Vorarbeit hatte schon Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (1676—1747) geleistet, der für das aufstrebende Haus Hohenzollern eine ähnliche militärische Rolle spielte wie Prinz Eugen für das Haus Habsburg. Er war jedoch nicht als mitreißender Reiterführer zum Idol seiner Soldaten geworden, sondern fühlte sich aus eigenem Antrieb geradezu leidenschaftlich dem Fußvolk verbunden, als ob er allen Prinzen Europas zeigen wollte, daß jede kavalleristische Lust nur eine überholte Ambition mittelalterlichen Kriegertums sei. Die Infanterie bildete den Kernbestand der neuen Heere im Zeitalter der Lineartaktik. Sie repräsentierte gleichsam den Sieg des Pulvers über den blanken Degen, auch wenn es vielen denkenden Militärs längst nicht so erschien. Alle taktischen Überlegungen des Fürsten Leopold gipfelten in der Idee absoluter Feuerüberlegenheit.
Die enge Freundschaft zwischen dem Kronprinzen und dem Fürsten Leopold, die beide durch das gemeinsame oranische Ahnenerbe auch blutsmäßig verbunden waren, entstand schon im Jahr 1705, als Friedrich Wilhelm seine autoritäre Stellung in der Armee zu begründen begann. Als er 1709 die Feldtruppen auf dem Kriegsschauplatz in Brabant zum zweiten Male besuchte, hat er die Infanterieregimenter zum Erstaunen der zuschauenden alliierten Generale nach der Dessauischen Methode vorexerzieren lassen. Bereits zu jenem Zeitpunkt ist der entscheidende »Durchbruch des preußischen Drills« erfolgt, der die Infanterie im Wettstreit mit den anderen Armeen einen großen Vorsprung gewinnen ließ. Es war aber nicht nur die typische Exerzierschule, die vor dem gesteckten Ziel in Erscheinung trat. Umfassender wirkte die nun begonnene militärische Kleinarbeit auf allen Gebieten des Heereslebens unter dem Gesichtspunkt der Vereinheitlichung. Wenn sie sich im gesamten europäischen Militärwesen damals noch nicht in voller Breite entfalten konnte, weil die Selbstherrlichkeit der Regimentsinhaber, auch die allgemeine Laxheit der Dienstauffassung im adligen Offizierkorps außerhalb der Schlacht dagegenstanden, so verlangte der Kronprinz unerbittlich Disziplin und Unterordnung. Jedes Schalten und Walten nach Willkür, jedes Kommandieren nach eigenem Gutdünken mußte ein Ende haben. Alles wurde jetzt bis ins kleinste von oben vorgeschrieben: die Bekleidung, die Ausrüstung, überhaupt der gesamte Ausbildungs- und Feldbetrieb, das Meldewesen, die Lagerordnung bis zum Aufstellen der Latrinen und die Waffenpflege.
Bevor der »Potsdamer Soldatenkönig in spe« seine Lehrzeit beendete, kam noch eine bitterste Prüfung auf ihn zu: in den turbulenten Monaten des Jahres 1711, als er an Stelle des nach Holland gereisten Vaters daheim die Statthalterschaft führen mußte und der Nordische Krieg von der Oder her bis Vorpommern drang. Der Zar benutzte preußisches Territorium als Nachschubkorridor für seine Armee in Vorpommern ohne jede vorherige Anfrage um Erlaubnis. Der Kronprinz empfand es als allertiefste Schmach, daß der desolate innere und äußere Staatszustand aller Welt vor Augen trat. Später wird er bei jeder Gelegenheit mit Stolz auf seine prächtigen Regimenter hinweisen und dabei den Ausspruch tun: »Nun brauche ich mich nicht mehr schikanieren zu lassen. Niemand wagt es, mir auf die Füße zu treten«. Die zuletzt gemachte außenpolitische Erfahrung verschärfte noch das ohnehin wache Bewußtsein schlimmer Jugenderlebnisse unter dem doppelten Druck des Spanischen Erbfolge- und des Nordischen Krieges, und sie konnte ihn in seinem Willen zur Wehrhaftmachung Preußens nur bestärken. Die Konsolidierung der Armee unter dem SoldatenkönigFriedrich Wilhelm I. trat am Tage seiner Thronbesteigung (23. Februar 1713) ein trauriges Erbe an, nur vergleichbar der Hinterlassenschaft einer bankrotten Firma. Im Hinblick auf die äußere Sicherheit konnte kein Staat seinem denkbar ungünstigsten Grenzverlauf zufolge für einen Angreifer bequemer liegen; denn jede Stadt einschließlich der Residenz war in einem Tagesmarsch zu erreichen. Ein solches Gebilde, das durch seine geopolitische Lage nach zwei Seiten hin ins konkurrierende Staatensystem Europas verwickelt blieb, mußte eine übermäßig starke Armee besitzen, wenn es sich behaupten und nicht wieder in die Bedeutungslosigkeit zurücksinken wollte.
