Posen

 
 
Landschaft

Die Region Posen, im polnischen Wielkopolska (Großpolen) bekannt, wird im Norden durch Westpreußen und Pommern, im Westen durch die Neumark und im Süden durch Schlesien abgegrenzt. Die Landschaft wird von der Warthe durchflossen, an der Posen die größte und zugleich Provinzhauptstadt liegt.

Die Provinz Posen bildete in dem Niederungsstreifen eine durch die postglazialen Anhöhen, die Seen und Wälder abwechslungsreich gestaltete Landschaft. Große Waldkomplexe, die sich viele Kilometer lang hinziehen und größere Seengruppen bei Posen und Gnesen. Die durchschnittliche Geländeerhebung im Moränengelände beträgt 50 bis 100 m ü. d. M.

In dem allgemein milden Klima ist hier der kälteste Monat der Februar (mit einer Durchschnittstemperatur von —2° C) und der wärmste Monat der Juli (mit durchschnittlich 18° C). Im Jahresdurchschnitt fallen nur etwa 600 mm Niederschlag. 

Heute ist das Gebiet durch seine hohe Agrarkultur bekannt. Dynamisch entwickelt sich aber auch die Industrie, vor allem in größeren Städten wie Posen, Landsberg, Kalisz und Konin, in dessen Umgebung sich ein bedeutender Braunkohlentagebau befindet.

Völkerwanderung

Vom 1. Jh. v. Chr. an siedelten germanische Stämme überall in dem späteren slawischen Siedlungsraum zwischen Elbe und Weichsel. An der unteren Weichsel saßen die Goten, um Posen und weiter südlich bis Schlesien die Wandalen, nördlich und östlich bis zur Küste die Burgunden, an der unteren Elbe die Langobarden usw. Infolge der kriegerischen Hunneneinfälle wechselten die Ostgermanen ihre Siedlungsgebiete und zogen weiter westlich.

Diese teilweisen Abwanderungsbewegungen fanden vor allem im 4. Jh. statt. Über die Zahl der Zurückgebliebenen wird häufig spekuliert; nach vorsichtigen Schätzungen lebten im zweiten nachchristlichen Jahrhundert im gesamten östlichen Mitteleuropa etwa 700 000 Germanen. Nach der Abwanderungsbewegung Richtung Westen, so belegen es archäologische Ausgrabungen, blieben noch ungefähr 30 000 Angehörige der germanischen Bevölkerung übrig. Mit dem Bevölkerungsschwund war die Aufgabe großer Ackerflächen verbunden, erneut konnten sich große Wälder ausbreiten. Neuzuwanderungen slawischer Stammesgruppen ab dem 5. Jh. aus dem weiten Osten vermehrten die Bevölkerung wieder auf ca. 500 000 Menschen. Dabei wurden die Reste der Ostgermanen vermutlich relativ schnell assimiliert. Nachweisbar ist der germanische Einfluß in der Sprachentwicklung und auch in Gegenständen des täglichen Gebrauchs (zum Beispiel Töpfereierzeugnisse).

Das polnische Königreich

Als erster polnischer König erscheint in den Quellen Mieszko I., der 966 den christlichen Glauben annahm und damit sein Reich der Polanen, im Raum Posen, in die Reihe der christlichen Staaten Europas einordnete. Die Übernahme des Christentums bedeutete für das polnische Fürstentum die Gleichberechtigung mit dem sächsischen und böhmischen Hochadel und eine Unterstützung durch Papst und Kaiser bei der Unterwerfung und Christianisierung anderer slawischer Fürsten. Gleichzeitig erkannte Mieszko die Oberhoheit des deutschen Kaisers an. 


Gnesen Dom                  

Zwischen Otto III. und den König bestand ein Treueverhältnis, er war jedoch nicht für seinen Herrschaftsbereich tributpflichtig und lehensabhängig. Mieszko baute den Dom von Gnesen. Sein Sohn Boleslaw 1. Chrobry (dei Tapfere, 992—1025) konnte sich nicht nur endgültig das Gebiet der Wislanen um Krakau einverleiben, sondern sein Reich zugleich nach Westen (Meißen) und Osten (Kiew) ausdehnen, Als im Jahr 1000 Kaiser Otto III. nach Gnesen pilgerte, um am Grab des Heiligen Adalbert, der als Missionar von den heidnischen Pruzzen getötet worden war, zu beten, erhob er Gnesen zum Bistum und gründete damit eine polnische Kirchenprovinz. Polen wurde nun auch kirchlich vom Reich unabhängig. Nach dem Tod Otto III. begann Boleslaw, sich in die Thronfolge des Reiches als mächtiger Fürst einzumischen, und kurz vor seinem Tod im Jahr 1025 wurde er vom Papst zum polnischen König erhoben.