Tatsächlich standen ihm die nötigen Geldmittel hierfür zur Verfügung: dadurch, daß er das ganze Prunkgebäude des Vorgängers mit einem Federstrich zum Einsturz brachte. Die Ersparnisse aus der rigoros gekürzten Hofhaltung waren beträchtlich, vom abgedankten, zum Teil in die Soldatenmontur gesteckten Personal über die herabgesetzten Gehälter, den nicht mehr benötigten, allzu üppigen Bedarf an Pferdefutter, die vermieteten Lustschlösser bis zum abgeschafften Weinkeller. Der reichlich angesammelte Silber-, Gold- und Juwelenhort, die großen Summen der Privatschatulle wurden zum Staatsschatz umgewandelt. Alle künftigen finanziellen Überschüsse kamen hinzu, so daß der wachsende Reichtum zwar ohne Glanz und ohne jeden repräsentativen Sinn im Kellergewölbe lag, aber dort um so wirksamer Preußens Unabhängigkeit und Stärke garantierte. Indem der König seinen Privatbesitz verstaatlichte, enteignete er sich selbst. Kein Sozialist des 19. Jahrhunderts hätte ihn in dieser Entschlossenheit überbieten können. Die Finanzierung der ArmeeDer Tresor sorgte für stets flüssige Geldreserven. Seit 1713 wurde der Haushalt aufgrund einmalig solider Finanzverwaltung, die alle Ausgaben nach den Einnahmen bestimmte, grundsätzlich ohne Schulden geführt. Die altpreußische Militärmonarchie »hat niemals den Staatskredit in Anspruch genommen, d. h. die Zukunft zugunsten der Gegenwart belastet«. Wohl lag der Steuerdruck schwer auf der Bevölkerung, aber wenigstens drehte sich nun die Schraube nicht mehr weiter, weil der König die steigenden Heeresbedürfnisse mit der wachsenden Ertragsleistung aus der Arbeit von Stadt und Land im Einklang hielt und die Untertanen nach Maßgabe ihres Fleißes mitprofitieren ließ.
Er umfaßte nur einen Teilbereich, primär die Aufwendungen für die Sicherheit des Landes. Das gesamte Sozialwesen, Kultur und Wissenschaft oblagen der Kirche und wohltätigen Stiftungen mit eigenem Vermögen. Ähnliches gilt für die untere Verwaltung und die niedere Gerichtsbarkeit. Somit entsprechen die Zweidrittel des Finanzaufkommens für die Armee ungefähr der auch heute üblichen Größenordnung. Außerdem lagen im Wehretat des 18. Jahrhunderts selbst andere Verhältnisse vor. Während die kaum veraltende Bewaffnung. einmal angeschafft, keinen weiteren Kostenfaktor bedeutete, fielen die Bekleidung und Verpflegung der Truppen finanziell um so schwerer ins Gewicht. Schon aus diesem Grund erklärt der Zusammenhang mit der Staatsreform des Soldatenkönigs Preußens überdimensionale Heeresstärke nicht allein etatistisch, sondern auch wirtschaftlich. Der Schwerpunkt der Landesökonomie wurde vom Luxus der Hofhaltung mit seinen sich davon nährenden Produktionszweigen und dem einzigen billigen Exportartikel der Schafwolle auf die Rüstung verlagert. Wie anderswo auch bewegte sich die Wirtschaftspolitik systematisch in den Bahnen des zeitgemäßen Merkantilismus. Ein wesentlicher Unterschied bestand jedoch darin, daß die Armee durch ihre wachsenden Massenbedürfnisse als wichtigster Arbeitgeber auftrat. Ihre Verbrauchsgüter waren auf die Rohstoffbasis des armen Landes abgestimmt, das nur Korn und Wolle als simple Grundprodukte hergab. Demgemäß förderten diese Erzeugnisse in erster Linie die Landwirtschaft und jene Handwerks- bzw. Manufakturbetriebe, die sie verarbeiteten: Korn zu Brot, Gerste zu Bier, Wolle zu Tuch und Tuch wiederum zu Uniformen.