Sein Sohn Mieszko II. geriet jedoch bald in Konflikt mit dem deutschen Kaiser Konrad II., der ihn zum Verzicht auf die Königswürde und die Reichsterritorien, die Boleslaw durch Eroberung und Heirat erworben hatte, zwingen konnte.

Die darauf folgende Phase des Verfalls, die durch innere Uneinigkeit des Adels, wie durch die Angriffe fast aller Nachbarn auf das schnell angewachsene polnische Reich verursacht wurde, konnte zwar durch Kazimir I. den Erneuerer (1039—1058) teilweise aufgehalten werden, doch die Reichsteilung nach dem Tod Bolesiaw IIL Schiefmund (1102—1138) unter seinen vier Söhnen stürzte das Land um so tiefer in innere Streitigkeiten und Bruderkriege. Obwohl formell der älteste Sohn mit seinem Sitz in Krakau die Oberherrschaft ausübte, war das Ergebnis der Teilung vor allem die Entstehung verschiedener Linien von Piasten, die sich nach und nach voneinander entfernten.


    Kazimir III.

Gestützt auf Kirche und Adel konnte erst Wladysla w I. Lokietek (1320— 1333) wieder eine Stärkung der Königsmacht erreichen. Sein Sohn Kazimir III. (der Große, 1333—1370) setzte die Erfolge seines Vaters fort. Als Kazimir III. 1348 endgültig zugunsten Böhmens auf Schlesien verzichtete und, bei kleineren Gebietsverlusten, mit dem Deutschen Orden Frieden schloß, gelang es ihm, den Staat innerlich zu einen und zu festigen, die Herrschaft nach Südosten auszudehnen und Polens Ansehen nach außen zu fördern. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts begann die Einwanderung deutscher Kolonisten. In dem Gebiet der späteren Provinz Posen gründeten die deutschen Einwanderer Dörfer und Städte. Viele polnische Fürsten und die Klöster begünstigten die Einwanderung deutscher Ansiedler.

Sie waren frei,  keinem Gutsherrn hörig oder leibeigen und unterstanden deutscher Gerichtsbarkeit. Die deutschen Einwanderer gründeten zahlreiche Städte, Fürsten, Klöster und Edelleute verliehen deutschen Einwanderern das Stadtrecht. Als älteste deutsche Stadt ist Fraustadt anzusehen, die bereits im 12. Jahrhundert gegründet wurde. In der Mitte des 13. Jahrhunderts entstand auf dem linken Wartheufer, der Altstadt Posen gegenüber, die deutsche Neustadt, in der Mitte des 14. Jahrhunderts an der Stelle des alten Bydgoszcz die Stadt Bromberg mit Magdeburger Recht.

1410 schlug das vereinte polnisch-litauische Heer bei Grunwald (Tannenberg) den Deutschen Orden, dem jedoch im Ersten Thorner Frieden (1411) kaum Gebiete abgefordert wurden. Unter dem Sohn Jagiellos, Kazimir IV., kam es erneut zu einem Kampf mit dem Orden, der 1446 im Zweiten Thorner Frieden mit der Abtretung der Pomerellen, Danzigs, des Ermlandes und weiteren Territorien an Polen endete und Preußen zum Lehen des polnischen Königs erklärte. Der Tod des böhmischen Königs im Jahre 1471 sowie des ungarischen Königs 1491 ermöglichten es Kazimir IV., die Krone beider Länder für seinen Sohn Wladyslaw zu gewinnen und damit vier mächtige Reiche — Polen, Litauen, Böhmen und Ungarn - unter jagiellonische Herrschaft zu bringen. Jedoch gelang keine innere Vereinheitlichung ihrer Herrschaftsbereiche.

Als Kazimirs Erbe, Jan I. Olbracht (1492—1501), den Adel um Hilfeleistung gegen die Krimtataren bat, trotzte dieser ihm eine Erweiterung seiner Rechte ab, die folgenschwer sein sollte. Der Landbesitz wurde zu einem Privileg des Adels, und die Bauern wurden an den Bodenbesitz des Feudalherren gebunden. Sie verloren damit das Recht, Herrn und Boden zu wechseln und wurden leibeigen. Ferner sicherte sich der Adel das Versprechen des »Nihil novi«, das heißt, es durfte keine politische Veränderung ohne Zustimmung des Sejms, der Adelsversammlung, geben. Mit Sigismund I. dem Alten (1506-1548), beginnt für Polen das »Goldene Zeitalter«, eine Epoche besonderer Machtentfaltung und eine Herrschaft der Toleranz. 