Eine andere Erklärung hätte wenig Sinn, weil man in Preußen den Überschuß an produzierter Wolle ab 1724 jedes Jahr zur Neumontierung der Armee verwendete; wiederum einmalig in Europa. Die alte, noch wenig abgenützte Uniform durfte der Soldat verkaufen oder von Familienangehörigen auftragen lassen. Auf diese Weise wurde der blaue Militärrock in den Kernprovinzen zur Volkstracht unter den ärmeren Schichten der Bevölkerung. Das Berliner Lagerhaus entwickelte sich zur Manufaktur für Qualitätstuche, die später den Export nach Rußland betrieb. Hierbei hatte bereits der erhöhte, vom Tresor ausgegangene und scharfe Verwaltungskontrollen passierende Geldumlauf seine nützlichen Dienste geleistet. Die Gründung der Spandauer Gewehrfabrik im Jahr 1722 bewirkte schließlich auch die Unabhängigkeit vom ausländischen Waffenimport. Die dazu erlassene Resolution des Königs bildete »für lange Zeit die Grundlage für das Verhältnis zwischen Unternehmer und Staat«. Was sie an Bestimmungen im einzelnen enthält, verrät ebenso seinen rechenhaften Geschäftssinn wie seinen eigentümlichen Wohlfahrtsdrang: Unentgeltliche Lieferung von Gebäuden und Großgerät, von Pulver zum Beschuß und Bauholz für Instandsetzungen; Überlassung des staatlichen Monopols, auch zum zollfreien Export; Bezug ausländischer Rohmaterialien zwecks Verarbeitung bester Werkstoffe; Versteuerung dieser Materialien, aber die angefertigten Gewehre abgabefrei; Barbezahlung bei Lieferung von 300 Stück zum Preis von sechs Talern 12 Groschen pro Infanterieflinte mit Bajonett; volle Umzugsentschädigung für die angeworbenen fremden Meister und Gesellen einschließlich ihrer Familien und freie Religionsausübung; besondere Vergünstigungen für die Arbeiter »immediate unter dem Königlichen Hofgerichte«, gestatteter Branntweinausschank im Gegensatz zu den Soldaten der Garnison, Schutz vor gewaltsamer Werbung und unentgeltliches Bürger- und Meisterrecht bei Seßhaftmachung; Ausbildung geeigneter Lehrlinge aus Waisenhäusern in Potsdam und Berlin. Die Armee als WirtschaftsfaktorAuch der Konsum in den Garnisonen hatte als Schwungrad die Wirtschaft mitzubetreiben. Lagen schon seit 1684 die Infanterieregimenter in den Städten, so verlegte der König ab 1718 noch die Kavallerie dorthin, nicht allein zur Entlastung des Landvolkes. Wie wichtig er den Zusammenhang von Steuerertrag und Verzehr der Soldaten nahm, belegen seine Worte: »Wann die Armee marschiert, verliert die Akzise Zweidrittel«. Dann war nämlich der wirtschaftliche Kreislauf gestört, und zu allem Unglück mußte die Armee vom Kriegsschatz erhalten werden. Ein typisches Zeugnis anderer Art ist Friedrich Wilhelms erstes Reglement für die Infanterie von 1714. Es bezog schon die Truppenwirtschaft mit ein, faßte die Beschaffung wie den Verbrauch der Ausrüstung in genaue Vorschriften und engte damit auch den Machtbereich der Regiments-Chefs weiter ein.
Das kontinuierlich wachsende Sozialprodukt ist am Steueraufkommen abzulesen, das von 2,4 Millionen Talern im Jahr 1713 auf 3,6 Millionen 1740 anstieg. Diese Zunahme von 50 Prozent, die um etwa 500.000 auf 2.240.000 Menschen vermehrte Einwohnerschaft freilich eingerechnet, darf als ein Beweis materieller Verbesserung auch in der Lebensführung des einzelnen gelten. Die Steuersätze blieben fixiert, die Brotpreise durch vorsorgliche Getreidemagazinierung ziemlich stabil und die Mieten der armen Leute niedrig durch den unerbittlichen Bauzwang des Königs gegen die Reichen, der »so manches rasch erworbene Vermögen wieder auf ein angemessenes Maß« beschränkte. HeeresvergrößerungDie Vergrößerung des Heeres erfolgte schrittweise, immer von planmäßiger Pflege der Steuerträger begleitet. 1719 zählte es bereits 54.000, 1729 reichlich 70.000, 1739 über 80.000 Mann. Preußen steckte als Zwerg in der Rüstung eines Riesen. In der Rangfolge der europäischen Staaten an 13. Stelle stehend, besaß es die drittstärkste Militärmacht. Was zur Ebenbürtigkeit mit den Großmachtheeren noch fehlte, wurde durch die Qualität der Ausbildung wettgemacht. Nach diesem Prinzip hatten schon die Oranier ihr Heer für den niederländischen Befreiungskampf geschaffen. Als Lehr- und Mustertruppe diente das berüchtigte Königs-Regiment der Langen Kerls in Potsdam, wo die Offiziere der Armee alle reglementarischen Neuerungen in der Schule der Taktik wie des gesamten Dienstbetriebes gleichsam an der Quelle der militärischen Weisheit studieren mußten. Die Körpergröße der Grenadiere stand im Zeichen taktischer Höchstleistung, weil von der Länge des Gewehrlaufes die Schußweite abhing und das rasche Laden entsprechende Armspannweite erforderte. Es machte einen erheblichen Unterschied aus, wenn die linear avancierenden Bataillone das Feuer schon auf 200 statt auf 150 m Distanz eröffneten und ihre Salven bis zu drei Mal in der Minute in die dichten Glieder des Gegners schlugen.
Nach herkömmlicher Staatsanschauung, die das Aufgebotsrecht des Landesherrn unangetastet gelassen hatte, erinnerte das Edikt vom 9. Mai 1714 die Untertanen mit Nachdruck daran, daß die »junge Mannschaft, sowohl von Städten als plattem Lande, nach ihrer natürlichen Geburt und höchsten Gottes ewiger Ordnung und Befehl mit Guth und Blut zu dienen schuldig und verpflichtet« sei. Die Tauglichkeit bestimmte allerdings die Meßlatte. Leute »ohne Wachstum«, d. h. unter dem Mindestmaß von fünf Fuß sechs Zoll (1,72 m) sollten nach Möglichkeit nicht genommen werden. Nicht nur wegen der langläufigen Gewehre, auch sonst waren die physischen Belastungen des Infanteristen sehr hoch; denn er hatte über 40 Pfund an Ausrüstung und Gepäck mitzuschleppen". Die RekrutierungenDie Aufrüstungsrekrutierung ist nicht nach sorgsam vorgefaßtem Plan begonnen worden. Sie brach wie ein wildes Unwetter über das Land herein. Obwohl der König in seinen Edikten nur von »Werbung« sprach - hinter diesem Wort verbarg sich der tiefere Sinn einer »Seelengewinnung« für das gewaltige Aufbauwerk -‚ wurde der benötigte Mannschaftsersatz durch rigorosen Zwang einfach ausgehoben, entweder durch die Kreis- und städtischen Behörden oder durch die Truppe selbst. Die unvermeidliche Folge mußte sofort einreißende Desertion sein, die verschärfte Ordres zu ihrer Verhütung nach sich zog. Sie betrafen fast die gleichen Polizeimaßnahmen wie in Frankreich im Zusammenhang von »recrutement forcé« zwecks Ersatz hoher Kriegsverluste und Fahnenflucht. Auch manche aus dem Spanischen Erbfolgekrieg zurückgekehrte Veteranen rissen aus, da ihnen der König die Einhaltung ihrer Kapitulationen verweigerte und dazu noch der friedensmäßige Exerzierdrill seine abschreckende Wirkung tat. Friedrich Wilhelm I. bestand auf einer Dienstzeit bis zur Invalidität bzw. auf einer Entlassung, die er selbst nach Gesichtspunkten seiner Militärpolitik gewähren wollte.
Die wohl brutalsten Methoden wendeten Werbekommandos des Regimentes der 2000 »langen Kerle« an, die sie in aller Welt zusammensuchten und dabei peinliche politische Affären mit ausländischen Regierungen heraufbeschworen. Neben der Desertion löste das rücksichtslose Verhalten des Militärs in den preußischen Provinzen auch noch eine alarmierende Landflucht aus; scharenweise, wo die Grenze am nächsten lag. Dort fürchtete man schon, daß die Äcker unbebaut bleiben würden, weshalb sich Gutsherren und Bauern an einigen Orten gewaltsam zur Wehr setzten. Das war nun das Allerschlimmste, was dem um sein Lebenswerk besorgten König passieren konnte. Die Rekrutenwerbung sollte ja der friedlichen Konsolidierung des Landes dienen. Es mußte ein Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen der zivilen Arbeit und des Wehrdienstes hergestellt werden. Eine ganze Reihe von Verordnungen, die sich aber widersprachen, brachte zunächst nichts zuwege. Offene Gewalt durften die Werber nicht mehr anwenden, doch List war ihnen erlaubt. Dann wieder hatten die Regimenter mit den Behörden gemeinsam für die unumgängliche Rekrutierung zu sorgen, worauf bald die Ermahnung an die Zivilinstanzen folgte, keine übertriebene Klage zu führen. Später kam der Befehl, ohne zuvor erhaltene königliche Erlaubnis keinen Zwang anzuwenden, und schließlich sollten nur noch Freiwillige angenommen werden. Wirkliche Entlastung für die Landeskultur brachten dagegen bestimmte Werbeverbote, die ganze soziale Gruppen der Bevölkerung betrafen: schon 1714 alle mit Haus und Hof angesessenen Bürger, Bauern und Kossäten, von 1717 bis 1726 die Wollarbeiter, die Kolonisten, »Manufacturiers« nebst Lehrburschen, die Handwerker verschiedener Mangelberufe, zuletzt auch die Bürgersöhne, deren Eltern ein Vermögen ab 10 000 Taler besaßen und die Söhne der Seelsorger, sofern sie Theologie studierten.