Sigismund I.    

Unter dem Einfluß seiner Gemahlin Bona aus der Mailänder Familie der Sforza, hielt die Renaissance in Polen Einzug, und Wissenschaften und Künste erlebten eine besondere Blüte, was sich vor allem in Posen bewundern läßt.

Seinen größten politischen Erfolg erzielte Sigismundus unerwartet im Konflikt mit Preußen. Die Städte, die immer stärker unter der Herrschaft des Deutschen Ordens zu leiden hatten und für die die Freiheiten Polens ein Vorbild waren, wagten den Aufstand und riefen den polnischen König zu Hilfe. Dieser besiegte den letzten Hochmeister, Albrecht von Hohenzollern, führte den Ordensstaat als ein weltliches Herzogtum unter die polnische Krone und leistete 1525 gegenüber dem Kaiser in der »Preußischen Huldigung« in Krakau den feierlichen Lehenseid. Dafür sicherte Sigismundus I. den Brandenburger Hohenzollern die Erbfolge in Preußen zu — eine Regelung, aus der der Adelsrepublik der gefährlichste Gegner erwachsen sollte.

Unter Jan Kazimir, dem letzten der Wasa-Dynastie, kam es 1655 zu einem Überfall Schwedens (»Sintflut«), dem ganz Polen fast kampflos zum Opfer fiel. Die Wende des Kriegsglücks brachte der Widerstand auf dem Jasna Göra (Heller Berg) in (Czestochowa Tschenstocha u), dessen Marienbildnis, die »Schwarze Madonna«, in der Folge eine besondere Verehrung erfuhr und von Jan Kazimir als »Königin Polens« proklamiert wurde. Die »Sintflut« kostete Polen nicht nur einige Territorien und die Großmachtstellung in Osteuropa; die Hälfte der Bevölkerung des Landes war getötet worden, ganze Landstriche waren entvölkert, die Städte verwüstet, das städtische Leben und die Kultur ruiniert.


 Jan III. Sobieski

Um den Verfall der staatlichen Ordnung aufzuhalten, versuchte Jan Kazimir die Wahl des Thronfolgers zu Lebzeiten sowie das Mehrheitsprinzip im Sejm durchzusetzen. Er mußte jedoch nach einer Rebellion des Adels verbittert abdanken. Polen drohte in Resignation und Chaos zu versinken und zum Spielball der Magnaten und seiner Nachbarstaaten zu werden. Doch noch einmal konnte sich Polen aufrichten und die Erinnerung an glanzvolle Tage lebendig werden lassen. Mit Jan III. Sobieski (1674—1696) kam ein König auf den Thron, der sich durch energische und kluge Politik Respekt zu verschaffen wußte und europäischen Ruhm erntete, als er 1683 mit einem großen Heer nach Wien zog, es von der türkischen Belagerung befreite und damit vor der drohenden Eroberung bewahrte. Der Dank der Habsburger sollte indes nicht lange währen.

Bei der Königswahl 1697 siegte August II. der Starke (1697—1737) gegen zehn konkurrierende Kandidaten, und es begann die Sachsenzeit, die den Niedergang Polens bedeutete und das Land zum Objekt der Politik seiner Nachbarn machte. Bereits 1720 verständigten sich Rußland, das seinen Einfluß immer weiter ausgedehnt hatte, und der preußische König Friedrich Wilhelm I. darüber, alle politischen Reformen in Polen zu unterbinden. August III., der Sohn des starken Sachsenkönigs, zeigte sich kaum an Polen interessiert, und so verkam die Regierung unter seiner Herrschaft zur Günstlingswirtschaft und ließ die Magnatenfamilien im Lande herrschen.

Noch einmal sollte ein Pole den Thron besteigen. 1764 gelang es Stanislaw August Poniatowski, durch besonderes Wohlwollen der russischen Zarin Katharina II. und die Unterstützung der Adelsfamilie Czartoryski, die Wahl für sich zu entscheiden. Bereits nach kurzer Zeit konnte er deutlich machen, daß er nicht nur der Günstling und Spielball ausländischer Mächte war, für den man ihn gehalten hatte. Doch seine Bestrebungen zur Verstärkung der Armee und Einschränkung des Vetorechts im Sejm stießen auf erbitterten Widerstand im In- und Ausland. Durch die Absprache zwischen Russland, Österreich und Preussen im Jahr 1772 kam es zur ersten Teilung Polens, bei der sich Preußen den Netzebezirk, Westpreußen (außer den Städten Danzig und Thorn) und das Ermland einverleibte.

Der Schock der Teilung weckte eine neue Reformbereitschaft, die sich besonders im Sejm (1788—1792) und in der Verfassung vom 3. Mai 1791 äußerte. Polen hatte sich damit, noch vor dem revolutionären Frankreich, die modernste Verfassung Europas gegeben, ein Werk, das den alten Adelsstaat in eine moderne konstitutionelle Monarchie hätte überführen können. 


       1. polnische Teilung

Doch gegen den russischen Einmarsch, im Verbund mit einer Konföderation der konservativen Kräfte in Polen, konnten weder der polnische Freiheitswille, noch General Tadeusz Kosciuśzko, der bereits im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte, etwas ausrichten. Der neue Länderbesitz stellte nicht nur die Verbindung zwischen dem preußischen  Ländern und Ostpreußen her, sondern brachte auch die Herrschaft über den Weichselstrom. Allerdings war das Land heruntergekommen. 


Tadeusz Kosciuśzko  

In einem Bericht an den König vom Jahre 1773 heißt es darüber: "Durch unaufhörliche Kriege und Fehden der vergangenen Jahrhunderte, durch Feuersbrünste und Seuchen, durch mangelhafte Verwaltung war das Land entvölkert und entsittlicht". Die alten festen Städte,  Schlösser, lagen in Schutt und Trümmern, ebenso die meisten kleinen Städte und Dörfer. Der Bauernstand war ganz verkommen. Einen Bürgerstand gab es gar nicht. Die Äcker waren ausgesogen, voller Unkraut und Steine, die Wiesen versumpft, die Wälder unordentlich ausgehauen und gelichtet, das Land wüst und leer. In den meisten Städten gab es fast dreimal so viel wüste Hausstellen und Gebäude. Bromberg zählte nur 600 ärmliche Bewohner.

Friedrich der Große ließ Neubürger aus der Pfalz, Schwaben, Schlesien, Thüringen und Mecklenburg ansiedeln. Der König erließ ihnen für die erste Zeit die Steuern und lieferte ihnen Vieh und Saatkorn. Durch die Entwässerung des Netzebruchs konnte neues fruchtbares Ackerland gewonnen werden. Er ließ Schulen errichten und berief Lehrer aus Sachsen und Schlesien. Um den Handel und Verkehr des neugewonnenen Landstrichs zu heben, ließ der König den Bromberger Kanal bauen, der die Brahe mit der Netze und somit das Weichsel- und Odergebiet verband.

Nachdem es 1793 zur zweiten Teilung gekommen war, verleibte sich Preußen die Gebiete von Danzig und Thorn und den größten Teil von Großpolen ein.

Noch einmal sammelte Kosciuśzko in Krakau erneut das Volk zum Aufstand und konnte sogar Warschau erobern. Nach acht Monaten erbitterten Ringens unterlag er schließlich den vereinten Kräften Rußlands und Preußens.


2. polnische Teilung
Im Jahre 1795 wurde Polen endgültig aufgeteilt und Preußen erhielt den Rest von Großpolen, Kujawien  mit der Hauptstadt Warschau (Südpreußen), sowie weitere Gebiete im Osten bis zu Bug und Njemen (Neuostpreußen).
          3. polnische Teilung

Durch die Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt war der Weg frei für Napoleon Richtung Osten. Nach dem Frieden zu Tilsit errichtete Napoleon das Großherzogtum Warschau von seinen Gnaden,  zu dem auch die gesamte Provinz Posen gehörte. Zum Herrscher dieses neuen Staates wurde der König von Sachsen bestimmt. Durch den Sieg der Verbündeten in der Völkerschlacht bei Leipzig und bei Waterloo über Napoleon wurde auf dem Wiener Kongreß das Großherzogtum Warschau zwischen Rußland ünd Preußen erneut aufgeteilt, wobei sich Rußland den größten Brocken einverleibte. Preußen erhielt von seinen früheren polnischen Besitzungen das Gebiet der Provinz Posen, die in ihren Grenzen bis nach dem ersten Weltkrieg bestehen blieb.

Als Herzogtum Posen nahm das Gebiet an den preußischen Reformen teil; die Städtereform, Aufhebung der Erbuntertänigkeit und Gewerbefreiheit. Handel und Verkehr wurden durch Anlage zahlreicher Verkehrsstraßen gefördert.