Dazu gehörten auch die einheimischen Freiwilligen und die ohnehin im Regiment aufwachsenden Soldatensöhne. Bei der Kavallerie, die sich wie in allen Heeren vorwiegend aus Freiwilligen rekrutierte, erreichte die Zahl der Urlauber höchstens 22 Prozent. Enrollierung und KantonssystemInzwischen hatten einzelne auf Vollzähligkeit bedachte Kompanie-Chefs begonnen, schon im Vorgriff zusätzliche Leute auszubilden und als Reserve bereitzuhalten, um bei der nächsten überaus gefürchteten Königs-Revue sofort den Ersatz für die Desertions- und Krankheitsausfälle verfügbar zu haben. Friedrich Wilhelm I. sanktionierte diese Methode und befahl, daß jede Kompanie fünf »Überkomplette« besitzen sollte. Das verschärfte wiederum die Zwangsrekrutierung nach gewohnter Manier, wobei noch die Regimenter miteinander in Streit gerieten, einzelne Kapitäne obendrein ein übles Menschenhandelsgeschäft zu betreiben suchten und neue Massenflucht die Folge war. Nach Jahren der Willkür kam aber die seit 1717 auch nicht mehr kriegsbedingte Heeresergänzung allmählich in geordnete Bahnen. Da an der grundsätzlichen Wehrpflicht des Untertanen kein Zweifel bestand, ließen die Kompanie-Chefs in der Garnison und deren Umgebung alle Knaben registrieren, um sie dem Regiment »obligat« zu machen, wie es damals offiziell hieß. Jeder bekam die rote Halsbinde, später den Hutpuschel in der Regimentsfarbe, der ihn als künftigen Soldaten kennzeichnete. Nach der Konfirmation als eidesfähig erklärt, wurde die Jungmannschaft »enrolliert«, d. h. in die Stammlisten eingetragen, wie sie für die Miliz des ersten Königs schon bestanden hatte. Wenn dann der Kapitän Ersatz benötigte, zog er so viele Enrollierte ein, wie er brauchte, selbstverständlich nach Maßgabe des Wachstums. War die Grundausbildung vorüber, kehrte der Soldat mit dem Urlaubspaß versehen in den Heimatort zurück. Mit den Kabinetts-Ordres von 1733 - für die westlichen Streugebiete 1735 - fand das Gesamtverfahren seinen gesetzlichen Abschluß. Nach genau erfaßter Anzahl aller »Feuerstellen« war jedem Regiment ein »Enrollierungskanton« zugewiesen, dieser wieder unterteilt in Kompaniebezirke, um davon »die besten Leute zu nehmen.. . sich complet zu halten und Zuwachs zu haben«.
Die Kantonverfassung Friedrich Wilhelms I. war in staatspolitischer wie sozialer Hinsicht von einzigartig festigender Kraft. Der Enrollierte besaß auf Lebenszeit den Status eines Soldaten in des »Königs Rock«. Damit waren die Bauernsöhne der Erbuntertänigkeit weitgehend entzogen, auch wenn sie als Beurlaubte für den größten Teil des Jahres wieder ins häusliche Dasein zurücktraten. Sie unterstanden jetzt ihrem Regimentsgericht, nicht mehr der Patrimonialgerichtsbarkeit des Gutsherren, der als Kläger, Richter und Vollstrecker dem Hörigen das Leben beliebig hatte erschweren können. Für alle Personalangelegenheiten war der Kompanie-Chef zuständig, der auch die Heiratserlaubnis erteilte. Aus gutem Grund mußten die Beurlaubten daheim auch bei der Arbeit stets ein militärisches Kleidungsstück tragen, vermutlich die Stiefeletten. Damit waren sie äußerlich gekennzeichnet, und weder der Leutevogt noch der Gutsherr selbst hätte sie mit dem Prügelstock traktieren dürfen. Dazu besaß allein der militärische Vorgesetzte in vorgeschriebenen Grenzen die Erlaubnis. Wenn der Enrollierte sonntags zum Kirchgang in voller tadellos sauberer Uniform mit dem Seitengewehr zu erscheinen hatte, ebenfalls zum Besuch einer Stadt, in der Truppe garnisonierte, so beugte das nicht allein der »Wiederverbauerung« vor, sondern sollte den königlichen Soldaten angesichts der zivilen Umwelt auch in seinem Stolz bestärken. Sicherlich wird die ganze Landbevölkerung das Ende der wilden Werbe- und Enrollierungszeit als große Erleichterung empfunden haben. Jeder männliche Untertan wußte nun schon von früher Jugend an, ob, wann und wie lange er dienen mußte, welchen Nachteil es mit sich brachte, sehr bald aber auch den gewichtigen Vorteil der Befreiung aus drückenden Verhältnissen. Die Wehrpflichtigen aus der größten sozialen Gruppe der »kleinen Leute« traten erstmals in eine unmittelbare Beziehung zu König und Staat. Darüber hinaus erfuhren sie eine feste innere Bindung an ihr Heimatregiment.
Um jeden Preis wollte er die Oualitätsarmee haben. Das stehende Heer des altpreußischen Militärstaates auf der Grundlage seiner Regimentskantone bedeutete keine allgemeine Wehrpflicht nach dem Prinzip staatsbürgerlicher Gleichheit. Dennoch kann man sein Ersatzwesen, das durch schon erhebliches Ausschöpfen der im Lande liegenden Wehrkraft alle Regimenter regelmäßig regenerierte und sozusagen unsterblich machte, als einen ersten weiten Schritt zum späteren neupreußischen Volksheer bezeichnen. Es ist dem Soldatenkönig gelungen, eine ursprünglich reine Zwangsinstitution zur elitären bewaffneten Macht des Potsdamer Staates umzuformen. Das gesetzte Ziel hatte er nicht allein durch verschärfte Disziplin und gründliche Ausbildung erreicht. Von Natur aus charakterisiert es diesen Staat, daß die Armee eine beherrschende Sonderstellung einnahm — politisch, sozial und moralisch. Vom ersten Tag seiner Regierung an war Friedrich Wilhelm I. darauf bedacht, dem in allen Ländern tief verachteten Soldatenstand einen ihm angemessenen Respekt in der bürgerlichen Gesellschaft buchstäblich zu ertrotzen. Der Soldat sollte seinen Dienst als ehrenvolle Berufsaufgabe verrichten, als Schutzwehr dessen, was im Lande wuchs und sich stärkte. Der Soldat sollte stolz darauf sein, einer Armee anzugehören, an deren Spitze der Monarch selber stand, den gleichen Dienst als Kommandeur seines Leibregimentes tat wie sie und hierzu das persönliche Vorbild gab.