In der Provinz Posen bestand unverändert ein hoher polnischer Bevölkerungsanteil (ca. 90 Prozent), während in Westpreußen mittlerweile etwas weniger als die Hälfte der Bewohner sich zur polnischen Nationalität bekannte. Doch empfanden sie sich größerenteils infolge der Entwicklung seit 1773 als preußische Staatsbürger. Obwohl Preußen während des 19. Jahrhunderts eine überwiegend polenfreundliche, auf Einfügung und weniger auf Einschmelzung gerichtete Politik gegenüber den anderssprachigen Minderheiten getrieben hat, auch der Muttersprache in der kirchlichen Verkündigung ihren Raum beließ, ist das Polen-Problem keiner auf die Dauer befriedigenden Lösung zugeführt worden.


Rathaus Posen

Vor der Reichsgründungsphase haben sich König und Regierung gegenüber den Minderheiten stets als eine »objektive« Instanz verstanden, über den Nationalitäten, Interessengruppen und den sozialen Schichten stehend. Die Abweichungen in der Wirklichkeit waren nicht so erheblich, als daß das Programm als undurchführbar bezeichnet werden könnte. Gleichheit in den staatsbürgerlichen Rechten bestand jeweils seit der Übernahme der Landesteile. Das Allgemeine Landrecht oder die Verfassung von 1849 galt für jedermann. Im Gesetz benachteiligte »Autochthone« oder »Fremdvölkische« gab es nicht. Andererseits hatte sich bereits bei dem Aufstand von 1794 gezeigt, daß die Zugehörigkeit zu Preußen den durch die Französische Revolution angeregten neuen polnischen Nationalismus nicht gemindert hatte. 

Obwohl der Status der Polen in den preußischen Provinzen ein bei weitem günstigerer als in Russisch-Polen war, wirkten sich die drei Teilungen bei den nationalgebildeten Schichten unverändert belastend aus. Unter dem Einfluß der katholischen Kirche, die den polnischen Siedlungsraum weitgehend beherrschte, verschärften sich die Nationalitätskonflikte dann noch. 

In dieser Lage wäre nach 1815 eine eindeutige, gegen jede Benachteiligung gerichtete Polen-Politik nötig gewesen, Sprache und Kultur schonend und das geschlossene polnische Siedlungsgebiet achtend. Die allgemeine Politik der Staatsregierungen war hingegen, mit Rücksicht auf das verbündete Rußland, längerfristig uneinheitlich, jedenfalls nach ihren Proklamationen. Im täglichen Leben sah vieles anders aus. Man einigte sich und achtete sich, ganz abgesehen von den spontanen Verbindungen in den Überlappungsgebieten der Nationalitäten. Das Verhalten der großenteils bald im Lande verwurzelten Beamtenschaft wurde insgesamt als korrekt empfunden. Es deckte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht immer mit Vorstellungen, die man in Berlin ersonnen hatte.

1830 ist das »Großherzogtum Posen in eine verwaltungsmäßig-normale preußische Provinz umgewandelt worden, nachdem auch dort Vorbereitungen zu einem Aufstand entdeckt worden waren. Vor allem in der Provinz Posen saßen die intellektuellen Köpfe, aber der Kampf tobte hauptsächlich in Kongreßpolen. Preußen nahm eine beobachtende Stellung ein. 1831, während des polnischen Aufstandes, übernahm Gneisenau den Oberbefehl über preußische Truppen im Osten; wenig später, am 23. August 1831, starb er in Posen an der Cholera. 


Gneisenau    

Die Unruhe nationalstolzer Polen wuchs damals von Jahr zu Jahr. Der befähigte Oberpräsident Flottwell mußte 1840 gehen, nachdem sich auch der Konfessionsstreit zugespitzt hatte. Es gehörte zu den Schwächen von König und Regierung, daß sie die Aufregungen und Provokationen vor allem der katholischen Geistlichkeit nicht mit einem höheren Maß an toleranter Gelassenheit zu beantworten vermochten. Wie später im Kulturkampf fehlte in Potsdam und Berlin die Kenntnis der sozialen Zustände und Mentalitäten. Wer sich hier mit eigenen Ideen zum Polenproblem hervortat, machte sich bald verdächtig, kam bei Hofe in den Ruf, ein »Volksmann« oder »Polenfreund« zu sein. Während der Berliner Märzrevolution und auch im Paulskirchen Parlament brachen die Gegensätze mit großer Schärfe auf. Damals wurde deutlich, daß jedenfalls die Wortführer des Polentums einem künftigen gesamtdeutschen Staate nicht anzugehören wünschten, während sie sich den preußischen Staat, ungeachtet aller Kritik, noch gefallen ließen. Polnische Agitatoren wirkten in dem Berliner März-Aufstand mit. Ein Aufstand im Posenschen mußte 1848 durch Truppen niedergeworfen werden.