Daß die preußischen Soldaten am häufigsten und brutalsten mit dem allgegenwärtigen Stock geprügelt worden sein sollen, ist nicht wahr. Zunächst galt die strenge Vorschrift, jedem Rekruten gelinde und mit Geduld zu begegnen, »damit er nicht gleich im Anfang verdrießlich und furchtsam gemacht werde, sondern Lust und Liebe zum Dienst bekommen möge... «. Obenauf lag die Allerhöchste Ordre, wonach »ein Regiment zwar in Subordination, Disziplin und Ordnung sein muß, die Leute aber nicht bestialisch traktieret werden sollen«. Der Soldat sei ein Mensch mit allen Fehlern, er habe aber auch Ehre im Leibe. Hurtig und scharf ging es beim Chargieren, dem eigentlichen Gefechtsexerzieren zu. »Nun vertrat der Stock das Prinzip staatlich geforderter Höchstleistung«. Dann kontrollierten Offiziere mit der Uhr in der Hand die Salvenfolge, die Unteroffiziere achteten auf jeden Fehler und weckten den Schläfrigen »mit dem bey sich habenden Weckern wieder auf.« In der Ausbildung waren Stockhiebe nur gegen störrische Leute in engen Grenzen zugelassen, und wer einen Mann blutig schlug, wurde bestraft. Zu den drakonischen Körperstrafen hingegen zählte der Spießrutenlauf, der in den neuen Kriegsartikeln von 1713 mehrmals angedroht stand. Er scheint an die Stelle anderweitiger körperlicher Züchtigungen getreten zu sein, in Fällen extrem möglichen Durchlaufes — bis zu 30mal - gar der Todesstrafe. In der Hauptsache betraf solche grausame Härte die vorsätzlich und mutwillig handelnden Renitenten, die kriminell Veranlagten und Asozialen.
Es bestand ein Interesse, daß sie heirateten und somit seßhaft wurden, falls die beweibten Soldaten das für zulässig erachtete Drittel pro Kompanie nicht überschritten. Weiten konnten die Soldaten einem Beruf nachgehen. Zu diesem Zweck legte man diejenigen »mit Profession« gleich zu den Handwerksmeistern ins Quartier; die Ungelernten sollten bei den Tuchmachern als Wollspinner oder als Handlanger im Baugewerbe beschäftigt werden. Gerade aus dieser Einrichtung der Stadtbeurlaubten ist zu ersehen, inwieweit der preußische Militärdienst im Frieden gegenüber aller Strenge auch eine ziemlich leichte Seite hatte. Im übrigen mußten die unverheirateten Soldaten kameradschaftsweise miteinander ihren Haushalt führen. Der Lebensmitteleinkauf und die Zubereitung der Mahlzeiten geschah ohne ärgerliche Bevormundung durch die Unteroffiziere. Die große Aufgabe, den Ausgleich zwischen der Landeskultur und den Bedürfnissen des Heeres auch innerlich zu fördern, hatten vor allem die Pfarrer zu erfüllen, die als regelrechte Propagandisten des Königs über die Güte des Soldatenstandes zu predigen begannen und schließlich noch die Vorschriften der Kantonverfassung von den Kanzeln verkünden mußten. Als Landesvater und Oberster Bischof, der unablässig für den Gottesfrieden aller Bekenntnisse wirkte, hat sich der Monarch zu denjenigen Männern am stärksten hingezogen gefühlt, die ihm das Land verbessern halfen und seinen Menschen den Weg zum tätigen Christentum wiesen. Dem entsprach die Seelsorge der Feldprediger in den Regimentern. Ihr erzieherischer Einfluß auf Geist und Haltung der Armee war beachtlich, segensreich auch im Hinblick auf die Soldatenfamilien, insbesondere den Unterricht der Kinder. Integration der Soldaten als Klammer des preußischen StaatesZusammenfassend ist zu sagen: Der Potsdamer Soldatenkönig hat als erster Hohenzollernherrscher die während des vergangenen Krieges verstärkt angeworbenen Truppen im Frieden nicht nur beibehalten, sondern noch beträchtlich vermehrt. Dieses enorme Resultat erzielte er durch einen revolutionären Staatsumbau, dem das Heer als massive Sicherung wie als Basis starker innerer Kraftentfaltung diente. Es bildete den Hauptantrieb des ökonomischen Wachstums hinsichtlich Massenkonsum und des Einsatzes seiner Soldaten samt ihrer Familien im Arbeitsprozeß. Damit hingen Enrollierung der Wehrpflichtigen, festgesetztes Maximum der Beurlaubten und die Anordnung von Exemtionen eng zusammen, was wiederum den Rückgriff auf die Auslandswerbung ermöglichte. Die Erschaffung und Erhaltung eines numerisch das normale Maß weit übersteigenden Qualitätsheeres aus eigenen Mitteln war der eigentliche Staatszweck. Die innere Festigung des gesamten Wehrsystems spiegelt sich ebenso wie die materielle in der Statistik wider: Die Desertionszahlen lagen im Jahr 1714 am höchsten, bei der Infanterie insgesamt 3540 Mann (bei der Kavallerie nur 70); im Jahr 1740 liefen nur noch 174 Mann davon (bei der Kavallerie 54).