Während die nationalistische Agitation unterbödig weiterlief und scharfe preußische Reaktionen provozierte (Bismarck), änderten sich auch die Methoden. Mit dem Vereins- und Genossenschaftswesen (1840: Marcinskowski-Verein »für Unterrichtshilfe«), den inzwischen klassisch gewordenen Instrumenten des Nationalitätenkampfs, erreichten die Auseinandersetzungen weitere Höhepunkte. Die polnische »Bewegung« griff nun, seit den sechziger Jahren, stärker auf das südliche Westpreußen und Oberschlesien über. Andererseits wurden die Ostprovinzen im Zuge der Industrialisierung im rheinisch-Westfälischen und im Berliner Raum zu Abwanderungsgebieten. Zusammen mit der Auswanderung nach Übersee wegen der unzureichenden Lebensmöglichkeiten auf dem Lande ergaben sich Bevölkerungsrückgänge und zwar in stärkerem Maße auf deutscher Seite. Eine grundsätzliche Entscheidung war überfällig. Sie kam jedoch weder unter Friedrich Wilhelm IV. noch unter Wilhelm I. 


  Bismarck

Das System der Aushilfen wurde in der Hoffnung auf bessere Tage fortgesetzt. Nach dem Januar-Aufstand 1863 nahmen in Preußen die Germanisierung sowie der Kampf gegen die katholische Kirche (Kulturkampf) zu. Das Ergebnis fiel jedoch anders aus als erhofft. Nationalbewußtsein und Religiosität steigerten sich. An Aufstände wurde allerdings nicht mehr gedacht. In Preußen konnten die Polen zu ihrer Verteidigung rechtsstaatliche Einrichtungen nutzen, um Forderungen auf dem Gerichtsweg durchzusetzen. So konnten wissenschaftliche Vereine sowie Wirtschafts- und Finanzorganisationen gegründet werden.

Während der Bismarckzeit fehlte es auf staatlicher Seite am langen Atem, wo es galt, relativ kurzfristige Erscheinungen angemessen zu bewerten. Die Sprachenfrage in Teilen Posens gab immer wieder Anlässe für Konflikte. Die katholischen Geistlichen und die geistlichen Orts- und Kreisschulinspektoren förderten, wie damals allgemein üblich, die Muttersprache. Daß sich national-polnische Tendenzen auch in dieser Phase fast ausschließlich über die Religion fördern ließen, liegt auf der Hand.

Die Frage, ob durch diese Praxis die Ausbreitung der deutschen Sprache behindert würde, wie Bismarck befürchtete, wird sich nicht eindeutig beantworten lassen. Tatsächlich ist es ein konfessionspolitischer Grundsatz schon unter Friedrich Wilhelm I. gewesen, die Muttersprache in der kirchlichen Verkündigung nicht zu behindern, sondern zu fördern. Im Grundsatz und in der Praxis ist dann in Preußen auch nach dem Kulturkampf und nach 1918 von beiden Hauptkonfessionen so verfahren worden. Man kurierte an einem Symptom, statt die Polenfrage vorsichtig einer dauerhafteren Regelung (mit Autonomierechten) entgegenzuführen.

Die Polenfrage war für Bismarck eine Frage des preußischen, später des deutschen Staatsinteresses. Nur in diesem Rahmen war er bereit, mit polnischen Abgeordneten über Rechte und Sonderrechte zu verhandeln. Trotz vereinzelter Zynismen in Briefen, die das Staatsinteresse als vorrangiges Motiv erkennen lassen, blieb er vom groben Nationalismus frei. Dieser Nationalismus, der nicht im preußischen Nordosten entstand, war ein Stimmungs-Nationalismus, der in wilhelminischer Zeit einen Höhepunkt erreichte. Er entwickelte sich gelegentlich als Replik auf polnische Übertreibungen, beschränkte sich aber letztlich auf Verbände, Interessenten und alldeutsch gestimmte Kreise. Die ruhige, teilweise schwerfällige deutsche Bevölkerung der preußischen Mittel- und Ostprovinzen wurden stellenweise unruhig, als sich die Angst vor einer Überfremdung ausbreitete. Polnische Ansprüche auf ausschließlich deutsch besiedelte Gebiete, wie sie vor und besonders nach 1918 mit Hilfe auch von polonisierten Landkarten geäußert wurden, waren wenig hilfreich. Ein Nationalitäten-Syndrom beruht auf wechselseitiger Vergiftung. Man darf andererseits nicht den Druck übersehen, dem das geteilte Polen von den verschiedenen Seiten her ausgesetzt war und der zu Feindbildern geführt hat. 