War die ideell begründete Absicht, eine Armee aus Landeskindern zu schaffen, technisch nicht durchführbar, so besetzte der Landadel generell die ums Doppelte vermehrten Offizierstellen auf dem Wege des Ersatzes durch den jungen Nachwuchs. Die fragwürdigen Glücksritter und Abenteurer fremder Herkunft wurden entfernt, Bürgerliche mit Feldbewährung grundsätzlich nobilitiert, wenn sie zur Rangklasse der Stabsoffiziere gehörten. Ihre Integrierung kennzeichnete ebenso den neuen Typus des spezifisch preußischen Schwertadels wie die der hohen Herren fürstlichen Geblütes, die keinerlei Vorzüge genossen und ohne Unterschied des jeweils durch Anciennität und Leistung erreichten Dienstgrades die soziale Gleichheit innerhalb des privilegierten Berufsstandes bewiesen. Alle Angehörigen des Offizierkorps vom Fähnrich bis zum Regiments-Chef trugen demzufolge die gleiche Uniform ohne jede Rangabzeichen. Andererseits waren die aus der früheren Gemeinschaft der Befehlshaber sozial zurückgetretenen Unteroffiziere um so deutlicher geschieden. Zusammen mit den gemeinen Soldaten bildeten sie die Mannschaft, was mit ihrer Verpflichtung auf die Kriegsartikel, die auf den Offizier nicht zutraf, scharf zum Ausdruck kam. Die Unterwerfung des AdelsDas adlige Privileg der Grundsteuerfreiheit blieb unangetastet; auch waren die Edelleute von der Wehrpflicht befreit und somit den höheren Beamten bürgerlicher Herkunft, den Eximierten und Kapitalisten rechtlich gleichgestellt. Beides gründete sich auf die Allodifikation der Lehen, wodurch der König ab 1717 gegen eine jährlich zu zahlende Geldabgabe das im Mittelalter entstandene Obereigentum des Lehnsherren am feudalen Grundbesitz und die davon abhängige Verpflichtung zur Heerfolge, die praktisch ohnehin keine Rolle mehr spielte, aufhob. »Er hat dabei aber gleichzeitig das alte Dienstverhältnis zwischen Edelmann und Landesherrn und die vasallitisehe Disziplin ungeheuer verschärft«. Von nun an verlangte Friedrich Wilhelm 1. den Militärdienst nicht mehr als Gegenleistung für die Verleihung von Rittergütern, sondern »als allgemeine staatliche Untertanenpflicht«. Er verbot dem Adel, im Ausland sein Fortkommen zu suchen und ließ die Befolgung durch behördlich angelegte Vasallentabellen scharf überwachen. Jetzt sollte die oberste Standespflicht gelten, dem König von Preußen als Offizier zu dienen.
Die zwangsweise Verbindung von Adel und Offizierkorps beendete den 100jährigen Kampf der feudalen ständischen Opposition mit dem vollständigen Sieg des in Preußen am unerbittlichsten durchgeführten Staatsabsolutismus. Die äußere Unterwerfung zwang aber noch viel weitergehend ins Joch soldatischer Pflichterfüllung hinein, das man in anderen Armeen nicht kannte. Schon in den letzten Jahren der Kronprinzenzeit war der Weg durch die »Geburt des preußischen Drills« vorgezeichnet. Der König erwartete von jedem Offizier, daß er den vergleichsweise unkavaliersmäßigen Friedensdienst bis ins kleinste Detail gehorsam mit der nötigen Genauigkeit und Pünktlichkeit versah. Jeder einzelne hatte seine volle Mitverantwortung für die Ausbildung und Ausrüstung der Mannschaft im Sinne des Qualitätsbegriffes als gemeinsame, eminent staatspolitische Berufsaufgabe zu erfüllen. Wer bei der stets gefürchteten Königs-Revue dem scharfen Auge des »roi Sergeant« durch mangelnde Reglementstreue auffiel, durfte mit keiner Beförderung rechnen. Auch sein außerdienstliches Verhalten stand in der »Conduitenliste«. Dafür gab es bis zum Stabskapitän nur ein karges Jahrestraktament, das zwischen 140 und 220 Talern lag, abzüglich 45 Talern für die Uniform. Was mit dem Vorrecht des Offizierpatentes einherging, war alles andere als ein sorgenfreies, bequemes Dasein.