In der Provinz Posen wurden 1873 die Bauernvereine zusammengefaßt, 1886 polnische Genossenschaftsbanken gegründet. Der preußische Staat ließ dies alles und anderes geschehen. Polnische und Zentrums-Abgeordnete vertraten im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus mit Schärfe die polnisch-katholischen, auch die besonderen ostpreußisch-ermländischen Interessen. Der Kulturkampf hatte weitere Entfremdungen zur Folge. Ein Großteil der polnischen Bauern wurde für die nationalpolnische Bewegung nun erst ansprechbar. 


Markt Posen                 

Mit den Mitteln der 1886 gegründeten preußischen Ansiedlungskommission, die nicht ohne Erfolg arbeitete, waren die Probleme jedoch nicht grundsätzlich lösbar. Für die preußischen Konservativen, die noch um 1860 von dem »Nationalitätenschwindel« nichts hören wollten, besaß das Polenproblem vor allem eine agrarpolitische Seite. Die polnischen Saison-Arbeiter mit ihrer Ausdauer und Genügsamkeit verhalfen den Ost- und mitteldeutschen Großbetrieben zur Rentabilität. Andererseits ergaben sich hier wie durch das Militär Veränderungen, so daß die Zahl derjenigen, die sich trotz polnischer Abstammung und katholischer Konfession als zweisprachige »preußische« Staatsbürger empfanden, bis 1914 im Steigen begriffen war. Unbestreitbar ist auch, daß der preußische Staat besonders in der Zeit von 1871 bis 1918 in Posen und Westpreußen unbeschadet der jeweiligen Bevölkerungszusammensetzung eine große infrastrukturelle Aufbau- und Ausbau-Arbeit geleistet hat, mit einem modernen Verkehrsnetz, einem qualifizierten öffentlichen und privaten Bauvolumen und mit einer Industrialisierung, durch die die Ertragskraft des Landes um ein Mehrfaches angehoben worden ist. Niemand vermag mit Sicherheit zu sagen, wie die Entwicklung verlaufen wäre, wenn die beiden Weltkriege die Verhältnisse im östlichen Mitteleuropa nicht von Grund auf umgestaltet hätten. 

Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Sicherung der preußischen Ostgrenzen versäumt. Sie waren besonders in Posen seit längerem erkennbar; aber die neue Landesregierung versäumte das Wichtigste, was in dieser Lage zu tun war: den sofortigen Schutz der Ostgrenzen und gefährdeter Provinzteile. Es hätte sogleich scharfer und deutlicher Anweisungen an das V. Armeekorps in Posen und an das II. Armeekorps in Stettin bedurft. Als verhältnismäßig spät, am 31. Dezember 1918, ein seit dem Frühherbst vorbereiteter Aufstand der polnischen Bevölkerungsteile in der Provinz Posen zustande kam, war das preußische Militär zersplittert, durch eine unentschlossene Befehlsgebung gelähmt und allenthalben behindert durch das Rätesystem, in dein sich bereits zahlreiche preußische Staatsangehörige polnischer Nationalität festgesetzt hatten. 

Daß die »Festung« Posen besonders gefährdet sein würde, war unschwer vorauszusehen. Das Stellvertretende Generalkommando des V. Armeekorps in Posen (General d. lnf. von Bock und Polach sowie der ängstliche Stabschef Generalleutnant von Schimmelpfennig), der Oberpräsident von Eisenhart-Rothe und der Regierungspräsident Kirschstein erwiesen sich in ihrer bürokratischen Hilflosigkeit als würdige Nachfolger der Festungskommandanten und Behörden vom Herbst 1806. 