Der Haushalt durfte keinesfalls zum Nachteil der Leute geführt werden und die schadhaft gewordene Ausrüstung war sofort zu ersetzen bzw. zu ergänzen. Mancher Auserwählte ohne Vermögen übernahm die Kompanie schon mit Schulden, da er dem Vorgänger die Gewehrgelder (600 Taler) zu bezahlen hatte. Die Gehälter der Obristen und Generale standen an der Spitze der allgemeinen Einkommenspyramide mit 1100 bis 2500 Talern im Jahr. Der politische Sinn jener Militarisierung des Landadels trat in aller Deutlichkeit zutage, als sich das Kantonsystem entwickelte. Seine sozialen Auswirkungen bestanden im festen Zusammenschluß von Bauerninfanterie und ihrer Führerschaft zum Kernbestand des Heeres. Wurden den Grundherren autokratische Rechte entzogen —von der Dorfbevölkerung bald als Schutz vor bisherigen drückenden Verhältnissen empfunden —‚ so wuchsen deren Brüder und Vettern als Offiziere des Königs in die landsmannschaftliche Bindung mit den Soldaten des Heimatregimentes hinein. In erster Linie königlicher Verfügungsgewalt unterworfen, bekamen sie auch kaum eine Kompanie, die im engen heimatlichen Bezirk lag, um jeder, das Kantonwesen mißbrauchende Interessengemeinschaft von Land- und Militäradel vorzubeugen. Die bekannte Behauptung, »Der Kompanie-Chef im Regiment war Gutsherr zuhaus«, läßt sich durch die Statistik leicht widerlegen. Das zum Schwertadel umgewandelte, an strengen Friedensdienst gewöhnte und auf das puritanisch-asketische Lebensideal Friedrich Wilhelms I. ausgerichtete Offizierkorps hat sich vortrefflich bewährt. Wie generell im Militärwesen hing von seinem Geist und seiner Berufstüchtigkeit die Schlagkraft der Armee im höchsten Grade ab, und da sich Preußens Machtanspruch in der europäischen Politik fast nur darauf stützen konnte, resultierte daraus auch seine überragende Bedeutung für den Staat.
Sieht man abschließend die im Zuge der geschichtlichen Notwendigkeit liegende Entwicklung Brandenburg-Preußens vom Großen Kurfürsten bis zum Lebenswerk des Potsdamer Soldatenkönigs unter dem Gesichtspunkt der innen- und außenpolitischen, der ethischen und religiösen Grundlagen wie der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, so vermag alles zusammengenommen dem nach einer Erklärung Suchenden die Einsicht zu vermitteln, daß die Genesis des altpreußischen Militärstaates zugleich dessen Apologie ist. Seine tiefste Problematik ergibt sich aus dem Vergleich mit der schwedischen Großmachtstellung im 17. Jahrhundert. Auch sie war nur extrem militärisch zu behaupten, doch allein durch fortlaufende Kriege bis zum bitteren Ende, um die aus eigenstaatlicher Finanz- und Wirtschaftskraft nicht zu unterhaltende Armee auf Kosten auswärtsliegender Hilfsquellen leben zu lassen. Demgegenüber bestand Preußens erstarkende Macht vorwiegend im inneren Wachstum; das territoriale war nur gering, abgesehen vom Erreichen der Odermündung mit Stettin als Resultat des Nordischen Krieges. Obwohl der König in dem religiösen Bestreben, die Gebrechen des Landes zu heilen, seinen Wohlfahrtseifer bis in die entferntesten Winkel buchstäblich hineintrieb, ordnete er das gesamte zivile Leben dem militärischen unter. Diese Vorherrschaft drückte am schwersten in den Garnisonstädten, wo der Truppenkommandeur dauernd das Sagen hatte. Weil die Soldaten bevorzugt, die Ausländer seßhaft gemacht werden sollten, bestimmte er die Lebensmittelpreise, die Arbeitsbeschaffung für die Stadtbeurlaubten, sicherte ihren Familienangehörigen das Vorrecht aufs Spinnen bzw. Stricken der Wolle zu und zeigte allgemein wenig Verständnis für die Quartierlast der Bürger. Die Militärverwaltung war auf die Kommandobehörden übertragen und somit auch die vom Großen Kurfürsten im Kommissariat geschaffene Verbindung von Kriegs- und Zivilstaat wieder beseitigt. Die eigenständige Militärgerichtsbarkeit, der auch die Soldatenfamilien und das von der Militärkasse besoldete Dienstpersonal unterstanden, griff notgedrungen in die bürgerliche Jurisdiktion ein. Da auf den höheren Beamtenstellen viele ehemalige Offiziere saßen und auf den subalternen noch mehr ausgediente Unteroffiziere und Soldaten, so durchdrang der militärische Kommandoton das ganze Staatsgehäuse. Gegen die Befehle der Obrigkeit gab es keinen Widerspruch, wie dann auch das Befehlen und Gehorchen den preußischen Lebensstil nachhaltig mitgeprägt hat. Dennoch überwogen im Hinblick auf Preußens inneres Wachstum die positiven Züge eines wirklichen Fortschrittes.
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