Hindenburg     

Sie und der von Berlin nach Posen ausgesandte Unterstaatssekretär Helmut von Gerlach ließen sich täuschen und erkannten nicht die getarnten Vorbereitungen für den weder durch Waffenstillstandsbestimmungen noch durch andere Rechtsnormen gedeckten Aufstand auf preußischem Staatsgebiet. Die Heeresleitung in Kassel hatte ebenfalls aus dem 9./10. November 1918 nichts gelernt und behandelte Posen-Westpreußen routinemäßig-ungeschickt. Den Posener Majorssohn Hindenburg trifft eine erhebliche Mitschuld an den Umfang des preußischen Gebietsverlustes im Osten. Wenn der preußische Kriegsminister Generalleutnant Scheüch rascher auf diesem Sektor gearbeitet hätte, wäre die Entwicklung anders verlaufen. Anfang Dezember hätte bereits die Befehlsgliederung für den Ostraum herausgehen können. Lediglich zur Bildung des »Heimatschutzes-Ost« wurde vom Kriegsministerium (15. November) und durch Hindenburg (24. November) aufgerufen.

Es fehlte den preußischen Generälen in dieser Lage die Einsicht in die Unzulänglichkeiten der Posener Kommando- und Personal-Verhältnisse. Als die Kommando-Verhältnisse schließlich und zu spät neu geordnet wurden (7./12. Januar 1919), befanden sich große Teile von Posen und der südliche Teil von Westpreußen in den Händen Aufständischer (»Großpolnischer Aufstand«).


  Hirsch

Vom preußischen Ministerpräsidenten Paul Hirsch konnte auf diesem Gebiet nichts erwartet werden. Er war, bei einem Besuch in Posen am 15. Dezember, gewarnt worden und hat gleichwohl nichts unternehmen wollen. »Ruhe« war für ihn die erste Bürgerpflicht. So nahm das Schicksal in Posen-Westpreußen seinen Lauf. Entscheidend für den weiteren Prozeß blieb aber der unleugbare Tatbestand, daß alle wirklichen deutschen Abwehrversuche scheiterten, weil es dem Armee-Oberkommando überhaupt an einer politischen Direktive fehlte. 

Die Staatsregierung, hier dem Reich gegenüber primär verantwortlich, verfügte über kein Zukunftsprogramm für die Provinz Posen und wagte keine entscheidenden Schritte, weil sie das Ausbleiben der Kartoffeltransporte und sonstigen Lieferungen aus dem Posenschen befürchtete. Diese Kartoffel-Politik führte dann geradewegs in den Aufstand (31. Dezember 1918) hinein. Den nunmehr rasch in die Grenzräume geworfenen deutschen militärischen Verbänden (Grenzschutz, Einwohnerwehren) gelang es immerhin, Randgebiete zu halten. Doch durften sie nicht offensiv werden, obwohl die Alliierten in der Beurteilung der Lage im östlichen Mitteleuropa uneins waren und die Offensive der Bolschewisten bereits das Land bedrohte. Die preußische Regierung trieb ihre Erbärmlichkeit so weit, zu erklären, man könne die Interessen der deutschen Bevölkerung nicht mehr wahrnehmen, die achthunderttausend Posener Deutschen sollten sich selbst helfen (1. Januar 1919). Seit dem 16. Februar herrschte dann der in Frankreich ausgehandelte Waffenstillstand. Auf beiden Seiten waren je etwa tausendzweihundert Mann gefallen.

Mit dem Versailler Vertrag (28. Juni 1919) gingen auch jene Gebiete Westpreußens und Posens ohne Abstimmung an Polen über, die von Grenzschutztruppen gesichert waren. Die deutschen Truppen mußten am 10. Januar 1920, dem Tag des Inkrafttretens des Versailler Vertrages, die Restgebiete räumen.

Den preußischen Ostprovinzen drohte die Zerstückelung. In Polen wurden 1919 offiziell die Grenzen der Zeit vor 1772 gefordert; ein Rekuperations-Rausch erfaßte die Intellektuellen Polens, das im Begriff war, seine lange entbehrte staatliche Einheit und Identität wiederzuerlangen, während Preußen seine politische Identität zunehmend verlor. Neben nationalistischen Exzessen gab es in Polen jedoch vielerorts Besonnene, die das Verhältnis zu Preußen-Deutschland nicht auf die Dauer belastet sehen wollten. Preußische Beamte, die sich offen oder verdeckt der Germanisierungspolitik in wilhelminischer Zeit widersetzt hatten, blieben teilweise bis Herbst 1920 in Posen und Westpreußen in ihren Ämtern, darunter auch in sicherheitsempfindlichen Bereichen.

Die Preußen verbliebenen Gebiete Posens wurden dann mit den restlichen, westlich des polnischen Korridors, befindlichen Teilen Westpreußen zur Provinz Grenzmark Posten-Westpreußen mit der Provinzhauptstadt Schneidemühl zusammengeführt. 1938 wurde die Provinz aufgelöst und überwiegend Pommern zugeschlagen.